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Inner-und zwischenparteiliche Interessenverflechtungen | APuZ 34-35/1992 | bpb.de

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APuZ 34-35/1992 Volksparteien im Abstieg. Nachruf auf eine zwiespältige Erfolgsgeschichte Die Krise der Politik Das Bild der Parteien im vereinten Deutschland. Für welche Bevölkerungsgruppen setzen sie sich ein? Inner-und zwischenparteiliche Interessenverflechtungen Steuerung des politischen Nachwuchses durch die Parteiführungen. Personalrekrutierung unter den Bedingungen gegenwärtiger Erfordernisse politischer Steuerung

Inner-und zwischenparteiliche Interessenverflechtungen

Erwin K. Scheuch/Ute Scheuch

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Parteienverdrossenheit ist als Zustandsbeschreibung für die Einschätzung der Parteien in der Bevölkerung unstrittig. Strittig sind lediglich die Erklärungen und die daraus abzuleitenden Vorschläge. Der wesentliche Grund für die Parteienverdrossenheit ist die allgegenwärtige Einflußnahme der Parteien, auch in Bereichen, die der Sache nach parteipolitisch neutral bleiben sollten, gekoppelt mit geringer Lösungskompetenz. Die Parteien entstanden als Vertreter von „sozialmoralischen Milieus“ und spezifischen Interessen. Von dieser Einbindung haben sie sich in der Nachkriegszeit weitgehend emanzipiert. Inzwischen hat sich die Einflußnahme sogar umgekehrt: Die Parteien durchdringen die verschiedensten Lebensbereiche und politisieren immer mehr Sachfragen. Die Ämterpatronage in Schulen, Medien und Behörden, einschließlich der Einflußnahme auf die Justiz, ist Alltag. Die Durchdringung des Vereinswesens und die wechselseitige Verschränkung großer Wirtschaftsuntemehmen mit politisierten Behörden haben undurchdringliche Verflechtungen bewirkt. So sind in den Eigenbetrieben der Stadt Köln die Vorstandsposten, die Aufsichtsratsposten und auch Geschäftsführerpositionen von Berufspolitikern besetzt, die gleichzeitig dem Rat angehören. Interessenkonflikte bei der Vergabe von Aufträgen sind alltäglich. Da die Unterstützung durch öffentliche Mittel einhergeht mit Parteieinfluß, sind die Parteien der wichtigste Antrieb für eine Ausbreitung des Staatseinflusses. Für die Personalauswahl ist die lokale Ebene immer wichtiger geworden. Das Innenleben der Parteien wird gekennzeichnet durch Spannung zwischen einer kleinen Oligarchie von Berufspolitikern und den Mitgliedern. Das System befindet sich auf dem Weg zu De-facto-Kaderparteien, die im Selbstverständnis der Berufspolitiker eine durch Wahl bestätigte Obrigkeit bilden.

I. Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen

Abbildung 10

1. Wandel des Parteiensystems

Die beiden großen Parteien in Deutschland gingen aus speziellen Milieus hervor. Die liberalen Parteien entstanden im Netz der Vereinigungen des Bürgertums. Die Sozialdemokratische Partei entwickelte sich aus den Gewerkschaften. Parallel hierzu formierte sich das Zentrum in den vielfältig verflochtenen Institutionen des katholischen Milieus. Es dauerte bis in das 20. Jahrhundert hinein, bis Sozialdemokraten und Zentrum sich gegenüber ihren Milieus als eigene Institutionen mit eigener Willensbildung emanzipieren konnten; die Liberalen hatten sich bereits früher verselbständigt. Dennoch blieb es für die Funktionäre der Parteien üblich, daß sie zugleich Mitglieder in vielfältigen Vereinigungen waren. Damit wurden sie zu Schnittpunkten eines Netzes gegenseitiger Einflußnahmen.

Aus den Milieuparteien, von Lepsius und anderen als politisch-moralische Milieus bezeichnet, wurden in der deutschen Nachkriegszeit die Volksparteien. Nach Kirchheimer ist für diese eine Entwicklung zum Berufspolitiker kennzeichnend, dessen wichtigste Anliegen die Erneuerung seiner Kandidatur und die sich anschließende Wahl sind In diesen Volksparteien ist eine Spannung zwischen Berufspolitikern und der großen Mitgliedschaft unvermeidlich. Durch die Mitglieder werden die Berufspolitiker immer wieder gezwungen, die Prioritäten eines sehr großen Personenkreises neben ihren eigenen Vorstellungen möglichst gleichgewichtig zu berücksichtigen.

Inzwischen ist ein Riß zwischen Amateuren und Profis der Politik erkennbar, der sich zugunsten der Berufspolitiker auswirkt. Noch steht der Berliner Senator Peter Radunski, der frühere Bundes-geschäftsführer der CDU, in der Öffentlichkeit allein mit seiner Forderung, statt Mitgliederwerbung müsse die Spendenwerbung Priorität haben. Nach ihm müssen sich die Parteien zu Kaderparteien entwickeln, deren Kern die Fraktion der Mandats-träger ist Der für die Nachkriegszeit so kennzeichnende Dualismus von Mitgliederpartei und Fraktion, der eine wesentliche Begrenzung der Macht der Parlamente bedeutete, wäre damit bloße Vergangenheit

Die systematischen empirischen Untersuchungen sind nur begrenzt hilfreich, um diese Entwicklung und den Zustand der Verflechtung der Parteien mit ihrer Umwelt besser zu verstehen. Von solch systematischen empirischen Erhebungen sind die über Lokalparteien die inhaltlich ergiebigsten; die über Parteien auf der Bundesebene sind durchweg bloße Statistiken der Merkmale von Positionsinhabern; Untersuchungen über Landesparteien fehlen weitgehend. Damit spiegelt die Reihenfolge des verfügbaren Materials auch das Empfinden von Bedeutsamkeit der Probleme der verschiedenen Ebenen bei den Berufspolitikern wider

2. Prägend für das deutsche Parteiensystem: Lokal-und Kreispolitik

In allen Ländern mit einer langen demokratischen Tradition leben Parteien als Vereinigungen und Netzwerke vorrangig lokal Das hat sich auch in der Bundesrepublik so entwickelt, wobei eine entscheidende Akzentverlagerung der Willensbildung hin zur lokalen bzw. Kreisebene in den siebziger Jahren erfolgte. Damals wurde es üblich, daß die Nominierung für ein Wahlamt die Kandidatur in einem Wahlkreis zur Voraussetzung hatte. Inzwischen wurden die Interessen und Maßstäbe, die für die Lokal-und Kreispolitik bestimmend sind, ebenfalls maßgeblich für die Personalauswahl für Mandate auf allen Ebenen des politischen Systems.'

Die lokalen Abgeordneten sind nicht so sehr als „Parteisoldaten“, die nebeneinander kämpfen, zu verstehen, sondern als Schnittpunkte von Netzwerken. Die persönlichen Netzwerke innerhalb der Politik scheinen dabei wichtiger zu sein als die außerpolitischen Netzwerke Innerparteilich sind die persönlichen Freundeszirkel die wichtigste Orientierung -vor den Beziehungen zum Apparat der überregionalen und der lokalen Partei. Für außerparteiliche Rückbindungen sind politisierte Verbände bedeutsamer als lokale gesellige Vereine und diese wiederum etwas wichtiger als Beiräte mit Lokalbezug (wie etwa schulische Ämter). Dennoch kann als Summe der vielen Auswertungen bei Engel gesagt werden, daß die Vereinsmitgliedschaften von entscheidender Bedeutung für die Lokalpolitiker werden, weil dadurch die Chancen der Nominierung erhöht werden. Felix Kuballa ermittelte 1989 bei den 26 Mitgliedern des Rates der 10000 Einwohner-Gemeinde Kall in der Eifel 167 Vereinsmitgliedschaften. Kirchenchor, freiwillige Feuerwehr, Fußball-und Schützenverein hatten alle Politiker als Vorsitzende. Die Partei erwartet dabei vom Mandatsträger, daß er für die Partei als Ombudsmann in die Vereine hinein wirkt

Die Richtung der Einflußnahme kehrte sich inzwischen gegenüber dem Beginn des Parteiensystems um: Parteien entstanden als politisierte Teile von Milieus, als deren Agenten; als Volksparteien überspannen sie mehrere Milieus und verselbständigen sich diesen gegenüber; im heutigen Stadium parteipolitisieren sie vordem politikfernere Institutionen.

Entscheidend für die Einwirkung der Parteien auf die Milieus und Organisationen sind die „Mehr-funktionsträger“: Von den Politikern auf Kreisebene haben fast alle auch lokale Ämter -mit Ausnahme der Politiker der FDP; dort ist die Ämterhäufung innerhalb der Politik erstaunlicherweise geringer Umgekehrt hat etwas mehr als die Hälfte der Lokalpolitiker keine Ämter auf Kreis-ebene. Die Kreisebene bedeutet also für die Politiker eine Bündelung von Einfluß, meist aber nicht gleichzeitig einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Bundeskarriere. Hier sind die Verbindungen heute eher gering Die Lokalebene ist neben der Verflechtung von Kreis-und Lokalfunktionen für Mehrfunktionsträger der wichtigste Aktionsraum.

Von 1663 befragten Mandatsträgern können nach der Untersuchung von Engel in Nordhessen bei der SPD 52, 6 Prozent und bei der CDU 53, 6 Prozent als Mehrbereichsfunktionäre eingestuft werden. Diese politischen Mehrfachfunktionäre sind zugleich bevorzugt Funktionäre lokaler Vereinigungen und Mitglieder weiterer lokaler Gremien. Das ist der entscheidende Schritt zum De-facto-Berufspolitiker. Selbst bei kleinen Gemeinden läßt sich eine solche Tendenz zum Berufspolitiker feststellen.

Von den Mandatsträgern auf lokaler Ebene kann man im Hinblick auf ihren Einfluß auf die Parteien und das politische Vorfeld 41 Prozent als Lokal-größen zweiten Ranges bezeichnen 11Aufgrund der nordhessischen Untersuchung kann der Anteil der „zentralen Verknüpfer“ auf 17 Prozent der Kreistagsabgeordneten geschätzt werden. Darüber hinaus kann aufgrund dieser Erhebung, bei der vornehmlich die Parteistruktur und Ratszusammensetzung kleinerer Gemeinden untersucht wurde, bei etwa vier Prozent der über 1600 befragten Personen von zentralen Machtfiguren gesprochen werden. Diese zentralen Machtfiguren sind bei der SPD etwas häufiger vertreten als bei der CDU. In der nordhessischen Untersuchung lassen sich zwei Arten von Multifunktionären identifizieren: Volkstribune, die sich als Matadore der Bevölkerung verstehen, und Lokalgroßen, die sich als Führer ihrer Partei und als Artisten sehen, denen die Verknüpfung von Einzelinteressen zu einer Politik der Partei gelingt In beiden Fällen verläuft der Einfluß eindeutig von den Multifunktionären zur Partei und nicht umgekehrt. Fachleute kommen auf der lokalen Ebene kaum zum Zuge. Einflußnahmen scheinen denn auch nur punktuell möglich; sie bestimmen nicht die Linien der Parteien

In der Diagnose von Engel wird die geringe Bedeutung der Partei als überlokaler Apparat richtig eingeschätzt, die Wichtigkeit von Cliquen aber unterschätzt. Letztere sind die real existierenden Politiker, für welche die Partei nur eine Bezugs-größe neben anderen ist.

II. Lokale Interessenverflechtungen

1. Politik als Verschränkung von Lebensbereichen

Selbstverständlich sind die politischen Verhältnisse in den einzelnen Kommunen nicht identisch. Wie eine Untersuchung von Oscar W. Gabriel in 49 größeren Gemeinden des Landes Rheinland-Pfalz zeigt, sind diese Unterschiede sogar systematischer Art Wo Länderverfassungen die Abwahl eines Mitgliedes der Verwaltungsspitze erschweren und deren Amtszeit länger als die der Räte ist, gibt es eine Tendenz zu „übergroßen Koalitionen“ (d. h. zu mehr als der minimalen Zahl der Sitze, die für eine Mehrheit benötigt werden). Dagegen erlaubt die hessische Gemeindeordnung die Abwahl der hauptamtlichen Magistratsmitglieder nach einer Kommunalwahl. Diese Regel scheint eine Parlamentarisierung der Gemeindepolitik mit der Herrschaft einer Mehrheitsfraktion zu begünstigen. Für Deutschland ist das allerdings ein Bruch mit der Tradition und auch heute noch nicht typisch Gabriel findet eine seit Anfang der siebziger Jahre zunehmende Tendenz der politischen Parteien, die Kontrolle über kommunale Personal-und Sachentscheidungen zu übernehmen. Hier hat sich inzwischen als Systemeigenschaft ein Mischsystem durchgesetzt: eine Mischung zwischen Konkordanzdemokratie (wie es in Deutschland üblich war) und konkurrenzdemokratischen Zügen, bei einem Vorherrschen von Proporzarrangements Die Literatur geht auch heute noch davon aus, daß die Leitung einer Kommunalverwaltung eine rein fachbezogene Aufgabe sei, die deshalb von parteipolitischen Gesichtspunkten ziemlich frei bleibt Bei der Auswahl sollen fachliche Fähigkeiten der bei weitem wichtigste Gesichtspunkt sein. Nach den Analysen in Oberreuter u. a. dürfte dies aber vornehmlich nur noch in Baden-Württemberg häufig der Fall sein

Lokalpolitiker haben den Eindruck, der Verwaltung ausgeliefert zu sein. „Im Zentrum kommunaler Entscheidungsprozesse steht die Verwaltung“ schließt Dietrich Fürst in seiner Habilitationsschrift über kommunale Entscheidungsprozesse Es gebe zwar fortwährend als Tauschprozesse konzipierte Versuche wechselseitiger Einflußnahme, aber insgesamt herrsche der Einfluß der Verwaltung vor, weil diese wegen des Eigenlebens der Ressorts und Abteilungen überhaupt nicht zentral zu steuern sei Daß Kommunalverwaltungen in größeren Städten in weitgehend selbständige Kleinbürokratien mit Eigenleben zerfallen, ist nicht zweifelhaft, aber daraus folgt keineswegs schon eine Ohnmacht der Politiker. Der Zerlegung einer Verwaltung in partikuläre Einzelbürokratien entspricht eine Partikularisierung der lokalen Parteien, die ebenfalls zur Klammer für Fachbereichs-Monaden werden, in denen sich Ausschußpolitiker, Amtsleiter und Betroffene zusammenfinden. Die politische Vertretung und die Verwaltung durchdringen einander -insbesondere in den Großstädten. Die eigentlichen Entscheidungszentren sind heute die Fraktionen. Entsprechend wird geurteilt: Die Beratungen im Rat und in den Ausschüssen sind nur noch Formsache, weil die Fraktionen die Vorentscheidungen treffen

Die Sachbezogenheit der Kommunalpolitik wird durch die Systeme der Vorteilsnahme beeinflußt. Vorteilsnahme ist risikobehaftet, wenn der politische Gegner daran nicht teilnimmt. So fördert ungeachtet aller Versuche der bundesweiten Steuerung lokaler Parteigliederungen diese Vorteilsnahme durch Politiker die Stabilität von Mischsystemen auf der Ebene der Kommune. Vorteilsnahmen sind die politische Voraussetzung auch für das Berufspolitikertum auf Kommunal-ebene; denn nur durch Vorteilsnahme wird die Existenz als Berufspolitiker finanziell möglich und darüber hinaus attraktiv.

So, wie das real existierende politische System auf der Ebene der Gemeinden und Kreise sich entwikkelte, muß es mit einer Lebenslüge leben: daß Politik ein Ehrenamt sei, bei dem die Amtsinhaber als Vertreter der Bevölkerung der Verwaltung Auf-träge erteilen und deren Ausführung kontrollieren. Wird darüber hinaus berücksichtigt, daß im Zusammenhang mit der Vorteilsnahme Berufspolitikern das Hineinregieren in die Ämter zur Gewohnheit wurde, dann ist das Mandat ein Vollberuf. Die dafür offiziell gezahlten Gelder lassen das Amt höchstens für einen Angehörigen des öffentlichen Dienstes attraktiv werden, weil er die Rücksichtnahme seines Arbeitgebers für seine politische Betätigung erwarten kann.

Die politischen Machtverhältnisse unterscheiden sich selbstverständlich nach Gemeindegrößen. Die Parteipolitisierung wird erst ab einer Gemeinde-größe von etwa 10 000 häufig Hinzu kommen Unterschiede nach Ländern. Im Land Rheinland-Pfalz, das Gabriel untersuchte, kann nur in etwa 30 Prozent der Fälle von einer kommunalen Führungsrolle einer der Parteien gesprochen werden; in Nordrhein-Westfalen werden dagegen 90 Prozent aller Mandate von den Parteien kontrolliert. An der Auswahl des kommunalen Führungspersonals nimmt höchstens ein Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung teil.

Deutsche Parteien sind nach ihren Organisationsstatuten kein lockeres Bündnis lokaler Parteien, diese sind vielmehr Untergliederungen von föderalistisch aufgebauten Bundesparteien. Im Zeitverlauf haben sich jedoch die drei Ebenen der parlamentarisierten Politik weitgehend verselbständigt. Die Bezirke der SPD und die Landesverbände der CDU kooperieren mit den Bundeszentralen als Partner und nicht als Befehlsempfänger. Die Kommunalpolitik ist ihrerseits gegenüber den Bezirken bzw. Landesverbänden ziemlich autonom, wobei die eigentliche Machtebene die Kreisverbände sind. Hier kann von außen schon deshalb nur wenig hineinregiert werden, weil Politik als Beruf kommunal finanziert wird. 2. Vorteilsnahme als Systemeigenschaft Da offiziell nicht nur die Räte kleinerer Gemeinden, sondern auch die Kreistagsabgeordneten und die Stadtverordneten der größeren Städte Amateure sein sollen, tatsächlich aber in den Städten ihr Mandat als Beruf ausüben, muß dies durch Vorteilsnahme finanziert werden. Diese ist in Deutschland leichter als in manchen anderen Ländern zu sichern, weil hier die Vorstellungen von Interessen-konflikten wenig praktische Bedeutung haben.

Beispielsweise übernehmen die Rechtsvertretung der Stadt Köln vor Gericht im Wechsel Kanzleien, die der CDU zugeordnet werden (z. B. die der Stadtverordneten Esser, Artzinger-Bolten und Bietmann) oder der SPD (z. B. die frühere Kanzlei Siep und Burger). Eingeführt worden war diese parteiübergreifende Art von lukrativer Aufgaben-teilung mit der Begründung, Ratsherren dürften schließlich keine Prozesse gegen die Stadt Köln führen. Als finanzieller Ausgleich für diesen -bloß hypothetischen -Verlust soll dann die Übertragung der Rechtsvertretung der Stadt dienen.

Aus Architektenkreisen wird erzählt, ihnen würden, wenn sie sich um die Genehmigung von Projekten durch die Stadt Köln bemühten, wärmstens Firmen empfohlen, mit denen sie Zusammenarbeiten sollten: Firma X würde die CDU, Firma Y die SPD und die Firma Z die FDP geneigt stimmen, für das gewünschte Projekt zu votieren.

Das wichtigste Instrument der Vorteilsnahme sind jedoch die in einer Holding zusammengefaßten Ausgründungen städtischer Dienstleistungen als nun privatrechtlich verfaßte Betriebe. Die Aufsichtsratspositionen und gelegentlich auch Geschäftsführerposten werden während der Amtszeit der Stadtverordneten zur Ergänzung ihres Einkommens benutzt. Ein Beispiel sind die 95 000 DM, die der CDU-Stadtverordnete Rechtsanwalt Meyer jährlich als Geschäftsführer der Gesellschaft erhielt, die für die Stadtsparkasse die Vermietungen ihres Hausbesitzes betreut. Noch wichtiger sind die ausgegründeten Betriebe als Instrument der Versorgung nach Aufgabe des politischen Amtes.

Politik in Köln ist nun einmal der großflächige Klüngel mit Posten. Damit ist so viel zu gewinnen, daß die Personalauswahl in Politik und Verwaltung verdorben ist. Viele möchten das ändern, aber die Verfilzung ist so umfassend, daß Einzelkämpfer keine Chance haben. Auch Medien können dann nichts mehr bewirken: Die „Fälle“ werden aus-gesessen.

Das ist nicht nur in Köln so, und vielleicht in manchen anderen Städteh noch schlimmer. Aber auch in Köln ist der Filz viel mehr als Begünstigung bei Posten. Von jedem, der nach oben kommen will, wird erwartet, daß er Dankesschulden für Vorteile beim Klüngeln macht. Erst mit bezeichnenderweise so genannten Leichen als Pfand wird ein Neuer vertrauenswürdig für das Establishment.

Der Kölner Stadt-Anzeiger publizierte 1988, also mit erheblicher zeitlicher Verspätung, ein Geheim-papier, das nach der Kommunalwahl 1979 zwischen SPD und FDP beschlossen worden war. Die „ver-tragschließenden Parteien“ hatten damals unter der Federführung von Hetterich, SPD, und Winkler, FDP, ein Paket von gleich 14 hohen Posten bei der Stadtverwaltung und in den städtischen Unternehmen unter sich aufgeteilt. Bis hinunter zur Abteilungsleiterebene schoben die geheim tagenden Politiker Posten hin und her. Wer nicht in ihr Konzept paßte, mußte versetzt werden -selbst wenn dafür rechtlich der Oberstadtdirektor (und nicht die Parteien) zuständig war.

Klüngel-Absprachen halten auch über einen Fraktionswechsel hinweg. 1984 scheiterte die FDP bei der Kommunalwahl am Wählerwillen und schied somit aus dem Bündnis aus; aber noch 1988 sollen alle Personen, deren Beförderung nicht zuletzt dank ihres Parteibuches mit der Vereinbarung 1979 sichergestellt worden war, noch in Amt und Würden gewesen sein. Die Hälfte der sechs Sozialdemokraten, die 1979 das 14-Posten-Klüngelpaket Unterzeichneten, sind heute noch im Rat der Stadt Köln: Dr. Klaus Heugel, Dr. Wilhelm Vollmann, Heinz Lüttgen

3. Das Innenleben von Parteien

Ein wichtiger Umstand für die politische Entfremdung einer wachsenden Zahl von Wählern ist der aus dem Personal-Kartell folgende Zustand der Parteien. Sowohl SPD wie CDU sind in Lager zerfallen. Bei der CDU hat dies vorwiegend persönliche Gründe, bei der SPD neben persönlichen auch weltanschauliche Ursachen.

Ab Mitte der achtziger Jahre ließen sich in der Kölner SPD drei Gruppen unterscheiden. Einmal gab es den in vielen Kommunen bestimmenden Konflikt zwischen linken und rechten Flügeln in der SPD, vorwiegend zwischen gewerkschaftsnahen Parteifunktionären und solchen mit Berufen der „neuen Mittelschicht“. Dann kam ein Konflikt innerhalb des bis dahin eindeutig dominierenden rechten Flügels hinzu, der zwischen einer Gruppe um den Bundestagsabgeordneten Günter Herterich einerseits und SPD-Fraktionschef Dr. Klaus Heugel sowie Fraktionsgeschäftsführer Anton („Toni“) Klefisch andererseits ausgetragen wurde. Wie in den Stadträten in Nordrhein-Westfalen üblich, gründete sich deren Einfluß auf die beiden wichtigsten Machtpositionen, die es in den Lokalparlamenten gibt: Von ihren Ämtern als Fraktionsvorsitzender und Fraktionsgeschäftsführer herrscht man, in Abstimmung mit dem Parteivorsitzenden und den Partnern der an-deren großen Parteien, über Verwaltung und Stadt.

Der Konflikt innerhalb der Parteirechten entzündete sich anläßlich der Ankündigung Hetterichs, er werde wieder in die Kommunalpolitik Kölns zurückkehren. Herterich war vor Heugel ab 1975 der starke Mann der SPD gewesen, ja der stärkste Politiker in Köln überhaupt. Deshalb löste seine Ankündigung einer Rückkehr die Gegenreaktion des von ihm selbst inzwischen installierten Führungsduos aus. Seither wurde von Heugel/Klefisch die Herterich-Gruppe, die zu Beginn der vorletzten Amtsperiode in der 45köpfigen SPD-Fraktion noch acht Abgeordnete stellte, bis auf einen Abgeordneten ausgeschaltet.

Die Ausgrenzung des Herterich-Flügels erreichte der zuvor lange Zeit in der Partei stark angeschlagene Heugel-Clan durch ein Personalpaket, das den linken Flügel um Parteichef Kurt Uhlenbruch mit einschloß. Wie in Köln üblich, soll hierüber ein förmlicher Vertrag -so die Gerüchte -geschlossen worden sein. Berichtet wird die Wendung: „Die vertragschließenden Parteien, im folgenden die Linken und die Rechten genannt“. In den Topf wurden zur Verteilung gelegt: ein Mandat im Europaparlament, ein Bundestagsmandat, drei Landtagsmandate, die Position des Sozialdezernenten und zwei Amtsleiterposten. Die Positionen wurden zwischen den Heugel-Rechten und der ParteiLinken aufgeteilt. Bei der Wahl des Personaldezernenten, was als Schlüsselentscheidung für die zukünftige Versorgung mit Posten galt, konnte Heugel seinen Kandidaten durchsetzen

Bei der CDU gibt es seit längerer Zeit zwei Gruppierungen, die aber nicht den Parteiflügeln links oder rechts zuzuordnen sind. Es handelt sich vielmehr um das Weiterleben einer Clique, die seit langer Zeit die Kölner CDU beherrscht, und eine Gruppe, die eine Wachablösung versuchte.

In einer Nachtsitzung des CDU-Kreisparteitages in Ehrenfeld 1987, die in die Kölner Lokalchronik als „Nacht der langen Messer“ eingegangen ist, erhielt die neue Blömer-Gruppe ein leichtes Übergewicht, das sie allerdings nur zurückhaltend nutzte. Seitdem gab es pausenlos Verhandlungen, die schließlich zu zwei Geheimdokumenten führ­ ten, die für den Stil der Politik in Köln von exemplarischer Bedeutung sind.

Diese Geheimdokumente wurden erst mit großer Verzögerung auf dem Kreisparteitag der CDU am 23. Oktober 1989 bekannt, als die Blömer-Gruppe sich nicht mehr an die vereinbarte Parität hielt. Für einen frei werdenden Listenplatz für den Landtag -der bisher von dem einzigen Neutralen in der Führungsclique, Ottmar Pohl, besetzt war -wurde Richard Blömer durchgesetzt, der zuvor gemäß der Vereinbarung auf dem fünften Platz gestanden hatte. Aus Rache veröffentlichte Rolf Bietmann eines der Geheimdokumente

Angesichts solcher Verabredungen sind Parteitage naturgemäß durchweg eine Farce. Hier ist die Parteiführung lediglich bemüht, ein eventuelles Ausbrechen der Basis abzublocken. Im März 1988 hatten sich die Spitzen der beiden Clans darauf verständigt, den Delegierten lediglich eine Block-abstimmung vorzuschlagen mit der genauen Zahl von Kandidaten, wie Plätze im Vorstand zu besetzen waren. Der Wahlzettel sah nur ein Ja oder ein Nein zum ausgehandelten Block vor. Ein Aufstand der Delegierten erzwang eine Einzelabstimmung. Obwohl es keine Gegenkandidaten gab, erhielten von den vorgeschlagenen Kandidaten des ausgeklüngelten Vorschlagsbündels nur fünf mehr als 50 Prozent der Stimmen. Ein Fünftel der ausgehandelten Kandidaten erreichte nicht einmal 40 Prozent 25!

III. Parteipolitische Durchdringung

1. Parteipolitisierung von Wirtschaftsunternehmen Bei den herrschenden Cliquen in der Kölner Politik geht es im Alltag um Vorteilsnahme, insbesondere in offiziell politikfreie Institutionen hinein. Das kann nur gelingen, wenn sich die miteinander in Konflikt befindlichen Gruppen -zwischen den Parteien und innerhalb der Parteien -vorab auf Spielregeln verständigen. Die Hauptpreise in diesen Einflußkämpfen sind Positionen in Gremien, auf die der Rat politisch zugreifen kann.

Wie andere Städte auch hat die Stadt Köln vor 30 Jahren frühere Regiebetriebe als Betriebe mit privatrechtlicher Form ausgegliedert; sie unterliegen damit nicht der normalen Kommunalaufsicht. Die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) und die Gas-, Elektrizitäts-und Wasserwerke (GEW) sind davon die größten. In Köln sind durch diese Praxis inzwischen gleichsam zwei städtische Verwaltungen entstanden: die Stadtverwaltung (regulär) mit 24000 Bediensteten und der Stadtwerkekonzern mit 7 000 Mitarbeitern.

Der Stadtwerkekonzern ist vielfach untergliedert. Je nach Zählung kommt man auf bis zu 18 selbständige Firmen Die von der Stadt Köln stark beeinflußten oder ihr gehörenden, aber ausgegliederten Gesellschaften sind in einer Holding zusammengefaßt: der Stadtwerke Köln GmbH. Von neun Direktoren und Vorstandsmitgliedern dieser Holding sind fünf Mitglieder der SPD und vier der CDU; sie alle verdienen jeweils über 100000 DM, einige mehr als 300000 DM

Die Gebührenzahler kosten die Politiker als Konzernherren mehr als nur die Gehälter. Sie haben auch gewaltige Pensionen mitzufinanzieren. 1991 wurde von Verhandlungen der Fraktionsspitzen von SPD und CDU berichtet, die selbst die Amtszeiten in der Fraktion auf die Pensionen aufgeschlagen sehen wollten.

Alle Firmen des Stadtwerkekonzerns haben ihre Aufsichtsgremien und Vorstände, was viele und teilweise hochdotierte Positionen für amtierende und ausgeschiedene Ratsmitglieder bedeutet. Ämterhäufung ist bei den Kemgruppen der Berufspolitiker verbreitet; bis zu fünf Aufsichtspositionen sollen -wie bei Oberbürgermeister Norbert Burger, SPD -gezählt worden sein. Bei den Kölner Verkehrsbetrieben waren 1990 zehn Stadtverordnete im Aufsichtsrat: fünf von der SPD, vier von der CDU, ein GRÜNER. Die Gemeinnützige AG für Wohnungsbau (GAG) hat zwei Vorstände: Einer war Ratsherr der CDU, der andere der SPD; der Prokurist ist ehemaliger Ratsherr der SPD. Auch bei der Grund und Boden GmbH findet sich das gleiche Strickmuster: ein Geschäftsführer war früher Vorsitzender der SPD, der andere ist CDU-Mitglied. Bei der Kölner Sportstätten GmbH war der Hauptgeschäftsführer Ratsmitglied der SPD; dafür ist der Prokurist der Wohnungsgesellschaft der Stadtwerke (WSK) ein früherer Stadtrat der CDU Inzwischen hat der Rat als Gremium, das die Stadtwerke über den Aufsichtsrat kontrollieren soll, weitgehend den Überblick über die Vorgänge in diesen vielen Gesellschaften verloren

Spitzenmanager der großen Unternehmen beziehen ein Jahresgehalt von um die 300000 DM. Bei der KVB setzen sich die Bezüge zusammen aus 192000 DM Gehalt und einer Erfolgsprämie (trotz eines Defizits in Millionenhöhe), die bis zu 110000 DM betragen soll

Die Berufspolitiker in den Ratsfraktionen erwartet beim Ausscheiden aus der aktiven Politik eine von den Parteien geförderte Karriere. In den letzten 40 Jahren haben die Partei-und die Fraktionsvorsitzenden sowie die Fraktionsgeschäftsführer in Köln alle eine solche Karriere gemacht. Für die GRÜNEN nannte Ratsherr Dieter Göbel dies spöttisch ein „Naturgesetz der Kölscher-Klüngel-Politik“ Eine Minderheit stieg in Parlamente mit Berufspolitikern auf, die Mehrheit machte eine Karriere bei Betrieben, die entweder direkt oder indirekt von der Stadt abhängen. „Auf diesem zweiten Weg wird ihr Einkommen in der Regel verdrei-bis verfünffacht“, ermittelte Kuballa in der erwähnten Fernsehsendung

Das grüne Ratsmitglied Dieter Göbel, der diese Praktiken früher als „Endlagerung alter Politiker“ bezeichnete mußte sich in einer öffentlichen Ratssitzung allerdings seinerseits Vorhalten lassen, im Rahmen der Haushaltsberatungen 1988 von der SPD gefordert zu haben, daß auch die GRÜNEN bei der Besetzung von Positionen in der Verwaltung und in städtischen Gesellschaften berücksichtigt werden sollten Die GRÜNEN sind längst in das Kartell der Vorteilsnahmen mit eingebunden.

2. Politisierung der Verwaltung

Bekannt ist in der Kölner Bevölkerung, daß die Spitzen der Verwaltung -die Beigeordneten -nach einem ausgehandelten Schlüssel für die Reihenfolge der Besetzung freiwerdender Positionen zwischen den Parteien aufgeteilt werden. Die Parteipolitisierung der Verwaltung geht jedoch sehr viel weiter. Auf diese Weise ist es den Parteien möglich, mit ihren Vorstellungen über Begünstigungen von Gruppen und Personen in der Verwal­ tung mit punktuellen Forderungen Gehör zu finden. Von seiten der CDU wurde 1989 gefordert, daß zusätzlich zu den Behördenleitern (Beigeordneten) auch die Dienststellenleiter (Amtsleiter-ebene) mit nahezu 60 Positionen -die Aufgaben werden manchmal unterschiedlich abgegrenzt und zusammengefaßt -Gegenstand von Kartellabsprachen sein sollten.

Als Amtsleiter ist man (anders als der auf Zeit gewählte Beigeordnete) ein Lebenszeitbeamter. Von den jetzigen 52 Amtsleitern in führenden Positionen bei der Stadtverwaltung Köln sind über 80 Prozent Parteimitglieder. Die Mehrzahl gehört der SPD an Mitglied der CDU waren nur 9 Amtsleiter Tatsächlich ist auf der unteren Ebene die Schlagseite der Kölner Verwaltung zur SPD hin ausgeprägter als in den obersten Leitungspositionen. Inzwischen soll sich nach Aussagen leitender Beamter der Parteienproporz weit über die Geheimverträge hinaus bis hinunter auf die Obersekretärsebene (Besoldungsstufe A 8) auswirken. Wer nicht den Weisungen seiner jeweiligen Fraktionsspitze folge, sei als Beamter in seiner Beförderung bedroht.

Wahlbeamte, die im Zuge parteipolitischer und innerparteilicher Auseinandersetzungen in Mißkredit geraten sind, werden in Köln nicht wiedergewählt. Seit 1979 schickten Kölner Kommunalpolitiker fünf Dezernenten und einen Oberstadtdirektor in die „Frühpension“. Deren Gehalt muß bis zu ihrer Pensionierung von der Stadt zu über 70 Prozent weitergezahlt werden. Diese Behandlung von Beamten als eine Art „Wegwerfbeigeordnete“ (Rossa) belastet die Stadt Köln mit etwa 7, 5 Mio. DM

Beide großen Parteien in Köln haben formelle Betriebsgruppen für „ihre“ Beamten. Diese sorgen dafür, daß der Partei in der Verwaltung nichts entgeht (im Bundesgebiet soll es mehr als tausend solcher Betriebsgruppen geben mit einem direkten Kontakt zu den Parteizentralen) Das Prinzip der Betriebsgruppen entspricht der Parallelisierung von staatlicher Verwaltung und Parteiaufbau, wie sie im real existierenden Sozialismus gegeben war.

IV. Klüngel als System -und dessen Preis

Köln ist kein Einzelfall. Frankfurt, Berlin und Hamburg haben sich ebenfalls den Ruf als Städte erworben, in denen Politik und Vorteilsnahme ineinanderfließen. Aber auch über kleinere Städte wie Mannheim oder Hannover oder Essen kann ähnliches berichtet werden. Es besteht also massivstes Interesse an einer Proporzdemokratie, in der die Aufklärung von öffentlich beanstandeten Fällen zum seltenen Ereignis wird. Falls aber doch ein „Fall“ publik wird, stehen die Parteien in der Verteidigung zusammen -es sei denn, ein Politiker wird von der politischen Klasse zum Abschuß freigegeben.

Die für Politiker bequeme Proporzdemokratie -Machtverlust ist ausgeschlossen, Dauereinfluß gesichert -hat allerdings einen sehr hohen Preis. Wenn die Disziplinierung durch Wettbewerb entfällt, werden nicht nur die Unterschiede zwischen den Parteien unscharf, sondern auch die Meinungsverschiedenheiten und Cliquenkämpfe innerhalb der Parteien werden enorm gesteigert. Ferner müssen Vorteilsnahme und Durchstechereien ins Gigantische wachsen. Wird jemand ertappt, so bietet sich in einer Proporzdemokratie an, den offiziell politischen Gegner mit der Leitung des Untersuchungsausschusses zu beauftragen. Er wird schon finden, daß das alles nicht so schlimm ist, und viel Unklarheit bleibt. Die sündige Partei wird sich dann beim nächsten Fall, der die andere Partei betrifft, schon revanchieren.

Auch wenn ein Kartell der Vorteilsnahme existiert, wäre dies doch sehr anfällig, würden nicht weitere Kreise ebenfalls davon profitieren können. Da sind zunächst die Spitzenbeamten der Stadtverwaltung zu nennen, die auf vielfältige Weise dem System verbunden sind. Ein solches System befördert die Ausdehnung der Staatstätigkeit, weil jede Ausdehnung dieser Art die Möglichkeiten der Vorteilsnahme vergrößert. Gibt es mehr Subventionen für lokale Klientel zu verteilen, vergrößert sich der Rückhalt der politischen Cliquen. Auf vielfältigste Weise ist heute „hohe“ Kultur, die sich nicht verkaufen läßt, von Dauersubventionen abhängig, in erster Linie Maler und Schauspieler. Durch eine Vielzahl von Projekten kann der innere Zirkel sich weitere Kreise von Bürgern geneigt machen.

Diese Beschäftigung eines Geflechtes von Führungspersonal miteinander wird in der Bevölkerung durchaus wahrgenommen. „Ich glaube nicht, daß sich die Politiker in Köln viel darum kümmern, was Leute wie ich denken“ -so urteilten 55 Prozent der Befragten bei einer Umfrage, die die Kölnische Rundschau vier Wochen vor der Kommunalwahl 1989 bei einem Querschnitt der Kölner Bevölkerung durch das Forsa-Institut durchführen ließ. Entschieden zurückgewiesen wurde diese Auffassung lediglich von neun Prozent; die ungewöhnlich niedrige Zahl von sechs Prozent Meinungslosen bedeutet, daß sich die Bevölkerung zu diesem Thema eine explizite Meinung gebildet hat. Eine Mehrzahl der Bürger glaubte nicht, daß die Kölner Politiker Weitsicht besäßen. Noch beschädigter als das Ansehen der Politiker ist das Prestige der Parteien.

Diesem Umfragebild entsprechen auch Zahlen über politisches Verhalten. Gewöhnlich werden Wahlergebnisse bekannt als Anteil der Stimmen, die auf die Parteien entfielen. Aufschlußreicher für den Rückhalt der Parteien in der Bevölkerung ist, wieviel Stimmen sie gemessen an der Gesamtheit der Wahlberechtigten bekommen. Das ergibt in Köln für die beiden letzten Kommunalwahlen (Angaben in Prozent) folgendes Bild:

Nach Zahlen des Amtes für Statistik und Einwohnerwesen bekam die SPD 1989 weniger als die Hälfte, die CDU weniger als zwei Drittel der für sie möglichen Stimmen

Die CDU hatte vor zwei Jahren in Köln noch über 10000 Mitglieder; jetzt ist die Zahl der Parteimitglieder auf 7 600 abgesunken, von denen nur etwa 4000 einen den Statuten entsprechenden Beitrag bezahlen. Selbst ein starker Stadtbezirk der CDU wie Sülz verlor in einem Jahr ca. zehn Prozent seiner Mitglieder. Von der SPD wird Gleiches berichtet. Es kann gefolgert werden: Das System der Machtübernahme durch Cliquen ist außer Kontrolle. Es ist nur sich selbst verantwortlich -oder wie es in der Soziologie heißt: Es ist selbstreferentiell. Unter diesen Umständen ist es nicht sehr erheblich,ob die eigene Partei fünf oder sieben Prozentpunkte bei einer Wahl einbüßt. Soviel SPD-oder CDU-Stimmen gibt es dann für die Kemgruppen immer noch, um ungestört das System weiterführen zu können. Wahlniederlagen oder -siege sind in der Regel lediglich für die Hinterbänkler von Belang. Für die Kernmannschaft ist dagegen entscheidend, in den Cliquen nicht isoliert zu werden.

Das hier skizzierte System fördert politischen Aufstieg als Teil einer Seilschaft. Es ist nicht ratsam, einen Aufstieg im Alleingang zu versuchen. Man steht dann nämlich in Konkurrenz zu verzweigten Cliquen, die wiederum rückverbunden sind mit einer verzweigten Klientel. Diese würde einen Machtverlust des inneren Zirkels als einen eigenen Verlust bewerten.

Die politischen Prozesse in der real existierenden Bundesrepublik ergeben ein paradox anmutendes Bild. Einerseits werden immer mehr gesellschaftliche Bereiche immer stärker parteipolitisiert, andererseits werden die Parteien immer inhaltsleerer und schrumpfen in der Mitgliederzahl. Die verfassungsmäßigen politischen Institutionen erfahren einen Bedeutungsschwund, von der Verfassung nicht vorgesehene Gremien und Gruppierungen treten an ihre Stelle: Parlamente als modernes Äquivalent zum Chor der griechischen Tragödie, die anderweitig getroffene Entscheidungen beklagen oder preisen! Damit setzt sich noch stärker als bisher die Konvergenz zum politischen System im früheren Sozialismus auch bei uns durch. Machen sich die Parteien den Staat tatsächlich zur Beute, wie Bundespräsident von Weizsäcker es formulierte, dann „hebt sich der Parteienstaat nur noch durch das Mehr-Parteiensystem von der Parteidiktatur ab“ in der sich die beiden Volksparteien inhaltlich kaum noch unterscheiden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Konzeption der Milieuparteien als „mehrdimensional abgrenzbare politische Gesinnungsgemeinschaften“ vgl. M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Wilhelm Abel u. a. (Hrsg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 1966, S. 331-393; für die Konzeption der Volkspartei gilt als Klassiker Otto Kirchheimer, Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in: Politische Vierteljahresschrift, 6 (1965) 1, S. 20-41.

  2. Vgl. Peter Radunski, Fit für die Zukunft? Die Volksparteien vor dem Superwahljahr 1994, in: Sonde, (1991) 4, S. 3-8.

  3. Vgl. Rudolf Wildenmann, Partei und Fraktion. Ein Beitrag zur Analyse der politischen Willensbildung und des Parteiensystems in der Bundesrepublik, Meisenheim 1954.

  4. Nähere Literaturangaben finden sich bei Erwin K. und Ute Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, Reinbek 1992.

  5. Vgl. Andreas Engel, Basisbezugjn der Kommunalpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/90.

  6. Vgl.ders., Wahlen und Parteien im lokalen Kontext, Frankfurt/M. 1988.

  7. Vgl. Felix Kuballa, Den Staat zur Beute machen?, WDR-Sendung vom 20. Juli 1989 (hektographiert).

  8. Vgl. A. Engel (Anm. 6), S. 56ff.

  9. Vgl. ebd.

  10. Vgl. ebd., S. 175ff.

  11. Vgl. ebd., S. 322.

  12. Vgl. ebd., S. 183.

  13. Vgl. Oscar W. Gabriel, Das lokale Parteiensystem zwischen Wettbewerbs-und Konsensdemokratie: Eine empirische Analyse am Beispiel von 49 Städten in Rheinland-Pfalz, in: Dieter Obemdörfer/Karl Schmitt (Hrsg.), Parteien und regionale politische Traditionen in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1991, S. 385 ff.

  14. Vgl. ebd., S. 386.

  15. Vgl. ebd., S. 383.

  16. Vgl. Franz-Ludwig Knemeyer/Katrin Jahndel, Parteien in der kommunalen Selbstverwaltung, Stuttgart 1991, S. 18.

  17. Vgl. Heinrich Oberreuter, Politische Parteien: Stellung und Funktion im Verfassungssystem der Bundesrepublik, in: Alf Mintzel/Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, München 1990.

  18. Dietrich Fürst, Kommunale Entscheidungsprozesse: Ein Beitrag zur Selektivität politisch-administrativer Prozesse, Baden-Baden 1975, S. 25.

  19. Vgl. ebd., S. 281.

  20. Zur Spannung zwischen staatlichen Aufgaben und Parteipolitik vgl. Eberhard Holtmann, Kommunalpolitik im politischen System der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/90, S. 63f.

  21. Vgl. Jörg Ueltzhöffer, Die kommunale Machtelite und der politische Willensbildungsprozeß in der Gemeinde, in: Hans-Georg Wehling (Hrsg.), Kommunalpolitik, Berlin 1975.

  22. Vgl. Friedrich K. Kurylo, Kölner Klüngel mit Brief und Siegel. Wer abgeschoben wurde, konnte sein Gesicht wahren, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 20. Oktober 1988.

  23. Vgl. Heinz Tutt, Kampf um Macht und Karrieren. SPD vor der Wahl des städtischen Personaldezementen, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 28. November 1987; ders., Landtagsmandate als Belohnung geboten?, in: ebd. vom 4. Dezember 1987; Klaus Zöller, Handel um Posten. SPD-Gruppenstreit, ebd.; Heinz Tutt, Ein Parteitag voller Harmonie und Zuversicht, in: ebd. vom 29. Juni 1988.

  24. Vgl. Heinz Tutt, Zurück blieb ein Scherbengericht, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 25. Oktober 1989.

  25. Vgl. Erwin K. Scheuch, Generäle mit halben Truppen, in: ebd. vom 12. /13. März 1988.

  26. Vgl. Heinz Tutt, Töchter werden immer mächtiger, in: ebd. vom 29. April 1991, S. 13.

  27. Vgl. F. Kuballa (Anm. 7), S. 8.

  28. Vgl. Helmut Böger, „Die Pension; -Absahner", in: Bild am Sonntag vom 23. Februar 1992, S. 4.

  29. Vgl. F. Kuballa (Anm. 7), S. 8.

  30. Vgl. H. Tutt (Anm. 26).

  31. Vgl. ebd.

  32. Protokoll der 48. Öffentlichen Sitzung des Rates der Stadt Köln vom 22. Juni 1988, S. 313.

  33. Vgl. F. Kuballa (Anm. 7), S. 9f.

  34. Vgl. Petra Herterich, Endlagerung alter Politiker, in: Expreß vom 17. Juli 1991.

  35. Protokoll der 48. Öffentlichen Sitzung des Rates der Stadt Köln über den 4. Dringlichkeitsantrag der Fraktion „Die Grünen“ vom 20. Juni 1988 zum Thema Neubesetzung von Vorstandsposten, S. 319.

  36. Vgl. F. Kuballa (Anm. 7), S. 13.

  37. Vgl. Heinz Tutt, Fällt Etta Schiller nach Weiberfastnacht?, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 21. Februar 1990; Jochen Jurettko, Kölner Klüngel um Nachfolge von Kurt Rossa fordert Opfer, in: Westfälische Nachrichten vom 2. März 1990.

  38. Vgl. Susanne Happe, Sechs Frühpensionäre läßt sich die Stadt 7, 5 Millionen Mark kosten, in: Kölnische Rundschau vom 24. Mai 1991.

  39. Vgl. F. Kuballa (Anm. 7), S. 14.

  40. Vgl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Köln, 76. Jg., Köln 1990, S. 201-203.

  41. Hans-Peter Vierhaus, „Die Identifizierung von Staat und Parteien -eine moderne Form der Parteidiktatur?“, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, (1991) 12, S. 473.

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Erwin K. Scheuch, Dr. rer. pol., geb. 1928; ordentlicher Professor für Soziologie an der Universität zu Köln; Direktor des Instituts für angewandte Sozialforschung; Direktor des Zentralarchivs für empirische Sozialforschung. Veröffentlichungen u. a.: Historical Social Research, Köln 1980; Muß Sozialismus mißlingen?, Asendorf 1991; Wie deutsch sind die Deutschen?, Bergisch-Gladbach 1992. Ute Scheuch, Dr. päd., geb. 1943; redaktionelle Mitarbeiterin im Deutschlandfunk, Köln. Veröffentlichungen u. a.: (Mitautorin) Cliquen, Klüngel und Karrieren, Reinbek 1992; (Mitautorin) Der marode Gigant? (i. E. 1992).