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Politik der Inneren Sicherheit | Freiheit und Sicherheit | bpb.de

Freiheit und Sicherheit Editorial Zwischen Leviathan und Kantischem Rechtszustand. Über das schwierige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit Dynamiken der Sicherheit. Sicherheit und Unsicherheit in historischer Perspektive Zwischen individueller Freiheit und staatlicher Sicherheitsgewähr. Wandlungen des Rechtsstaats in unsicheren Zeiten Der Pandemiestaat als nervöser Staat. Zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in Krisenzeiten Politik der Inneren Sicherheit. Politisierungsdynamiken und Politikänderungen Im Zweifel für die Sicherheit. Haltungen der Bevölkerung zur Verteidigung von Freiheit und Sicherheit Illusion der Sicherheit. Warum wir uns mit der Freiheit so schwertun

Politik der Inneren Sicherheit Politisierungsdynamiken und Politikänderungen

Georg Wenzelburger Denise Scharwatz

/ 14 Minuten zu lesen

Wie hat sich die Politik der Inneren Sicherheit in den vergangenen 25 Jahren in Deutschland entwickelt? Welche Positionen nehmen politische Parteien zu Themen der Inneren Sicherheit ein? Ein Überblick über Grundlagen, Parteiprogramme und Gesetzgebung.

Die Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger ist eine Kernfunktion des modernen Staates. Diese Aufgabe erfüllt er primär durch sein Gewaltmonopol, das sich insbesondere durch die Polizei und das Justizsystem ausdrückt. Entsprechend untersuchen Studien zur Politik der Inneren Sicherheit hauptsächlich drei Bereiche: erstens die Kriminalpolitik, die sich vornehmlich mit dem Straf- und Strafprozessrecht befasst; zweitens die Polizeipolitik, die sich mit Organisation und Kompetenzen der Polizei beschäftigt; und drittens die Justizpolitik, die sich auf die Gerichtsbarkeit und den Strafvollzug bezieht. Im föderalen Staat der Bundesrepublik Deutschland sind die Kompetenzen in den drei Bereichen unterschiedlich verteilt. So ist die Polizeipolitik (mit Ausnahme der Bundespolizei) primär den Ländern vorbehalten, während sich Bund und Länder die Kompetenzen in der Justizpolitik teilen, wobei die Länder in spezifischen Bereichen wie etwa dem Strafvollzug Gestaltungsspielraum besitzen. In der Kriminalpolitik – also etwa bei Fragen des Strafrechts – liegen die Kompetenzen primär beim Bund.

Die Politikwissenschaft hat sich mit dem Politikfeld der Inneren Sicherheit erst relativ spät ausführlicher beschäftigt – was angesichts der Bedeutung von Sicherheit als traditioneller Staatsaufgabe durchaus bemerkenswert ist. In Deutschland beschränkte sich die politikwissenschaftliche Forschung zunächst auf die Analyse der institutionellen Ausgestaltung des Politikfelds im deutschen Bundesstaat, im europäischen Kontext oder auch im Vergleich zu anderen Nationalstaaten. Daneben setzten sich Studien mit dem Sicherheitsbegriff und dessen Erweiterung auseinander. Empirische Untersuchungen der "Policies", also der konkreten Ziele und Politikergebnisse im Bereich der Inneren Sicherheit sind eher selten und beziehen sich insbesondere auf die politischen Bilanzen unterschiedlicher Bundesregierungen oder auf einzelne vergleichende Fallstudien. Umfangreichere politikwissenschaftliche Untersuchungen, die die Politik der Inneren Sicherheit in mehr als einem Land analysieren, sind bisher die Ausnahme geblieben.

Stattdessen hat sich vor allem die Kriminologie mit den Inhalten der Strafgesetzgebung oder mit den Unterschieden zwischen Ländern in Bezug auf Kriminalität, Sanktionspraxis und Gefangenenraten auseinandergesetzt.

Politische Relevanz der Inneren Sicherheit

Die eher zögerliche Beschäftigung der Policy-Forschung mit der Inneren Sicherheit ist einigermaßen überraschend, rücken sicherheitspolitische Themen doch in regelmäßigen Abständen ins Zentrum der politischen Debatte. Gewalttaten, terroristische Anschläge oder die Aufdeckung krimineller Netzwerke – sicherheitsrelevante Themen erscheinen regelmäßig auf der öffentlichen und politischen Agenda, und sie sind häufig Anlass für politische Akteure, mit Forderungen nach schärferen Gesetzen oder erweiterten Durchgriffsrechten und Datenspeichermöglichkeiten zu reagieren.

Diese politische Relevanz des Themas Innere Sicherheit hat vor allem zwei Ursachen: Zum einen ähneln die Themen Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung sogenannten Valenz-Issues. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Parteien (und auch Wähler) ähnliche Vorstellungen über die generellen politischen Zielvorstellungen haben – in der Regel befürworten weder Wähler noch Parteien hohe Kriminalitätsraten oder weniger Sicherheit. Wenn nun solche Valenz-Issues, etwa durch ein externes Ereignis wie einen schweren Fall von Kriminalität, in der Öffentlichkeit an Relevanz gewinnen, löst dies bei Parteien einen verstärkten politischen Wettbewerb aus, wobei in der Regel die für das Thema als kompetent angesehenen Parteien profitieren – in Deutschland traditionell die Unionsparteien.

Zum anderen sind Themen aus dem Politikfeld der Inneren Sicherheit besonders anfällig für öffentliche Aufmerksamkeit. So zeigen Studien zu "Moralpaniken", dass etwa sexuelle Missbrauchsfälle von den Medien sehr prominent thematisiert werden, was zu steigender Politisierung führen kann. In diesen Zusammenhang passt auch die Beobachtung, dass die Selbstdarstellung als "hart durchgreifend" von politischen Parteien zuweilen als Strategie im politischen Wettbewerb genutzt wird, um Wählerstimmen zu gewinnen ("penal populism"). Dies gilt insbesondere für Parteien des rechten Spektrums – doch auch sozialdemokratische Parteien haben in der Vergangenheit versucht, durch eine "Law-and-Order"-Selbstdarstellung Vorteile im Parteienwettbewerb zu erlangen.

Insgesamt ist das Politikfeld der Inneren Sicherheit also dadurch charakterisiert, dass im Parteienwettbewerb Dynamiken entstehen können, die weitreichende politische Veränderungen zur Folge haben – bis hin zu politischen Überreaktionen.

Politik der Inneren Sicherheit in Deutschland

Wie hat sich die Politik der Inneren Sicherheit in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren entwickelt? Finden sich Politisierungsdynamiken und große Policy-Veränderungen? In diesem Abschnitt diskutieren wir, welche Rolle Innere Sicherheit als politisches Thema im Parteienwettbewerb gespielt hat und geben einen Überblick über zentrale Wegmarken des Policy-Wandels. Dazu analysieren wir zunächst die Wahlprogramme der politischen Parteien, bevor wir die Muster der Bundesgesetzgebung darstellen.

Parteienwettbewerb: Wahlprogramme und Wahlversprechen

Parteien konkurrieren in demokratischen politischen Systemen um politische Inhalte, um Wählerstimmen und schließlich um Ämter und Mandate. Besonders relevant ist diese Zieltrias aus policy, votes und office während der Wahlkampfphase, wenn Parteien versuchen, mit einem bestimmten Politikangebot auf Stimmenfang zu gehen. Dabei können Parteien selbst bestimmen, welches Thema sie auf die Tagesordnung setzen und wie sie das Thema zu Konkurrenzzwecken nutzen wollen – etwa, indem sie sich besonders der Kriminalitätsbekämpfung widmen, um Wählerstimmen zu gewinnen. Aufschluss über die politischen Ziele von Parteien gibt insbesondere ihr Wahlprogramm. Wahlprogramme sind mit einer Agenda vergleichbar – die Themen, die eine Partei für wichtig hält, sind hier prominent verankert. Sie beschreiben, wie eine Partei bestimmte Probleme lösen will und welche Pläne sie für die kommende Legislaturperiode hat. Die Wählerinnen und Wähler können sich auf dieser Grundlage für eines der "Issue-Pakete" einer Partei entscheiden und der Partei beziehungsweise ihren Repräsentanten zu einem Mandat verhelfen. In Zeiten abnehmender langfristiger Parteibindungen ist zu erwarten, dass dieses sachfragenorientierte Wahlverhalten eher zu- als abnehmen dürfte – Parteien also besonders genau beachten, wie sie sich zu bestimmten Themen positionieren und welche Themen sie betonen.

Für das Politikfeld der Inneren Sicherheit lässt sich diese Themenkonkurrenz gut durch die Daten der Manifesto Research Group abbilden, die seit Jahrzehnten die Nennung bestimmter Themenkategorien in Wahlprogrammen erhebt. Dabei werden "positive" Nennungen von Sicherheitsthemen in Wahlprogrammen – also etwa die Forderung nach härteren Strafen – in Relation zur Gesamtlänge des Programms gemessen und für alle Parteien berechnet. Abbildung 1 zeigt für Deutschland und nach unterschiedlichen Parteien aufgeschlüsselt, wie sich die so gemessene Betonung von Sicherheitsthemen in den Wahlprogrammen seit 1990 entwickelt hat. Die Abbildung veranschaulicht zum einen, dass die Wichtigkeit von Themen der Inneren Sicherheit von einem Auf und Ab über die Zeit gekennzeichnet ist – je nach Wahl also mal mehr und mal weniger Statements zugunsten einer schärferen Sicherheitspolitik formuliert werden. Besonders auffällig sind die Werte für die Bundestagswahl 1994, bei der CDU/CSU einen besonders hohen Wert erreichen. Konservative Parteien sind traditionell issue owner der Inneren Sicherheit; Wählerinnen und Wähler schreiben ihnen also die meisten Kompetenzen in diesem Politikfeld zu, was sich dann auch im Wahlprogramm widerspiegelt. Gleichwohl sind die Werte der Unionsparteien für 1994 ungewöhnlich hoch, was vor allem auf einen starken Fokus des Wahlprogramms auf polizeiliche Aufgaben und die Bekämpfung Organisierter Kriminalität zurückgeführt werden kann.

Zum anderen zeigt die Grafik deutlich, dass politische Parteien Themen der Inneren Sicherheit unterschiedlich viel Platz in ihren Programmen einräumen. So betonen die Unionsparteien die Innere Sicherheit am stärksten, in der Regel gefolgt von der SPD, die als zweite große Volkspartei ihre Konkurrenzfähigkeit in diesem Politikfeld unter Beweis stellen will, seit ihrem Einzug in den Bundestag aber auch von der AfD. Diese Rolle der AfD ist nicht unerwartet, versuchen rechtspopulistische Parteien doch häufig, mit Forderungen nach Verschärfungen der Sicherheitspolitik zu punkten und diese mit Themen der Migrationspolitik zu verbinden. Insbesondere konservative Parteien scheinen hier unter Druck zu geraten und schärfen als Antwort auf diese Herausforderung ihrerseits ihr Profil als Verfechter von Law-and-Order-Politiken. So zeigt die international vergleichende Forschung, dass gerade durch das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien eine sich selbstverstärkende Dynamik im Politikfeld ausgelöst werden kann, die mitunter zu Ankündigungen einer härteren Gangart und in der Folge auch zu schärferen Gesetzen, etwa im Strafrecht, führt. Eher liberal orientierte Parteien wie in Deutschland die Linkspartei, die Grünen oder die FDP betonen Themen der Inneren Sicherheit hingegen weniger stark, auch wenn bei den jüngsten Wahlen 2021 ein leichter Aufwärtstrend festzustellen ist.

Insgesamt ist damit für den Parteienwettbewerb festzuhalten, dass Themen der Inneren Sicherheit in den vergangenen 25 Jahren für alle deutschen Parteien relevant und regelmäßig Teil der politischen Auseinandersetzung waren. Inhaltlich betraf dies unterschiedliche Aspekte: War etwa in den 1990er und 2000er Jahren der Umgang mit Sexualstraftätern ein wichtiger Streitpunkt – im Gedächtnis bleibt hier die Aussage des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder "Wegsperren, und zwar für immer" –, stand in den 2010er Jahren die Bekämpfung islamistischen Terrorismus im Vordergrund, bevor in den vergangenen Jahren rechtsextreme Straftaten in den Fokus der politischen Debatte rückten.

Diese inhaltlichen Unterschiede zeigen sich auch, wenn man die Wahlprogramme etwas genauer untersucht. Wir haben hierzu für die Bundestagswahl 2017 ausgewertet, welche Subdimensionen der Politik der Inneren Sicherheit in den Programmen zur Bundestagswahl thematisiert wurden: Sicherheitspolitik allgemein (zum Beispiel bezüglich der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden), Kriminalitätsprävention sowie Kriminalität und Kriminalpolitik (etwa mit Bezug auf das Strafrecht oder Terrorismus). Positioniert man die Parteien mithilfe einer Korrespondenzanalyse in einem zweidimensionalen Raum, sind drei Cluster erkennbar: CDU und FDP – in Abbildung 2 auf der horizontalen Achse abgebildet – positionieren sich stark im Bereich der allgemeinen Sicherheitspolitik. Die Linke und die AfD, die auf der vertikalen Achse abgebildet sind, positionieren sich hingegen primär zur Kriminalität und zur Kriminalpolitik, nehmen hier jedoch inhaltlich konträre Positionen ein. Während die Grünen in diesem Modell keine spezielle Position innehaben, unterscheidet sich die SPD thematisch dadurch von den anderen Parteien, dass sie sich deutlich stärker zu Präventionsthemen positioniert. Die AfD scheint hier eine gänzlich andere politische Linie zu verfolgen.

Insgesamt lässt sich also für den Parteienwettbewerb feststellen, dass die Unionsparteien als issue owner die Parteienlandschaft dominieren, sie aber in den vergangenen Jahren von der AfD herausgefordert wurden. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Wichtigkeit von Themen der Inneren Sicherheit über die Zeit stark variiert – und diese Varianz auf die Relevanz dieser Themen zu den jeweiligen Beobachtungszeitpunkten zurückzuführen ist (zum Beispiel Sexualdelikte, Terrorismus, rechtsextreme Anschläge). Schließlich deuten die Daten darauf hin, dass sich die Parteien in Bezug auf die verschiedenen Subdimensionen innerhalb des Politikfelds Innere Sicherheit unterschiedlich stark positionieren (etwa hinsichtlich der Dimensionen Kriminalpolitik oder Prävention).

Policy-Wandel in der Inneren Sicherheit

Für die Politikwissenschaft ist aber nicht nur interessant, inwieweit bestimmte Themen von den Parteien aufgegriffen und betont werden – denn programmatische Aussagen sind natürlich noch keine politischen Entscheidungen. Vielmehr stehen zwischen Programm und Policy – zumindest in Deutschland – im Regelfall Koalitionsverhandlungen, die Gesetzesvorbereitung in der Ministerialbürokratie und das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag. Wie fällt also die Bilanz der Gesetzgebung zur Inneren Sicherheit seit dem Beginn der 1990er Jahre aus?

Die in der Tabelle dargestellten Daten geben einen Überblick über den anhand der Bundesgesetzgebung gemessenen Policy-Wandel. Die in Spalte 3 dargestellten Werte geben die "Netto"-Veränderung in der jeweiligen Legislaturperiode an, wobei positive Werte, die hier in allen Wahlperioden auftreten, anzeigen, dass sich der legislative Status quo insgesamt eher verschärft hat, die Gesetzgebung also restriktiver geworden ist. Dieses Resultat bestätigt die kriminologische Forschung zur Strafgesetzgebung, die für Deutschland einen ähnlichen Trend nachgewiesen hat. Gleichzeitig sind in der Tabelle aber auch Schwankungen zu erkennen. Zum einen sind die Legislaturperioden 1994–1998, 2005–2009 sowie 2013–2017 von einer strikteren Sicherheitspolitik gekennzeichnet. Für die letzte Bundesregierung unter Helmut Kohl lässt sich dies auf Strafverschärfungen im Bereich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, im Sexualstrafrecht und der Erleichterung der Telekommunikationsüberwachung im Wohnraum ("Großer Lauschangriff") zurückführen, während die Verschärfungen unter der ersten Regierung von Angela Merkel (Merkel I) unter anderem mit der Terrorismusbekämpfung und hier zum Beispiel der Vorratsdatenspeicherung zusammenhängen. Die Verschärfungen unter der Regierung Merkel III betreffen wiederum das Sexualstrafrecht, etwa das "Nein-heißt-Nein"-Gesetz, sowie Regelungen an der Schnittstelle zwischen Innerer Sicherheit und Asylrecht, zum Beispiel zur Durchsetzung von Abschiebungen. Zum anderen gibt es aber auch Legislaturperioden wie jene beiden unter Gerhard Schröder (1998–2005) oder der Regierung Merkel II (2009–2013), die zwar ebenfalls legislative Verschärfungen mit sich brachten, im direkten Vergleich aber doch deutlich weniger einschneidende.

Die Tabelle zeigt ein auffallendes Muster, wonach das Fehlen einer "Bürgerrechtspartei" in der Regierung (FDP oder Grüne) mit einer tendenziell deutlicheren Verschiebung des Status quo in Richtung einer stärker auf Law and Order ausgerichteten Politik einhergeht. Zudem zeigt die vierte Spalte der Tabelle, dass das Bundesverfassungsgericht auch in diesem Politikfeld ein wichtiger Akteur ist, der auf die Ausgestaltung der Politik der Inneren Sicherheit Einfluss nimmt: So ist das Gericht für etwa ein Drittel aller Liberalisierungen von Bundesgesetzen zur Inneren Sicherheit im Untersuchungszeitraum verantwortlich und erfüllt damit seine Rolle als "Hüter der Bürgerrechte". Auch dies steht im Einklang mit der international vergleichenden Forschung zur Politik der Inneren Sicherheit, die gezeigt hat, dass starke Verfassungsgerichte den Trend zur Verschärfung von Gesetzen signifikant abbremsen.

Um die Veränderung über die Zeit hin zu einer repressiveren Politik richtig einzuordnen, ist jedoch auch ein Vergleich mit anderen Staaten notwendig – schließlich geht ein Teil der hier als "Verschärfung" kodierten Gesetze schlicht auf Anpassungen an geänderte Rahmenbedingungen (Digitalisierung, Cyberkriminalität und anderes mehr) zurück. Ein solcher internationaler Vergleich zeigt, dass Deutschland gerade nicht zu den Ländern gehört, die einen veritablen punitive turn in der Politik der Inneren Sicherheit hingelegt haben. Vielmehr ähnelt der deutsche Pfad im internationalen Vergleich eher dem schon in vielen anderen Politikfeldern festgestellten "mittleren Weg".

Schließlich ist es für eine Beurteilung der Politik der Inneren Sicherheit in Deutschland auch noch notwendig, einen kurzen Blick auf die Bundesländer zu werfen – denn insbesondere innerhalb der Polizeipolitik haben diese eine weitreichende Gesetzgebungskompetenz. Analysiert man unterschiedliche Indikatoren für Politikbereiche der Inneren Sicherheit, die in die Kompetenz der Länder fallen, zeigen sich drei Cluster: Ein erstes Cluster bilden die Stadtstaaten, deren Profil sich insbesondere durch im Vergleich höhere Personalstärken bei der Polizei auszeichnet; ein zweites Cluster bilden die südlichen Länder Hessen, Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern plus Niedersachsen, das durch eine stärkere Betonung repressiver Elemente sowohl in der Kriminalpolitik als auch beim Polizeirecht charakterisiert ist; zum dritten Cluster schließlich gehören die übrigen Flächenländer, die eher eine Mittelposition bei den untersuchten Dimensionen einnehmen. Interessanterweise korrelieren diese Cluster mit einigen Variablen, die in der Literatur üblicherweise zur Erklärung von Unterschieden in der Kriminal- und Strafpolitik herangezogen werden: So scheinen insbesondere die Sicherheitslage, der sozioökonomische Kontext sowie die Parteipolitik für die Zuordnung der Länder zu den drei Gruppen verantwortlich zu sein. Die Stadtstaaten sind hierbei stark durch sozioökonomische Schwäche (höhere Arbeitslosigkeit) und eine schlechtere Sicherheitslage charakterisiert und scheinen hierauf mit einer starken Polizeipräsenz zu reagieren. Die Länder im konservativen Süden zeichnen sich durch eine vergleichsweise gute Sicherheitslage und eine Dominanz konservativer Parteien aus, die sich in einer repressiveren Kriminalpolitik ausdrückt.

Fazit

Wie hat sich die Politik der Inneren Sicherheit in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren entwickelt? Wir haben uns dieser Frage aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive gewidmet und dabei sowohl untersucht, wie sich Parteien im Wettbewerb um das Thema der Inneren Sicherheit positionieren, als auch analysiert, welche politischen Veränderungen sich in der Gesetzgebung feststellen lassen. Dabei zeigt sich, dass Themen der Inneren Sicherheit in Deutschland einen relevanten Platz in der politischen Debatte einnehmen, wobei im Parteienwettbewerb traditionell die Unionsparteien als issue owner dominieren, die erst in den vergangenen Jahren zunehmend von der AfD herausgefordert werden. Eine Bilanz der inhaltlichen Verschiebungen zeigt eine – im internationalen Vergleich – moderate Verschärfung des legislativen Status quo, wobei je nach Ereignis und öffentlicher Aufmerksamkeit ganz unterschiedliche Themen adressiert werden. Insbesondere die Regierungszusammensetzung und die Kontrolltätigkeit des Bundesverfassungsgerichts begünstigen oder hemmen den Policy-Wandel in diesem Politikfeld.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, New York 1964² (1651); Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 1976 (1922).

  2. Vgl. Christian Endreß, Die Vernetzung einer gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur, Frankfurt/M. 2013; Bernhard Frevel, Kriminalpolitik im institutionellen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.), Kriminalpolitik, Wiesbaden 2008, S. 103–120.

  3. Vgl. Hubert Beste, Innere Sicherheit und Sozialforschung, Münster 1983; Endreß (Anm. 2); Hans-Jürgen Lange, Innere Sicherheit im Politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Münster 1999.

  4. Vgl. Gert-Joachim Glaeßner/Astrid Lorenz (Hrsg.), Europäisierung der inneren Sicherheit. Eine vergleichende Untersuchung am Beispiel von organisierter Kriminalität und Terrorismus, Wiesbaden 2005.

  5. Vgl. Birgit Oldopp, Uniforme Standards, Kompetenzerweiterungen und Vetomöglichkeiten. Das Politikfeld innere Sicherheit in den USA, in Deutschland und der Europäischen Union, Baden-Baden 2012.

  6. Vgl. Christopher Daase, Der erweiterte Sicherheitsbegriff, in: Mir A. Ferdowsi/Muriel Asseburg (Hrsg.), Internationale Politik als Überlebensstrategie, München 2009, S. 137–154.

  7. Siehe hierzu etwa die Beiträge in den von Reimut Zohlnhöfer et al. herausgegebenen "Bilanz-Bänden" zu den Regierungen Schröder und Merkel, z.B. Andreas Busch, Von der Reformpolitik zur Restriktionspolitik? Die Innen- und Rechtspolitik der zweiten Regierung Schröder, in: Christoph Egle/Reimut Zohlnhöfer (Hrsg.), Ende des rot-grünen Projekts, Wiesbaden 2007, S. 408–430; Helge Staff/Georg Wenzelburger, German Exceptionalism? An Empirical Analysis of 20 Years of Law and Order Legislation, in: Politics & Policy 2/2016, S. 319–350.

  8. Vgl. Georg Wenzelburger/Helge Staff, The "Third Way" and the Politics of Law and Order: Explaining Differences in Law and Order Policies Between Blair’s New Labour and Schröder’s SPD, in: European Journal of Political Research 3/2020, S. 553–577.

  9. Vgl. aber Georg Wenzelburger, The Partisan Politics of Law and Order, Oxford 2020.

  10. Vgl. Christina Schlepper, Strafgesetzgebung in der Spätmoderne. Eine empirische Analyse legislativer Punitivität, Wiesbaden 2014.

  11. Vgl. Mick Cavadino/James Dignan, Penal Systems. A Comparative Approach, London 2006; Frieder Dünkel et al. (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalpolitik, strafrechtliche Sanktionspraxis und Gefangenenraten im europäischen Vergleich, Mönchengladbach 2010.

  12. Vgl. dazu z.B. Jane Green, When Voters and Parties Agree. Valence Issues and Party Competition, in: Political Studies 3/2007, S. 629–655; Donald E. Stokes, Spatial Models of Party Competition, in: American Political Science Review 2/1963, S. 368–377.

  13. Vgl. Jane Green/Sara B. Hobolt, Owning the Issue Agenda. Party Strategies and Vote Choices in British Elections, in: Electoral Studies 3/2008, S. 460–476.

  14. Vgl. Daniela Klimke/Rüdiger Lautmann, Die mediale Konstitution der Moralpanik um die Missbrauchsdelikte, in: Stephan Lessenich (Hrsg.), Routinen der Krise – Krise der Routinen, Trier 2014, S. 451–465; Will Jennings et al., Moral Panics and Punctuated Equilibrium in Public Policy. An Analysis of the Criminal Justice Policy Agenda in Britain, in: Policy Studies Journal 1/2020, S. 207–234.

  15. John Pratt, Penal Populism, London 2007.

  16. Vgl. Willem de Koster et al., The Rise of the Penal State. Neo-Liberalization or New Political Culture?, in: British Journal of Criminology 6/2008, S. 720–734; Georg Wenzelburger/Pascal D. König, Law-and-Order Populism? Assessing the Impact of Right-Wing Populist Parties on Law-and-Order Policies in Europe, in: Benjamin Biard et al. (Hrsg.), Do They Make a Difference? The Policy Influence of Radical Right Populist Parties in Western Europe, London 2019, S. 223–250.

  17. Vgl. Carolyn Hoyle/David Rose, Labour, Law and Order, in: The Political Quarterly 1/2001, S. 76–85; Tim Newburn, "Tough on Crime": Penal Policy in England and Wales, in: Crime and Justice 1/2007, S. 425–470.

  18. Vgl. Moshe Maor, Policy Bubbles: Policy Overreaction and Positive Feedback, in: Governance 3/2014, S. 469–487.

  19. Vgl. Kaare Strøm, A Behavioral Theory of Competitive Political Parties, in: American Political Science Review 2/1990, S. 565–598.

  20. Vgl. Petra Hemmelmann, Der Kompass der CDU. Analyse der Grundsatz- und Wahlprogramme von Adenauer bis Merkel, Wiesbaden 2017.

  21. Vgl. ebd.

  22. Vgl. Andrea Volkens et al., The Manifesto Data Collection. Manifesto Project (Mrg/Cmp/Marpor). Version 2021a, Berlin 2021.

  23. Vgl. John R. Petrocik, Issue Ownership in Presidential Elections, with a 1980 Case Study, in: American Journal of Political Science 3/1996, S. 825–850.

  24. Vgl. de Koster et al. (Anm. 16); Wenzelburger/König (Anm. 16).

  25. Für Frankreich vgl. z.B. Raymond Kuhn, Be Very Afraid: Television and L’insécurité in the 2002 French Presidential Election, in: European Journal of Communication 2/2005, S. 181–198; Dominique Monjardet, L’insécurité politique: Police et sécurité dans l’arène électorale, in: Sociologie du Travail 4/2002, S. 543–555.

  26. Vgl. Wenzelburger/Staff (Anm. 8), S. 562.

  27. Vgl. Busch (Anm. 7).

  28. Vgl. Georg Wenzelburger, Kontinuität statt Überbietungswettlauf, in: Reimut Zohlnhöfer/Fabian Engler (Hrsg.), Das Ende der Merkel-Jahre. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2018–2021, Wiesbaden 2022 (i.E.).

  29. Die Nähe und Distanzen zwischen den Parteien und den Themen können mit diesem Modell nicht erklärt werden, da es sich um eine symmetrische Darstellung handelt. Die Ausrichtung kann ausschließlich über die Koordinaten erklärt werden.

  30. Grundlage ist eine qualitative Einordnung aller Gesetze, die dem Politikfeld zugeordnet werden können, auf einer Skala von −3 (stark liberalisierend) bis +3 (stark verschärfend). Zur Kodierung vgl. Staff/Wenzelburger (Anm. 7).

  31. Vgl. Schlepper (Anm. 10).

  32. Die entsprechende Spalte in der Tabelle zeigt die Gesamtzahl der liberalisierten Gesetze und (in Klammern) die Anzahl der Liberalisierungen, die auf Interventionen des Bundesverfassungsgerichts zurückgehen.

  33. Vgl. Wenzelburger (Anm. 9).

  34. Vgl. ebd.

  35. Manfred Schmidt, West Germany: The Policy of the Middle Way, in: Journal of Public Policy 2/1987, S. 135–177.

  36. Die Clusteranalyse basiert auf Daten zur Ausgestaltung des Polizeirechts und zu den Ressourcen der Polizei sowie zur Sanktionspraxis und zur Regulierung des Strafvollzugs. Vgl. Georg Wenzelburger, Einheit und Vielfalt im Sicherheitsföderalismus. Muster der Sicherheitspolitik in den deutschen Ländern im Vergleich, in: Felix Knüpling et al. (Hrsg.), Reformbaustelle Bundesstaat, Wiesbaden 2022, S. 381–405.

Lizenz

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Weitere Inhalte

ist Professor für Policy-Analyse und Politische Ökonomie an der Technischen Universität Kaiserslautern.
E-Mail Link: georg.wenzelburger@sowi.uni-kl.de

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Policy-Analyse und Politische Ökonomie an der Technischen Universität Kaiserslautern.
E-Mail Link: denise.scharwatz@sowi.uni-kl.de