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Keynesianische Beschäftigungstheorie und Beschäftigungspolitik | APuZ 12/1992 | bpb.de

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APuZ 12/1992 Arbeitslosigkeit in Deutschland. Auf der Suche nach einer effizienten Arbeitsmarktpolitik Tarifpartnerschaft im vereinten Deutschland. Die Bedeutung der Arbeitsmarktorganisationen für die Einheit der Arbeits-und Lebensverhältnisse Keynesianische Beschäftigungstheorie und Beschäftigungspolitik Politische Entscheidungsprozesse in der deutschen Arbeitsmarktpolitik

Keynesianische Beschäftigungstheorie und Beschäftigungspolitik

Wolfgang Franz

/ 16 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag analysiert die Diskussion um die volkswirtschaftlichen Grundlagen einer aktiven Beschäftigungspolitik und nimmt zum gegenwärtigen Stand der Forschung Stellung. Während in den sechziger Jahren der Keynesianismus und die darauf aufbauende Stabilisierungspolitik mit Hilfe eines Nachfragemanagements hoch im Kurs standen, war diese Konzeption in den siebziger und achtziger Jahren gründlich diskreditiert. Die Neue Klassische Makroökonomik dominierte wissenschaftlich eindeutig, als sie einer Stabilisierungspolitik jedwede nachhaltige Wirkung absprach. Auf Grund ihrer unrealistischen Annahmen hat diese Schule den Zenit ihrer wissenschaftlichen Anerkennung überschritten. Hingegen finden die Bemühungen, die keynesianische Konzeption zu rekonstruieren, zunehmende Beachtung. Die Neue Keynesianische Makroökonomik versucht, die offenkundigen Unzulänglichkeiten der alten Keynesianischen Konzeption zu beseitigen. Als Resultat dieser noch nicht abgeschlossenen Forschungen ist es nun einerseits möglich zu begründen, wieso Trägheiten in den Lohn-und Preisanpassungen ökonomisch rational sein können, obwohl sie Arbeitslosigkeit verursachen und daher beschäftigungspolitische Eingriffe notwendig machen. Andererseits besitzt die Volkswirtschaftslehre nun ein umfassenderes Denkmodell zur Behandlung unterschiedlicher Ungleichgewichtssituationen, von denen eine keynesianischer Natur ist. Wenn eine solche Situation vorliegt, kann eine keynesianisch orientierte Beschäftigungspolitik sinnvoll sein.

L Inflation vs. Arbeitslosigkeit

Die Welt der Beschäftigungstheorie und -politik vor gut zwanzig Jahren war im Vergleich zu einer Vielzahl konkurrierender Ansätze, mit denen wir heute konfrontiert werden, überschaubar und durch einen breiten Konsensus gekennzeichnet. Aus wissenschaftlicher Sicht gab es alternative Kombinationen von Arbeitslosigkeit und Inflation; d. h. man glaubte an die Möglichkeit, sich durch etwas mehr Inflation etwas weniger Arbeitslosigkeit erkaufen zu können. Auf der Grundlage dieser sog. Phillips-Kurve entschied sich die Wirtschaftspolitik für ein bestimmtes Ziel bezüglich Beschäftigungshöhe bzw. Inflation, und im übrigen wandte sich der Wirtschaftspolitiker der Fein-abstimmung seiner Stabilisierungspolitik zu. Keynesianisches Nachfragemanagement erschien als das wirtschaftspolitische Credo schlechthin, Zweifler an dieser Lehre wurden schlicht als „Neandertaler“ (Walter Heller) abqualifiziert. Wirtschaftspolitiker verstiegen sich zu der aus heutiger Sicht unvertretbaren Garantie, daß kein Arbeitnehmer aus konjunkturellen Gründen um seinen Arbeitsplatz zu bangen brauchte und kein Unternehmer eine rezessive gesamtwirtschaftliche Nachfrage-lücke zu befürchten hätte

Bereits zehn Jahre später, in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren, war diese wirtschaftspolitische Konzeption gründlich diskreditiert. Für eine wissenschaftliche Karriere war es ziemlich gefährlich, über die Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu sprechen -im günstigsten Fall erntete man damit in der professionellen Zuhörerschaft einen Heiterkeitserfolg. In der Wirtschaftspolitik war die erwähnte Phillips-Kurve instabil geworden: Es ging nicht mehr um die Alternative „lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“ -Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte vielmehr mit beiden Übeln zu kämpfen. Die Konjunkturprogramme keynesianischer Prägung erwiesen sich anscheinend als reine Strohfeuer. Die „Neue Klassische Makroökonomik“, die den Verzicht auf stabilitätspolitische Eingriffe propagierte, stand als Theoriegebäude allenthalben hoch im Kurs.

Wiederum zehn Jahre später, zu Beginn der neunziger Jahre, ist die Beschäftigungstheorie nicht wiederzuerkennen. Die Protagonisten der „Neuen Klassischen Makroökonomik“ der achtziger Jahre haben den Zenit ihrer wissenschaftlichen Anerkennung überschritten und „geläuterte“ Keynesianer machen sich daran, dieses nunmehr diskreditierte Theoriegebäude nach solchen Argumenten abzusuchen, welche auch für ein neues Paradigma geeignet und wissenschaftlich fundiert sind.

Wissenschaftliche Kontroversen werden in der Literatur häufig als „Revolutionen“ und „Gegenrevolutionen“ bezeichnet, wie es der amerikanische Ökonom Harry G. Johnson seinerzeit in dem bekannten Aufsatz „The Keynesian Revolution and the Monetarist Counterrevolution“ eindrucksvoll vorgetragen hat In Abwandlung und Fortführung dieses Sprachgebrauchs wird in diesem Beitrag von der „Revolution“ der „Neuen Klassischen Makroökonomik“ gegen den Keynesianismus und von der „Gegenrevolution“ der Keynesianer gegen eben diese „Neue Klassische Makroökonomik“ gesprochen. Die wissenschaftlichen Gegenrevolutionäre sehen sich allerdings -anders als die wissenschaftlichen Revolutionäre -mit dem Problem konfrontiert, daß es nicht genügt, das Theoriegebäude der wissenschaftlichen Revolution gegen den Keynesianismus zu zerstören; sie müssen zusätzlich zeigen, daß die seinerzeitigen offensichtlichen Schwächen des Keynesianismus, welche die Revolution dagegen auslösten, in der neuen Konzeption der Gegenrevolution überwunden sind. Die Keynesianer erreichten dies dadurch, daß sie ihre Argumentation auf dem Prinzip der ökonomischen Rationalität basierten und damit dem Key-nesschen Modell die bisher nur unzulänglich vorhandene und von den Anhängern der „Neuen Klassischen Makroökonomik“ eingeforderte theoretische Grundlage gaben.

II. Der Niedergang des Keynesianismus

Die Hauptkritik gegen eine keynesianisch orientierte Beschäftigungstheorie basierte auf zwei Argumenten: Erstens entsprach die Theorie nicht in allen Punkten der realen Entwicklung in den siebziger Jahren, und zweitens geriet ein als wesentlich angesehener Baustein des Keynesschen Systems der sechziger Jahre bei näherem Hinsehen in den Grenzbereich einer ökonomischen Trivialität.

Beginnen wir mit der Trivialität. Wenn auch Keynes in seinem berühmten Buch „The General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936) im letzten der insgesamt 19 Kapitel darlegte, daß flexible Löhne an seiner Argumentation nichts ändern würden, so baute das Keynes-sehe Modell der sechziger Jahre doch auf einer Annahme auf, die Keynes in den vorangegangenen Kapiteln machte, nämlich daß die Löhne nach unten inflexibel seien. Die Epigonen von Keynes machten Trägheiten in der Lohn-und Preisanpassung ganz allgemein dafür verantwortlich, daß ein ökonomisches System zumindest sehr viel Zeit benötigt, um nach einer Störung wieder ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht zu erreichen.

Da dieser Zeitaufwand mit unvertretbar hohen Kosten in Form von Arbeitslosigkeit verbunden war, ergab sich damit die Rechtfertigung für eine aktive Beschäftigungspolitik: Staatliche Budgetüberschüsse, die in der Hochkonjunktur bei der Zentralbank angesammelt worden waren, sollten in der Rezession nachfragewirksam ausgegeben werden und damit beschäftigungsstabilisierend wirken.

Das klang auch für Wirtschaftspolitiker zunächst einleuchtend. Populär war in erster Linie allerdings das Geldausgeben, das Erwirtschaften von Überschüssen löste dann -insbesondere vor Wahlen -schon weit weniger Begeisterung aus. So kam es, daß aufgrund dieser Asymmetrie wirtschaftspolitischer Präferenzen sich die wirtschaftspolitische Anwendung der Keynes’schen Rezeptur insbesondere in der Hochkonjunktur als weitaus schwieriger als erwartet erwies 3.

Die erwähnte ökonomische Trivialität liegt darin, daß von vorneherein offensichtlich ist, daß der Markt nicht funktionieren kann, wenn man ihn durch eine träge Lohn-und Preisentwicklung behindert. Das provoziert folgende Frage: Wieso leistet sich dann eine Gesellschaft diesen Luxus von Trägheiten, die soviel Arbeitslosigkeit verursachen? Ist das nicht völlig irrational? Es müßte schon gezeigt werden, daß solche Rigiditäten mit ökonomisch rationalem Verhalten der Unternehmen und/oder privater Haushalte vereinbar sind. Erst dann wird eine solche Konzeption sinnvoll, weil erst dann bezweifelt werden kann, daß rational handelnde Wirtschaftssubjekte dazu gebracht werden können, schneller mit Löhnen und Preisen zu reagieren.

Wenn sie aus rationalen Überlegungen Trägheiten vorziehen, so ist es schwer möglich, sie davon abzubringen, dann ergibt sich daraus die Rechtfertigung einer aktiven Stabilisierungspolitik, um die aus diesen Trägheiten resultierenden Beschäftigungsschwankungen zu stabilisieren. Die Beantwortung genau dieser Frage blieb das keynesianische Modell vor gut zwanzig Jahren schuldig -unabhängig davon, welche Bedeutung Keynes selbst diesen Rigiditäten beimaß.

Während sich die eben skizzierte Diskussion eher in einschlägigen akademischen Zirkeln vollzog, war auch für den Laien offenkundig, daß von einer Wahl zwischen etwas weniger Arbeitslosigkeit und dafür etwas mehr Inflation in den siebziger Jahren keine Rede sein konnte -man hatte beide Übel. Die exorbitanten Rohstoffpreiserhöhungen in den siebziger Jahren führten zur Stagflation, d. h. zu sowohl sinkender Beschäftigung als auch zu steigenden Inflationsraten. Das war die schlechteste aller Welten, an die das seinerzeitige keynesianische System nicht gedacht hatte.

Die fehlende ökonomische Begründung und das Stagflationsphänomen zeigten erhebliche Schwächen des seinerzeitigen keynesianischen Modells. „Monetarismus“ und „Neue Klassische Makroökonomik“ übernahmen die wissenschaftliche Führung, Keynes war auch wissenschaftlich „tot“. *

III. Monetarismus und Neue Klassische Makroökonomik

Die Revolution gegen das Keynes’sche Theoriegebäude vollzog sich in zwei Wellen: Die erste bestand in monetaristischen Überlegungen, während die zweite von der „Neuen Klassischen Makroökonomik“ vorgetragen wurde. 1. Monetarismus Was den Monetarismus und den Keynesianismus eigentlich trennt ist nicht etwa, daß Keynesianer einer monetären Politik jegliche Wirkung absprechen würden. Es gibt zwar im Keynes’schen Modell den Spezialfall einer „Liquiditätsfalle“, bei der die Zinsen bereits so extrem niedrig sind, daß auch eine expansive Geldpolitik keine weitere Zinssenkung und damit keine Belebung der Investitionstätigkeit bewirken kann. Schon Keynes selbst war jedoch kein Fall bekannt, wo es eine solche Situation bereits gegeben hatte, und sie ist in dieser extremen Form auch später kaum vorgefunden worden. Keynesianer wiesen vielmehr darauf hin, daß eine monetäre Stabilisierungspolitik in unterschiedlichen konjunkturellen Situationen mit wechselndem Erfolg betrieben wird: Eine restriktive Geldpolitik in der Hochkonjunktur wirkt nachhaltiger als ihr Gegenstück in der Rezession, weil die Bundesbank in der Hochkonjunktur die Geldmenge und damit das für Investitionen zur Verfügung stehende Kreditvolumen verknappen kann. Sie kann aber andererseits in der Rezession keinen Investor zwingen, die bereitgestellte Geldmenge für Kredite auch in Anspruch zu nehmen. Der damalige Wirtschaftsminister Professor Karl Schiller hat das treffend so beschrieben: „Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selbst.“

Monetaristen teilten diese Ansicht und wiesen auf zusätzliche Schwierigkeiten einer Stabilisierungspolitik hin. Da ihre Wirkung erst mit kaum ab-schätzbaren zeitlichen Verzögerungen einsetzt," kann sie im Extremfall auch zu einem Zeitpunkt auftreten, zu dem sie nicht mehr erwünscht ist. Eine Stabilisierungspolitik verstärkt dann eher die Konjunkturschwankungen, anstatt sie zu glätten. Was die Geldpolitik anbelangt, so plädieren Monetaristen deshalb für feste Geldmengenregeln, so z. B. dafür, daß sich die Geldmenge an der Entwicklung des Produktionspotentials orientieren solle. Einige Elemente einer solchen monetaristischen Position haben Eingang in die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank gefunden. Entscheidend für den Vergleich mit der Neuen Klassischen Makroökonomik ist, daß Monetaristen der Geldpolitik, wenn auch in Form bestimmter Geldmengenregeln, durchaus eine Wirkung auf Sozialprodukt und Beschäftigung zuerkennen.

Diese Position ist -wenngleich mit einigen Modifikationen -unter Keynesianern durchaus konsensfähig. In der Tat erkannte man die Schwächen einer ständig in den Wirtschaftsablauf eingreifenden Stabilisierungspolitik wie z. B. die der erwähnten zeitlichen Verzögerungen. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre versuchte die Konjunkturpolitik dann auch, die Staatsausgaben zu verstetigen. Das „Zukunftsinvestitionsprogramm“ (ZIP) ist ein gutes Beispiel dafür. Allerdings kam es 1978 zu spät; zum einen waren die Kapazitäten in der Bauwirtschaft schon heruntergefahren worden, zum anderen wurden die Wirkungen des Programms durch Einsparungen in den Kernhaushalten konterkariert

Daß eine Verstetigung verschiedener Bereiche der Stabilisierungspolitik, die dadurch ihre Wirkung nicht einbüßt, sinnvoll sein kann, wird ja auch von Keynesianern nicht mehrbestritten. Das eigentlich Trennende zum Monetarismus liegt in dessen Hypothese, ein wirtschaftliches System werde -wenngleich nach längerer Zeit -zu einem Vollbeschäftigungsgleichgewicht zurückkehren. Dem steht die Keynes’sche Lehre entgegen, daß eine Volkswirtschaft entweder instabil sei oder sich nicht aus einem Unterbeschäftigungsgleichgewicht befreien könne

Trotz zahlreicher Bemühungen in der ökonomischen Literatur ist es bisher nicht gelungen, empirisch zu testen, ob der private Sektor einer Volkswirtschaft nun stabil oder labil ist. Die Schwierigkeit liegt darin, daß Ökonomen im Gegensatz zu Naturwissenschaftlern keine kontrollierten Experimente durchführen können, um beispielsweise bestimmte Eigenschaften eines ökonomischen Systems herauszufinden. Es ist daher auch eine Ironie, daß die Weltwirtschaftskrise von Keynesianern und Monetaristen als Beleg für ihre Thesen angeführt wurde. Für Keynes war die Weltwirtschaftskrise sichtbares Zeichen für ein instabiles System, während Friedman ein gut Teil der Depression auf das Fehlverhalten der Geldpolitik zurückführte, die es verhindert habe, daß das ökono-mische System nach einigen Anpassungsprozessen wieder auf einen Vollbeschäftigungspfad einschwenkte. 2. Neue Klassische Makroökonomik Hatten die Monetaristen einer -wenn auch regel-gebundenen -Geldpolitik noch realwirtschaftliche Effekte zugestanden, so verneinte dies die Neue Klassische Makroökonomik, wobei sie die Möglichkeit einer effizienten Fiskalpolitik völlig in Abrede stellte. Nur eine völlig unvorhersehbare Geldpolitik könnte nach dieser Theorie allenfalls noch Wirkungen auf die Beschäftigung haben -wieso?

Wenn die Modelle auch mit einem erheblichen mathematischen Aufwand formuliert wurden, so ist der Grundgedanke doch vergleichsweise einfach. Die Bundesbank betreibt -so soll angenommen werden -eine expansive Geldpolitik und alle Preise steigen daraufhin. Die Unternehmer beobachten im Moment aber nur, daß die Preise ihrer eigenen Erzeugnisse steigen, weil Informationen über alle anderen Preise noch nicht vorliegen bzw.

es zu aufwendig wäre, sie zu beschaffen. Die Unternehmer glauben nun irrtümlicherweise, nur ihre Preise wären gestiegen, nicht aber die anderen Preise, und produzieren mehr. Nach einer gewissen Zeit bemerken sie ihren Irrtum und stellen fest, daß sich eigentlich nicht viel geändert hat, denn alle Preise sind gestiegen. Sie verringern ihre Produktion wieder. Konjunkturelle Bewegungen sind also das Ergebnis einer unvollständigen Information über die relativen Preise und über die Geldpolitik, die deren Veränderung bewirkt

Der Neuen Klassischen Makroökonomik kommt damit das Verdienst zu, den Tatbestand einer unvollständigen Information und einer Unsicherheit bezüglich der künftigen Entwicklung im Gegensatz zu den keynesianischen Modellen explizit in ihren Ansätzen berücksichtigt zu haben. Das ist ein großer Fortschritt. Daß diese Modelle trotzdem unglaubwürdig sind, liegt an den Annahmen, die ihnen zugrunde liegen. Alle Löhne und Preise sind vollkommen flexibel, so daß die Märkte stets im Gleichgewicht sind. Wenn es überhaupt Arbeitslosigkeit gibt, dann ist diese freiwillig: Die Leute arbeiten viel, wenn es viel zu tun gibt, und melden sich arbeitslos, wenn es wenig zu tun gibt. Das ist in hohem Maße unrealistisch und trägt dem unfreiwilligen Charakter der hohen und persistenten Arbeitslosigkeit in den achtziger Jahren kaum Rechnung.

Niemand wird bestreiten, daß Unternehmen ihre Produktionspläne unter unvollständiger Information und angesichts einer unsicheren Zukunft aufstellen. Aber die relevanten Preise werden monatlich vom Statistischen Bundesamt ebenso veröffentlicht wie das Geldangebot von der Deutschen Bundesbank. Somit hält sich diese Informationslücke in äußerst engen Grenzen und dürfte kaum unternehmerisches Handeln beeinträchtigen. 3. Reale Konjunkturzyklen Den prominentesten Rettungsversuch der Neuen Klassischen Makroökonomik stellen die Modelle der sogenannten „Realen Konjunkturzyklen“ dar, die die derzeitige Diskussion stark beeinflussen

Kennzeichnend für diese Konzeption ist die im Vergleich zur Neuen Klassischen Makroökonomik umgekehrte Kausalität: Änderungen in der Geldmenge sind nicht mehr die Ursache konjunktureller Bewegungen, sondern deren Folge. Auslöser der Konjunkturschwankungen sind reale Störungen (daher auch der Name dieser Theorie), also beispielsweise Technologieänderungen oder Sprünge in den Rohstoffpreisen. Auf diese Konjunkturschwankungen reagieren nun die Banken einschließlich der Zentralbank mit Veränderungen der monetären Aggregate. Die Veränderungen in der Produktion führen dann zu Beschäftigungsänderungen.

Da dasselbe Resultat zustande kommt, wenn statt der Einführung neuer Technologien die Staatsausgaben erhöht werden, hat eine fiskalische Stabilisierungspolitik reale Effekte. Das läßt zwar Ähnlichkeiten mit dem Keynesianismus vermuten, jedoch sollte Vorsicht geboten sein. Denn auch in diesen Modellen ist die Arbeitslosigkeit freiwilliger Natur und zwar mit demselben Argument, welches die Neue Klassische Makroökonomik vortrug.

Nicht nur die Annahme ständiger Marktgleichgewichte läßt Skepsis gegenüber den Modellen „Realer Konjunkturzyklen“ aufkommen. Es ist auch zu . bezweifeln, daß die tatsächlichen Änderungen in der Technologie so stark dimensioniert sind, daß sie die faktischen Konjunkturbewegungen erklären können: Die Rezession 1981/82 -verursacht durch technologische Schocks? Aber selbst wenn man dies einmal unterstellt, dann müßten die Konjunkturschwankungen zwischen den Industriestaaten ziemlich gleichförmig verlaufen, weil die Technologien diesen Staaten gleichermaßen zur Verfü-gung stehen (z. B. über multinationale Unternehmungen). Die Konjunkturschwankungen laufen jedoch in vielen Fällen international gesehen nicht synchron. Schließlich versagt der Ansatz, wenn es um die Erklärung von Depressionen geht. Die Weltwirtschaftskrise hatte andere Ursachen als technologische Umwälzungen.

Vielleicht sind es aber nicht technologische Schocks, sondern psychologische Faktoren, welche die Konjunktur beeinflussen. Diese Faktoren können ökonomisch völlig unbedeutend sein, es genügt völlig, wenn die Leute glauben, sie seien relevant, und daraufhin ihre ökonomischen Entscheidungen revidieren. Solchermaßen begründete Konjunkturschwankungen sind natürlich weitgehend unvorhersehbar. Auch diese Überlegung wird derzeit in der ökonomischen Literatur (wieder) diskutiert. Sie ist empirisch schwer zu überprüfen und teilt das Schicksal der Modelle „Realer Konjunkturzyklen“: Im Einzelfall mag sie zutreffend sein, aber es fällt schwer zu akzeptieren, daß nur die Psychologie der Konjunkturmotor ist.

IV. Die Reinkarnation des Keynesianismus

Der Keynesianismus war in den achtziger Jahren vielerorts von der wissenschaftlichen Bühne verbannt. Diese für sie dunklen Tage erwiesen sich jedoch letztlich für die Keynesianer als außerordentlich heilsam. Sie sahen sich gezwungen, die offenkundigen Defekte ihrer Konzeption zu beseitigen. Dies vollzog sich auf zwei miteinander verbundenen Ebenen. 1. Ungleichgewichtsmodelle Auf der einen Ebene wurden die keynesianischen Modelle dahingehend modifiziert, daß explizit unterschiedliche Ungleichgewichtssituationen berücksichtigt werden, so daß auch die Politik-empfehlungen differieren. Zwei Beispiele: Ein möglicher Typ einer Ungleichgewichtssituation ist dadurch gekennzeichnet, daß auf Arbeits-und Gütermärkten jeweils Angebotsüberschüsse herrschen. Die Leute können einerseits nicht soviel arbeiten wie sie wollen, es herrscht Arbeitslosigkeit; andererseits stellen die Unternehmer fest, daß sie ihre Produktion wegen fehlender Nachfrage -u. a. bedingt durch die Arbeitslosigkeit -nicht absetzen können. Arbeitsanbieter und Unternehmer sind „rationiert“; eine solche Situation kann lange andauern, wenn niemand eingreift. Das war der Fall, den die Keynesianer immer im Auge hatten. Deshalb bezeichnet man diese Wirtschaftslage auch als „Keynesianische Arbeitslosigkeit“.

Andere Konstellationen sind aber nicht nur denkbar, sondern auch sehr realistisch. Nehmen wir als zweites Beispiel den Fall einer „Doppelrationierung“ der privaten Haushalte. Sie sind teilweise arbeitslos und außerdem werden weniger Güter produziert, als sie nachfragen. Die Ursache für eine solche Rationierung der privaten Haushalte sowohl auf dem Arbeits-als auch auf dem Güter-markt sind zu hohe Produktionskosten, also z. B. zu hohe Reallöhne. Bei zu hohen Lohnkosten reduzieren Unternehmer ihre Produktion, weil sie sich nicht mehr lohnt, mit der Folge, daß Beschäftigte entlassen werden. Da die Klassiker die Höhe der Beschäftigung als allein vom Reallohn abhängig ansahen, nennt man diesen Fall „Klassische Arbeitslosigkeit“. Es fehlen einfach deshalb Arbeitsplätze, weil sie sich nicht (mehr) rentieren.

Allein an diesen beiden Beispielen, welche nur einen Ausschnitt aus mehreren möglichen Ungleichgewichtssituationen darstellen, wird deutlich, daß eine keynesianische oder eine angebots-orientierte Beschäftigungspolitik weder immer richtig noch immer falsch ist. Es kommt stets darauf an, welcher Typus einer Ungleichgewichtssituation vorherrscht

Es wäre absurd, in einer Situation völlig ausgelasteter Sachkapazitäten ein Konjunkturprogramm zur Stimulierung der Nachfrage zwecks Reduktion der Arbeitslosigkeit aufzulegen. Viele Bereiche der westdeutschen Volkswirtschaft waren ab 1985 durch eine solche Situation gekennzeichnet, in der es auf Kapazitätserweiterungen ankam. Hier war in der Tat angebotsorientierte Wirtschaftspolitik angesagt.

Eine andere Situation existierte 1981/82 in Deutschland. Damals fehlte es an volkswirtschaftlicher Nachfrage, weil die Investitionen, die Teil dieser Nachfrage sind, verringert wurden. Die Deutsche Bundesbank betrieb eine monetäre Restriktionspolitik und die öffentlichen Haushalte eine Konsolidierungspolitik. Die Gründe für eine solche Politik -Leistungsbilanz-und Haushaltsdefizit -mögen verständlich sein, sie hatten indessen eine rezessive Nachfragelücke zur Folge.

Das Verdienst dieser ersten Ebene der „Neuen Keynesianischen Makroökonomik“ liegt also darin, daß der unselige Streit zwischen Keynesianern und Angebotsökonomen begraben werden kann. Beide können recht haben -jeder zu seiner Zeit. 2. Inflexibilitäten und ihre Begründung Damit war allerdings das Problem noch nicht gelöst, wie die unterstellten Trägheiten in der Lohn-und Preisanpassung ökonomisch rational begründet werden können. Dies wird auf einer zweiten Ebene untersucht.

Die Neue Keynesianische Makroökonomik hat dieses Defizit zunächst in Kauf genommen. Nach ihrer Ansicht war es besser, das empirische Faktum dieser Trägheiten zur Grundlage einer Konzeption zu machen (selbst wenn man es [noch] nicht erklären könne), als die unrealistische Fiktion völlig flexibler Löhne und Preise zu unterstellen, so wie die Neue Klassische Makroökonomik dies tat. Mittlerweile sind aber auch hier Fortschritte erzielt worden, wenngleich von einem geschlossenen Ansatz (noch) keine Rede sein kann.

Bei einer Betrachtung der Trägheiten in der Lohn-anpassung stellt sich die Frage, inwieweit es ökonomisch rational sein kann, daß ein zu hoher Reallohn nicht gesenkt wird, um Vollbeschäftigung zu erreichen

Da wären zunächst einmal die Unternehmen selbst, die das vielleicht nicht wollen. Denn mit einem höheren Lohn steigern sie die Leistungsbereitschaft ihrer Beschäftigten und verhindern die Abwanderung von qualifizierten Mitarbeitern, in deren betriebsspezifische Ausbildung sie u. U. investiert haben. Es lohnt sich also für das Unternehmen, höhere Löhne zu zahlen als die Konkurrenz, denn es wirkt effizienzsteigernd. Zwar stellen höhere Löhne höhere Kosten dar, aber das wird (zum Teil) durch die Effizienzgewinne wettgemacht. Die mit diesen Effizienzlöhnen verbundene Arbeitslosigkeit ist zwar ökonomisch nicht rational, hat indessen den Nebeneffekt, disziplinierend auf potentielle Bummelanten zu wirken.

Nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die derzeit Beschäftigten kann es rational sein, einen höheren Reallohn zu vereinbaren als denjenigen, der mit Vollbeschäftigung vereinbar wäre. Die Beschäftigten maximieren ihren Nutzen, indem sie eine allgemeine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation dazu benutzen, ihre eigenen Löhne ansteigen zu lassen, anstatt den Arbeitslosen durch Lohnrückhaltung eine Beschäftigungschance einzuräumen. Das klingt zwar reichlich egoistisch, muß aber allein aus diesem Grund nicht unrealistisch sein. Diese egoistische Rechnung geht auch auf, denn die Firmen haben -wie bereits erwähnt -eventuell selbst ein Interesse an Effizienzlöhnen, und Lohnunterbietung seitens der arbeitslosen Außenseiter steht nicht zu befürchten: Unternehmen sind an die Tariflöhne gebunden und dürfen nicht weniger zahlen, die Außenseiter verursachen u. U. hohe Einarbeitungskosten, Lohnunterbietung widerspricht sozialen Normen und die verbleibende Belegschaft würde vermutlich jegliche betrieblich notwendige Zusammenarbeit mit solchen „Lohndrückern“ vermeiden.

Inflexibilitäten können nicht nur in Form von Lohnstarrheiten auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch als Trägheiten in der Preisentwicklung auf dem Gütermarkt auftreten. Warum passen viele Firmen ihre Preise nicht ständig der sich ändernden Nachfrage nach ihren Produkten an und nehmen lieber Lagerbestandsveränderungen oder Lieferfristen in Kauf? Preisanpassungen verursachen Kosten z. B. in Form des Drucks neuer Preislisten und Kataloge und sie verärgern Kunden, die sich Preiserhöhungen weit besser merken als gelegentliche Preissenkungen. Häufig begründen Firmen Preiserhöhungen auch lieber mit Kosten-als mit Nachfragesteigerungen: Autofahrer verstehen es, wenn an der Tankstelle Benzinpreiserhöhungen auf Grund von Mineralölsteuererhöhungen vorgenommen werden; sie fühlen sich jedoch übervorteilt, wenn zu Beginn der Reisezeit und der damit verbundenen Mehrnachfrage nach Benzin die Preise steigen. Es kann also für Firmen ökonomisch rational sein, die Preise nur in bestimmten Zeitabständen zu verändern, obwohl eine ständige Preisvariation Güterangebot und -nachfrage immer zu einem Ausgleich brächte

Zusammen mit den beschriebenen Lohnstarrheiten liefern Preisträgheiten den fehlenden Baustein eines aus theoretischer Sicht konsistenten keynesianischen Modells. Die Neue Keynesianische Makroökonomik hat den (Neu-) Klassikern mit ihren eigenen Waffen geantwortet. Sie hat gezeigt, daß die alte keynesianische Behauptung von Lohn-und Preisträgheiten sehr wohl ökonomisch rational begründet werden kann. Einen Beweis auf genau dieser Grundlage hatte die Neue Klassische Makroökonomik zu Recht eingefordert.

V. Pragmatischer Keynesianismus

Die alte keynesianische Idee einer Stabilisierungspolitik hat in der Arena wissenschaftlicher Auseinandersetzungen manche Kritik einstecken müssen, lag zeitweilig am Boden und hat sich trotzdem wieder aufgerafft. Vorbei sind allerdings die Zeiten einer euphorischen Einschätzung der Möglichkeiten einer keynesianisch orientierten Beschäftigungspolitik. Eine solche Politik kann nur in einer keynesianischen Situation angewandt werden; die liegt manchmal vor, aber nicht immer und auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Die keynesianische Politik ist selbst in der für sie adäquaten Lage nicht einfach durchzuführen und schon gar nicht mit Hilfe kurzfristig angelegter staatlicher Ausgabenprogramme. Besser ist wohl eine Verstetigung auf der Ausgabenseite, während auf der Einnahmeseite eher diskretionäre Maßnahmen sinnvoll sein können.

Durch die Neue Keynesianische Makroökonomik hat das keynesianische Modell viel an Glaubwürdigkeit gewonnen. Es ist bei weitem noch nicht ausgereift, vieles ist noch zu klären. Aber die keynesianische Konzeption ist nicht mehr mit dem Vorwurf zu diskreditieren, ihr fehle die theoretische Grundlage. Beschäftigungspolitik hat eine ökonomische Rechtfertigung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So Karl Lenders als Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag am 3. Juni 1970; zitiert nach Joachim Starbatty, Erfolgskontrolle der Globalsteuerung, Frankfurt/M. 1976, S. 71.

  2. Der Aufsatz ist im American Economic Review, 61 (1971), S. 91-106, erschienen.

  3. Vgl. Dieter Vesper/Rudolf Zwiener, Konjunkturelle Effekte der Finanzpolitik 1974 bis 1981, in: DIW-Wochenbericht, 16(1982), S. 249f.

  4. Einen Übersichtsaufsatz über den Monetarismus bietet Thomas Mayer, The Structure of Monetarism, in: Kredit und Kapital, 8 (1975) 2, S. 191 ff.

  5. Vgl. Bernhard Felderer/Stefan Homburg, Makroökonomik und neue Makroökonomik, Berlin 19915; Hans Jürgen Ramser, Beschäftigung und Konjunktur, Berlin 1987.

  6. Für eine Übersicht vgl. Charles Plosser, Understanding Real Business Cycles, in: Journal of Economic Perspectives, 3 (1989) 3, S. 51 f.

  7. Vgl. dazu und als Einführung Kurt Rothschild, Einführung in die Ungleichgewichtstheorie, Berlin 1981.

  8. Einen breiten Überblick über die folgenden Ansätze zur Lohnbildung gibt das Buch von Wolfgang Franz, Arbeitsmarktökonomik, Berlin 1991.

  9. Eine detaillierte Übersicht über die Literatur zu Preisträgheiten bietet R. J. Gordon, What is New-Keynesian Economics?, in: Journal of Economic Literature, 28 (1990) 3, S. 1115 f.

Weitere Inhalte

Wolfgang Franz, Dr. rer. pol., geb. 1944; Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie einschl. empirischer Anwendungen an der Universität Konstanz. Veröffentlichungen u. a.: Arbeitsmarktökonomik, Berlin 1991; zahlreiche Artikel zur Arbeitsmarktpolitik und empirischen Wirtschaftsforschung.