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Artikel 4 | APuZ 36/1961 | bpb.de

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Artikel 4

1. Der in verschiedenen Varianten auftretende Begriff der demokratischen Errungenschaften des Zonenregimes ist zwar vereinzelt schon in der ersten Phase der Sowjetisierung Mitteldeutschlands nachzuweisen, gehört jedoch erst von der zweiten, 1948/49 einsetzenden Phase ab zum festen Vokabular der SED. 2. Er drückt nicht in erster Linie die Befriedigung der SED über den durch die strukturverändernden Maßnahmen der ersten Jahre der sowjetischen Besetzung erreichten Grad der „Demokratisierung“ in der Zone aus, sondern erhält seinen charakteristischen Akzent dadurch, daß mit den demokratischen Errungenschaften von heute bereits die künftige Entwicklung der Verhältnisse unter dem SED-Regime präjudiziert erscheint, wobei in der Sprache der SED „Demokratisierung“ gleichzusetzen ist mit fortschreitender Sowjetisierung. Denn im Geltungsbereich der Sowjetideologie kann es nur einen, durch das Beispiel der sowjetrussischen Entwicklung vorgezeichneten Weg des Fortschritts geben. So sind auch die Formeln, die in den Volksdemokratien dem sowjetzonalen Begriff der demokratischen Errungenschaften entsprechen, in gleicher Weise zu interpretieren. Dabei postulieren alle diese Formeln von vornherein eine Überlegenheit der Staats-, Gesellschafts-und Wirtschaftsformen des Ostblocks über die der westlichen Welt. 3. Dieser allgemeine Überlegenheitsanspruch, der von der übergeordneten sowjetischen Überlegenheitsthese abgeleitet ist, die seinerzeit mit dem revolutionär-bolschewistischen Begriff der „Errungenschaften der Sowjetmacht“ begründet worden war, wird in den sowjetzonalen demokratischen Errungenschaften einerseits modifiziert, andererseits spezifiziert. Modifiziert insofern, als der antifaschistisch-demokratischen Ordnung der Sowjetzone in der zweiten Phase der Sowjetisierung, in die die Proklamierung der „DDR" fällt, zwar kraft dieser Errungenschaften bereits ein höherer Grad der Fortschrittlichkeit zuerkannt wird als jedweder nur „formalen“ Demokratie kapitalistischer Prägung, jedoch noch nicht der Rang einer Volksdemokratie. Spezifiziert dadurch, daß der sowjetzonale Begriff der demokratischen Errungenschaften, wo immer er auftaucht, auf den Vergleich mit Westdeutschland zielt, daß in ihm nicht nur die Weiterentwicklung der Zone in Richtung auf das sowjetische Modell präjudiziert wird, sondern, daß er zugleich mit dem Anspruch auftritt, die Ordnungsprinzipien eines künftigen Gesamtdeutschland vorzuformen und vorwegzunehmen. Die Vorstellung selbst, daß durch die Eingriffe in die Gesellschaftsstruktur der Zone ein verbindliches Vorbild für die Wiedervereinigung und nicht wieder auszulöschende Tatsachen geschaffen würden, gehört zwar bereits der ersten Phase der Sowjetisierung an; jedoch die Verbindung dieser Vorstellung mit dem Begriff der demokratischen Errungenschaften des Zonenregimes in der zweiten Phase verdient größte Beachtung, weil in ihr der Ansatz für die heutige gesamtdeutsche Ideologie der SED liegt. 4. Die häufigere Verwendung des Begriffes der demokratischen Errungenschaften seit Beginn der zweiten Phase der Sowjetisierung steht in direktem Zusammenhang mit dem Übergang zur langfristigen Planung. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß die Bedeutung des Plans sich nicht in seiner Funktion als rationales Instrument der Wirtschaftslenkung erschöpft, sondern daß er darüber hinaus als in alle Lebensbereiche eingreifender Generalplan die Etappenziele des ferngesteuerten totalitären Umbaus von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in sich zusammenfaßt und damit den Rhythmus des Sowjetisierungsprozesses bestimmt, den die Propaganda des Regimes dadurch schmackhafter zu machen versucht, daß sie ihn als Prozeß der Demokratisierung ausgibt. In diesem Sinne sind die Appelle der SED, die demokratischen Errungenschaften zu festigen, zu sichern und auszubauen, zugleich Aufrufe an die Sowjetzonenbevölkerung, alle Kräfte für die Planerfüllung anzuspannen. Weil aber das Schicksal der sich durch diese — für das gesamte Deutschland als beispielhaft hingestellten — Errungenschaften auszeichnenden Ordnung der Sowjetzone von der Erreichung der durch den Plan gesetzten Ziele abhängig gemacht wird, erscheint die Plan-erfüllung auch als der entscheidende aktuelle Beitrag der Zone für eine Wiedervereinigung Deutschlands nach den Vorstellungen der SED Abgesehen von dem spezifischen gesamdeutschen Akzent der demokratischen Errungenschaften deckt sich die Funktion, die von den vergleichbaren volksdemokratischen Begriffen etwa gleichzeitig in der Planideologie und der Planpropaganda der Satellitenstaaten übernommen wird, mit der des sowjetzonalen Begriffes. Hier wie dort tritt mit der zweiten Phase der Sowjetisierung das gesamte innere Leben unter das Gesetz des allumfassenden Plans: In der Sowjetzone folgt nach einem vor-weggegangenen Halbjahrplan der Zweijahrplan für 1949/50, dem sich der erste Fünfjahrplan anschließt; in Polen und Ungarn laufen bereits ab 1947 Dreijahrpläne, die 1950 in dem erstenLand durch einen Sechsjahrplan und in dem zweiten durch einen Fünfjahrplan abgelöst werden; in der Tschechoslowakei und in Bulgarien setzt 1949 jeweils der 1. Fünfjahrplan ein, während in Rumänien nach zwei Jahrplänen für 1949 und 1950 und in Albanien nach einem Zweijahrplan für die gleichen Jahre der Übergang zum 1. Fünfjahrplan erfolgt Sowohl die Formen als auch die Funktion der Planung in den Satelliten-staatswesen sind direkt auf das verbindliche Vorbild der Sowjetunion zurüdezuführen; und dieses Vorbild bestimmt auch die ideologische und propagandistische Rolle der Errungenschaften im Rahmen der —zumindest in der Theorie — totalen Gesamtplanung nach sowjetischem Muster. Das gilt nicht nur für die demokratischen Errungenschaften der sowjetzonalen Ordnung, die hier eingehender analysiert wurden, und für gleichwertige volksdemokratische Begriffe wie beispielsweise Errungenschaften der Volksmacht, sondern für den Begriff der Errungenschaften schlechthin, der jetzt in allen nur denkbaren Verbindungen einen erhöhten Kurswert gewinnt, wie das seinerzeit in der Sowjetunion selbst der Fall gewesen war, als Stalin das Startzeichen für den ersten Fünfjahrplan gegeben hatte

Im Dienst der Planerfüllung

Ein charakteristisches Beispiel für diese Tendenz bietet der Beschluß des III. Parteitages der SED vom 20. bis 24. Juli 1950 über den „Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (1951 bis 195 5)“, in dem es heißt: „Um den technischen Fortschritt in allen Zweigen der Volkswirtschaft zu fördern, müssen die Errungenschaften der Wissenschaft und Technik in den Dienst der Entwicklung der Friedenswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik und der Hebung des Wohlstandes des deutschen Volkes gestellt werden.“ Und nicht weniger typisch ist die speziellere Aufforderung an die Bauern, sich mit den „neuesten Errungenschaften in der Landwirtschaft“ vertraut zu machen, um den ihnen auferlegten Beitrag zur Erfüllung des großen Plans leisten zu können Diese Termini sind nur scheinbar neutral. Wo immer von wissenschaftlichen, technischen oder agrarwissenschaftlichen Errungenschaften die Rede ist, die in den Dienst der Planerfüllung gestellt werden müßten, wird vielmehr unausgesprochen oder ausgesprochen auf das sowjetische Vorbild gezielt. Denn das innersowjetische Dogma, daß die Sowjetunion auch auf all und jedem wissenschaftlichen oder technischen Spezialgebiet an der Spitze des menschlichen Fortschritts marschiere, bedeutet für die SED wie für die anderen Satellitenparteien einen Glaubenssatz, den anzuzweifeln einer unverzeihlichen Ketzerei gleichkäme

Noch in verhältnismäßig ruhiger Tonart erklärt die Entschließung des Parteivorstandes der SED vom 11. Januar 1950 „Zum Volkswirtschaftsplan 1950“: „Es kommt besonders darauf an, die fortschrittlichen Errungenschaften, die in der Sowjetunion in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht erzielt wurden, zu studieren und daraus zu lernen.“

Die Entschließung des Zentralkomitees vom 20. Oktober des folgenden Jahres stellt hingegen abrupt fest: „In entscheidendem Maße hängt die Verwirklichung aller Aufgaben des Fünfjahrplans davon ab, wie schnell unsere Aktivisten, Arbeiter und Angestellten, unsere technische Intelligenz und unsere Wissenschaftler sich die Errungenschaften aller Zweige der Sowjetwissenschaft zu eigen machen, die fortgeschrittensten Arbeitsmethoden studieren und anwenden, ihr fachliches Wissen erhöhen und sich vor allem durch das Studium der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin die Kenntnisse von den Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft erwerben ...

Auf Grund der Lehre Lenins und Stalins gilt es, den Massen klarzumachen, daß mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eine neue Epoche in der Menschheitsgeschichte begonnen hat, die frei ist von Unterdrückung und Ausbeutung, von Krisen und Kriegen. Insbesondere gilt es, den Massen die weltgeschichtliche Bedeutung des Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft in der UdSSR zu erklären und ihnen eine Vorstellung von den Stalinschen Großbauten des Kommunismus und den anderen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Er-

Fortschrittliche Kultur

Wenn in diesem Zusammenhänge die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Errungenschaften der Sowjetunion als eine unzerreißbare Einheit behandelt werden und die Einsicht der bolschewistischen Führer in die Entwicklungsgesetze der Gesellschaft als das Fundament dieser Errungenschaften erscheint, so fällt von hier aus ein grelles Licht auf den offiziellen sowjetzonalen Begriff der Kultur im allgemeinen und den der kulturellen Errungenschaften im besonderen. Wie für die sowjetischen Kommunisten gibt es auch für die SED in der Kultur mit all ihren Äußerungen keine neutralen Bereiche. Sie ist vielmehr etwas durch und durch Parteiisches; und für den Grad ihrer Fortschrittlichkeit gibt es keinen anderen gültigen Wertmaßstab als die Elle der ideologischen Generallinie. Dem entspricht es, daß die Partei auch die Kultur in ihre totale Planung einbezieht. „Der Zweijahrplan", betont Ulbricht auf der 1. Parteikonferenz im Januar 1949, „ist der Plan des kulturellen Fortschrittes", und knüpft daran die Forderung, daß „die Errungenschaften der fortschrittlichen Kultur ,..den Werktätigen in den Betrieben und im Dorf nähergebracht werden" müßten. Es geht ihm dabei, wie er selbst in der Begründung seiner Forderung ausführt, um zweierlei, nämlich um die Verbesserung der rungenschaften der Sowjetvölker zu vermitteln."

Die Erkenntnis der sowjetischen Wissenschaft und der sowjetischen Ingenieurkunst, die sowjetischen Arbeitsmethoden — die den ganzen ökonomischen Prozeß unter die Peitsche eines immerwährenden Wettbewerbs und eines allgegenwärtigen Kontrollsystems zu zwingen suchen — und nicht zuletzt die Impulse des sowjetisierten Marxismus als einer totalitäre! ’ Staats-und Industrialisierungsideologie soller. also der SED dazu verhelfen, die Sowjetzone nach dem Muster des stalinistischen Rußlana der Fünfjahrpläne und der zukunftweisenden Großbauten des Kommunismus zu rekonstruieren. Es ist die gerade Konsequenz der sich bereits 1945 ankündigenden Tendenzen; die zeitweise genährten Träume von einem eigenen deutschen Weg zum Sozialismus sind ausradiert; die sowjetischen Errungenschaften, die dem deutschen Volk zunächst sehr allgemein als Spiegel vorgehalten worden waren, erscheinen jetzt in den Verlautbarungen der SED in konkreterer und differenzierteret Form. Das Programm der Sowjetisierung enthüllt seine Einzelzüge; und was dabei hervortritt, ist die weitgehend mechanische Übertragung der auf sowjetische Verhältnisse zugeschnittenen bolschewistischen Aufbauideologie aus einem noch vor kurzem wirtschaftlich rückständigen und unterentwickelten, sich mitten im Prozeß der Industrialisierung befindlichen Agrarland auf die gänzlich andersgearteten Verhältnisse Mittel-deutschlands. fachlichen Qualifikation der Werktätigen im Interesse der Planerfüllung und um ihre Erziehung zu dem „richtigen“ gesellschaftlichen Bewußtsein, zu einem Bewußtsein, das sie dazu veranlaßt, sich freiwillig den Forderungen der Partei und damit dem Gesetz des Fortschritts zu unterwerfen: „Durchführung des Zweijahrplans, das heißt Erziehung der Menschen zu bewußten Erbauern einer friedlichen dokumentarischen Ordnung und Entwicklung einer neuen humanistischen Kultur. Die großen Aufgaben des Plans können nur erfüllt werden, wenn das allgemeine Kultur-niveau und das fachliche, berufliche und auch künstlerische Schaffen entwickelt wird. Die Werktätigen in den Betrieben, die gewaltige Produktionsleistungen vollbringen, die die Arbeitsproduktivität erhöhen und neue Erfindungen machen, fordern mit Recht, daß die Schriftsteller und Tonkünstler, die Maler und Bildhauer, die Filmregisseure und Schauspieler sich durch hohes künstlerisches Schaffen auszeichnen und mit ihren Leistungen dem Volke dienen. Der arbeitende Mensch muß im Mittelpunkt des ganzen künstlerischen Schaffens stehen.

Ist es nicht von großer kultureller Bedeutung, das schaffende Volk, vor allem die Jugend, im Goethe-Jahr durch künstlerische Veranstaltungen, Vorlesungen usw. mit den Werken des großen deutschen Humanisten und Weltbürgers vertraut zu machen?

Ich habe bereits dargelegt, wieviel tausende Werktätige eine höhere berufliche Qualifikation erhalten müssen.

Die Fragen des Zweijahrplans sollen im Mittelpunkt des Studiums und der Forschung an den Universitäten und Hochschulen, in der Akademie der Wissenschaften und in den Berufsschulen und Volksschulen stehen ...

Es darf Ende 1949 keinen volkseigenen oder SAG-Betrieb und kein volkseigenes Gut oder keine MAS geben, wo nicht zumindest ein Kulturraum oder eine Kulturecke besteht ... In den Vorschlägen über die kulturellen Aufgaben im Rahmen des Zweijahrplans . . . wird hervorgehoben, daß es das kulturelle Ziel dieses Plans ist, Menschen mit einer neuen gesellschaftlichen Erkenntnis zu erziehen, wozu notwendig ist, daß alle Schriftsteller und Künstler ihre ganze Kraft und Begeisterung diesem Werk widmen.“

Es erübrigt sich, dieses seltsame Konglomerat von Forderungen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, so reizvoll es beispielsweise auch wäre, den „fortschrittlichen", ja parteiischen Goethe der SED etwas näher kennen zu lernen. Hier kam es nur darauf an, den roten Faden sichtbar werden zu lassen, der auch in den Entschließungen der Parteikonferenz nicht minder deutlich zum Vorschein kommt, in denen es heißt: „Durch die demokratischen Umwandlungen in der sowjetischen Besatzungszone wurden die Bedingungen für die Entfaltung einer fortschrittlichen Kultur geschaffen.

Es sind alle erforderlichen Maßnahmen zur Heranbildung qualifizierter Facharbeiter entsprechend den Erfordernissen des Zweijahrplans zu treffen. An den Stätten der Produktion, vor allem in den großen volkseigenen Betrieben, wie auch unter der werktätigen Landbevölkerung ist eine breite kulturelle Massenarbeit zu entwickeln, für die die Gesamtpartei die Verantwortung trägt. Wissenschaft und Kunst sind allseitig zu fördern. Ihre Errungenschaften sind dem ganzen Volk zugänglich zu machen." „Die Erfüllung des Zweijahrplanes wird das kulturelle Leben zur Entfaltung bringen, und die Erfüllung der kulturellen Aufgaben wird es wesentlich erleichtern, die Ziele des Wirtschaftsplanes zu erreichen." *

Die Funktion der kulturellen Errungenschaften in der Planideologie hat sich seither nicht geändert. So bringen auch die einschlägigen Ausführungen Ulbrichts in seinem Referat über den Fünfjahrplan auf dem III. Parteitag der SED inhaltlich kaum Neues. Der Plan, so verheißt er großspurig, solle „der Entwicklung einer wahren Volkskultur dienen“, und: „Zum erstenmal in der deutschen Geschichte sollen die Errungenschaften der Kultur den Massen des Volkes vermittelt werden.“

Dabei versäumt er nicht, besonders darauf hinzuweisen, daß die Partei alles in ihren Kräften stehende tun werde, „um die früher von den Großgrundbesitzern und ihrer reaktionären Staatsmacht systematisch aufrechterhaltene Rückständigkeit im Dorfe zu überwinden und den werktätigen Bauern und allen Dorfbewohnern die Errungenschaften der Kultur zu vermitteln.“

Das alles erinnert penetrant an das Pathos der russischen Bolschewisten, die einst auszogen, um den Analphabetismus auszurotten, um dadurch die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Erschließung ihres Landes zu schaffen, nur daß der Kampf der SED dem weit schwerer zu überwindenden ideologischen Analphabetismus einer kulturell bereits hochentwickelten pluralistischen Gesellschaft gilt, die es trotz aller Anstrengungen der Partei bis heute nicht gelernt hat, den russischen Weg als den selbstverständlichen, einzig möglichen Weg des Fortschritts für ihr eigenes Land anzuerkennen.

Mit den vorstehend behandelten, ineinander-greifenden und sich überschneidenden Komplexen ist die Stellung des Errungenschaftsbegriffes in der Planideologie der SED, wie sie sich in der zweiten Phase der Sowjetisierung herauskristallisiert, im wesentlichen umrissen, wenn sich daneben der Begriff auch noch in zahlreichen anderen Kombinationen nachweisen ließe. So wird, wieder ganz nach sowjetischer Manier, die Versorgung mit Brot als Errungenschaft gepriesen Auffällig ist, daß der später so stark bemühte Begriff der sozialen Errungenschaften noch kaum eine Rolle spielt; nur gelegentlich wird einmal eine soziale Maßnahme des Regimes, wie beispielsweise das Gesetz zum Schutz der Arbeitskraft, mit dem Prädikat Errungenschaft bedacht Überhaupt läßt sich in der zweiten Phase der Sowjetisierung noch eine relative Zurückhaltung in der Verwendung des Errungenschaftsbegriffes feststellen, so klar auch die herausgearbeiteten Tendenzen durch die Massierung der Beispiele hervortreten. Zwar ist das häufigere Auftreten des Begriffes gegenüber der ersten Phase unverkennbar; und auch innerhalb der zweiten Phase ist eine stete Zunahme zu verzeichnen. Die Vorbereitung und Durchführung des Zweijahrplans, die Proklamierung der „Deutschen Demokratischen Republik“ und der Übergang zum ersten Fünfjahrplan sind die entscheidenden Stationen, die jeweils eine allgemeine Steigerung der ideologischen Kampagne der SED bedingen. Bei alledem kann noch von keiner ausgesprochenen Errungenschaftspropaganda die Rede sein. Erst ab 1952 wird der Begriff so auffällig oft verwandt, daß sich diese Bezeichnung rechtfertigt.

Im Zeichen des „Aufbaus des Sozialismus"

Die Tatsache, daß sich die Errungenschaften 1952 als geläufiger, ja bevorzugt gebrauchter terminus technicus der propagandistischen „Massenarbeit“ durchsetzen, ist wesentlich auf zwei Faktoren zurückzuführen. Einmal auf den Übergang zur dritten Phase der Sowjetisierung Mitteldeutschlands im Zeichen des „Aufbaus des Sozialismus"; zum anderen auf das Bedürfnis nach einer effektiven Wehr-und Verteidigungsideologie, das sich seit Mai 1952 bemerkbar macht. Noch vor der Unterzeichnung der Bonner und Pariser Verträge erklärt Ulbricht es für unbestreitbar, „daß der wiedererstehende Militarismus in Westdeutschland die Errungenschaften unseres friedlichen Aufbauwerks in der DDR bedroht", und er betont „die Verantwortung der Arbeiterklasse und der ganzen friedliebenden Bevölkerung, selber die Errungenschaften unserer jungen Republik zu sichern und zu schützen". Im gleichen Sinne gibt das Zentralkomitee in einem Danktelegramm an Stalin anläßlich des 7. Jahrestages der deutschen Kapitulation das Versprechen ab, „die Kampf-bereitschaft und Kampffähigkeit zum Schutze unserer Heimat und unserer demokratischen Er-rungenschaften zu organisieren“. Obgleich es zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepuublik noch keinen deutschen Soldaten gibt und der kleine Bundesgrenzschutz keineswegs als ein westdeutsches Gegengewicht zu den um ein Mehrfaches stärkeren, militärisch ausgebildeten kasernierten Volkspolizeieinheiten betrachtet werden kann, ergreift das SED-Regime den Anlaß, um die Remilitarisierung der Sowjetzonenrepublik voranzutreiben und durch eine intensive Propaganda für die Notwendigkeit bewaffneter Streitkräfte psychologisch zu unterbauen. Die sich schon im Mai abzeichnende Linie der Wehrpropaganda wird von der II. Parteikonferenz im Juli ausgenommen, wo die Errungenschaften als Schlüsselbegriff der Planideologie’ und der Wehrideologie so stark in den Vordergrund treten, daß diese Konferenz als der Auftakt für eine planmäßige Errungenschaftspropaganda gelten darf.

Die relative Zurückhaltung, von der sich die sowjetische Politik bisher im Hinblick auf die besondere Situation des gespaltenen Deutschland hatte leiten lassen, wird in dem neuen Stadium der sowjetischen Deutschlandpolitik als überflüssig erachtet. Sowohl die Sowjets selbst als auch die SED hatten bis in das Jahr 1952 hinein peinlich an der Sprachregelung festgehalten, daß die Sowjetzonenrepublik noch nicht die Entwicklungsstufe einer Volksdemokratie erreicht habe. Auf der II. Parteikonferenz deklariert Ulbricht nunmehr offiziell „die volksdemokratischen Grundlagen der Staatsmacht“ der Sowjetzonenrepublik und stellt gleichzeitig im Namen des Zentralkomitees den Antrag, dem Beispiel der übrigen volksdemokratischen Staaten folgend, auch in der Zone zum planmäßigen „Aufbau des Sozialismus“ überzugehen: zum „Aufbau des Sozialismus mit Hilfe der grandiosen Errungenschaften des Sowjetvolkes und im Rahmen des Weltwirtschaftssystems der sozialistischen und demokratischen Staa-ten“. Weil aber „das große Werk unseres nationalen Aufbaus“ gegen die Feinde beschützt werden müsse, die es „durch Sabotagebanden und militärische Kräfte“ bedrohten, erweise sich die Schaffung einer Volksarmee als notwendig: „Die nationalen Streitkräfte werden die Armee zur Verteidigung der Heimat sein, zum Schutze der sozialistischen Errungenschaften unseres Volkes... Die nationalen Streitkräfte werden die freie und friedliche Arbeit des Volkes und seine Errungenschaften schützen." Daß der Schutz der Errungenschaften, wie Ulbricht ihn propagiert, keineswegs eine rein defensive Angelegenheit ist, geht schon daraus hervor, daß er im gleichen Atemzuge verkündet, das Zonenregime werde auf jede Maßnahme der „westlichen Militaristen“ mit so starken Gegenmaßnahmen antworten, daß sich das „Kräfteverhältnis in Deutschland immer mehr zugunsten der friedliebenden patriotischen Kräfte“ verändern werde. In diesem Sinne weist er den „nationalen Streitkräften“ die Aufgabe „eines Werkzeuges zur weiteren Stärkung der volksdemokratischen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung" zu, das, in brüderlicher Verbundenheit „mit allen patriotischen Kräften Westdeutschlands“, vom Haß gegen die amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten und „vom Willen zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes“ erfüllt sein solle Auch Pieck wendet sich energisch gegen alle Regungen eines irregeleiteten Pazifismus, der von dem „aggressiven amerikanischen und dem revanchelüsternen westdeutschen Imperialismus“ bewußt gefördert werde, um „unseren Willen zur Gegenwehr, zur Verteidigung unserer demokratischen Errungenschaften“ zu paralysieren „Beschäftigt mit der Erfüllung unseres Fünfjahrplans, des Plans der allseitigen Entwicklung unserer Industrie und Landwirtschaft, der ununterbrochenen Hebung des Lebensniveaus unseres Volkes, beschäftigt mit dem Kampf um den Frieden und die Einheit unseres Vaterlandes, müssen wir gleichzeitig zur bewaffneten Verteidigung unserer Errungenschaften bereit sein."

Wie planmäßig das Regime dazu übergeht, den Errungenschaften hinfort einen hervorragenden Platz in seiner Propaganda einzuräumen, geht aus der von Pieck gestellten Forderung hervor, es sei „eine umfassende Aufklärungsarbeit über unsere demokratischen Errungenschaften, über den sozialistischen Aufbau, die sozialen Rechte, die wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten aller Bürger unserer Republik zu entfalten und die Aktionseinheit der werktätigen Massen herzustellen. Dabei wird uns der neue Großsender eine wirksame Hilfe sein."

Das Schlagwort von der Aktionseinheit und der Hinweis auf den neuen Großsender zeigen, in welchem Grade die SED von vornherein beabsichtigt, die Errungenschaften in ihre nach Westdeutschland zielenden Propagandakampagnen einzubeziehen, während die weitere Forderung Piecks, „die Aufklärungsarbeit über die Notwendigkeit der bewaffneten Verteidigung der Errungenschaften unserer Republik in den breitesten Massen der Bevölkerung energisch zu verstärken" ganz nach innen gerichtet ist.

Wie nicht anders zu erwarten, enthält auch der von der II. Parteikonferenz angenommene Beschluß „Zur gegenwärtigen Lage und zu den Aufgaben im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus" als notwendiges Requisit die zur Generallinie erhobene Forderung nach bewaffneten Streitkräften, „die mit der neuesten Technik ausgerüstet und imstande sind, die Errungenschaften der Werktätigen vor einem imperialistischen Angriff zu schützen". Kurz danach scheint es dem Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Heinrich Rau, selbst in einem Referat über die nächsten Aufgaben des Maschinenbaus vor Leitern volkseigener Betriebe unvermeidlich, seine wirtschaftlichen Forderungen mit der Mahnung zu verquicken:

„Bei der Durchführung aller unserer wirtschaftlichen Aufgaben dürfen wir nicht übersehen, daß es in der Welt noch starke feindliche Kräfte gibt, die den Vormarsch des Sozialismus aufhalten und die bisherigen sozialistischen Errungenschaften rückgängig machen möchten."

Daran ist bemerkenswert, daß auch Rau — wie vor ihm schon Ulbricht auf der Parteikonferenz — jetzt von sozialistischen Errungenschaften spricht statt, wie es bis dahin üblich war, von demokratischen Errungenschaften. Beide Begriffe werden fortan auswechselbar gebraucht, als Synonyme für ein und dieselbe Sache. So erklärt Rau bei anderer Gelegenheit, der „Staat der Werktätigen" müsse „ein starker Staat sein, der willens und fähig ist, den sozialistischen Aufbau und unsere demokrati-sehen Errungenschaften zu schützen und zu sichern“.

Es wäre ermüdend, die endlose Liste der Beispiele noch weiter zu verlängern und im einzelnen zu zeigen, wie sich der ganze monopolisierte Propagandaapparat des Systems auf die von Pieck angekündigte Aufklärungskampagne einstellt, in der die totalitären Methoden der Bewußtseinsvergewaltigung unverkennbar hervortreten. Charakteristisch ist es, wenn das Politbüro in seinen Richtlinien für eine „fortschrittliche Filmkunst“ die DEFA rügt, daß in ihrer Produktion, besonders in den Spielfilmen, „unsere Errungenschaften ... nicht genügend zum Ausdruck“ kämen, und wenn die allgemeinbildenden Schulen beim „Aufbau des Sozialismus" u. a. die Aufgabe zugewiesen erhalten, „die Jugend zu allseitig entwickelten Persönlichkeiten zu erziehen, die fähig und bereit sind, den Sozialismus aufzubauen und die Errungenschaften der Werktätigen bis zum äußersten zu verteidigen". Selbst vor den Kindergärten macht die Partei nicht halt; und in „Kampfplänen" verpflichten sich die Betreuerinnen, ihre kleinen Schützlinge mit Hilfe der Erfahrungen der Sowjetpädagogen im „Geist des Sozialismus“ zu erziehen:

„Unsere Errungenschaften wollen wir uns nicht durch Machenschaften kapitalistischer Aggressoren zerstören lassen. Darum wird Wachsamkeit auch in unserem Kindergarten immer wieder höchstes Gebot sein."

Systematische Erzeugung einer Massenpsychose

So absurd das klingt, der Wahnsinn hat Methode. Und zumindest eines wird klar: wie verfehlt es wäre, in dieser Errungenschaftskampagne zuvorderst die Reaktion auf eine reale Bedrohung von außen durch interventionsdurstige kapitalistische Imperialisten zu sehen. Genau so wenig handelt es sich primär um die ideologische Rechtfertigung und die massenpsychologische Zementierung der Remilitarisierung in der Zone, obwohl diesen Motiven ohne Zweifel entscheidende Bedeutung beizumessen ist. Es geht aber dem Regime um etwas viel Umfassenderes. Es geht um die künstliche Erzeugung einer überhitzten, alle Lebensbereiche durchdringenden militanten Atmosphäre, einer Massenpsychose des Kriegszustandes, in der es nur Freunde und Feinde geben kann und in der die durch das Gesetz der Geschichte zum Sieg prädestinierten Kräfte des Fortschritts — an welcher „Front“ auch immer sie kämpfen: an der Front der Industriepoduktion oder der Landwirtschaft, an der Front der Erziehung, der Wissenschaft oder der Kultur usw. — eine gigantische „Schlacht“ für den „Aufbau des Sozialismus" schlagen und die Feinde niederringen. Ein scheinbar abseitiges Beispiel mag diese Tendenz belegen. Am 20. Juli 1952 setzte sich in der „Jungen Welt" ein Arzt, der so fortschrittsfreudig ist, daß er am liebsten „jede junge und gesunde, zukunftsgerichtete Frau“ in die „Brigaden der Traktoristinnen" einreihen möchte, „die im Interesse des Friedens und der Festigung unserer Republik die Schlacht an der , Getreidefront‘ siegreich führen", mit der Frage auseinander: „Schadet Traktorfahren unseren Mädchen?“:

„Seit Jahren schon“, so beginnt er, „finden wir unter den Traktoristen der Maschinen-Aus-leih-Stationen zahlreiche Frauen, die hier un-mittelbar am entscheidendsten Kettenglied der Vorwärtsentwicklung auf dem Lande ihre Maschinen von einer friedlichen Schlacht zur anderen, von Herbst-und Frühjahrsbestellung zur Ernte führen und damit einen großen Beitrag für die Festigung unserer jungen Republik leisten. Die Traktoristinnen der MTS in der Sowjetunion sind ihnen leuchtende Vorbilder bei ihrer Arbeit.

Was wundert es uns, wenn angesichts dieser Entwicklung die Feinde des Fortschritts sich erheben und einzudringen versuchen in die Reihen derjenigen, deren Elan dem Lande fortschrittliche Arbeitsmethoden bringt und damit Motor allen Werdens ist...

Ein neues, widerliches Mittel ist nun den Feinden des Fortschritts eingefallen, um zu versuchen, die geschlossene Front unserer Mädchen und Jungen auf den Traktoren ins Wanken zu bringen. Sie behaupten, Traktorfahren ist für Mädchen und Frauen gesundheitsschädigend. Ihr aber, Mädchen und Jungen, habt damit wieder ein Mittel, die Feinde des Fortschritts an diesem . Argument'zu entlarven.“

Nach dieser Einleitung entlarvt unser medizinischer Autor die gesundheitlichen Bedenken gegen die Betätigung von Frauen und Mädchen als Traktoristinnen als ein gegenstandsloses Gerücht, das wie „jede Form menschenfeindlicher Propaganda" auf die Unkenntnis der wirklichen Zusammenhänge spekuliere und sich auf der gleichen Höhe bewege wie die seinerzeit auch von „manch einem Medikus“ geteilten Bedenken derjenigen, die, als vor mehr als hundert Jahren die erste Eisenbahn ratternd und puffend ihre Strecke dahinschlich, bedenklich die Köpfe geschüttelt und den Eisenbahn-benutzern wegen der angeblich für den menschlichen Organismus unerträglich hohen Geschwindigkeiten Tod und Verderben prophezeit hätten. „Damals wie heute", schließt der Artikel, die eingangs bereits vorweggenommene Moral von der Geschicht’ nochmals bekräftigend, „werden die Wortführer solcher Gedanken bewußt oder unbewußt zu Werkzeugen im Interesse fortschrittsfeindlicher Menschengruppierungen. Sehen wir in unserem Kampf um die Verwirklichung der Losung . FDJlerinnen auf die Traktoren! 1 neben der notwendigen Erfüllung einer Tagesförderung ein Mittel zur Entlarvung und Bekämpfung fortschrittsfeindlicher Tenden-zen und zur Überwindung von Resten bürgerlicher Fäulnis, die unseren Mädchen das Recht einer freien Entwicklung ihrer Fähigkeiten im Interesse der Erhaltung sexual-patriarchalischer Privilegien absprechen möchten. Kämpfen wir gegen die Störversuche der Imperialisten durch Gerücht-und Meinungsmache, für die Entwicklung eines neuen Verhältnisses zwischen Mann und Frau. — Für die Steigerung der Hektarerträge im Interesse der Festigung unserer Deutschen Demokratischen Republik.“

Der kapitalistische Universalfeind

Es kommt in unserem Zusammenhang nicht darauf an, wie sich das Traktorfahren auf den weiblichen Organismus auswirkt; und es darf eingeräumt werden, daß die Mediziner bei der Beantwortung dieser Frage zu verschiedenen Resultaten gelangen können. Entscheidend ist, daß es im Bereich des totalitären Sowjetzonenregimes nur eine Antwort geben darf und daß jeder, der es sich erlaubt, eine andere Auffassung zu vertreten, gleichgültig, ob es sich dabei um das fachmännische Gutachten eines Arztes oder um das Urteil eines Laien handelt, Gefahr läuft, als Feind des Fortschritts und als Parteigänger oder Helfershelfer des imperialistischen Kapitalismus denunziert zu werden. Der vorliegende Artikel, der die von den Sowjets entlehnte vulgäre Fortschrittsideologie mit Virtuosität handhabt, zeigt mit besonderer Eindringlichkeit, wie die Propaganda den inneren und den äußeren Feind des Regimes miteinander identifiziert. Dieser allgegenwärtige kapitalistische Universalfeind ist für das kommunistische System in Sowjetrußland selbst und im gesamten Ostblock genau so unentbehrlich wie der jüdisch-bolschewistische es für die Hitler-diktatur war. Ein derartiger Universalfeind gehört zu den lebensnotwendigen Voraussetzungen totalitärer Propaganda und totalitären Gesinnungsterrors; auch in Staatswesen mit demokratischer Grundstruktur taucht er fast unweigerlich dann auf, wenn mehr oder minder ausgeprägte totalitäre Tendenzen sich anschicken, die Demokratie von innen heraus in ihrer Funktionsfähigkeit zu bedrohen. Gibt es ihn nicht oder erscheint seine Existenz nicht von vornherein einleuchtend, so ist es die Aufgabe der Propaganda, den Teufel so lange an die Wand zu malen, bis ihn alle leibhaftig vor sich sehen.

Diese Methode ist also nicht neuartig; und das SED-Regime hatte sich in ihrer Handhabung bis zum Sommer 1952 schon eine beträchtliche Erfahrung erworben; aber erst von diesem Zeitpunkt ab bedient es sich ihrer mit der gleichen Intensität und der gleichen Perfektion wie die Führung der Sowjetunion seit dem ersten Fünfjahrplan Stalins. Der Vergleich mit dem Ruß-land der Fünfjahrpläne drängt sich zwar bereits seit dem Übergang zur Totalplanung nach sowjetischem Muster in der zweiten Phase der Sowjetisierung Mitteldeutschlands auf Schritt und Tritt. auf; doch erst jetzt, nachdem die SED und ihre Moskauer Protektoren glauben, auch die letzten Rücksichten fallen lassen zu können, wird er vollends schlüssig. „Aufbau des Sozialismus“ — das bedeutet ein engmaschiges Geflecht ineinandergreifender Maßnahmen, um Mitteldeutschland nunmehr unwiderruflich in die Schablone der sowjetischen Staats-und Gesellschaftsordnung hineinzuzwingen. Es bedeutet den forcierten Ausbau der Schwerindustrie und den Generalangriff auf das Privateigentum der Bauern und der bisher von der Enteignung verschont gebliebenen Gewerbetreibenden; es bedeutet straffste Zentralisierung des gesamten Staatsapparates und neue Säuberungen innerhalb der Partei, es bedeutet Remilitarisierung und Verschärfung des Druckes auf alle Kreise der Bevölkerung, wobei nicht zuletzt der Versuch gemacht wird, auch die Kirche als die einzige große Institution, die sich der Gleichschaltung zu entziehen vermochte, unter die Botmäßigkeit des Staates zu zwingen

In dieser Situation des von oben dekretierten „verschärften Klassenkampfes" sind die Errungenschaften als hervorragender Bestandteil der sowjetischen Fortschrittsideologie und als Kernbegriff der Vulgärdialektik für die SED-Propaganda genau so unentbehrlich wie für die Sowjetpropaganda seit Ende der zwanziger Jahre; und wie damals in der Sowjetunion verbindet sich auch jetzt in der deutschen Sowjetzone mit der verstärkten Propagierung der Errungenschaften die Tendenz einer Patriotisierung der kommunistischen Ideologie. Wenn diese Tendenz in Ansätzen auch bereits vorher sichtbar geworden war, so zeichnet sich doch die Zäsur von 1952 deutlich ab Fast schlagartig setzt eine Revision des Geschichtsbildes ein; und die „fortschrittlichen Kräfte der deutschen Vergangenheit“ sind seither aus den Bemühungen der Einheitspartei, der sowjetzonalen Staatsideologie einen national-deutschen Anstrich zu geben, nicht mehr wegzudenken. Dabei ist es selbstverständlich, daß der deutsche Nationalismus der SED in keinem Augenblick den sowjetischen Führungsanspruch in Frage stellen darf und sich im übrigen der supranationalen Ideologie des Großblocks unterzuordnen hat, wodurch ungewollt der provinzielle Charakter des SED-Staates nur noch unterstrichen wird.

Fortschrittsideologie Um der patriotisierten die nötige Überzeugungskraft zu verleihen, bedarf es der Behauptung, daß die Errungenschaften der Sowjetzonenrepublik und der Werktätigen bedroht seien; es bedarf ihrer ebenso sehr wie die Sowjetunion der „kapitalistischen Einkreisung“ bedurfte, und zwar als eines Mittels der innersowjetischen Propaganda, um den patriotischen Eifer der Sowjetbürger so anzustacheln, daß sie, ohne offen zu rebellieren, alle Entbehrungen und Anstrengungen, die das Stalinsche Programm der Industrialisierung und Kollektivierung ihnen abforderte, auf sich nehmen sollten, um mit dem „Fortschritt“ auch zugleich dem „sozialistischen Vaterland" Rußland zu dienen. Der äußere kapitalistische Feind hat den Beweis dafür zu liefern, wie gefährlich der Feind im Innern, der „Klassenfeind" ist, mit dem ihn die totalitäre Propaganda identifiziert.

Synthese von Terror und Propaganda

Im gleichen Sinne sieht auch die SED-Führung die in der Sowjetunion erprobte und bewährte Synthese von Terror und Propaganda als das geeignete Mittel an, um den „Aufbau des Sozialismus" mit größtmöglicher Beschleunigung voranzupeitschen. Die Propaganda rechtfertigt den Terror und gibt zugleich den Rhythmus des geplanten Fortschritts an. Sie bietet nicht nur die Möglichkeit, denjenigen, der sich dem Regime nicht gutwillig fügt, als Feind des Fortschritts und damit auch als Landesverräter zu brandmarken, sondern sie erlaubt es auch, ganze soziale Gruppen, die dank ihrer „objektiven“ Klassenlage den Feinden zugerechnet werden, zu diskriminieren. Selbst die linientreuesten Funktionäre sind nie sicher davor, eines guten Tages nicht als angebliche Saboteure, Diversanten, Spione oder Agenten des Kapitalismus zu erwachen, wenn das Regime einen Sündenbock für seine Mißerfolge benötigt. So gehört es einerseits zu der bereits geschilderten Atmosphäre des permanenten Kriegszustandes, daß die Errungenschaften des Regimes ständig auch von innen her bedroht sind. Auf der anderen Seite suggeriert die Errungenschaftspropaganda die Illusion, daß die große Schlacht von Sieg zu Sieg voranschreitet und daß in den Errungenschaften die paradiesische Zukunft schon Gestalt angenommen hat. Diese scheinbar greifbar nahe Zukunft, die Zukunft, die schon begonnen hat, rechtfertigt nach russisch-bolschewistischer Manier das Elend der Gegenwart. Hier wie dort sind die Errungenschaften in erster Linie die uneingelösten Wechsel auf die Zukunft; und es erscheint charakteristisch, daß in der SED-Propaganda zumeist sehr allgemein von ihnen die Rede ist. Die „demokratischen Errungenschaften", die „sozialistischen Errungenschaften", die „Errungenschaften der Werktätigen" oder einfach „die Errungenschaften“

schlechthin sind es, die die werktätige Bevölkerung der Sowjetzone dazu animieren sollen, ihre Arbeitsproduktivität zu steigern oder sonst zu tun, was das Regime immer von ihnen verlangt. Will man sich darunter konkret etwas vorstellen, so bleiben im wesentlichen nur die grundlegenden Elemente des sowjetzonalen Staatsaufbaus — also die angebliche Herrschaft der Arbeiterklasse in Gestalt der Parteidiktatur der SED und die Eingriffe in die wirtschaftliche, soziale und politische Struktur, auf die sie sich gründet.

Die SED versucht jedoch schon in dieser Phase, zu psychologisch größeren Erfolg versprechenden Mitteln zu greifen, um bei den „Werktätigen" die Vorstellung zu erwecken, daß die „Deutsche Demokratische Republik" ihr Staat sei und daß diesem Staat nichts mehr am Herzen läge als ihre sozialen Errungenschaften, die von der parteioffiziellen Propaganda jetzt mehr und mehr herausgestellt werden.

So bezeichnet das „Neue Deutschland“ vom 6. Mai 1953 den „Feriendienst der Gewerkschaften" als „eine der sozialen und kulturellen Errungenschaften unserer Republik, die immer wieder die Bewunderung der westdeutschen Arbeiter und Angestellten erregen, die als Gäste in einem der FDGB-Heime weilen. Sie können es kaum fassen, daß in den schönen und prächtigen Häusern in Kühlungsborn oder Ahlbeck an der Ostsee, in Oberhof im Thüringer Wald oder in Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz Menschen wie sie, Arbeiter und Angestellte, ihren Urlaub verbringen. Kein westdeutscher Berg-oder Metallarbeiter verdient genug, um sich einen Urlaub an der Nord-Trotz der Selbstkritik, die das Sowjetzonenregime beim Übergang zum „Neuen Kurs" geleistet hatte, war es weit davon entfernt, seine eigenen Fehler als Ursache der Empörung anzuerkennen. Zwar wurden die selbstkritischen Eingeständnisse nach der Niederschlagung des Auf-standes durch die sowjetischen Besatzungstruppen fortgesetzt, und die SED scheute selbst vor der Feststellung nicht zurück, wenn „Massen von Arbeitern" die Partei nicht verstünden, sei die Partei schuld und nicht die Arbeiter aber das hinderte sie keineswegs daran, nach der alten Methode der kommunistischen Dialektik den kapitalistischen Universalfeind als den in Wirklichkeit einzig Verantwortlichen für alle Schwierigkeiten des Regimes und damit auch für die Katastrophe des 17. Juni anzuprangem. So machte sich der sowjetzonale Propagandaapparat von Anfang an die Version zu eigen, daß der Aufstand von Provokateuren, Agenten, Lockspitzeln und käuflichen Kreaturen im Dien-see oder im Schwarzwald oder in Oberbayern zu leisten, ganz zu schweigen von dem Elends-heer der hungernden Erwerbslosen.

Der Masse der westdeutschen Werktätigen ist ein Urlaubsaufenthalt, wie ihn die Arbeiter und Angestellten in der Deutschen Demokratischen Republik schon für selbstverständlich halten, ein unerfüllbarer Wunsch, weil sie kein Geld dafür haben. Sehr rasch begreifen sie, daß das Bestehen eines billigen, organisierten Feriendienstes in der Deutschen Demokratischen Republik in engem Zusammenhang damit steht, daß hier die Werktätigen die Herren der sozialistischen Betriebe sind und das entscheidende Wort in Staat und Wirtschaft sprechen. In Westdeutschland aber sind die Imperialisten wieder obenauf. Sie haben auch die Kur-und Badeorte für ihre Vergnügungszwecke mit Beschlag belegt." Es gehört wenig Phantasie dazu, um sich auszumalen, mit welchen Gefühlen mitteldeutsche Arbeiter im Mai 1953 derartige verzerrte und verlogene Vergleiche ihrer Lebensbedingungen mit denen ihrer westdeutschen Kollegen ausgenommen haben. Zu dieser Zeit konnte selbst die Staatspartei kaum noch die Augen davor verschließen, in was für ein Chaos der mit großartigen Versprechungen begonnene „Aufbau des Sozialismus" eingemündet war. Die Lebensmittelversorgung hatte einen Tiefstand erreicht, während die Zahl der Republikflüchtigen unaufhaltsam anwuchs. Wenige Wochen später sah sich die SED gezwungen, ihre Fehler einzugestehen und den „Neuen Kurs“ einzuleiten, nachdem sie noch kurz zuvor, am 28. Mai, eine Anordnung der Regierung veranlaßt hatte, die Arbeitsnormen in den volkseigenen Betrieben um mindestens 10 Prozent zu erhöhen. Diese Anordnung, die die ausgebeuteten Arbeiter bis

Vom 17. Juni 1953 zur Ungarischen Oktoberrevolution 1956

ste des amerikanischen und westdeutschen Groß-kapitalismus angezettelt worden sei, die sich die in der Bevölkerung herrschende Mißstimmung zunutze gemacht hätten

In diesem Sinne erklärte das Zentralkomitee der SED am 21. Juni 1953 zu den Ereignissen, es sei vor allem erforderlich, daß diejenigen Teile der Arbeiterklasse, die, durch diese Mißstimmung verführt, „ohne es zu sehen und zu wollen, unter den Einfluß ihrer geschworenen Feinde, der Monopolkapitalisten und Faschisten, geraten“ seien, aus der Verwirrung herausgerissen würden und daß „das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeiterklasse, Partei und Regierung wiederhergestellt" würde. Diesen Arbeitern, die sich von Partei und Regierung verzur Weißglut provozierte, wurde auch mit der Verkündung des „Neuen Kurses" am 9. Juni nicht zurückgenommen. Die Geschichte der Normenerhöhung aber ist die direkte Vorgeschichte des 17. Juni 1953. An diesem Tag nahmen die Arbeiter den offenen Kampf gegen ihre Unterdrücker auf und zerstörten durch ihre Haltung die historische Legende von den Kommunisten als einer Arbeiterpartei. Der Aufstand der Arbeiter setzte die Zone in Flammen; und die Bevölkerung zeigte der SED auf eine sehr drastische Weise, was sie von den Errungenschaften des Regimes hielt.

Die SED hatte geglaubt, sich dieses Begriffes im russischen Sinne bedienen zu dürfen. Aber die Sowjetzonenbevölkerung war nicht bereit, den Wechsel auf die Zukunft zu kreditieren. Die vielgepriesenen Errungenschaften erinnerten sie nur an die unerträgliche Diskrepanz zwischen Propaganda und Wirklichkeit. Bereits im Mai hatte ein Arbeiter in einer Betriebsversammlung, über die das hallensische Parteiorgan mit dem Namen „Freiheit" berichtete, offen ausgesprochen:

„Kollegen, was sich jetzt bei uns tut, ist für uns als Arbeiter beschämend. 70 Jahre nach dem Tode von Karl Marx müssen wir noch über die elementarsten Lebensbedürfnisse debattieren. Wenn Karl Marx dieses ahnte, würde er sich im Grabe umdrehen. Es gibt nur einen Verbesserungsvorschlag, und der heißt: Zurück zur Vernunft!“

Und ein anderer Arbeiter fügte hinzu: „Wir wollen leben wie die Menschen, weiter wollen wir nichts!" Besser und eindringlicher lassen sich die Motive, die zum Juni-Aufstand führten, nicht darlegen. Er wurde aus sozialer Empörung geboren und hinter dieser Empörung stand von Anfang an der elementare Wille zur Freiheit lassen glaubten, sei noch nicht klar geworden, daß die Niederschlagung der „faschistischen Provokation“ auch ihnen nütze und die Grundlage für ihr weiteres Leben sei:

„Ihnen sind die Zusammenhänge noch nicht klar, daher haben sie nur ihre örtlichen und betrieblichen Forderungen im Auge. Und daher verlieren sie die entscheidende Tatsache aus dem Auge, daß die faschistische Provokation einsetzte, weil und nachdem die Regierung eine Kette von Maßnahmen beschlossen hatte — nicht nur, um berechtigte Forderungen der Werktätigen zu befriedigen, sondern um — das ist der neue Kurs! — ein solches Wirtschaftsleben und solche Verhältnisse in den Betrieben und in der ganzen Deutschen Demokratischen Republik zu schaffen, die verhindern, daß berechtigte Forderungen ein zweites Mal übersehen werden. Diese Arbeiter erkennen vor allem nicht, daß ihr schlimmster Feind, der amerikanische und deutsche Großkapitalist, der bei sich die Arbeiter tritt, Millionen auf die Straße setzt, verhungern läßt und demoralisiert, ihre Forderungen ausnutzt, um seine Ziele zu verwirklichen und zwar Ziele, die unweigerlich dazu führen müßten, daß die Sicherheit, das Leben der Arbeiter in der Deutschen Demokratischen Republik bedroht ist. Der großen Mehrheit der Arbeiter, die sich von den Provokateuren täuschen ließen, ist das blitzartig klar geworden, als sie einsahen, wie unter den Händen der Provokateure ihre mit Schweiß erarbeiteten Errungenschaften, Klubhäuser, Lehrlings-heime, Betriebskantinen durch Benzin und Phosphor in Flammen aufgingen. , Das ist nicht unser Wille', sagten sie. , Hier sind wir auf dem falschen Wege.'Die Partei wird in diesem Augenblick, der Taten fordert, dem Gegner nicht dadurch in die Hände spielen, daß sie ihre Kräfte in Erörterungen darüber erschöpft, wie es zu solchen Mißverständnissen bei einem Teil der Werktätigen kommen konnte.“ Bereits diese erste offizielle Stellungnahme des Zentralkomitees nach dem 17. Juni zeigt deutlich, daß die von der SED notgedrungen geübte Selbstkritik keinen grundsätzlichen Charakter hat und sich im wesentlichen auf das Eingeständnis eines psychologischen Versagens reduziert, während die Richtung der Gesamt-politik der Partei nicht in Frage gestellt wird. Die SED bedauert im Grunde lediglich, daß sie ihre politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen zu unvorsichtig dosiert hat, daß sie, wie Otto Grotewohl zugab, „zu einem Teil zu hastig, zu sprunghaft nach vorn gelaufen" sei und so die Verbindung zu den Massen verloren habe Aber bei der „Kluft zwischen der Partei, zwischen der Regierung und zwischen dem Volk" (Grotewohl) die sich auf diese Weise gebildet habe, handelt es sich nach der Erklärung des Zentralkomitees nur um „Mißverständnisse", die es auszuräumen gilt. Dabei wird von vornherein betont, daß die „ständige Steigerung der Arbeitsproduktivität“ nach wie vor die dringlichste Aufgabe sei.

Konzessionen im Rahmen des „Neuen Kurses"

So sollen die Konzessionen, die im Rahmen des sich schon hier als eine rein taktische Schwenkung entpuppenden „Neuen Kurses“ gemacht werden, einem doppelten Zweck dienen, nämlich einerseits die aufgeregte und aufsässige Bevölkerung möglichst schnell beschwichtigen und andererseits durch materielle Anreize ein besseres psychologisches Klima für die Erfüllung der Forderungen des Regimes an die „Werktätigen" schaffen. Die materiellen Erleichterungen und Versprechungen werden ergänzt durch den propagandistischen Versuch, die Bevölkerung und vor allem die Arbeiter davon zu überzeugen, daß sich der Aufstand gegen ihr ureigenstes Interesse gerichtet habe, wobei den Errungenschaften die Funktion zufällt, die sichtbar gewordene Diskrepanz zwischen den subjektiven Interessen der Arbeiter und ihrem angeblichen objektiven Klasseninteresse, das von der SED mit dem Staatsinteresse und der Staatsraison gleichgesetzt wird, zu überbrücken. Es darf allerdings füglich bezweifelt werden, ob der Hinweis auf solche, auch unter kapitalistischen keineswegs ungewöhnlichen Verhältnissen Errungenschaften wie Betriebskantinen und Lehrlingsheime, auf die es die Provokateure, wie das Zentralkomitee sich nicht entblödete zu behaupten, besonders abgesehen hatten, dazu angetan war, die durch die sowjetischen Bajonette in Schach gehaltenen Arbeiter mit dem SED-Regime auszusöhnen und ihren Zorn von ihren leibhaftigen Unterdrückern auf den imaginären „Klassenfeind“ abzulenken. Dieser Zweifel erscheint um so berechtigter, als das Bild, das die gleichzeitigen selbstkritischen Auslassungen von dem Zustand der sozialen Einrichtungen in den sowjetzonalen Betrieben zeichnen, alles andere als rosig ist: „Ob es sich um unzureichende Umkleideräume, falsche Regelung der Pausen, um fehlendes warmes Wasser zum Waschen, um schlechte Entlüftung, um die unzureichende und meist minderwertige Arbeitskleidung handelt, oder ob die Arbeiter vorschlugen, ihre An-und Abfahrt zum Betrieb besser zu regeln, so daß sie nicht vor und nach Schichtschluß mehrere Stunden auf der Bahn verbringen müssen — diese und viele andere Fragen des täglichen Lebens, der Versorgung, der Wohnung usw. bedrückten sie seit langem und wirkten sich auf ihre Arbeitsfreude lähmend aus.“ So heißt es jedenfalls in einem Artikel des „Neuen Deutschland“ vom 3. Juli 1953 in dem ein „Sofortprogramm zur Verbesserung der sozialen, hygienischen und sanitären Verhältnisse in Betrieben“ gefordert wird. Ein noch bezeichnenderes, wenn auch groteskes Licht auf die Errungenschaften, die das Regime als Beweise seiner Fortschrittlichkeit gewertet sehen will, wirft es, wenn „Der Kämpfer“ vom 4. Juli den „Genossen Langer" rühmte, weil er so heldenhaft seine Pflicht getan habe, als „die faschistischen Banden die Justiz-haftanstalt und andere volkseigene Einrichtungen in Halle vorübergehend besetzen konnten“ und damit versuchten, „unsere Errungenschaften" zunichte zu machen Diesem Zitat wird keineswegs zuviel Ehre angetan, wenn man es in seiner ungewollten Offenheit als Beleg dafür nimmt, daß von einem tiefgreifenden Wandel der SED-Politik nicht die Rede sein konnte. Schon kurz darauf, Ende Juli 1953, hielt es die SED für angebracht, mit der Entschließung der 15. Tagung des Zentralkomitees über den „neuen Kurs und die Aufgaben der Partei" die letzten illusionären Mißverständnisse zu beseitigen.

Generallinie war und bleibt richtig

Die „Generallinie war und bleibt richtig“, betonte die Entschließung und berief sich dabei auf die „großen historischen Erfolge“, die von der SED in ihrer kurzen Geschichte errungen worden seien: „Das Verdienst um diese wahrhaft großen Errungenschaften, die für immer in die Geschichte des deutschen Volkes eingezeichnet sind, kann niemand und nichts der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands nehmen.“ Es sei richtig gewesen, „daß unsere Partei sich auf die Arbeiterklasse und die werktätigen Bauern orientierte, daß sie kein Monopolkapital, keine Junker, keine faschistischen Organisationen und keine Kriegshetze zugelassen“ habe, daß sie „Deutschland auf den Weg des Sozialismus führte und in der Deutschen Demokratischen Republik mit der Errichtung des Sozialismus begann". Derartige Ruhmreden auf die eigenen Verdienste der diskreditierten Machthaber, die nur durch das Eingreifen der Besatzungsmacht ihrem Schicksal entgangen waren, konnten von der Bevölkerung nicht anders denn als Zeugnisse für einen beispiellosen Zynismus empfunden werden. Besonders aber die Arbeiter, von denen die offene Empörung ausgegangen war, weil sich das Regime über ihre „elementarsten Lebensbedürfnisse“ hinweggesetzt hatte, mußten sich verhöhnt fühlen, wenn die SED den neuen „demokratischen“ Staat, „in dem die Arbeiterklasse den entscheidenden Einfluß besitzt“, und die neue Wirtschaftsordnung, „in der für kapitalistische Ausbeutung kein Platz mehr ist", als die vornehmsten Errungenschaften pries, die der Einheitspartei zu verdanken seien

Aber die Unverfrorenheit der Juli-Entschließung wird noch weit übertroffen von den Ausführungen, mit denen Walter Ulbricht am 17. September 1953 auf der 16. Plenartagung des Zentralkomitees der SED die politischen und ökonomischen Aufgaben des Staates und der Partei im „neuen Kurs" erläuterte. In dieser aggressiven Rede stellte Ulbricht, unbekümmert um das Geschehene, wieder den Gedanken in den Vordergrund, daß es darum gehe, durch die werbende Wirkung der Errungenschaften auch die Arbeiter und die übrigen „demokratischen“ Kräfte in Westdeutschland von der Vorbildlichkeit der sowjetzonalen Ordnung zu überzeugen: „Niemals wird das deutsche Volk die großen demokratischen Errungenschaften in der Deutschen Demokratischen Republik aufgeben und die Rückkehr der Großkapitalisten und Großgrundbesitzer in der DDR zulassen. Im Gegenteil, das Beispiel der neuen Ordnung in der DDR wird der Arbeiterklasse und allen demokratischen Kräften in Westdeutschland ... die Kraft geben, gestützt auf die DDR, Westdeutschland von der Diktatur der Konzernherren, Bank-herren und Großgrundbesitzer zu befreien . . .

Die wichtigste Aufgabe nach den Wahlen (in der Bundesrepublik) ist die Gewinnung der Arbeiterklasse für das Programm der Nationalen Front ... Es wird um so eher gelingen, die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und die Zusammenarbeit der Arbeiterschaft Westdeutschlands und der DDR zu erreichen, je mehr das Beispiel der Arbeiter-un Plenartagung des Zentralkomitees der SED die politischen und ökonomischen Aufgaben des Staates und der Partei im „neuen Kurs" erläuterte. In dieser aggressiven Rede 13) stellte Ulbricht, unbekümmert um das Geschehene, wieder den Gedanken in den Vordergrund, daß es darum gehe, durch die werbende Wirkung der Errungenschaften auch die Arbeiter und die übrigen „demokratischen“ Kräfte in Westdeutschland von der Vorbildlichkeit der sowjetzonalen Ordnung zu überzeugen: „Niemals wird das deutsche Volk die großen demokratischen Errungenschaften in der Deutschen Demokratischen Republik aufgeben und die Rückkehr der Großkapitalisten und Großgrundbesitzer in der DDR zulassen. Im Gegenteil, das Beispiel der neuen Ordnung in der DDR wird der Arbeiterklasse und allen demokratischen Kräften in Westdeutschland ... die Kraft geben, gestützt auf die DDR, Westdeutschland von der Diktatur der Konzernherren, Bank-herren und Großgrundbesitzer zu befreien . . .

Die wichtigste Aufgabe nach den Wahlen (in der Bundesrepublik) ist die Gewinnung der Arbeiterklasse für das Programm der Nationalen Front ... Es wird um so eher gelingen, die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und die Zusammenarbeit der Arbeiterschaft Westdeutschlands und der DDR zu erreichen, je mehr das Beispiel der Arbeiter-und Bauernmacht in der DDR, die Überlegenheit der Planwirtschaft und die Errungenschaften unserer Werktätigen der Arbeiterklasse und der werktätigen Bevölkerung Westdeutschlands bewußt werden. Deshalb ist die konsequente Durchführung des neuen Kurses ... von so großer Bedeutung für die Gewinnung der werktätigen Bevölkerung in Westdeutschland. . . “

Versucht man die zitierten Kundgebungen der SED seit dem 17. Juni im Zusammenhang zu beurteilen, so schält sich die Tendenz heraus, den immer sichtbarer in die alten Bahnen zurücklenkenden „Neuen Kurs" als das folgerichtige, von bürokratischen Verzerrungen befreite Ergebnis der grundlegenden Errungenschaften des Regimes hinzustellen, wobei jede direkte Beziehung zwischen dem Fiasko der SED-Politik, das die Empörung auslöste, und dem Einschwenken auf die scheinbar neue Linie schließlich geleugnet wird. Doch so klar die Absicht hervortritt, mit Hilfe der Errungenschaften die Kontinuität der SED-Politik ideologisch zu untermauern und die Generallinie wieder in ihr altes Recht einzusetzen — als ob es niemals einen Bruch und niemals einen spontanen Aufstand der Bevölkerung gegen den verhaßten Unterdrückungsapparat gegeben hätte, so berechtigt sind die Zweifel an der propagandistischen Wirksamkeit des Verfahrens. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß in einem totalitären Staatswesen wie der Sowjetzonenrepu-blik Propaganda und Terror eine untrennbare Einheit bilden und daß die Propaganda, weit davon entfernt, sich auf die Überzeugungskraft ihrer Argumente zu verlassen, selbst als ein Teil des Terrorsystems verstanden werden muß, in dem physischer Zwang und psychischer Druck ineinandergreifen und sich gegenseitig ergänzen.

Harich erregt Anstoß

Die Bedeutung aber, die den Errungenschaften in diesem an anderer Stelle bereits geschilderten Zusammenhang zukommt, zeigt sich nach dem 17. Juni noch eindringlicher als vorher. Die bedrohten Errungenschaften sind das Standard-argument, mit dem die Unterdrückung aller selbständigen und selbstverantwortlichen Bestrebungen gerechtfertigt wird, die, ermutigt durch die Unsicherheit und das zeitweilige Zurückweichen der Machthaber, auf den verschiedensten Lebensgebieten auftraten, So hatten sich beispielsweise der Kulturbund und die Deutsche Akademie der Künste unterstanden, ein Mindestmaß schöpferischer Bewegungsfreiheit für die Künstler in der Zone zu fordern. Dabei ist es interessant, daß sich die vorsichtige Kritik an der Parteilinie ebenfalls, wenn auch in einem anderen Sinne, des Schlagwortes von den Errungenschaften bediente: Durch die staatliche Reglementierung der Kunst, erklärte der kommunistische Schöngeist Wolfgang Harich — der inzwischen trotz seiner loyalen Absichten zum Partei-und Staatsfeind gestempelt worden ist 14) und es schon damals wagte, sich selbständiger Gedanken verdächtig zu machen —, sei „das Ansehen der kulturellen Errungenschaften unserer Republik in ganz Deutschland geschädigt“ worden 15).

Trotz der Harmlosigkeit der hier gestellten Forderungen und der dazu noch mit Verbeugungen vor der Partei verbrämten Kritik fühlte sich die SED bemüßigt, mit Kanonen auf Spat-zen zu schießen. Was gefordert worden sei, betonte ein von Walter Besenbruch verfaßter und offensichtlich parteiamtlich inspirierter Artikel im „Neuen Deutschland“ vom 19. Juli 1953 16), sei die „Liquidierung der kulturell-erzieherischen Funktion des Staates". Die Folge sei, „daß opportunistische Tendenzen an die Oberfläche kommen und alle diejenigen Bestrebungen ermutigt werden, die darauf gerichtet sind, alle unsere bisherigen Errungenschaften im Kampf für eine nationale realistische Kunst zu beseitigen“. Der — oben zitierte — Artikel Harichs gebe dafür ein Beispiel: „Harichs Kritik ist eine Kritik, die alle errungenen Erfolge liquidieren würde, die die Schwierigkeiten unseres Kampfes mit den feindlichen Strömungen (Formalismus, Konstruktivismus usw.) sozusagen mit der linken Hand abtut, die die Schwierigkeiten unserer Lage nicht in erster Linie aus dem Fortleben und Fortwirken des Rückschrittlichen und der feindlichen Tätigkeit der Propagandisten des amerikanischen Imperialismus erklärt. Dem Verfasser dieser Kritik erscheinen als der Hauptfeind die Funktionäre unserer Partei und ihre Fehler.“ Damit aber sei der „objektiv feindliche Charakter seiner Ausführungen“ als erwiesen anzusehen, denn die Kunstpolitik der SED sei „trotz aller mit Recht zu kritisierenden Mißstände und Verzerrungen im Prinzip richtig" gewesen.

Ablehnung der Arbeiterforderungen

Peinlicher noch als das Verlangen nach künstlerischer Freiheit war für das Regime, daß aus den Kreisen der Arbeiter heraus, die während der Tage des Aufstandes ihre solidarische Kraft erprobt hatten, immer wieder unüberhörbar die Neutralität der Gewerkschaften gefordert wurde. Dieser Forderung trat Ulbricht selbst einen Monat nach dem 17. Juni entgegen, indem er behauptete, Neutralität heiße nichts anderes, „als daß die Arbeiterklasse auf die führende Rolle in der Deutschen Demokratischen Republik verzichten solle", Neutralität sei gleichbedeutend mit „sich passiv verhalten gegenüber den Agenten der Konzernherren, Bank-herren und der westlichen Kriegstreiber". Zwar könnten die Gewerkschaften „stolz auf ihre großen Errungenschaften hinweisen. Die Gewerkschaften waren es, die mitgeholfen haben, daß die Macht der Konzernherren, Bank-herren und Großagrarier beseitigt wurde, daß eine krisenlose Wirtschaft geschaffen werden konnte, daß heute die Arbeiterklasse die führende Kraft im Staate ist. Wenn jetzt die faschistischen Untergrundorganisationen im Auftrage amerikanischer und westdeutscher Konzern-und Bankherren die Gewerkschaften zersetzen wollen, und wenn diese Feinde sich durch vorbereitete Neuwahlen in die Betriebsgewerkschaftsleitungen einzuschleichen gedenken, so wird es höchste Zeit, daß die Gewerkschaftsmitglieder ihre Gewerkschaften schützen." Aus den Ereignissen der Junitage hätten die „Werktätigen" vor allem eines zu lernen, nämlich in welch hohem Maße sie selbst verantwortlieh seien „für die Sicherung ihrer demokratischen Errungenschaften“

Mit der gleichen Begründung verweigerte die SED auch den Arbeitern das Streikrecht, das ihnen die Verfassung formal garantierte und das sie im Juni für sich in Anspruch genommen hatten. So versuchte eine Funktionärin der SED-Bezirksleitung in Halle Anfang September 1953 im schönsten Stile kommunistischer Vulgärdialektik zu beweisen, daß die Arbeiter „ihr wichtigstes Kampfmittel gegen den Kapitalismus“ nicht gegen eine „Arbeiter-und Bauern-regierung", wie sie in der Sowjetzone bestehe, anwenden dürften: „Wenn ein Arbeiter gegen eine solche Regierung streikt, dann streikt er im Grunde gegen sich selbst, gegen seine eigene Klasse. Alle Er-rungenschaften unserer Arbeiterklasse werden durch einen solchen Streik gefährdet. Ein Streik in unserer Republik gefährdet nicht nur die Errungenschaften unserer Arbeiter-und Bauernmacht, sondern er gefährdet auch den Frieden unseres Landes und den Frieden in ganz Europa. Der 17. Juni war der sichtbarste Beweis dafür. .. Einen Streik in der Deutschen Demokratischen Republik zu proklamieren, ist eine Losung der Feinde, eine Losung der Kriegstreiber, ist ein Verbrechen an der Arbeiterklasse. Das muß von jedem Streik in der DDR gesagt werden. Auch wenn die Arbeiter meinen, damit nur wirtschaftliche Forderungen durchsetzen zu wollen. Die Errungenschaften in unserer Republik, für die die Arbeiter in den kapitalistischen Ländern heute noch einen erbitterten Kampf führen, sind das Ergebnis des Kampfes und der Arbeit unserer Werktätigen unter der Führung von Partei und Regierung. Der neue Kurs, der diese Errungenschaften festigt und weiter ausbaut, kann nur mit der Unterstützung aller Werktätigen verwirklicht werden ... Unsere Werktätigen müssen deshalb im festen Vertrauen zu unserer Partei und Regierung jeden Angriff auf die Macht der Arbeiter und Bauern entschlossen abwehren.“

Atmosphäre der Rechtsunsicherheit

Die SED konnte kaum erwarten, daß durch derartige Argumente die Einsicht in „die absolute und letztliche Einheit von Tagesinteressen der Arbeiter und Staatsinteressen“ gefördert werden würde. Aber ihr ging es auch weniger darum, die Arbeiter zu überzeugen als ihnen zu drohen. Die Drohung mit dem Terror war schon in den ersten offiziellen Stellungnahmen zu den Juniereignissen nicht zu verkennen gewesen. Denn die Einheitspartei hatte zwar zwischen den „ehrlichen" Arbeitern, die sich täuschen ließen, einerseits und den „Provokateuren“ und „Feinden" andererseits unterschieden: jedoch keiner der am Aufstand Beteiligten durfte aus dieser Unterscheidung schließen, daß ihm Generalpardon erteilt worden sei. Die Partei behielt sich vielmehr vor, den Einzelnen nach Gutdünken in die eine oder in die andere Gruppe einzureihen und erzeugte so ganz bewußt eine Atmosphäre der Rechtsunsicherheit und des »schlechten Gewissens“. Selbst wer sich noch so sehr mühte, das Regime durch Wohlverhalten und Arbeitsleistung von seiner Loyalität zu überzeugen, durfte sich nicht in Sicherheit wiegen. Wer es aber wagte, sich auch noch so vorsichtig für eine wirksame Vertretung der Arbeiterinteressen in der Sowjetzonenrepublik einzusetzen, mußte sehenden Auges Gefahr laufen, sich als „Feind“ klassifizieren zu lassen. Diese Gewißheit vermittelte die Propaganda des Regimes den „Werktätigen": und sie tat es um so deutlicher, je mehr der durch den Aufstand in seiner Funktionsfähigkeit erschütterte staatliche Zwangsapparat sich wieder zu festigen vermochte. Hinzu kam, daß das Regime nicht bei den Drohungen stehen blieb, sondern sehr bald zeigte, daß es gewillt war, ohne Hemmungen und Gewissensbisse zuzuschlagen. Schon im Juli wurde den Justizorganen der Zone, die zunächst nur zögernd eingegriffen hatten und geneigt gewesen waren, die vor Gericht gestellten Teilnehmer des Aufstandes verhältnismäßig milde zu beurteilen, bedeutet, daß den angeblichen Provokateuren gegenüber keinerlei humanitäre Rüdesichten angebracht seien In der Folge inszenierte die SED besonders in den Betrieben ein wahre Entlarvungshysterie, mit der eine großangelegte Säuberung der Parteiorganisationen Hand in Hand ging, die selbst vor den Spitzenfunktionären nicht halt machte und der bezeichnenderweise ein besonders hoher Prozentsatz von alten KPD-Mitgliedern aus der Zeit vor 1933 zum Opfer fiel Ein eindringliches Beispiel für die sich bis zum Herbst ständig steigernde terroristische Verschärfung des „Neuen Kurses" gibt ein Artikel, den das Gewerkschaftsorgan „Die Arbeit" im Oktober 1953 unter der Überschrift: „Rechnet ab mit Provokateuren und Agenten!" veröffentlichte. Am 17. Juni habe sich gezeigt, heißt es dort, „daß Teile der Arbeiterschaft den Charakter unserer Staatsmacht ungenügend erkennen und ihnen das Gefühl der Verantwortung für unseren Arbeiter-und Bauernstaat fehlt"; es gebe „sogar Gewerkschaftsfunktionäre, die sich irreführen ließen, die objektiv die Zersetzungsversuche des Gegners unterstüzten, indem sie z. B. unerfüllbare ultimative . Forderungen" einfach nach oben weiterleiteten bzw. sich mit Provokateuren an einen Tisch setzten, mit ihnen verhandelten, anstatt sie öffentlich zu entlarven". Auch heute, wo die „Feinde" versuchten, „neue willfährige Werkzeuge für ihre verbrecherischen Ziele zu werben", bestehe unter den Gewerkschaftsfunktionären und „Werktätigen" noch vielfach Unklarheit darüber, welche Stellung sie gegenüber „Agenten und Provokateuren“ einzunehmen hätten. Das sei um so gefährlicher, als die westlichen Monopolisten mit der „sogenannten Pakethilfe“ eine „Erpressungsaktion großen Stils“ vorbereiteten: „Wir können nicht abwartend beiseite stehen, bis unbelehrbare Menschen den Preis ihrer Bettelpakete mit Wühlarbeit und Sabotageakten gegen unsere Republik teuer bezahlen. Wir dürfen nicht untätig zusehen, wie sich unsere Tod-feinde vorbereiten, um eines Tages unsere volks-eigenen Betriebe zu rauben, unsere großen Errungenschaften zunichte zu machen. Es steht zuviel auf dem Spiel, als daß wir auch nur einen Augenblick mit dem Zuschlägen zögern könnten!" Die innere, Schwäche des SED-Staates, dessen „große Errungenschaften" als so wenig attraktiv hingestellt werden, daß schon westliche Lebensmittelspenden das Fundament der Staatsmacht zum Einsturz zu bringen drohen, ließe sich durch keine gegnerische Polemik und durch keine noch so tief eindringende wissenschaftliche Analyse schlagender belegen als durch derartige Selbstenthüllungen der sowjetzonalen Publizistik. Wichtiger aber noch als dieser Sachverhalt ist es, daß die SED kein Mißverständnis darüber aufkommen läßt, wo die „Provokateure und Agenten der westdeutschen und amerikanischen Kriegstreiber" zu suchen sind, mit denen sie erbarmungslos abrechnet: diejenigen, die „in den letzten Tagen und Wochen" als „Feinde unseres jungen Arbeiter-und Bauernstaates gebrandmarkt" wurden, mußten „aus den Betrieben entfernt" und „aus den Ge-werkschaften ausgeschlossen" werden Das Ziel der Hexenjagd sind also Arbeiter und Angestellte der volkseigenen Industrie und Gewerkschaftsfunktionäre, die noch nicht jedes Gefühl für die Nöte der Arbeiter verloren und es gewagt hatten, sich für ihre Interessen einzusetzen.

Weil der „Arbeiter-und Bauernstaat" sich durch nichts so sehr bedroht fühlte wie durch die Solidarität der Arbeiter, die sich am 17. Juni gezeigt hatte, lieferte er Arbeiter der Terrorjustiz aus und forderte von den „Richtern aus dem Volke“, wie er seine abhängigen Schergen betitelte, sie müßten „auf der Wacht stehen wie Soldaten, die die Errungenschaften der Arbeiterklasse schützen" — in erster Linie gegen die Arbeiter selbst, so können wir hinzufügen, und mit ihnen gegen den größten Teil der Sowjetzonenbevölkerung. Bei der Terror-justiz aber war das, was die SED mit der Sicherung der Errungenschaften umschrieb und womit in Wirklichkeit die Aufrechterhaltung des diktatorisch-bürokratischen Regimes gemeint war, in entschieden besseren Händen als bei den unzuverlässigen Arbeitern, denen es nach wie vor schwerfiel einzusehen, daß sie sich um der -para diesischen Zukunft willen gegen ihre eigenen handgreiflichen Interessen schützen müßten. So erscheint es keineswegs zufällig, daß die Errungenschaften auch in Urteilsbegründungen sowjetzonaler Gerichte Eingang fanden und daß beispielsweise die Zurückweisung eines Kassationsantrages u. a. damit begründet wurde, die Angeklagten hätten sich „nicht mit den fortschrittlichen Errungenschaften unserer Gesellschaftsordnung abfinden" können

Kampf gegen die „Konterrevolution 7 in Ungarn

Vom 17. Juni 1953, der die im ganzen sowjetischen Satellitenbereich schwelende Glut zum erstenmal mächtig zum Aufflammen brachte, bis zu den Ereignissen des Jahres 1956 in Polen und Ungarn führt ein gerader Weg. Während es jedoch in Polen gelang, einerseits durch das Einschwenken auf einen reformistischen Kurs die Empörung abzufangen, andererseits durch vorbildliche nationale Selbstdisziplin und geschicktes Taktieren gegenüber den Moskauer Machthabern einer sowjetischen Intervention zu entgehen, wurde die von einem ungeheuren Elan beflügelte ungarische Revolution durch die eingreifenden Sowjettruppen in einem Blutbad erstickt.

Es unterstreicht die paradigmatische Bedeutung der ideologischen und propagandistischen Reaktion des mitteldeutschen SED-Regimes auf den Juniaufstand, daß sowohl von sowjetischer Seite als auch von den ungarischen Statthaltern der Sowjetunion, deren vornehmste Aufgabe darin bestand, den von den Revolutionären zerschlagenen Terrorapparat zu rekonstruieren, die brutale Vergewaltigung des ungarischen Volkes mit der Begründung gerechtfertigt wurde: es gehe um nichts anderes als um die Verteidigung der Errungenschaften eben dieses Volkes. In diesem Sinne erklärte Suslow auf der Festsitzung des Moskauer Sowjet am 6. November 1956, durch einen Sieg der Aufständischen hätten „die ungarischen Werktätigen alle von ihnen im Kampfe gegen die Großgrundbesitzer und Kapitalisten erzielten Errungenschaften" verloren; die sowjetischen Truppen seien eingeschritten, um „dem ungarischen Volk zu helfen, die finsteren Kräfte der Reaktion und der Konterrevolution zu zerschlagen" und „die sozialistische Volksordnung wiederzuerrichten". Sie hätten, gemeinsam mit den „sozialistischen Kräften Volksungarns“, nicht zugelassen, „daß die Kon-terrevolution die Errungenschaften des Sozialismus mit Füßen tritt". Chruschtschow selbst argumentierte in der gleichen Weise. Es sei, so betonte er ausgerechnet bei einem Empfang in der Moskauer polnischen Botschaft, eine gefährliche Situation entstanden, „in der alle Errungenschaften der volksdemokratischen Ordnung Ungarns bedroht waren. Die Revolutionäre Arbeiter-und Bauernregierung Ungarns wandte sich an uns mit der Bitte, ihr im Kampf gegen die zügellosen Konterrevolutionäre zu Hilfe zu kommen, um die Errungenschaften des Sozialismus in Ungarn zu verteidigen, und wir waren gezwungen, ihr diese Hilfe zu gewähren. Wir glauben, daß das ungarische Volk die wirklichen Ziele der Unruhestifter in Ungarn verstehen wird. Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß die Konterrevolution in Ungarn endgültig zerschlagen und die ungarische Arbeiterklasse ihren Sieg feiern wird.“ Wie sorgfältig die sowjetischen Instanzen die offizielle Sprachregelung beachteten, geht auch daraus hervor, daß der Militärbefehlshaber der sowjetischen Truppen in Budapest seinen Befehl Nr. 1 vom 6. November mit der Präambel einleitete: „Auf die Bitte der Ungarischen Arbeiter-und Bauernregierung sind die sowjetischen Truppen vorübergehend in Budapest einmarschiert, um dem ungarischen Volk zu helfen, seine sozialistischen Errungenschaften zu schützen, die Konterrevolution zu unterdrücken und die Drohung des Faschismus zu beseitigen.“

So klingen die sowjetischen Stimmen wie ein Echo auf die ersten Verlautbarungen der Marionettenregierung Kadar, die am 4. November mit zwei durch den Rundfunk ausgestrahlten, aber nicht von ungarischem Boden ausgesendeten Aufrufen an die Öffentlichkeit getreten war. Zunächst war eine Erklärung von Ferenc Münnich verbreitet worden, in der es hieß, die unterzeichneten ehemaligen Minister der Regierung Imre Nagy hätten die Initiative zur Bildung einer Gegenregierung — der „Ungarischen Revolutionären Arbeiter-und Bauernregierung“ — ergriffen, um die „konterrevolutionäre Gefahr" zu bannen, „welche eine stetige Bedrohung darstellt für unsere Volksrepublik, für die Arbeiterschaft sowie für unsere sozialistischen Errungenschaften". Kurze Zeit darauf, um sechs Uhr früh, folgte eine Ansprache Kadars, die vermutlich vom Tonband gesendet wurde; denn es scheint festzustehen, daß sich der neue Ministerpräsident am 4. November weit ab von den Ereignissen in Moskau befand und erst am 6. oder 7. wieder in Budapest eintraf Diese Ansprache, in der sich Kadar wiederholt auf die bedrohten Errungenschaften berief, gipfelte in der Aufforderung: „Ungarn, Brüder, Patrioten, Soldaten und Bürger! Wir müssen den Exzessen der konterrevolutionären Elemente ein Ende setzen. Die Stunde des Handelns ist gekommen! Wir werden die Arbeiter-und Bauernmacht und die Errungenschaften der Volksdemokratie verteidigen."

Die These von dem gegenrevolutionären Charakter der ungarischen Erhebung wird von dem Bericht des Sonderausschusses der Vereinten Nationen schlagend widerlegt, der auf Grund einer gewissenhaften, unparteiischen Untersuchung zu dem Schluß kommt, daß weder die Regierung der UdSSR noch die Regierung Kadar irgendetwas vorzubringen wußten, was „als objektive Darstellung der Tatsachen, die hinter dem ungarischen Aufstand standen, hätte angesehen werden können"; ihre Beweisführung habe sich vielmehr darin erschöpft, „die Ereignisse in ein vorgefaßtes Schema einzupassen.“ Die Gegenrevolution, die wirklich stattgefunden habe, sei durch die sowjetischen Machthaber durchgeführt worden, „als sie mit Hilfe überwältigender Streitkräfte ein sozialistisches, aber demokratisches Regime, das im Begriff war, sich in Ungarn zu bilden, durch einen Polizeistaat ersetzten."

Der UNO-Bericht

Der Bericht stellt fest, daß die Regierung Imre Nagys vom Vertrauen aller Kreise des ungarischen Volkes getragen war und hauptsächlich das ausführte, was die Revolutionsund Arbeiterräte, in denen kommunistische Arbeiter und kommunistische Intellektuelle eine führende Rolle spielten, von Anbeginn des Auf-standes gewollt hatten Von keiner Gruppe seinen dabei restaurative Pläne verfolgt worden. Die kommunistischen Schriftsteller und Studenten, die sich die Forderungen des Volkes zu eigen machten, beabsichtigten nicht, mit ihrer Kritik die Prinzipien des Kommunismus zu erschüttern, sondernbemühten sich zu zeigen, „daß das Regierungssystem, das in Ungarn bestand, eine Verdrehung dessen war, was sie den wahren Marxismus nannten." Die Arbeiter wehrten sich zwar gegen das ausbeuterische „Normensystem", aber niemand dachte daran, den sozialistischen Aufbau der Volkswirtschaft anzutasten Die Bauern lehnten sich gegen die Zwangskollektivierung und die andauernden Schikanen, denen sie ausgesetzt waren, auf; doch die Rüdegabe der Ländereien an die ehemaligen Gutsbesitzer scheint nirgendwo zur Debatte gestanden zu haben Auch die nichtkommunistischen Parteien, die im Verlauf der Erhebung wieder erstanden, wiesen jeden Gedanken an eine Restauration strikt zurück. „Laßt niemanden von der Rückkehr der alten Zeit träumen", erklärte Bela Kovacs, der Führer der Partei der Kleinen Landwirte am 31. Oktober, „die Welt der Grafen, Bankiers und Kapitalisten ist für immer vergangen." Die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Anna Kethly, betonte am 1. November: „Die Fabriken, die Bergwerke und das Land sollen in den Händen des Volkes bleiben." Und der Generalsekretär der Petöfi-Partei, Staatsminister Ferenc Farkas, faßte am 3. November die gemeinsame Auffassung der vier Parteien, die in der an diesem Tage umgebildeten Regierung Nagy vertreten waren, in dem Satz zusammen: „Von den sozialistischen Errungenschaften und Ergebnissen wird alles beibehalten, was in einem freien, demokratischen und sozialistischen Land den Wünschen des Volkes entspricht." Im gleichen Sinne äußerte der kommunistische Staatsminister Losoncy, ebenfalls am 3. November, auf einer Pressekonferenz für ungarische und ausländische Journalisten: „Die Regierung hat einstimmig erklärt, daß sie die positiven Errungenschaften der vergangenen zwölf Jahre nicht schmälern lassen wird. Das bezieht sich zum Beispiel auf die Bodenreform, die Nationalisierung der Fabriken und auf gewisse soziale Leistungen. In gleicher Weise besteht aber die Regierung darauf, daß die Errungenschaften der gegenwärtigen Revolution unangetastet bleiben, vor allem die nationale Unabhängigkeit, die Gleichberechtigung und der Aufbau des Sozialismus auf der Grundlage der Demokratie und nicht der Diktatur. Die Regierung ist jedoch entschlossen, eine Wiederherstellung des Kapitalismus in Ungarn nicht zu dulden .. Die „positiven Errungenschaften der vergangenen zwölf Jahre“ wurden also von keiner Seite in Frage gestellt. Und wenn sich sowohl die Sowjets als auch die von ihnen eingesetzte Regierung Kadar, die — abgesehen von „einigen Mitgliedern der ehemaligen AVO (Staatssicherheitspolizei), einigen höheren Offizieren der ungarischen Armee und einigen wenigen früheren Funktionären der kommunistischen Partei, die während des Aufstandes entlassen worden waren" — über keine Gefolgschaft im Lande verfügte, auf die gefährdeten sozialistischen Er-rungenschaften beriefen, um die Niederschlagung der Revolution zu rechtfertigen, so gaben sie vor, etwas zu verteidigen, was überhaupt nicht bedroht war. Denn alle Repräsentanten der revolutionären Kräfte, auch die aus dem nichtkommunistischen Lager, hatten sich eindeutig für die Beibehaltung der sozialistischen Errungenschaften eingesetzt. Worum es in Wirklichkeit ging, das waren die freiheitlichen „Errungenschaften der gegenwärtigen Revolution“ die „wiedergewonnenen demokratischen Errungenschaften“ die immer wieder als die „Errungenschaften der Revolution“ schlechthin angesprochen wurden. Von diesen demokratischen Errungenschaften aber war in den Verlautbarungen der Regierung Kadar vom 4. November und in den sowjetischen Stellungnahmen keine Rede. Das Bekenntnis der ungarischen Revolution zum Sozialismus vermochte den Sowjets nicht zu genügen, weil es sich mit dem Willen zu demokratischer Freiheit und Unabhängigkeit nach innen und nach außen verband.

Kein Bürgerkriegscharakter der Kämpfe

Die überwältigende Kraft dieses Freiheitswillens geht schon daraus hervor, daß trotz der Aufforderung der Regierung Kadar an die ungarischen „Arbeiter, Bauern und Soldaten", den Kampf mit den „Mächten der Reaktion“ aufzunehmen, die Kämpfe in Ungarn vom 4. bis 11. November 1956 keinen Bürgerkriegscharakter hatten, sondern sich ausschließlich zwischen Ungarn einerseits und sowjetischen Streitkräften andererseits abspielten Auch die „echten ungarischen Kommunisten" sahen ihren Platz „auf den Barrikaden, auf denen unsere ungarischen Brüder den fast hoffnungslosen Kampf gegen einen brutalen Imperialismus fortsetzten“ Es ist bezeichnend, daß die sowjetischen Truppen in den Hochburgen der ungarischen Arbeiterschaft wie auf der Budapester Donauinsel Csepel und in den Stahlwerken von Dunapentele auf den stärksten und hartnäckigsten bewaffneten Widerstand trafen und daß es nach der Niederschlagung des Aufstandes wiederum die Arbeiter waren, „die durch Massenstreiks und passiven Widerstand den Kampf gegen das Regime fortsetzten, zu dessen Unterstützung die Sowjettruppen eingegriffen hatten" So beschlossen beispielsweise Mitte November die rund vierzigtausend Arbeiter der großen Eisenwerke von Csepel, im Ausstand zu verharren, um ihre Forderung nach der Wieder-einsetzung Imre Nagys Nachdruck zu verleihen, der, wie Mitglieder des dortigen Arbeiterrates erklärten, der einzige sei, „dem sie zutrauten, die Errungenschaften der Revolution zu erhalten"

Da die Kadar-Regierung, die ihre Existenz einzig und allein der zweiten sowjetischen Intervention verdankte, auf die einmütige Ablehnung des ungarischen Volkes stieß, sah sie sich zunächst veranlaßt, in ihren Erklärungen von den Praktiken der durch die Revolution gestürzten Machthaber abzurücken und weitgehende Reformen zu versprechen Auf dieser Linie lag es, daß Kadar noch Ende November eine mögliche Erweiterung der Regierung durch Nichtkommunisten in Aussicht stellte, wobei er — wie er es bereits am 4. November in seiner ersten Kundgebung getan hatte — zur Bedingung machte, daß diese nichtkommunistischen Persönlichkeiten „die sozialistische Ordnung anerkennen und bereit sind, für die Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften und den Aufbau des Sozialismus zu arbeiten“ Daraufhin stellten die nichtkommunistischen Parteien und andere Organisationen in einer Denkschrift vom 8. Dezember ein 10-Punkte-Programm auf und umrissen ihrerseits die Bedingungen für eine Teilnahme an der Regierung. Das Ziel sei, so hieß es in dieser Denkschrift, „die Freiheit und die Unabhängigkeit des Landes zu schützen; die Ergebnisse, die der Sozialismus bis heute gezeigt habe, zu sichern; die demokratischen Errungenschaften der Revolution zu festigen und gesetzlich zu verankern; unter ihnen die Arbeiterräte und ihre Autonomie, das Streikrecht, die Freiheit der Entscheidung für die Bauern; die Abschaffung der Ernteablieferungen und schließlich dem Einparteisystem ein Ende zu machen" Wie schon in den Verlautbarungen der nichtkommunistischen Gruppen aus den Tagen vor dem Eingreifen der Sowjettruppen ist in der Denkschrift keinerlei antisozialistische oder antikommunistische Tendenz festzustellen. Es wird vielmehr ohne weiteres anerkannt, daß die kommunistische Partei eine wichtige Rolle spielen müsse und für das politische Leben in Ungarn notwendig sei; denn die Revolution habe bewiesen, „daß die große Masse der ungarischen Kommunisten den oben erwähnten Prinzipien zustimmte". Schließlich erklärt es das Memorandum für unerläßlich, dem ungarischen Volk das Vertrauen und die Unterstützung der Sowjetunion zu gewinnen. Viele der bestehenden Schwierigkeiten seien auf Fehlinformationen über den Zweck und den Charakter der ungarischen Revolution zurückzuführen, die die Regierung der UdSSR daran gehindert hätten, zu erkennen, daß die revolutionären Kräfte einmütig auf der Seite des Sozialismus standen und bereit waren, die sozialistischen Errungenschaften gegen jeden konterrevolutionären Angriff zu verteidigen Die Hauptbedingung Kadars, nämlich die Bereitschaft zur Verteidigung der sozialistischen Nachkriegserrungenschaften, war also ausdrücklich akzeptiert worden Aber diese Bedingung verschleierte nur die wirklichen Ziele, die die ungarische Satellitenregierung im Auftrage Moskaus zu verfolgen hatte. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, um mit der Regierungserklärung über die wichtigsten Aufgaben vom 6. Januar 1957 zu sprechen, „die verlogene Forderung nach . Demokratie und Freiheit’ “ zum Verstummen zu bringen. Und wenn es in der zitierten Regierungserklärung weiter heißt: „Zu dieser Frage haben wir klar und unzweideutig erklärt; In Ungarn besteht die Diktatur des Proletariats“, so kommentiert dieser Satz am besten, welche Vorstellungen sich für das Regime mit der Formel von der Verteidigung der „Errungenschaften der sozialistischen Revolution", der „Errungenschaften der vergangenen zwölf Jahre“ oder der „seit der Befreiung erreichten sozialistischen Errungenschaften“ verknüpften.

Restauration des totalen Regimes

Unter dem Vorwand der Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften wurde das ungarische Volk der demokratischen Errungenschaften, für die es einen blutigen Verzweiflungskampf geführt hatte, beraubt, um die Aufrechterhaltung der sowjetischen Oberherrschaft über das nach Freiheit und Unabhängigkeit verlangende Land zu sichern. Eines der wesentlichsten Ergebnisse dieser Politik der Restaurierung des totalitären Regimes war die Entmachtung der Arbeiterräte für deren Rechte das ungarische Proletariat einen erbitterten Kampf führte und die es als die wichtigste der freiheitlichen Errungenschaften der Revolution zu behaupten versuchte. Erst die Unterdrückung der Arbeiter schuf die Voraussetzung für eine Wiederbefestigung der angeblichen „Diktatur des Proletariats“, die sich einmal mehr als Diktatur gegen das Proletariat erwies. Wie in der „Deutschen Demokratischen Republik" Walter Ulbrichts nach dem 17. Juni 1953 wurde auch in Ungarn das Interesse des sowjethörigen Re-gimes in dialektischer Verdrehung der Tatsachen mit den Interessen der Arbeiterklasse gleichgesetzt. In diesem Sinne sind die folgenden Ausführungen, die Kadar im Mai 1957 in der ungarischen Nationalversammlung machte, als eine geradezu klassische Definition der Merkmale einer proletarischen Diktatur nach sowjetischem Vorbild zu werten: „Meiner Meinung nach ist es nicht die Aufgabe der Führung, die Wünsche und den Willen der Massen zu erfüllen... Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe der Führung, das Interesse der Massen in die Tat umzusetzen ... In der jüngsten Vergangenheit ist uns das Phänomen begegnet, daß gewisse Kategorien von Arbeitern gegen ihre eigenen Interessen handelten. In diesem Falle ist es die Pflicht des Führers, das Interesse der Massen zu vertreten und nicht mechanisch ihre falschen Ideen auszuführen. Wenn der Wunsch der Massen nicht mit dem Fortschritt übereinstimmt, muß man die Massen in eine andere Richtung lenken."

Die Feststellung der polnischen Publizistin Edda Werfel, daß die Absage an den Stalinismus „eine neue revolutionäre Errungenschaft unserer Partei in der Arbeiterbewegung“ darstelle, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Geist, in dem sich die Auseinandersetzungen in den Reihen der kritischen intellektuellen Vorhut der kommunistischen Partei Polens vollzogen. Diese Auseinandersetzungen dauerten, als Gomulka im Oktober 1956 an die Spitze der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gerufen wurde, schon über ein halbes Jahr an. Die Ergebnisse des XX. Parteitages der Kommunistischen Partei der Sowjetunion hatten in Polen ein besonders nachhaltiges Echo gefunden; und nachdem der Posener Aufstand vom Sommer 1956 jeden Zweifel über die wirkliche Stimmung des Volkes beseitigt hatte, strebte die Diskussion ihrem Höhepunkt zu. Dabei wurde immer deutlicher, daß es nicht nur um eine Verdammung der stalinistischen Entartungen, sondern um eine radikale Kritik an den grundlegenden Prinzipien des sowjetisierten Kommunismus ging. So heißt es in einem Ende 1956 erschienenen Artikel des Journalisten Krzystof Wolicki: „Man kann sich nicht vom Stalinismus los-sagen, wenn man sich nicht gleichzeitig von gewissen Illusionen freimacht, die er nicht allein im Hirn der Kommunisten, sondern aller Menschen heraufbeschworen hatte. Wir haben mehr als einen schmutzigen Kübel auf die . Agitation und Propaganda'jener Epoche ausgeschüttet, und das mit Recht. Ich befürchte aber, daß wir zumindest in einem Punkt ihre Wirksamkeit unterschätzt haben. Die sogenannte Schönfärberei der Wirklichkeit hatte nämlich einen tieferen Sinn als nur den, die Wahrheit zu verbergen. Jene verbrämte Wirklichkeit der Propaganda, Literatur und ideologischen Schulung

Die Lage in Polen

Wenn Kadar — auf die gleiche Weise wie drei Jahre zuvor Ulbricht — die Empörung des Volkes und der Arbeiterschaft mit der Vergewal-tigung der Freiheit im Namen des „Fortschritts“ beantwortete, so zeigt sich vor diesem Hintergrund besonders eindringlich, was demgegenüber der Sieg der reformistischen Kräfte in Polen bedeutet. nahm nämlich nach und nach die Merkmale einer idealen Welt an, die unmittelbar zu verwirklichen war. Einerseits hieß es, daß es jetzt schon so sei, wie es sein soll. Dies blieb freilich ohne Wirkung, da die lebendige Praxis des Menschen trotz allem immer stärker als die Propaganda ist. Andererseits aber gebar jene Verwechselung des . Seins'mit dem , Seinsollenden'— eine Verwechslung, die es unmöglich machte, nach Wegen zu suchen, die zu dem Zustand, wie er faktisch .sein sollte', hinführen — ein reales sozialpsychologisches Phänomen: den Glauben an die Möglichkeit der sofortigen Verwirklichung jenes . Seinsollenden'auf gewaltsame Art und Weise durch irgendeinen, aber einmaligen Coup oder durch ein Wunder. Man kann den Menschen nicht dauernd ungestraft von Idealen predigen, die mit der Praxis in auffälliger Weise kollidieren. Die Illusionen, von denen hier die Rede ist, haben eine kollossale Reichweite. In der Ideologie drücken sie sich durch den Verlust des historischen Denkvermögens aus. Viele Jahre hindurch haben wir uns und anderen einzureden versucht, daß wir sehr bald, sofort nach diesem einen Fünfjahrplan, ein Land der ewigen Glückseligkeiten sein würden . .. Die Staatsräson unseres Landes, eines sozialistischen Landes, ist ein Werkzeug zur Realisierung einer besseren Welt. Das ist sehr viel. Das ist sogar etwas ganz Sauberes, obwohl sie zum Ausgangspunkt keine hochtrabenden Worte, sondern die manchmal nicht gerade saubersten Realia der Welt von Anno Domini 1956 nimmt."

Ein neues Verhältnis zur Wirklichkeit

Das Bemerkenswerteste an diesem Artikel ist das ernsthafte Bemühen um ein neues Verhältnis zur Wirklichkeit, das zugleich als neues Verhältnis zum Menschen aufgefaßt sein will. Indem die Verwechslung des Seins mit dem Sein-sollenden und die Rechtfertigung der gegenwärtigen Verhältnisse durch die ideologisch in die Gegenwart hineinprojizierte Zukunft ausdrücklieh zurückgewiesen werden, erhält die Gegenwart ihr eigenes Recht zurück, und „die lebendige Praxis des Menschen" in dieser seiner Gegenwart wird zum entscheidenden Kriterium sozialistischen Handelns und sozialistischer Politik. In jener „verbrämten Wirklichkeit der Propaganda, Literatur und ideologischen Schulung" aber, die „die Merkmale einer idealen Welt“ angenommen habe, ist unschwer die verzerrte Wirklichkeit der sowjetkommunistischen Vulgärdialektik wiederzuerkennen, in der die Errungenschaften das noch nicht Erreichte vorweg-nehmen Zwar sollte nicht verkannt werden, daß die sehr differenzierte polnische Entwicklung kaum auf einen eigentlichen Nenner zu bringen und ihr Ende noch nicht abzusehen ist. Schon weil der politische Kurs Gomulkas, der nicht nur Rückfällen in den als stalinistisch abgestempelten sowjetkommunistischen „Konservatismus“, sondern auch außenpolitisch gefährlichen Zugeständnissen an den betonten „Revisionismus“ der avantgardistischen Intellektuellen in den Reihen seiner Partei aus dem Wege zu gehen sucht, durch vielfache Rücksichten, besonders auf die verzweifelte Wirtschaftslage des Landes und auf den übermächtigen sowjetischen Nadibarn, beeinflußt wird, muß er in sich widerspruchsvoll erscheinen. Trotz aller Vorsicht jedoch, die bei der Beurteilung der polnischen Entwicklung geboten ist, schält sich das neue Verhältnis zur Wirklichkeit, das der oben zitierte Artikel so eindrucksvoll demonstriert, als wesentlicher Zug der Gesamtbewegung heraus. Ein wichtiges Indiz dafür ist in der Sinnveränderung zu sehen, den der Begriff der Errungenschaften in Äußerungen polnischer Politiker und in polnischen Pressestimmen erfahren hat. Wenn man auch an dem schnellen Aufstieg der polnischen Industrie in den letzten Jahren kaum Zweifel hegen könne, schrieb der Publizist Jerzy Putrament im Oktober 1956, so seien doch „die Kosten dieses Aufstiegs ungleich höher gewesen als die Errungenschaften", zumal das bisherige System nur unter bestimmten politischen Voraussetzungen habe existieren können, „z. B. nur mit Unterdrückung der Kritik und Polizeiterror, also unter den Voraussetzungen eines Ausnahmezustandes, der in unserem Lande zu Stalins Zeiten herrschte." Gomulka selbst setzte sich um die gleiche Zeit in seiner großen Programmrede vor dem VIII. Plenum des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiter-Partei in der er es begrüßte, daß nach dem XX. Parteitag der KPdSU die „stummen versklavten Gemüter“ in Polen begonnen hätten, „das Gift der Lüge, Falschheit und Heuchelei auszuscheiden", mit den „bisherigen Errungenschaften" auseinander. Es stehe ihm fern, erklärte er, „die Errungenschaften unseres Landes in irgendeiner Weise schmälern zu wollen", doch halte er es für nötig, „die Entwicklung unserer wirtschaftlichen Errungenschaften im letzten Sechsjahrplan einer Prüfung zu unterziehen“. Im einzelnen stellte Gomulka u. a. die Frage, ob man wohl die Errichtung einer neuen

Autofabrik, die „bei übermäßig hohen Produktionskosten eine verschwindend kleine Anzahl von Kraftwagen eines veralteten Typs herstellt, die viel Brennstoff fressen und die heute kein Mensch mehr produziert", „als Errungenschaft und als Erhöhung der Produktionskapazität unserer Industrie" bezeichnen könne. In beiden Fällen, bei Gomulka wie bei Putrament, hat der Begriff der Errungenschaften den zentralen Ort verloren, den er im Koordinatensystem der Sowjetideologie noch heute beansprucht. Er tritt uns vielmehr in einer entsowjetisierten und damit weitgehend entideologisierten Form entgegen. Daß auch Gomulka ihn keineswegs zufällig in dieser Weise verwendet, zeigt beispielsweise die Rede, die er ein Jahr später, Ende Oktober 1957, vor dem X. Plenum des Zentralkomitees hielt Wenn er feststellt, daß ein beträchtlicher Teil der Arbeiter durch ihre berechtigte Enttäuschung dazu gebracht worden sei, „selbst die großen wirtschaftlichen Errungenschaften des Planes zu übersehen“, so geht zwar daraus hervor, daß er diese Errungenschaften, also vornehmlich die Erhöhung der polnischen Produktionskapazität in der Periode des Sechsjahrplans ab 1950, als entscheidende Schritte auf dem Wege der polnischen Wirtschaftsentwicklung und als Bausteine des Sozialismus gewertet sehen will; aber nicht minder deutlich wird es, daß er ihnen nicht die absolute Beweiskraft beilegt, die sie in der sowjetischen Vulgärdialektik scheinbar haben: als Garantie für die Erreichung des kommunistischen Endziels, als Rechtfertigung des Polizeiterrors, als undiskutierbarer Beweis für die Richtigkeit der Generallinie und für die angebliche Einheit von Theorie und Praxis. Darf man Gomulkas eigenen Worten glauben, so erläutert die gleiche Rede, daß er eine andere Vorstellung von den Methoden hat, mit denen diese Einheit herzustellen ist: Trotz der beträchtlich gestiegenen Reallöhne, heißt es dort, sei es dem Regime nicht gelungen, den Bedürfnissen eines großen Teils der polnischen Arbeiter gerecht zu werden; aber „heute haben wir das volle Recht zu behaupten, daß unsere Taten unseren Worten entsprechen“. Wie verschieden die Erneuerungsbewegung in Polen, die sich, wenn auch mit mancherlei Kompromissen und Konzessionen, bisher zu behaupten vermochte, und die blutig niedergeschlagene und mit den Mitteln des Polizeistaates schließlich zum Verstummen gebrachte ungarische Bewegung auch verliefen, so ähnlich waren ihre Voraussetzungen gewesen. Beide waren nach dem XX. Parteitag aus der kommunistischen Partei selbst erwachsen, um im Herbst 1956 ihren Höhepunkt zu erreichen. In Polen wie in Ungarn verband sich das Ringen um nationale Unabhängigkeit und ein größeres Maß innerer demokratischer Freiheit mit dem intellektuellen Bemühen, das erstarrte Lehrgebäude des Kommunismus sowjetischer Prägung unbefangen neu zu durchdenken und auf seine Tragfähigkeit zu prüfen. Und hier wie dort fand sich die Kritik der Intellektuellen mit dem Widerstand der Arbeiterklasse gegen ein verhaßtes, ausbeuterisches System. So schienen Polen und Ungarn zu Kristallisationszentren einer Emanzipationsbewegung im „sozialistischen Lager“ zu werden, die alle oppositionellen Unterströmungen in den Staatsparteien der übrigen Satellitenländer ermutigen mußte. Daher ist es nur zu gut zu verstehen, daß bereits die Rüdekehr Gomulkas in die Führung der polnischen kommunistischen Partei in Moskau alarmierend wirkte und daß sich die sowjetischen Machthaber wenige Tage später, als es in Ungarn zur offenen Revolte kam und die Ereignisse sich überstürzten, mit der Gefahr eines plötzlichen Auseinanderbrechens des europäischen Satellitenreiches konfrontiert glaubten. Aus dieser Lage entsprang der Entschluß zur Intervention in Ungarn, die wiederum nur den Auftakt zu einer gesteuerten restaurativen Gegenbewegung im gesamten Ost-blöde gab, in deren Dienst sich die linientreuen Statthalter und Spitzenfunktionäre um so lieber stellten, als die Ausstrahlung der polnischen und ungarischen Vorgänge ihre eigene Machtstellung unmittelbar bedrohte.

Die Haltung der Satellitenparteien

Nachdem oben geschildert worden ist, daß sowohl von den Sowjets als auch von Kadar die Intervention und die Unterdrückung der revolutionären Kräfte in Ungarn mit dem immer wiederkehrenden Hinweis auf die bedrohten Errungenschaften gerechtfertigt wurden, verwundert es nicht, daß das gleiche Argument auch als Leitmotiv für die ideologische Begleitmusik zu dem umfassenderen Restaurationsprozeß im sowjetischen Machtbereich lieferte, in den sich die innerungarische Entwicklung unter dem Kadar-Regime einordnet. So steht der Begriff der Errungenschaften inmitten des Ringens zwischen den emanzipatorischen und den restaurativen Tendenzen im kommunistischen Lager. Vor allem von der ungarischen revolutionären Bewegung, die bewußt an die Traditionen der Freiheitskämpfe von 1848/49 anknüpfte und für die die sowjetische militärische Intervention des Jahres 1956 in einer Linie mit dem damaligen Eingreifen der Armee des Zaren stand, war der ursprüngliche freiheitliche Inhalt dieses Begriffes wieder belebt worden, während die polnische Entwicklung bemerkenswerte Ansätze dazu zeitigte, ihn in einer für den kommunistischen Sprachgebrauch ungewohnt sachlichen Weise zu verwenden und ihn dadurch aus seiner ideologischen Überhöhung und Erstarrung zu lösen. Als ideologische Waffe der Restauration hingegen erwuchs dem orthodoxen sowjetkommunistischen Errungenschaftsbegriff gerade die Aufgabe, von den tatsächlichen sachlichen Gegebenheiten abzulenken, sie zu verzerren und zu verschleiern, um um so besser die Begründung für die Diskriminierung und Verdammung aller freiheitlichen Bestrebungen liefern zu können. In dieser Funktion beherrschte er auch die Stellungnahmen der Satellitenparteien zu den ungarischen und polnischen Ereignissen; und er drängte sich bezeichnenderweise überall dort besonders stark in den Vordergrund der Agitation, wo die Ansteckungsgefahr am meisten zu fürchten war. Als Beispiel dafür sei hier eine Rede angeführt, die der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Rumänischen Arbeiterpartei, Gheorghe Gheorghiu-Dej, in Tirgu Mures, dem Zentrum des Ungarischen Autonomen Gebiets in der rumänischen Volksrepublik, vor einer Gebietsparteikonferenz hielt und in der er die Bedrohung der „sozialistischen Errungenschaften" in Ungarn durch „offenkundige Faschisten“ usw. bis zum Überdruß strapazierte. Gefährlicher noch als die faschistischen, imperialistischen und aristokratischen Elemente, denen er zu Unrecht einen entscheidenden Einfluß auf die ungarische Entwicklung zuschrieb, erschienen ihm jedoch offenbar die ungarischen kommunistischen Intellektuellen, die das Verbrechen begangen hatten, sich mit dem Freiheitssehnen des ungarischen Volkes und der ungarischen Arbeiter zu identifizieren: „Besonderes Unheil", so betonte er, „richteten diese Intellektuellenkreise durch die Erbitterung an, mit der sie unter der Losung der . Freiheit'und der . Demokratie'die Errungenschaften“ der Volksmacht verleumdeten, die Partei und die revolutionären Errungenschaften der Massen schmähten und in Mißkredit zu bringen versuchten.“

Loblied auf die Diktatur

Wenn auch dieser Passus schon unmißverständlich genug zeigt, wo ihn selbst der Schuh drückte, so hielt er es doch für notwendig, noch deutlicher zu werden, als er auf die geplanten „Maßnahmen zur weiteren Demokratisierung unserer Staatsmacht" zu sprechen kam: „Doch wir können uns nie und nimmer mit einer solchen . Liberalisierung'einverstanden erklären, die den Feinden der Werktätigen die Freiheit läßt, Schläge gegen die sozialistischen Errungenschaften des Volkes zu führen. Die Stärke und Festigkeit der volksdemokratischen Ordnung ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Ordnung eine der Formen der Diktatur des Proletariats verkörpert ... Die Diktatur des Proletariats — das ist das Wichtigste im Leninismus, das ist die wichtigste Errungenschaft der Werktätigen in den sozialistischen Ländern, die Garantie für den Aufbau des Sozialismus.“

Wer würde Gheorghui-Dej nach diesen ermüdenden Deklamationen nicht Glauben schenken, wenn er mit Genugtuung feststellt, die rumänische Arbeiterklasse, „die führende Klasse in der volksdemokratischen Ordnung" (deren größte Errungenschaft also in der Unterordnung unter die in ihrem Namen ausgeübte Diktatur besteht), habe gleich zu Anfang begriffen, „daß in Ungarn die sozialistischen Errungenschaften der Werktätigen bedroht wurden", und bewiesen, daß sie „unerschütterlich und kämpferisch um die Partei zusammengeshlossen“ sei? Auf der gleichen Linie liegt auch die angebliche Sorge der SED um die „revolutionären sozialistischen Errungenschaften der polnischen Arbeiterklasse“ und der Applaus, mit dem sie die Sowjetunion für die Niederwerfung der ungarischen Revolution bedachte. Erklärte doch das Zentralkomitee am 6. 11. 1956 in einer Entschließung, daß es sich „in Ehrfurcht vor den Helden des Sozialismus“ verneige, die in Ungarn für den Schutz der „Errungenschaften des Volkes“ gefallen seien Das wichtigste Zeugnis aber für die Folgerungen, die von der Einheitspartei aus den Vorgängen in Polen und Ungarn gezogen wurden, ist der von Schirdewan Mitte November 1956 erstattete Bericht des Politbüros auf der 29. Tagung des Zentral-komitees der die SED als nur allzu williges Werkzeug der Restauration erweist. So widerstrebend sich das Ulbricht-Regime, das die moralische Niederlage des 17. Juni 1953 keineswegs überwunden hatte und sich keiner Täuschung über seine innere Schwäche hingeben durfte, mit den ihm gefährlich erscheinenden Beschlüssen des XX. Parteitags der KPdSU abgefunden hatte, so sehr beeilte es sich jetzt, sich einmal mehr als Musterschüler der Sowjetunion hervorzutun. Der Bericht Schirdewans spiegelt die tiefe Abneigung der maßgebenden Partei-instanzen vor den liberalen Methoden der „polnischen Freunde“ und ihre Furcht vor den sprengkräftigen Argumenten der polnischen und ungarischen Intellektuellen, die als Entartungserscheinungen im kommunistischen Lager gekennzeichnet werden: „Diese Entartung wird natürlich nicht grob vor sich gehen, und sie ging auch in gewissen Ländern zunächst nicht grob vor sich. Sie kommt, wie man so sagt, auf Taubenfüßen. Sie beginnt nicht mit dem groben Angriff auf die Grundsätze des Marxismus-Leninismus, sondern mit der Diskussion über die Taktik, über die Demokratisierung, über die Methoden und Formen.“ Demgegenüber wird der Vorsatz der SED betont, „keinen Jota von den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus“ abzuweichen. Dieser Vorsatz bedeutet für die Führer der Einheitspartei zugleich „die Pflicht, allen Erscheinungen der Liberalisierung im bürgerlichen Sinne, der Einschränkung der sozialistischen Perspektive, entschieden entgegenzutreten". „Dabei", fährt Schirdewan fort, müssen wir die Arbeit zur Festigung der Justiz-und der Staatssicherheitsorgane als wichtige Staatsinstrumente des Schutzes der demokratischen Rechte und der Errungenschaften der Arbeiterklasse und aller Bürger der Deutschen Demokratischen Republik bessern.“ Womit gezeigt wäre, daß sich der mitteldeutsche SED-Staat 1956 so wenig wie 1953 auf die Anziehungskraft seiner Errungenschaften verlassen konnte und daß der Hauptfeind nach wie vor für ihn im eigenen Lande stand. wird fortgesetzt Nachforderungen der Beilagen aus Politik und Zeitgeschichte sind an die Vertriebsabteilung DAS PARLAMENT, Hamburg 36, Gänsemarkt 21/23, zu richten. Abonnementsbestellungen der Wochenzeitung DAS PARLAMENT zum Preis von DM 1, 89 monatlich bei Postzustellung einschließlich Beilage ebenfalls nur an die Vertriebsabteilung Bestellungen von Sammelmappen für die Beilage zum Preise von DM 6, — pro Stück einschließlich Verpackung zuzüglich Portokosten an die Vertricbsnbtellung Hamburg 36 GänSemarkt 21/23. Telefon 34 12 51

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Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT DERNÄCHSTEN BEILAGEN:

Oskar Anweiler:

Indira Gandhi:

Frederic Lilge:

Otto Schiller:

Karl Seidelmann:

Karl C. Thalheim:

Egmont Zechlin: „Gesellschaftliche Probleme der sowjetischen Erziehung" „Indien heute" „Makarenko " „Das Wesen der kommunistischen Gefahr"; „Die »Verbürgerlichung'in der Sowjetunion" „Der Generationsprotest derJugendbewegung in gegenwärtiger Betrachtung" „Die Wachstumsproblematik der Sowjetwirtschaft" „Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche" (IV. Teil)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. oben S. 27 ff.

  2. So bezeichnete Ulbricht in seinem Referat auf dem 3. FDGB-Kongreß vom 30. 8. bis 3. 9 1960 den Fünfjahrsplan als den „großen Plan des Kampfes um die Gestaltung eines einigen und friedliebenden fortschrittlichen Deutschland". Zitiert nach W. Ulbricht, Uber Gewerkschaften II, S. 245.

  3. Vgl. die Zusammenstellung in „Ost-Probleme", Jg. 1958, S. 381.

  4. Vgl. oben S. 47 ff.

  5. Dokumente der SED III, S. 149.

  6. W. Ulbricht, über Gewerkschaften II, S. 344.

  7. Ein willkürliches Beispiel dafür, wie scharf von sowjetischer Seite derartige Verstöße geahndet werden, bietet die Kritik an einem Buch von W. Eckermann (Neue Geschichtswissenschaft, eine Einführung in ihr Studium, 1949) in der Zeitschrift „Voprosy Istorii" vom Oktober 1951. Dem Verfasser wird hier vorgeworfen, er sei „mit den Errungenschaften der sowjetischen Geschichtswissenschaft ... leider überhaupt zu wenig vertraut“ und habe die führende historische Rolle des russischen Volkes sträflich vernachlässigt. Zitiert nach „Ost-Probleme“, Jg. 1952, S. 216 f.

  8. Dokumente

  9. Dokumente der SED III, S. 572; vql. ferner S. 577 und 587.

  10. Protokoll der Ersten Parteikonferenz, S. 236.

  11. A. a. O S. 521. Vgl. auch S. 497.

  12. A. a. O. S. 533.

  13. Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der SED, 20. bis 24. Juli 1950, Bd. I (1. — 3. Verhandlungstag), Berlin 1951, S. 341.

  14. A. a. O. S. 400.

  15. Vgl. „Neues Deutschland“ vom 7. 10. 1950.

  16. Vgl. „Neues Deutschland“ vom 5. 10. 1950.

  17. „Neues Deutschland" vom 4. 5. 1952 (Es liegt in der Macht des Volkes, den Friedensvertrag zu erkämpfen. Walter Ulbricht ruft zu entschlossenem Handeln auf . . .).

  18. „Neues Deutschland“ vom 8. 5. 1952 (Telegramm des ZK an Generalissimus Stalin).

  19. „Neue Welt“, Jg. 1952, S. 1815.

  20. A. a. O. S. 1817.

  21. A. a. O. S. 1825.

  22. A. a. O. S. 1825.

  23. A. a. O. S. 1883. Pieck zitiert in seinem Referat (S. 1873 ff.) im Zusammenhang mit der „Verteidigung“ allein sechsmal die „Errungenschaften",

  24. A. a. O. S. 1880.

  25. A. a. O. S. 1881.

  26. A. a. O. S. 1882.

  27. A. a. O. S. 1911.

  28. »Tägliche Rundschau* vom 29. 7. 1952.

  29. „Neues Deutschland" vom 7. 10. 1952 (Aus der Rede des amtierenden Ministerpräsidenten Heinrich Rau beim Staatsakt anläßlich der Gründung der DDR).

  30. Abgedruckt in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. IV, Berlin 1954, S. 84 ff. Zitat S. 86.

  31. Beschluß des Politbüros der SED vom 29. Juli 1952. Abgedruckt in: Dokumente der SED IV, S. 116 ff. Zitat S. 116.

  32. „Neue Erziehung in Kindergarten und Heim“, Nov. 1952 (Erster Kampfplan eines Kindergartens).

  33. „Junge Welt“ vom 20. 7. 1952 (Schadet Traktorfahren unseren Mädchen? Dr. med. Gerhard Misgeld antwortet).

  34. Vgl. u. a. Carola Stern, Porträt einer bolschewistischen Partei, Funktion und Situation der SED, Köln 1957, S. 146 fi.

  35. Vgl. oben S. 60 ff.

  36. Vgl. u. a. Fritz Kopp, Die Wendung zur „nationalen“ Geschichtsbetrachtung in der Sowjetzone, München 1955.

  37. »Neues Deutschland“ vom 23. 6. 1953 (Erklärung des Zentralkomitees der SED: Uber die Lage und die unmittelbaren Aufgaben der Partei).

  38. Schon am 17. Juni und 18. 6. 1953 wurde diese Version verbreitet. Vgl. „Neues-Deutschland" vom 17. 6. 1953 (Provokationen von Westberliner Kriegshetzern im demokratischen Sektor Berlins); „Berliner Zeitung" vom 17. 6. 1953 (Aufruf der Bezirksleitung der SED); ADN vom 18. 6. 1953 (Bekanntmachung des sowjetischen Militärkommandanten von Ostberlin, Generalmajor Dibrowa).

  39. „Neues Deutschland" vom 23. 6. 1953 (Erklärung des Zentralkomitees der SED): Uber die Lage und die unmittelbaren Aufgaben der Partei).

  40. „Freiheit" vom 29. 5. 1953 (über Erscheinungen des Opportunismus in der Parteileitung des Hydrierwerkes Zeitz).

  41. Für den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 vgl. Stefan Brant (unter Mitwirkung von Klaus Bölling), Der Aufstand, Vorgeschichte, Geschichte und Deutung des 17. Juni 1953, Stuttgart 1954; A. Baring, Der 17. Juni 1953 (Bonner Berichte aus Mittel-und Ostdeutschland), Bonn 1957; The Soviel Zone of Germany (Human Relations Area Files, Subcontractor's Monograph 34, Harvard), New Haven 1956, S. 337 ff. (Subversive Potentialities as illustratet by the Uprising of June 17th 1953); Erich Matthias, Zur Bibliographie 17. Juni, in; „Ost-Probleme“, Jg. 1954, S. 1430 ff.; ders. in: »Politische Literatur", Jg. 1954, S. 922 ff.

  42. Rede Grotewohls im Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“. Ausschnittsweise wiedergegeben nach „Radio Ostberlin III" vom 23. 6. 1953 in: „Ost-Probleme“, Jg. 1953, S. 1120 Die Rede wurde in der Presse des SBZ nur am Rande behandelt, ohne, daß die hier zitierten wesentlichen Stellen auch nur angedeutet worden wären. Vgl. dazu: Berliner Zeitung" vom 24 6. 1953; „Neues Deutschland" vom 24. 6. 1953.

  43. A. a. O.

  44. S. Anm. 3

  45. „Neues Deutschland" vom 3. 7. 1953 (Was sollen die Gewerkschaftsleitungen jetzt tun?).

  46. Zitiert nach Stefan Brant (unter Mitwirkung von Klaus Bölling), Der Aufstand, Vorgeschichte, Geschichte und Deutung des 17. Juni 1953 Stuttgart 1954, S. 264. Die von Brant als „Blatt des Verteidigungsministeriums“ genannte Zeitung „Der Kämpfer" wurde in Wirklichkeit vom „Ministerium des Innern" herausgegeben. Das Ministerium für Verteidigung wurde erst 1955 geschaffen. Der genaue Titel lautete: „Der Kämpfer, Blatt der K(asernierten) V(olks) P(olizei), Organ des Ministeriums des Innern.“ Die Zeitung stellte nach der Überführung der KVP in die Volksarmee und Bereitschaftspolizei ihr Erscheinen ein. Heute wird unter dem gleichen Titel vom Zentralkomitee der SED das „Organ der Kampfgruppen der Arbeiterklasse" herausgegeben.

  47. Zitiert nach Brant S. 246.

  48. Zitiert nach „Neues Deutschland" vom 28. 7. 1953.

  49. Vgl. oben S. 106.

  50. S. Anm. 10.

  51. Zitiert nach „Neues Deutschland" vom 19. 9. 1953.

  52. Unter dem Titel: über berechtigte Kritik und über Erscheinungen des Opportunismus in Fragen der Kunst.

  53. Zitiert nach „Neues Deutschland" vom 18. 7. 1953 (Walter Ulbricht bei den Werktätigen der Großkokerei „Matyas Rakosi“).

  54. „Freiheit“ vom 6 9 1953 (Warum schadet der Arbeiter in der Deutschen Demokratischen Republik mit Streiks sich selbst, von Gerta Haak, Sekretärin der Bezirksleitung der SED).

  55. „Neues Deutschland'vom 26. 7. 1953 (Die Erfahrungen der Massen und die Entwicklung ihres Bewußtseins, von Walter Besenbruch).

  56. Der Justizminister Max Fechner wurde, kurz nachdem er sich In einem Interview gegen jede Rachepolitik ausgesprochen und darüber hinaus erklärt hatte, das Streikrecht sei verfassungsmäßig garantiert (vgl „Neues Deutschland'vom 30. 6. und 2 7 1953), durch Hilde Benjamin abgelöst Für die Verschärfung des Kurses vql die Einführungsrede Hilde Benjamins vor der Belegschaft des Justizministeriums („Neues Deutschland'vom 21. 7. 1953) sowie die vorausgegangene Pressekampagne (u. a. „Freiheit* 14 7 1953: Wir fordern gerechte Urteile; „Freiheit'17 7. 1953: Müssen solche Urteile nicht die Provokateure ermuntern?; „Sächsische Zeitung'11 7 1953: Görlitzer Provokateure ihren gerechten Strafen zugeführt).

  57. Vgl. SBZ-Archiv, Jg. 1953, S. 305 f.

  58. „Die Arbeit”, Jg. 1953, S. 685 f. (Rechnet ab mit Provokateuren und Agenten).

  59. So in einem aus dem Tschechischen übersetzten Artikel von Josef Streit „Die Arbeit der . Richter aus dem Volk’ in der Tschechoslowakisehen Volksrepublik", in: „Neue Justiz", Jq. 1953, S. 639 ff.

  60. Vgl. Unrecht als System, Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen in der Sowjetzone Deutschlands, zusammengestellt vom Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen, hsg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1955, Teil II, Dokument Nr. 102, S. 83 f.

  61. „Pravda" vom 7. 11. 1956; deutsch in: „OstProbleme“, Jg. 1956, S. 1737 ff (Zitate auf S. 1745 s.).

  62. „Pravda" vom 19. 11. 1956; deutsch in: „Neues Deutschland" vom 20. 11. 1956 (Chruschtschow zu Fragen der internationalen Arbeiterbewegung).

  63. Abgedruckt in: Der Volksaufstand in Ungarn, Bericht des Sonderausschusses der Vereinten Nationen, hsg. von der „Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen", Bonn 1957, S. 179 f. Zitiert: UNO.

  64. Vgl. UNO S. 87.

  65. Die Volkserhebung in Ungarn, Sonderheft der Zeitschrift „Hinter dem Eisernen Vorhang“, München Dezember 1956, S. 70. Zitiert: Volkserbung.

  66. Vgl. UNO S. 87.

  67. Zitiert nach Volkserhebung S. 70 f. Vgl. UNO S. 86 f. sowie das von der SBZ aus in der Bundesrepublik verbreitete Flugblatt: „Was verschweigt die bürgerliche Presse den westdeutschen Arbeitern", mit dem ersten Aufruf der Regierung Kadar.

  68. Vgl. UNO S. 30 f.

  69. Vgl. UNO S. 41.

  70. UNO S. 24.

  71. UNO S. 121.

  72. UNO S. 121.

  73. UNO S. 127.

  74. UNO S. 40; vgl. S. 174.

  75. UNO S. 174.

  76. Zitiert nach Volkserhebung S. 67, Vgl. UNO

  77. Zitiert nach Volkserhebung S. 64.

  78. UNO S. 25.

  79. Siehe oben.

  80. Volkserhebung S 64 („ 14. 14 Uhr").

  81. Volkserhebung S 35 f. (Nagy, Erdei), 58 (Aufruf der jüdischen Organisationen).

  82. UNO S. 178.

  83. Volkserhebung S. 75.

  84. UNO S. 24. 34.

  85. UNO S. 34.

  86. „Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 19. 11. 1956 (Kadar will die Streikenden aushungern).

  87. Uber die widerspruchsvolle Haltung Kadars In der Zeit seiner Zugehörigkeit zur Regierung Nagy, vgl. UNO S 82 ff.

  88. UNO S. 204.

  89. UNO S. 204 f.

  90. UNO S. 205.

  91. Vgl. auch UNO S. 207.

  92. Veröffentlicht in „Pravda" vom 2. 1. 1957 (Erklärung der Ungarischen Revolutionären Arbeiter-und Bauernregierung über die wichtigsten Aufgaben); deutsch in: „Aus der Presse der Sowjetunion", Beilage „Die Länder der Volksdemokratie", Jg. 1957, S. 153 ff.

  93. Für die entscheidende Rolle der Räte in der ungarischen und in der polnischen Revolution 1956; vgl. UNO S. 19, 147 ff,; Oskar Auweiler, Die Räte in der ungarischen Revolution 1956, in: „Osteuropa“, Jg. 1958, S. 393 f.; ders., Die Arbeiterselbstverwaltung in Polen, a. a. O. S. 224 ff.; W. Eggers, Das System der Arbeiterräte im kommunistischen Bereich, in: „Osteuropa-Wirtschaft", Jg. 1957, S. 81 ff.; K. Grzybowski, Worker's Councils in Po-land, in: „Problems of Communism", Jg. 1957, S. 16 ff.; G. Scheuer, Von Lenin bis . . ., Die Geschichte einer Konterrevolution, Berlin und Hannover o. J. (1958).

  94. Zitiert nach UNO S. 199 ff.

  95. Edda Werfel, Do towarzyszy z bratnich partii (An die Genossen der Bruderparteien), in: Przeglad kulturalny", Jg. 1956, Nr. 44; deutsch in: „OstProbleme", Jg. 1956, S. 1720 ff.

  96. Der Aufstand begann am Morgen des 28. Juni 1956 mit einer Demonstration der Arbeiter der Lokomotivfabrik Cegielski (heute Stalinwerke) gegen die herrschenden Arbeits-und Lebensbedingungen. Die-Bevölkerung schloß sich den demonstrierenden Arbeitern rasch an. Am frühen Nachmittag kam es zu Schießereien, die in den Abendstunden des gleichen Tages ihren Höhepunkt erreichten, und am Morgen des folgenden Tages teilweise wieder auflebten. Am Abend des 29. Juni war die Regierung soweit wieder Herr der Lage, als Ruhe in der Stadt herrschte. Armee und Polizei hatten sich bei der Verteidigung der von den Aufständischen aufgegriffenen Objekte als wenig zuverlässig erwiesen Lediglich die bewaffnete Geheimpolizei, von außen herbeigeholten Truppen der Armee und teilweise auch der Luftwaffe folgten dem Schießbefehl ohne Zögern. Die Anzahl der Toten betrug rund 50, die der Verwundeten über 300. Mehr als 1 000 Personen wurden verhaftet, die meisten jedoch bald wieder entlassen. Der Aufstand war für die oppositionellen Kräfte der Intelligenz inner-und außerhalb der Partei, die sich schon seit dem Tode Stalins zunehmend geregt hatten, das Signal zum „Polnischen Oktober". Unter diesem Namen versteht man in Polen heute die Oppositionsbewegung, die schließlich zu den War-schauer Unruhen vom Oktober 1956 und den anschließenden Umwälzungen führte. Die Regierung lenkte unter dem Druck der Opposition, die die öffentliche Meinung hinter sich hatte, bald ein. Die im Oktober ausgesprochenen Urteile gegen einzelne Aufständische von Posen ahndeten nur Gewalttaten. Der Prozeß wurde objektiv geführt und brachte deutlich zum Ausdruck, daß das Regime selbst die Schuld für den Ausbruch des Auf-standes traf.

  97. Krzysztof Wolicki, Kommunizm i raeja stanu (Kommunismus und Staatsraison), in: „Przeglad kulturalny“, Jg. 1956, Nr. 49, deutsch in: „Ost-Probleme“, Jg. 1957, S. 46 ff.

  98. Vgl. besonders oben S. 49 ff.

  99. J. Putrament, Sedno Sprawy, (Der Kern des Problems), in: „Zycie Warszawy“ vom 19. 10. 1956; deutsch in: „Ost-Probleme“, Jg. 1956, S. 1584 f.

  100. „Trybuna Ludu“ vom 21. Oktober 1956; deutsch in: „Ost-Probleme“, Jg. 1956, S. 1553 ff.

  101. „Trybuna Ludu“ vom 26. 10 1957; nach „Hinter dem Eisernen Vorhang“ (München), Jg. 1958, Heft 4, S. 31.

  102. „Pravda" vom 24. 12. 1956 (Narodno-demokraticeskidi stroj — velikoje zavoevanie trudjaichsja; Der volksdemokratische Aufbau — eine große Errungenschaft der Werktätigen); deutsch in: „Aus der Presse der Sowjetunion", Beilage „Die Länder der Volksdemokratie", Jg. 1957, S. 61 ff. — Gheorghiu-Dej zitiert in dieser Rede 13 mal die Errungenschaften des sozialistischen Aufbaus (im russischen Text stets mit „zavoevanie" wiedergegeben).

  103. So Hermann Axen in seiner Stellungnahme zu dem in Anm. 59 zitierten Artikel der polnischen Journalistin Edda Werfel; vgl. „Neues Deutschland" vom 27. 11. 1956 (Gegen die Verfälschung des Marxismus-Leninismus und Tendenzen der Spaltung der Arbeiterbewegung).

  104. „Neues Deutschland“ vom 6. 11. 1956 (Brüderlich verbunden auf Friedenswacht, Erklärung des Zentralkomitees der SED zum Sieg der ungarischen Werktätigen über die Konterrevolution). Entsprechend auch W. Pieck in einem Telegramm an Kadar vom 4. 11. 1956 (laut „Radio DDR", 4. 11. 1956, 22. 40 Uhr).

  105. Die Ironie des Schicksals ließ Schirdewan im Februar 1958 über die gleichen Vorwürfe stürzen, die er im November 1956 den Polen gemacht hatte. Er wurde aus seinen Partei-und Regierungsämtern verdrängt und ist heute in der Archivverwaltung tätig. Ulbricht sagte darüber auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958: „Die Gruppe Schirdewan wollte das Schiff der Partei auf einen falschen Kurs bringen. Dazu wandte sie fraktionelle Methoden an. Dank der marxistisch-leninistischen Einheit der Partei konnte eine ernste Gefahr abgewendet werden. Die Genossen Schirdewan, Wollweber, Ziller, Oelßner und Selbmann haben die opportunistischen Schwankungen widergespiegelt, die bei solchen Genossen auftraten, die nicht genügend mit der Arbeiterklasse verbunden waren, die glaubten, durch das Abbremsen des sozialistischen Aufbaus bestimmte Schwierigkeiten vermeiden zu können . . .". Vgl. „Neues Deutschland" vom 12. 7. 1958.

  106. »Neues Deutschland" vom 28. 11. 1956 (Auszüge aus dem Bericht des Politbüros auf der 29. Tagung des ZK der SED. Berichterstatter Genosse Karl Schirdewan, Mitglied des Politbüros).

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