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Politische Einstellungen und Grundpositionen Jugendlicher in Ostdeutschland | APuZ 38/1992 | bpb.de

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APuZ 38/1992 Politische Einstellungen und Grundpositionen Jugendlicher in Ostdeutschland Rechtsextremismus und aktuelle Befindlichkeiten von Jugendlichen in den neuen Bundesländern Zur Situation der Jugendhilfe in Leipzig Berufsausbildung und Arbeitsmarktchancen Jugendlicher in den alten Bundesländern

Politische Einstellungen und Grundpositionen Jugendlicher in Ostdeutschland

Peter Förster/Walter Friedrich

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf der Grundlage einer größeren, für Sachsen repräsentativen Jugendstudie werden Ergebnisse zur politischen Grundhaltung Jugendlicher dargestellt und diskutiert. Vergleiche belegen, daß sich die jungen Menschen seit 1990 in erheblichem Maße von den Parteien/politischen Richtungen abgewandt haben, sich zugleich aber häufiger und intensiver mit Positionen im politischen Links-Rechts-Spektrum identifizieren. Das Politikverständnis und -engagement bezieht sich auf diese informelle Dimension, widerspiegelt so eine Distanz zu den etablierten Parteien. Jugendliche mit linken bzw. rechten Positionen unterscheiden sich stark in ihren politischen, weltanschaulichen Wertestrukturen, aber auch in anderen -psychischen -Merkmalsbereichen, so daß man von zwei verschiedenen Mentalitäten sprechen kann. Die Links-Rechts-Achse scheint heute zum entscheidenden Bezugssystem des politischen Selbstverständnisses und Engagements ostdeutscher Jugendlicher geworden zu sein.

I. Vorbemerkungen

Tabelle 1: Links Rechts Positionierung Jugendlicher 1992 (Angaben in Prozent)

Junge Ostdeutsche haben fünf besonders turbulente Jahre hinter sich. Sie haben die Endzeit des sozialistischen Systems „in den Farben der DDR“ bewußt und kritisch reflektierend miterlebt, haben schon vor dem Herbst 1989 ihre Identifikationen, Hoffnungen und Illusionen verloren, sich zuletzt immer häufiger Protesten und teilweise den Aktionen der Opposition angeschlossen. Unmittelbar nach dem Sturz des SED-Regimes kamen für kurze Zeit Hoffnungen auf einen reformierten Sozialismus, vor allem auf mehr politische Mitbestimmung (Basisdemokratie) auf, dann die Freude auf die Verlockungen der Vereinigung mit dem seit langem idealisierten „Westen“.

Abb. 3: Verhältnis ostdeutscher Jugendlicher zu anderen Völkern und Gruppierungen 1992

Doch bald mußten neben den ersehnten Möglichkeiten wie den persönlichen Freiheiten, den Konsum-Attraktionen, den unbegrenzten Reisemöglichkeiten auch die Schattenseiten der neuen Gesellschaft erfahren und verkraftet werden: drohende Arbeitslosigkeit, ungewohnte soziale Unsicherheiten, harte Konkurrenz und Rivalitäten in einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft, Unübersichtlichkeit der neuen Lebensverhältnisse im Alltag bei gleichzeitig zunehmendem Entscheidungsdruck, wachsende soziale Ungleichheiten bei großem Wohlstandsgefälle zwischen West und Ost usw. Eine fundamentale Umgestaltung und eine Pluralisierung der Lebenslagen sowie der Formen individueller Lebensgestaltung hatte begonnen.

Abb. 4: Selbstbild und Selbstvertrauen ostdeutscher Jugendlicher 1992

Hinzu kamen die vielfach als Bevormundung erlebte Dominanz durch Westdeutsche, die sich zuspitzenden Abwertungen und Spannungen zwischen „Ossis“ und „Wessis“, mangelnde Möglichkeiten der politischen Partizipation und Einflußnahme auf gesellschaftliche Entscheidungsprozesse, zunehmende Erfahrungen materieller Risikolagen, Armut, Ängste im näheren sozialen Umfeld etc.

Tabelle 2: Einstellung 14-bis 25jähriger sächsischer Jugendlicher zu den parteipolitischen Richtungen (Angaben in Prozent)

Nur wenn der totale Zusammenbruch des alten Systems sowie der höchst konfliktreiche, weil unvorbereitet begonnene Transformationsprozeß in die neue Gesellschaft sozialpsychologisch als Sturz der Individuen von einer Lebenswelt in eine radikal andere begriffen und analysiert wird, können die veränderte psychische Lage, die speziellen Befindlichkeiten, die Wandlungen von Mentalitäten und Alltagsverhalten der (jungen) Ostdeutschen verstanden werden. In den letzten Jahren haben sich die Lebensverhältnisse so grundlegend verändert, hat eine solch enorme Umwertung alles Bisherigen stattgefunden, daß davon die biographische Entwicklung dieser Jugendgeneration entscheidend -in einem heute noch gar nicht absehbaren Ausmaß-geprägt wurde und wird. Die sogenannte „formative Phase“ der Prägung von Generationsmentalitäten darf dabei nicht so eng wie in den klassischen Konzeptionen (15-18/20 Jahre) angesetzt, sondern muß erheblich weiter gefaßt werden. Das bedeutet, daß die unterschiedlichen Generationserfahrungen der jüngeren und älteren Jugendkohorten (Geburtenjahrgänge) einzukalkulieren sind.

Tabelle 3: Zusammenhang von Links-Rechts-Positionierung und Einstellung zu den parteipolitischen Richtungen

Gleiche zeitgeschichtliche Situationen, wie der gesellschaftliche Umbruch in Ostdeutschland, werden von verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich wahrgenommen, bewertet, psychisch verarbeitet, erzeugen ungleiche Verhaltens-und biographische Effekte. Daß es in der Persönlichkeitsstruktur der heute 15-, 20-oder 25jährigen Jugendlichen gravierende, zeithistorisch bedingte typische Unterschiede geben wird, die sich erst in den kommenden Jahren voll herauskristallisieren werden, daran ist nicht zu zweifeln. Schon heute zeigen sich zwischen jüngeren und älteren Jugendlichen/Jungerwachsenen bedeutende Unterschiede, vor allem in ihrem politischen Verhalten.

Abb. 5: Politikinteresse Jugendlicher im Trend 1987-1992

Mit unserer Studie wollen wir auf Wandlungstendenzen im Bewußtsein und Verhalten junger Menschen in Ostdeutschland aufmerksam machen, wobei wir uns der Grenzen der Aussagefähigkeit einer einzelnen Untersuchung, ihren speziellen methodischen und Stichprobengrenzen sowie der Schwierigkeiten des Vergleichs mit anderen Studien durchaus bewußt sind. Im vorliegenden Beitrag beziehen wir uns insbesondere auf das Verhältnis junger Ostdeutscher zur Politik, zu rechtsextremen Anschauungen und auf einige Seiten ihrer Lebens-befindlichkeiten.

II. Politische Grundpositionen ostdeutscher Jugendlicher

Abb. 1: Politische und nationale/nationalistische Einstellungen Jugendlicher in Ostdeutschland 1992

Abnehmendes Politikinteresse (mangelndes Engagement in Jugendverbänden, wachsendes Desinteresse an öffentlichen Angelegenheiten) einerseits, Zunahme rechtsextremer Denk-und Verhaltensweisen(Ausländerfeindlichkeit) andererseits -das sind die Schlagworte in der Diskussion über politische Orientierungen der ostdeutschen Jugend. Auch und gerade wenn damit die Lage zutreffend gekennzeichnet sein sollte, bleiben doch Fragen nach den politischen Grundpositionen und den Bewußtseinsstrukturen, die sich hinter diesen Erscheinungen verbergen. Existieren sie unabhängig voneinander als Einzelphänomene oder sind sie Ausdrucksformen struktureller Zusammenhänge, also komplexer Verhaltensdispositionen? Steht dahinter eine allgemeine politische Indifferenz (Apathie), breitet sich im politisch-ideologischen Denken ein Vakuum aus oder sind grundlegende, vielleicht neuartige, informelle Strukturen vorhanden bzw. im Entstehen begriffen?

Tabelle 4: Einstellung zur Vereinigung im April 1992 (in Prozent)

Was sind nach den Jahren der Ablehnung, des Verfalls und Zusammenbruchs der früheren politischen Orientierungen, nach den Versuchen, sich in der neuen Gesellschaft einzurichten, die Trends politischer Neuorientierung?

Tabelle 5: Urteile über Westdeutsche und Ostdeutsche 1968-1992

Diesen Fragen wollen wir uns im folgenden zuwenden. Zur Diagnose der politischen Grundhaltung bzw. Grundorientierung der jungen Ostdeutschen werden die Ermittlung der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder zu einer politischen Richtung bzw. weltanschaulichen/ideologischen Auffassung und die Ermittlung des politischen Standorts im Links-Rechts-Spektrum genutzt.

Abb. 6: Nationale Stereotype: Entwicklung der Urteilsausprägung 1968 bis 1992 (Schüler 8. -10. Klassen Sachsen)

1. Positionen im Links-Rechts-Spektrum

Tabelle 6: Zusammenhang zwischen der Rezeptionshäufigkeit politischer Informationen der „Westkanäle“ vor der Wende (Frühjahr 1989) und der Einstellung zur deutschen Einheit (Frühjahr 1992)

In der politologischen und Meinungsforschung werden seit Jahrzehnten Links-Rechts-Skalen erfolgreich zur Analyse politischer Grundpositionen verwandt. Wir haben folgende Skala übernommen: „Über Jahrzehnte hat es sich eingebürgert, bei politischen Standortbestimmungen zwischen , rechts 4 und , links 1 zu unterscheiden. Wie würden Sie sich einordnen?“ Überraschend ist, daß es gegenwärtig den meisten Jugendlichen nicht schwer fällt, sich auf einer Links-Rechts-Skala einzustufen. Noch vor drei Jahren wäre das wohl unmöglich gewesen, da in solchen Kategorien kaum gedacht wurde. Seinen politischen Standpunkt bezog man damals auf der Dimension für oder gegen den Sozialismus bzw. die SED. Heute ist die Positionierung auf einer Links-Rechts-Skala nur noch für jeden fünften Jugendlichen ein Problem.

Ende 1990 fanden sich allerdings in unserer Vergleichsstudie noch etwa zehn Prozent mehr Unentschiedene unter den 14-bis 18jährigen als jetzt. Die Identifizierung als „Linker“ oder „Rechter“ gehört heute bereits zum politischen Selbstverständnis der großen Mehrheit der Schüler in den 8. -10. Klassen. Jeder vierte der 14-bis 25jährigen jungen Sachsen betont seine politische Linksorientierung, knapp jeder fünfte (18 Prozent) ordnet sich rechts von der Mitte ein. Das sind zwei starke Fraktionen, die beide -nach unseren Vergleichs-studien -seit Ende 1990 etwas zugenommen haben, vor allem auf Kosten der Unentschiedenen.

Eine Polarisierungstendenz ist quantitativ und qualitativ eindeutig festzustellen. Sowohl die Zahl der Links-und Rechtspositionierten nimmt zu als auch die Gegensätzlichkeit der vertretenen linken bzw. rechten Anschauungen. Der Vergleich zeigt, daß politisch Linke wie Rechte heute bei nahezu allen relevanten politischen und sozialen Fragen ihre Standpunkte eindeutiger, nachdrücklicher, extremer -entsprechend ihrer links-bzw. rechts-orientierten Weitsicht bzw. Ideologie -vertreten als noch Ende 1990. Diese Polarisierung scheint sich fortzusetzen, vor allem in bezug auf rechtsextreme Anschauungen, Ausländerfeindlichkeit, andere politische Themen (vgl.den Beitrag von Harry Müller und Wilfried Schubarth in diesem Heft). Die Masse der Jugendlichen orientiert sich immer weniger an den politischen Parteien bzw. an deren Programmen und politischen Richtungen, sondern hauptsächlich an Positionen der Links-Rechts-Achse und deren mehr informellen Ideologien bzw. Weltanschauungen. Dieser latent verlaufende Polarisierungsprozeß ist in den 9. Klassen schon weit fortgeschritten und in den 10. Klassen nahezu abgeschlossen. Das hat Auswirkungen auf das Alltagsverhalten der Jugendlichen, z. B. auf die Zugehörigkeit zu informellen Gruppen in Schulklassen und im Freizeitbereich, auf die Sympathien und Antipathien zueinander, auf Diskussionen und Auseinandersetzungen, auf die Atmosphäre in den Schulklassen etc.

Tabelle 1 zeigt starke Unterschiede zwischen den verschiedenen Untergruppen: -Jüngere Jugendliche sind weniger links-, aber bedeutend häufiger rechtsorientiert als ältere.

Wir vermuten als Ursachen zeithistorische Determinanten, also unterschiedliche Generationserfahrungen. Allein mit dem Lebensalter der Individuen, mit der sozialen/mentalen Reife der Heranwachsenden kann das sicher nicht erklärt werden. Das gilt auch für die Tatsache, daß 14-bis 18jährige Jugendliche mit extrem linker Position, mehr aber noch die mit extrem rechter Position (Antwortposition 1 bzw. 5) entschiedener und radikaler ihre (gegensätzlichen) Anschauungen vertreten als 19-bis 25jährige Jungerwachsene mit gleichen Positionen.

Jüngere „Rechtsaußen“ urteilen also bei zahlreichen ideologie-zentrierten Items extremer als ältere. Das gilt -wenngleich in schwächerer Ausprägung -auch für jüngere „Linksaußen“; sie geben sich radikaler als die älteren Jungerwachsenen (bei gleicher Skalenposition). Die Polarisierungstrends sind sowohl in der Häufigkeitals auch in der Intensität des Vertretens rechter bzw. linker Positionen klar zu beobachten: -Kraß sind die Differenzen zwischen gleichaltrigen Lehrlingen und Gymnasiasten, die hochgradig durch die unterschiedliche soziale Herkunft beider Gruppen mitbedingt sein dürften. -Die soziale Herkunft, gemessen am Bildungsgrad des Vaters, fällt stark ins Gewicht. 14-bis 18jährige aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, deren Väter Facharbeiter sind, haben sich zu 14 Prozent in linke, aber zu 25 Prozent in rechte Positionen eingestuft. Jugendliche, deren Väter eine Hochschule absolviert haben, haben sich demgegenüber zu 36 Prozent politisch links und nur zu 15 Prozent politisch rechts von der Mitte positioniert. -Religiöse und Atheisten unterscheiden sich kaum in ihren Links-Rechts-Positionen. -Zwischen den Geschlechtergruppen treten erhebliche Unterschiede auf. Mädchen und junge Frauen haben sich weniger rechts eingeordnet als Jungen und junge Männer (11 zu 26 Prozent), treten dafür aber häufiger für linke Positionen ein (27 zu 21 Prozent). Unter den 14-bis 18jährigen Schülern und Lehrlingen, die eine rechte Position vertreten, befinden sich nur 25 Prozent Mädchen.

2. Mentalitäten der politisch Linken und Rechten

Wir wollen jetzt der Frage nachgehen, welche politischen und sozialen Einstellungen, Überzeugungen oder andere Persönlichkeitsmerkmale mit linken bzw. rechten Politikpositionen bei ostdeutschen Jugendlichen verknüpft sind. Liegen diesen Positionen politisch-ideologische Strukturen, bestimmte Weltanschauungsmuster zugrunde? Wie groß sind die Differenzen, wie eng die Zusammenhänge? Diese Fragen können hier nur knapp beantwortet werden, zumal sie an anderer Stelle dieses Textes und im Beitrag von Harry Müller und Wilfried Schubarth behandelt werden. a) Politische Einstellungen Sowohl politisch Links-als auch politisch Rechts-orientierte haben ein überdurchschnittlich hohes Politikinteresse. Sie unterscheiden sich in bezug auf den Grad ihres Interesses an Politik wenig, wohl aber hinsichtlich der Bewertung politischer Inhalte stark voneinander.

Sehr groß sind die Unterschiede zwischen rechten und linken Positionen z. B. in der persönlichen Bewertung der deutschen Einheit wie auch in der Ansicht über einen reformierten Sozialismus. b) Nationale/nationalistische Einstellungen Enorme Differenzen gibt es zwischen Linken und Rechten bei der Bewertung rechtsextremer Ziele und Anschauungen. Das konnte sicher für die extremen Rechts-ZLinkspositionen erwartet werden, nicht aber für die rechten und linken Positionen insgesamt (Antwortpositionen 1 und 2 bzw. 4 und 5). Die beiden großen Gruppen, zu denen fast jeder zweite Jugendliche zählt, unterscheiden sich konträr hinsichtlich ihres politisch-weltanschaulichen Denkens: Rechte bekennen sich besonders zu den nationalistischen Forderungen und Losungen, verherrlichen Deutschland und die Deutschen, betonen emphatisch ihren Stolz, Deutsche zu sein. Linke beurteilen diese Frage völlig anders. Zustimmungen dazu sind die Ausnahme.

Auch zu rassistischen Vorstellungen sowie zur Gewalt -beides weitere Kembereiche des rechtsextremen Syndroms -existieren zwischen Linken und Rechten konträre Standpunkte. Im Verhältnis zur Gewalt sind die Linken jedoch gespalten. Ein (kleinerer) Teil von ihnen hält sie unter gewissen Umständen für durchaus vertretbar, was sich in den geringeren Abständen zu den Werten der Rechten ausdrückt. Gewalt gegenüber Ausländem wird von den Linksorientierten allerdings strikt abgelehnt (Vgl. Abbildungen 1 und 2).

Die Abbildungen 1 bis 4 spiegeln die unterschiedlichen Prozentverteilungen zwischen Linken und Rechten gesamt (hell) bzw. extrem Linken/Rechten (dunkel/nur Antwortposition 1 und 5) wider. Die Prozentzahlen in den Klammern der Merkmalszeilen geben die Werte der Gesamtpopulation der 14-bis 18jährigen an. c) Verhältnis zu anderen Linke und Rechte bewerten sich (die Eigen-gruppe) wie auch die anderen (Fremdgruppen) in ganz gegensätzlicher Weise. Rechte haben ein sehr negatives Verhältnis zu den „wirklichen“ Ausländem wie Polen, Türken, Vietnamesen, Afrikanern, auch zu Russen, Rumänen und anderen. Sie lehnen Juden affektiv ab, ebenso Linke, „Rote“, Kommunisten. Linke sind ihrerseits entschieden gegen Rechte eingestellt, aber gegenüber Ausländem, Juden sehr tolerant (vgl. Abbildung 3 sowie den Beitrag von Harry Müller und Wilfried Schubarth in diesem Heft).

Die Standortbestimmung im politischen Links-Rechts-Spektrum erweist sich auch bei ostdeutschen Jugendlichen als ausgezeichnete Methode, das politische Bewußtsein, insbesondere rechtsextreme Orientierungen und die Einstellung zu Ausländem, zu analysieren. Die Zusammenhänge zwischen Links-Rechts-Positionen und diesen Einstellungen sind hoch. Die korrigierten Kontingenzkoeffizienten (CC; Kontingenzkoeffizienten informieren über den Grad des Zusammenhanges qualitativer Merkmale) bewegen sich meist zwischen 0, 40 und 0, 70. d) Lebensbefindlichkeiten Die Vertreter politisch linker und rechter Positionen innerhalb der ostdeutschen Jugend weisen nicht nur extrem unterschiedliche politisch-weltanschaulich-soziale Einstellungsstrukturen auf, sondern sie unterscheiden sich auch in anderen Merkmalsbereichen ihrer Mentalität. Jugendliche mit rechten, vor allem die mit extrem rechten Positionen, bringen im Vergleich zu denen mit linken Positionen auch andere Lebensbefindlichkeiten zum Ausdruck: Sie betonen bedeutend häufiger ihr aktives und „offensives“ Verhältnis zur Welt, geben sich insgesamt selbstbewußter, risikofreudiger, optimistischer, draufgängerischer. Sie sind zufriedener mit ihrem Leben bzw. mit verschiedenen Lebensfaktoren (einschließlich mit ihren Eltern), leiden seltener unter Ängsten und Bedrohungen, auch weniger unter neurotischen Symptomen.

Probleme im Partner-und Sexualverhalten scheinen sie ebenfalls weniger zu belasten. In ihren Lebensorientierungen sind sie viel stärker materiell und pragmatisch eingestellt, auf ihren Vorteil bedacht, sie wirken weniger altruistisch, mehr egoistisch als linksorientierte Jugendliche. Es sieht ganz so aus, als trage ihre stark durch rechtsextreme Ideologie geprägte Weitsicht zur Problemvereinfachung und damit zu einer positiveren Stimmungs-und Aktivitätslage bei. Die Wechselwirkung zwischen aktiver Problembewältigung und dadurch ausgelösten Erfolgserlebnissen könnte die vorhandene Rechtsorientierung weiter verstärken. Linke sind jedenfalls den Rechtspositionierten inden psychischen Merkmalsbereichen durchweg unterlegen. Sie geben an, weniger erfolgreich, optimistisch, aktivistisch und zufrieden zu sein, auch wenn die Differenzen erheblich geringer sind als bei den politischen Einstellungen (die meist zwischen 10 und 30 Prozent liegen; die Kontingenzkoeffizienten CC belaufen sich nur auf 0. 15-0. 35).

In Abbildung 4 werden diese Feststellungen anhand weniger ausgewählter Beispiele illustriert. Ähnliche Differenzen zwischen Jugendlichen mit rechten bzw. linken Positionen konnten wir in unserer Studie auch bei anderen Lebens-und Wert-bereichen aufdecken, z. B. in der Beurteilung familiärer Beziehungen, der Ziele der Kindererziehung (Rechte tendieren stärker zum patriarchalischen Familienmodell), in der Wahl der Tageszeitung, hinsichtlich des Alkoholkonsums usw. Daß solche „Figuren des Sozialbewußtseins“ aus der Auseinandersetzung der Individuen mit ihrer unmittelbaren Lebenswelt hervorgehen und ganz konkrete soziale Probleme sowie „Alltagsideologien“ widerspiegeln, ist seit langem bekannt (vgl. Theodor Geiger Die Identifikation der Individuen mit dieser oder jener Position im politischen Links-Rechts-Spektrum hat sehr große Bedeutung für die Herausbildung ihres politischen Bewußtseins und ihrer Befindlichkeit.

3. Einstellungen zu den Parteien

Ein weiterer wichtiger Indikator zur Messung der politischen Grundhaltung ist die Präferenz der parteipolitischen Richtung. Aus den uns hierzu vorliegenden Daten geht hervor, daß die oben erwähnte politische Polarisierungstendenz keine Entsprechung in einer wachsenden Zuwendung zu den verschiedenen Parteien bzw. politischen Richtungen findet. Die Ergebnisse unserer Studie belegen vielmehr einen entgegengesetzten Prozeß, eine Abwendung von den Parteien, eine auch bei den jungen Leuten (dem künftigen Wählerpotential) stark zunehmende Parteienverdrossenheit. Tabelle 2 informiert über die parteipolitischen Präferenzen 14-bis 25jähriger Sachsen sowie über die Veränderungen seit Ende 1990, exemplarisch dargestellt für die Schüler der 8. -10. Klassen.

Rund die Hälfte der Befragten fühlt sich 1992 mit einer parteipolitischen Richtung verbunden. Präferiert werden zu etwa gleichen Teilen die christdemokratische (12 Prozent), die grün-alternative (10 Prozent) und die sozialdemokratische (10 Prozent) Richtung. Sechs Prozent sympathisieren mit den Republikanern. -Wie schon bei der Links-Rechts-Positionierung bestehen deutliche Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Jugendlichen. Der höhere Grad der Festlegung auf eine Partei bei den 19-bis 25jährigen schlägt vor allem für die grün-alternative und die sozialdemokratische Orientie-rung zu Buche. Doch bleibt offen, ob dies ein Effekt der Generationsprägung oder des Lebensalters ist. Wir neigen zur ersten Hypothese. -Von den männlichen Jugendlichen haben sich deutlich mehr als von den weiblichen auf eine Richtung festgelegt. Männliche Jugendliche präferieren häufiger die Christdemokraten und die Republikaner. Mit den Republikanern fühlen sich 17 Prozent der männlichen Lehrlinge verbunden (weibliche Lehrlinge: vier Prozent). -Aufschlußreich ist der zeithistorische Vergleich -in Tabelle 2 exemplarisch für die Schüler der 8. -10. Klassen dargestellt. In allen Teilgruppen ist durchgängig erkennbar, daß sich 1992 erheblich weniger Jugendliche politisch festlegen als 1990. Gaben 1990 im Gesamt-durchschnitt noch rund zwei Drittel der jungen Leute eine bevorzugte politische Orientierung an, ging dieser Anteil im Frühjahr 1992 auf rund die Hälfte zurück. Ein beträchtlicher Schwund ist bei der christdemokratischen Richtung zu verzeichnen. Ihre Anhängerschaft hat sich bei den Jugendlichen seit Ende 1990 etwa halbiert. Verluste hat auch die grün-alternative Richtung erlitten. Leichte Gewinne können dagegen die Sozialdemokraten und Republikaner verbuchen, insbesondere bei den männlichen Jugendlichen. -Auf strukturelle Veränderungen in den politischen Grundeinstellungen verweist eine Trend-analyse der Zusammenhänge zwischen dem Selbstverständnis als Linker oder Rechter und der bevorzugten politischen Richtung. Tabelle 3 informiert über die eingetretenen Veränderungen.

Wie schon erwähnt, ist im Gegensatz zur zunehmenden Einordnung in das Links-Rechts-Spektrum gegenüber 1990 eine wachsende Abwanderung von den Parteien festzustellen. Das betrifft sowohl die Sympathisanten der Linken als auch der Rechten, am meisten aber diejenigen, die sich zur politischen Mitte rechnen. Vor allem diese große Gruppe fühlt sich von keiner Partei vertreten. Wesentlich ist außerdem, daß rechtsorientierte Jugendliche, die sich 1990 noch stark zur christdemokratischen Richtung hingezogen fühlten, 1992 häufiger zu den Republikanern neigen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß rechte Orientierungen indas Lager der Republikaner führen (mit den Rückwirkungen auf eine weitere Radikalisierung), ist offensichtlich größer geworden!

Es spricht einiges dafür, daß die nachrückenden Altersgruppen die „Partei der Nichtwähler“ weiter vergrößern werden, wenn die etablierten Parteien nicht auf die Signale wachsenden Unbehagens über ihre Politik reagieren. 4. Politikinteresse Das Politikinteresse junger Leute in Ostdeutschland hat inzwischen -nach der starken Regression in der Endzeit der DDR und einem steilen Anstieg während der Wende -als Folge wachsenden Unbehagens über die Politik der etablierten Parteien, aber auch zunehmender sozialer und wirtschaftlicher Verunsicherung, einen neuen Tiefpunkt erreicht. In einigen Teilgruppen (z. B. bei den weiblichen Jugendlichen) geht die Ausprägung des starken Interesses faktisch gegen Null.

Abbildung 5 veranschaulicht das Auf und Ab exemplarisch für die Lehrlinge und die Schüler der 8. bis 10. Klassen. 5. Einstellung zur Vereinigung und zum neuen politischen System Charakteristisch für die politische Stimmungslage der ostdeutschen Jugendlichen ist ihre Einstellung zur deutschen Einheit. Kurz vor dem Vollzug der Einheit am 3. Oktober 1990 hatte sich die übergroße Mehrheit (82 Prozent) der 15-bis 24jährigen für die Vereinigung ausgesprochen. Viele Jugendliche sahen ihr damals mit gemischten Erwartungen entgegen, Freude und Hoffnung gingen eng einher mit Sorgen und Ängsten. Im April 1992 äußerte nur noch eine knappe Mehrheit (53 Prozent) ihre Freude darüber, daß die Einheit hergestellt ist; eine Minderheit (fünf Prozent) betonte ihre Ablehnung. Weniger als die Hälfte (42 Prozent) ließ als Ausdruck widersprüchlicher persönlicher Erfahrungen eine ambivalente Einstellung erkennen (vgl. Tabelle 4).

Vor allem die weiblichen Jugendlichen aller Alters-und Ausbildungsgruppen haben ihr positives Urteil über die Vereinigung deutlich relativiert. Damit setzt sich der bereits vor der Vereinigung erkennbare Trend fort, daß weibliche Jugendliche der deutschen Einheit weniger häufig uneingeschränkt positiv gegenüberstehen als männliche. Hauptsächlicher Grund war und ist die Sorge vieler Mädchen und junger Frauen, zu den Verlierern der Einheit zu gehören, in ihren Ansprüchen auf soziale Gleichstellung und Selbstbestimmung zurückgeworfen zu werden.

Die Widersprüchlichkeit der Einstellung zur deutschen Einheit geht eindrucksvoll aus den Antworten der Jugendlichen auf eine offene Frage zu den Veränderungen in ihrem Leben seit der Wende hervor. Rund 9000 Aussagen, häufig sehr ausführliche und anrührende Mitteilungen, wurden dazu ausgewertet.

Als positive Veränderungen werden vor allem von jeweils rund der Hälfte das verbesserte Konsumangebot, die neuen Reisemöglichkeiten und die persönlichen Freiheiten genannt. Fast jeder Befragte führt zugleich auch negative Veränderungen an, insbesondere die in vielen Familien spürbare Massenarbeitslosigkeit (von den Eltern der befragten Schüler und Lehrlinge ist ein Drittel in irgendeiner Form von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen!) mit ihren Auswirkungen auf das Familien-klima und die Lebensqualität, die stark verunsichernde Zunahme von Kriminalität und Gewalt, die Verteuerung der Lebenshaltung, die Ausbreitung von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit, das Entstehen einer „Ellenbogengesellschaft“ und andere bislang weitgehend ungewohnte Erscheinungen. Aus den verbalen Aussagen ist ablesbar, daß die positiven Veränderungen durchaus anerkannt und auch genutzt werden. Die negativen Folgen und Begleiterscheinungen der Vereinigung werden jedoch vielfach als existentiell gravierender wahrgenommen. Ein Teil der jungen Leute erlebt die neuen Risiken offensichtlich intensiver als die neuen Chancen.

Der Verlauf des deutschen Einigungsprozesses beeinflußt sehr stark die Haltung der Jugendlichen zum politischen System im vereinten Deutschland. Gegenwärtig äußern 39 Prozent, mit dem politischen System zufrieden zu sein (sehr zufrieden: ein Prozent). Die Erwartung, daß insbesondere die Jugend nach ihrer Enttäuschung durch das SED-Regime die neue Ordnung verhältnismäßig schnell annehmen wird, scheint sich vorläufig nicht zu bestätigen. Skepsis oder Distanz gegenüber dem neuen politischen System korreliert jedoch nicht mit einer nostalgischen Aufwertung der alten politischen Ordnung. Die übergroße Mehrheit der Jugendlichen (85 Prozent) vertritt die Auffassung, daß es höchste Zeit war, das SED-Regime zu beseitigen. Allerdings meint jeder vierte Jugendliche, daß ihm ein reformierter, humanistischer Sozialismus lieber wäre als die gegenwärtige politische Ordnung. 6. Urteile über Ostdeutsche und Westdeutsche In unserer Untersuchung haben wir auch nach den Vorstellungen, nach den „Bildern“ gefragt, die junge Ostdeutsche von anderen Völkern besitzen. Wir haben diese Frage aufgenommen, um Vergleiche zu früheren Studien zu ermöglichen und somit zeitgeschichtlich bedingte Einstellungsänderungen feststellen zu können.

Aus den Jahren 1968, 1989 und 1990 liegen uns Forschungsergebnisse des ehemaligen Leipziger Jugendforschungsinstituts vor, die mit derselben Methode jeweils bei Schülern der 8. -10. Klassen im sächsischen Raum gewonnen wurden. Da sie 1989 den Zustand kurz vor der Wende (Frühjahr) und 1990 nach der Wende (Sommer) kennzeichnen und 1992 die Einstellung eineinhalb Jahre nach Vollzug der deutschen Einheit wiedergeben, sind besonders die Veränderungen von Bedeutung, die mit dem politischen und sozialen Wandel in Deutschland Zusammenhängen.

Untersucht wurden die vorurteilsgeprägten Einstellungen/Stereotype zu ausgewählten Nationenbzw. Volksgruppen (Russen, Polen, Vietnamesen, US-Amerikaner, Westdeutsche, Ostdeutsche) hinsichtlich der Ausprägung bestimmter Merkmale (wie arbeitsam, intelligent, nationalstolz, sympathisch) mittels einer siebenstufigen Schätzskala. Wir beschränken uns hier auf die Urteile der Ostdeutschen über die Westdeutschen und über sich selbst seit 1968 (vgl. Tabelle 5).

Westdeutsche, die in der DDR vor der Wende als „Idealfiguren“ galten, erfuhren in den achtziger Jahren zunehmend eine starke Aufwertung, während es gegenwärtig wieder zu erheblichen Regressionen kommt. Umgekehrt verlief die Bewertung der eigenen Bevölkerung, der Ostdeutschen (früher: „DDR-Bürger“). Hier sank die Identifikation noch nach der Wende unaufhörlich und mit starker Tendenz. Nach unserer Studie hat sich jedoch 1990 eine Trendwende vollzogen: Seither findet eine bemerkenswerte Aufwertung der „Ossis“ statt, die teilweise sogar zu einer Überbietung der „Wessis“ führt. Das ist ein deutlicher Reflex auf den komplizierten Prozeß der deutschen Einheit. Sehr drastisch offenbart sich dieser Einstellungswandel beim Merkmal „arbeitsam“ sowie bei den Sympathiewerten (vgl. Abbildung 6). 7. Langzeitwirkungen der „Westmedien“

Durch die Kopplung der Untersuchung mit einer seit 1987 laufenden Längsschnittstudie bei heute 19jährigen Sachsen können Rückschlüsse auf Trendprozesse der Bewußtseinsbildung über die Wende hinweg gezogen werden. So sind bemerkenswerte Langzeitwirkungen damaliger Rezeption von politischen Informationen der elektronischen Westmedien nachweisbar, und zwar über die erkennbaren Wechselwirkungen zwischen dem politischen Bewußtsein und dem Medienverhalten hinausgehend. Teilnehmer der Längsschnittstudie, die vor der Wende intensiv und selektiv diese Sender als Informationsquelle nutzten, unterscheiden sich von denen, bei denen das weniger intensiv der Fall war. Sie unterscheiden sich von diesen u. a. insofern, als sie heute der Vereinigung deutlich positiver gegenüberstehen, sich häufiger als Bürger der Bundesrepublik fühlen und ebenfalls häufiger ihren Nationalstolz als Deutsche/Deutscher artikulieren. Sie sind jedoch nicht zufriedener mit dem politischen System der vereinten Bundesrepublik (vgl. Tabelle 6).

Die Ergebnisse legen die Annahme nahe, daß eine intensive und selektive mediale Wahrnehmung der Vorzüge westlicher Lebensqualität (Lebensstandard, persönliche Freiheiten) im Vergleich zu den Alltagserfahrungen in der von der Krise gezeichneten DDR-Gesellschaft langfristig den Boden dafür mit bereitet hat, die Vereinigung herbeizuwünschen und so selbst an der erstrebten Lebensqualität der Bundesrepublik teilzuhaben. Die Langzeit-analyse läßt retrospektiv den (damals vermuteten) enormen Einfluß der „Westkanäle“ auf den politischen Mentalitätswandel erkennen, der schließlich in die politische Wende mündete.

III. Bewertung

Abb. 2: Einstellung ostdeutscher Jugendlicher zur rassistischen Ideologie und zur Gewalt 1992

Die politischen Einstellungen und Grundpositionen, die heute für junge Ostdeutsche charakteristisch sind, sollten sinnvollerweise vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Biographien (im Kontext der zeithistorischen Ereignisse) bewertet werden. Die jungen Leute haben ihre ersten Politikerfahrungen in der DDR gewonnen. Bereits Jahre vor der Wende haben sie Frustrationen, Enttäuschungen erlebt, mit Spott, Protest und Ablehnung auf die damalige offizielle SED-Politik reagiert: Politikverdrossenheit gab es also schon vor 1989! Mit und unmittelbar nach der Wende hat die allgemeine Aufbruchstimmung zu mehr'politischem Engagement auch der Jugendlichen geführt. Eine große Bereitschaft zu politischer Aktivität und demokratischer Mitgestaltung -oft verknüpft mit einer aufgeschlossenen, erwartungsvollen Einstellung gegenüber den Parteien in der vereinten Bundesrepublik -war vorhanden. Aus der Politikverdrossenheit vor 1989 sowie dem Aktivismus und den großen Erwartungen bzw. Illusionen unmittelbar nach der Wende erwuchs ein großes Bedürfnisnach einer neuen politischen „Verortung“. Die anhaltende Orientierungsnot drängte nach haltgebenden politischen Positionen, mit denen Identitäts-oder Lebenskrisen bewältigt werden konnten. Programme, Parteien, Politiker, die diese durch Erfahrung kritische (und „gebrannte“) ostdeutsche Jugend akzeptieren würde, waren gefragt. Mit den Angeboten der etablierten Parteien konnte sich die große Mehrheit der ostdeutschen Jugendlichen jedoch wenig -in letzter Zeit zunehmend weniger -identifizieren.

Im Rahmen der bundesweit wachsenden Kritik und Parteienverdrossenheit zeigt sich die Bevölkerung in den neuen Bundesländern -und hier vor allem die Jugend -besonders betroffen, was aus ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Sonderlage resultiert.

Politische Orientierungslosigkeit, ein Mangel an stabiler politischer Weite-Position, kann jedoch auf Dauer von jungen Menschen nicht ertragen werden. Die nach der Wende schwieriger gewordene Bewältigung des Alltags zwingt auch Jugendliche ständig zu politischen Wertungen der vielfältigen Probleme und Ereignisse.

Wenn die Parteien diesem Bedürfnis nicht genügend entsprechen (können), muß sich zwangsläufig die Suche nach Alternativen, nach anderen politisch-weltanschaulichen Orientierungsmustern verstärken (die der Interpretation, Erklärung, Sinngebung dienen können).

Gegenwärtig sehen junge Ostdeutsche eine gangbare und attraktive Alternative in einer Standortbestimmung im unverbindlichen politischen Links-Rechts-Spektrum. Die Identifizierung mit linken oder rechten Positionen ist ein informeller Vorgang, wächst aus dem Alltagsleben heraus, ist an keine formelle Anerkennung von Parteien, Programmen, Politikern oder Jugendverbänden gebunden, bedarf keiner Beitrittsrituale, Satzungsdiskussionen oder anderer Verpflichtungen. Linke und rechte Positionen stehen sich schon vom Wort her konträr gegenüber, der Gegensatz ist evident, das „Freund-Feind-Bild“ ist vorgegeben, der politische Gegner erscheint personifiziert, ist bekannt, wird meist heftig abgelehnt.

Die jeweilige „Alltagsideologie“ ist vage und unverbindlich, bietet daher breite Freiheitsräume für nahezu alle individuellen Auffassungen, Lebens-stile und Individualitätsansprüche. Vielleicht deutet sich hier ein Trend an, der der politischen Grundhaltung der heutigen Jugend besonders entspricht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Forschungsstelle Sozialanalysen Leipzig e. V. hat -gefördert durch die Freudenberg Stiftung -im März/April 1992 eine Jugendstudie durchgeführt. Wichtige Ergebnisse werden in diesem und in dem Beitrag von Harry Müller und Wilfried Schubarth zur Diskussion gestellt. Die Studie basiert auf einer Stichprobe, die repräsentativ für 14-bis 25jährige Sachsen ist. Darüber hinaus wurden große Populationen von Schülern der 8. -10. Klassen, von Gymnasiasten der 11. und 12. Klassen und von Lehrlingen aus Sachsen sowie aus Sachsen-Anhalt (schriftlich) befragt. Dadurch bestehen gute Voraussetzungen zu differenzierten Analysen der Abhängigkeiten und Zusammenhänge. Repräsentativität für alle neuen Bundesländer besteht nicht. Ein umfangreicher Forschungsbericht einschließlich einer Methodenbeschreibung liegt vor und kann auf Wunsch von der Freudenberg Stiftung zur Verfügung gestellt werden, der die Autoren für die erwiesene Unterstützung herzlich danken.

  2. Mit dieser Frage wurden alle 14-bis 25jährigen erfaßt. Die Zahl der Befragten betrug mehr als 4300. Das ergibt große Zahlen für die einzelnen AntwortPositionen, z. B. für links/eher links n = 920, für rechts/eher rechts n = 975. Im Text werden die Vertreter linker Positionen (Antwortpositionen 1 und 2) als „Linkspositionierte“, „Linksorientierte“ oder kurz als „Linke“, die Vertreter rechter Positionen als „Rechtspositionierte“, „Rechtsorientierte“ oder kurz als „Rechte“ bezeichnet. Vertreter der Antwortposition 1 werden als „extrem links“, Vertreter der Antwortposition 5 als „extrem rechts“ bezeichnet.

  3. Die soziale Schichtung des deutschen

  4. In diese Längsschnittstudie waren zwischen 1987 und 1989 (Frühjahr) rund 1200 Schülerinnen und Schüler aus Sachsen einbezogen, die in der 8., 9. und 10. Klasse mehrmals an Untersuchungen teilnahmen, u. a. zu ihrer Lernmotivation, ihren politischen Orientierungen, zu ihrem Medien-verhalten u. a. In der 10. Klasse erklärten sich rund 600 Jugendliche bereit, auch nach Schulabschluß weiter an der Studie mitzuarbeiten. An bisher vier Befragungen nach der Wende -nunmehr postalisch -nahmen jeweils zwischen 200 und 300 Jugendliche teil. Dabei muß in Rechnung gestellt werden, daß eine größere Anzahl der früheren Teilnehmer in den Westteil abgewandert ist. Spezielle Berechnungen ergaben, daß die Population der jetzigen Teilnehmer repräsentativ für die damalige Gesamtpopulation ist.

Weitere Inhalte

Peter Förster, Prof. Dr. sc., geb. 1932; bis 1990 Abteilungsleiter am Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig, seit 1991 Forschungsleiter in der Forschungsstelle Sozialanalysen Leipzig e. V. Veröffentlichungen u. a.: Beiträge zur Jugend-und Meinungsforschung sowie zu methodologischen und methodischen Fragen der Sozialforschung; (zus. mit Walter Friedrich), Ostdeutsche Jugend 1990, in: Deutschland Archiv, 24 (1991) 4 und 7. Walter Friedrich, Prof. Dr. phil. habil., geb. 1929; bis 1990 Direktor des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig, seit 1991 Leiter der Forschungsstelle Sozialanalysen Leipzig e. V. Veröffentlichungen u. a.: Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 16-17/90; (zus. mit Hartmut Griese/Hrsg.) Jugend und Jugendforschung in der DDR, Opladen 1991; (zus. mit Peter Förster) Ostdeutsche Jugend 1990, in: Deuschland Archiv, 24 (1991) 4 und 7.