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Analyse: Die Hüter des russischen Internets: Netzbetreiber und ihre Rolle bei der Umsetzung von Informationsbeschränkungen | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die Hüter des russischen Internets: Netzbetreiber und ihre Rolle bei der Umsetzung von Informationsbeschränkungen Russland-Analysen Nr. 464

Annemarie Polheim

/ 11 Minuten zu lesen

Die russischen Internetanbieter nehmen eine Schlüsselposition bei der Informationskontrolle ein. Diese Analyse erläutert die Kontrollmechanismen anhand von zwei Gesetzen und der Drosselung von YouTube.

Mitarbeiter des Kabel-Internetdienstanbieters Dom.ru verlegen im Jahr 2019 ein Glasfaserkabel im Dorf Bobrowka in der Altaj Kraj. (© picture-alliance, dpa/TASS | Vladimir Smirnov)

Zusammenfassung

Als die russische Regierung im Juli 2024 mit der Drosselung von YouTube begann, konfigurierten einige Internetanbieter ihre Netze so, dass ihre Kund:innen unter Umgehung der staatlichen Datenkontrollsysteme weiterhin auf den Dienst zugreifen konnten. Trotz eines schnellen Eingreifens der Behörden gibt der Fall Aufschluss über die Funktionsweise und die Konflikte bei der zentralisierten Steuerung des russischen Internetverkehrs. Die russischen Internetanbieter nehmen dabei eine Schlüsselposition bei der digitalen Informationskontrolle ein. Diese Analyse erläutert diese Kontrollmechanismen anhand von zwei föderalen Gesetzen zur Internetregulierung und von Fallbeispiele.

Herausgeber der Länderanalysen

Die Russland-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., dem Deutschen Polen-Institut, dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) gGmbH gemeinsam herausgegeben. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht die Analysen als Lizenzausgabe.

Internetausfälle durch Internetkontrolle

Am Abend des 14. Januar 2025 fielen in Russland für mindestens 20 Minuten weite Teile des Internets aus. Nach Angaben der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor konnte das "Staatliche Zentrum für Überwachung und Kontrolle des öffentlichen Kommunikationsnetzes" den Netzbetrieb schnell wiederherstellen. Während der Wiederherstellung der Konnektivität waren eigentlich blockierte Websites wie YouTube, Discord, oder Instagram teilweise zugänglich. Nach kurzer Zeit lief der Netzbetrieb im Normalzustand weiter. Vermutlich war der Grund für den Ausfall eine Betriebsstörung der sogenannten TSPU ("Technitscheskije Sredstwa Protiwodejstwija Ugrosam", zu Deutsch "technische Mittel zur Gefahrenabwehr"), möglicherweise ein fehlerhaftes Update. TSPU sind jene Hard- und Softwarekomponenten, durch die der gesamte russische Internetverkehr geroutet werden muss, um unter staatlicher Koordinierung zentralisierte Filter zu implementieren. Internetanbieter in Russland sind verpflichtet, TSPU in ihren Netzen zu installieren und den zuständigen Behörden Fernzugriff zu gewähren. Die kurzfristige Verfügbarkeit blockierter Websites wie YouTube erklärt sich nach Expert:innenmeinungen dadurch, dass im Zuge der Wiederherstellung einige Netzbetreiber oder regionale Niederlassungen der zuständigen Internet-Koordinierungsbehörden den Datenverkehr im "Bypass"-Modus um die TSPU herum routeten.

Vor dem Hintergrund zunehmender Informationsbeschränkungen in Russland, die sich seit dem 24. Februar 2022 noch einmal drastisch verschärft haben, nehmen die TSPU eine immer bedeutendere Rolle für die technische Umsetzung der Informationskontrolle ein. Die Drosselung des beliebten Videohostingdienstes YouTube ab Mitte 2024 zeigt, wie eine Umgehung der TSPU durch Netzbetreiber auch eingesetzt werden kann, wenn keine technische Notwendigkeit besteht.

Anhand zweier russischer Internet-Regulierungsgesetze wird zunächst die zentrale Stellung der Netzbetreiber und TSPU für die Durchsetzung von Informationsbeschränkungen in Russland analysiert. Im Informationsgesetz ist beschrieben, wie Netzbetreiber in letzter Instanz für die Umsetzung von Zensurvorgaben verantwortlich sind. Im Telekommunikationsgesetz ist erläutert, welche technischen Bedingungen Netzbetreiber dafür erfüllen müssen und inwiefern sie bei der Internetkontrolle mit staatlichen Behörden kooperieren müssen. Anhand des Beispiels YouTube wird aufgezeigt, welche Konflikte zwischen Internetnutzer:innen, Netzbetreibern und staatlichen Akteuren bei der Einschränkung des Internetzugangs auftreten können. Aufgrund der rechtlichen Unsicherheit zu Beginn des staatlichen Vorgehens gegen YouTube entschieden einige Netzbetreiber, den entsprechenden Datenverkehr eigenmächtig an den TSPU vorbeizurouten. Dadurch unterwanderten sie die Entscheidungsmacht und die exklusive Kontrolle der TSPU durch staatliche Behörden. Abschließend wird diskutiert, wie die gesetzlichen Vorgaben zur Informationskontrolle sowie die Erfahrung aus der Drosselung YouTubes, im Interesse des russischen Staates mittel- bis langfristig zu einer Vereinheitlichung des Netzbetreibermarktes führen können.

Regulierung der Internetzensur in Russland

Zwei föderale Gesetze sind maßgeblich für die Regulierung des russischen Internets: Das Informationsgesetz Nr. 149 "Über Information, Informationstechnologien und Informationssicherheit" umfasst Rechte und Pflichten von Internetnutzer:innen und Inhaltsanbieter:innen in Bezug auf Suche, Empfang, Übermittlung, Eigentum und Verbreitung von Informationen. Das Telekommunikationsgesetz Nr. 126 "Über Telekommunikation" regelt Rechte und Pflichten von Telekommunikationsbetreibern, wie beispielsweise Lizenzbedingungen oder Berichtspflichten.

Das Informationsgesetz Nr. 149 enthält Listen von Themen und Webressourcen, über die keine Informationen verbreitet werden dürfen. Am bekanntesten ist die sogenannte "Blacklist" (bzw. "Sperrliste") für Webinhalte, unter die unter anderem die Kriminalisierung der LGBTQI+ Bewegung fällt, und die 2012 in das Informationsgesetz aufgenommen wurde (Paragraf 15.1). 2013 kam eine weitere Liste von "Informationen, die gesetzeswidrig verbreitet werden" hinzu, die unter anderem ein Diskreditierungsverbot der russischen Armee enthält (Paragraf 15.3). Die Paragrafen 15.9 und 10 enthalten Verbote der Verbreitung von Informationen "ausländischer Agenten", "unerwünschter", "extremistischer" oder "terroristischer" Organisationen, die in jeweils gesonderte Verzeichnissen aufgeführt sind. Die meisten dieser Verzeichnisse zur Verbreitung verbotener Informationen werden von der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor verwaltet.

Die konkrete Umsetzung dieser Informationsbeschränkungen ist in den Paragrafen 15.1 und nachfolgenden, sowie 10.2.2 beschrieben und läuft in allen Fällen ähnlich ab. Beispielsweise verläuft die Entfernung verbotener Informationen auf Webseiten (Paragraf 15.1) wie folgt: Zuerst verwarnt Roskomnadsor den Hosting Provider, über dessen Server Webseiten mit der verbotenen Information gehostet werden. Dieser verwarnt den Webseitenbetreiber und löscht dessen Websites eigenständig, wenn der Betreiber nicht kooperiert. Sollte auch der Hosting Provider nicht kooperieren, wird die entsprechende Webressource in die Blacklist aufgenommen. Für die Durchsetzung dieser Blacklist sind in letzter Instanz die Netzbetreiber verantwortlich. In anderen Fällen, beispielsweise beim Vorgehen gegen Spiegelwebseiten (Paragraf 15.6.1) oder VPN-Betreiber (Paragraf 15.8), unterscheidet sich das Verfahren dadurch, wer Informationseigentümer:in, -verbreiter:in oder Plattformeigner:in ist und somit in erster und zweiter Instanz verwarnt wird. Der letzte Teil des Verfahrens bleibt jedoch unverändert: In vorletzter Instanz wird der jeweilige Hosting Provider zur Löschung der Inhalte auf seinen Servern aufgefordert, in letzter Instanz immer die Netzbetreiber.

Die Schlüsselposition der Netzbetreiber

Nach Aufforderung von Roskomnadsor sind die Netzbetreiber verpflichtet, indizierte Webressourcen zu blockieren. Dies geschieht unter anderem auf Grundlage der Blacklist, welche Identifikationsmerkmale der verbotenen Websites wie IP-Adressen und Domainnamen enthält. Bis 2019 waren Netzbetreiber selbst für die Durchsetzung dieser Blacklist verantwortlich. Dafür konnten sie auf Basis der Metadaten von Internetpaketen automatisierte Filter setzen. Die Metadaten (Headerdaten) sind unverschlüsselt und enthalten unter anderem die IP-Adressen von Sender und Empfänger.

Seit Ende 2019 die Gesetzesänderung "Über das Souveräne Internet" am Telekommunikationsgesetz in Kraft trat, müssen Netzbetreiber sogenannte "Technische Geräte zur Abwendung von Bedrohungen gegen das stabile, sichere und integre Funktionieren des Informations- und Telekommunikationsnetzes "Internet" auf dem Gebiet der Russischen Föderation" (hier "TSPU" nach der russischen Abkürzung: Technitscheskije Sredstwa Protiwodejstwija Ugrosam) an Knotenpunkten ihrer Netze installieren. Dabei handelt es sich um Hard- und Softwarekomponenten, durch die der gesamte russische Internetverkehr geroutet werden muss. Mithilfe von DPI (Deep Packet Inspection: eine Technologie zur Auslesung von Internetpaketen) können an diesen Punkten Metadaten und Inhalte von Internetpaketen eingesehen und gegebenenfalls blockiert werden. Mutmaßlich ist die Funktionsweise der TSPU mit einem sogenannten Machine-in-the-Middle vergleichbar. Dabei handelt es sich um eine digitale Angriffsstrategie, mit der Datenströme gezielt mitgelesen und sogar manipuliert oder komplett unterbrochen werden können. Bei einem Machine-in-the-Middle Angriff können auch verschlüsselte Inhalte ausgelesen werden, da die angreifende Partei den Austausch von Verschlüsselungsinformationen mitlesen oder manipulieren kann. Wahrscheinlich werden aus Performancegründen allerdings zunächst auf Basis der Metadaten großflächig Filter implementiert. Durch Auslesen dieser unverschlüsselten Metadaten können auch Netzbetreiber selbst den Datenverkehr steuern und mussten ihn bis 2019 entsprechend der Gesetzgebung filtern. Durch die TSPU wird ihnen diese Verpflichtung aber vom russischen Staat (die Koordination hat dabei Roskomnadsor inne), abgenommen und durch die Möglichkeit der Entschlüsselung von Datenpaketen in ihrem Umfang erweitert. Über eine zentralisierte Steuerung aller TSPU kann das an Roskomnadsor angegliederte Zentrum für Monitoring und Überwachung des öffentlichen Kommunikationsnetzes (Zentr Monitoringa i Uprawlenija Setju Swjasi Obschtschego Polsowanija), sowie das Hauptfunkfrequenzzentrum (Glawnyj Radiotschastotnyj Zentr), den Datenverkehr des gesamten russischen Internets überwachen und Filter implementieren. Wie eingangs erwähnt passieren aufgrund kleinerer Fehler in dieser zentralisierten Steuerung auch immer wieder großflächige Internetausfälle, wie beispielsweise am 14. Januar 2025.

TSPU in der Praxis: Der Fall YouTube

Trotz jahrelanger Kampagnen zur Förderung inländischer Konkurrenten wie VK Video oder Rutube: YouTube war bis 2024 eine der meistgenutzten Webseiten Russlands. Im vergangenen Jahr ging die russische Regierung gegen den Google-eigenen Videohostingdienst vor. Ab Juli 2024 war YouTube landesweit über stationäre Internetanschlüsse nur noch gedrosselt verfügbar, was zunächst durch einen Verschleiß der Google Global Cache ("Zwischenspeicher") Server begründet wurde. Allerdings war der Videodienst über mobile Daten bis etwa Ende 2024 uneingeschränkt verfügbar. Einen offiziellen Anlass für die Drosselung oder Sperrung von YouTube gab es indes nicht. "YouTube.com" wurde weder auf der Liste verbotener Ressourcen (Blacklist) noch auf der Liste "ausländischer Agenten" oder "extremistischer Organisationen" geführt. Somit fehlte die rechtliche Grundlage für ein Vorgehen gegen den Dienst.

Aufgrund der ungleichmäßigen Drosselung kündigten massenweise Internetnutzer ihre Verträge mit stationären Internetanbietern, um ausschließlich mobiles Internet zu nutzen. Dies wirkte sich besonders negativ auf kleinere und regionale Netzbetreiber aus. Zwei Interessensvertretungen solcher Netzbetreiber – Rosteleset und AMOR (Assoziazija Malych Operatorow swjasi Regionow) – wandten sich an das Ministerium für Digitalisierung und an Roskomnadsor, um mindestens eine offizielle Bekanntgabe und eine rechtliche Begründung für das Vorgehen gehen YouTube zu erwirken. Rosteleset reichte zudem eine Klage bei der russischen Antimonopolbehörde ein, mit der Begründung, die ungleiche Drosselung sorge für eine Wettbewerbsverzerrung unter den Internetanbietern.

Einige Netzbetreiber gingen noch weiter, und leiteten den Datenverkehr ihrer Kunden zu YouTube eigenständig an den TSPU vorbei, von denen die Drosselung ausging. In Sankt Petersburg konfigurierten zwei Netzbetreiber ihre Netze beispielsweise so, dass Datenverkehr zu YouTube nicht mehr russische Google Caches ansteuerte und somit die TSPU passieren musste, sondern finnische. Ein Brancheninsider berichtete der Zeitung "Kommersant", dutzende Netzbetreiber im Land hätten diese oder eine ähnliche Art der Umgehung umgesetzt. Somit war YouTube für die Kund:innen dieser Netzbetreiber auch ohne VPN in gewohnter Geschwindigkeit verfügbar. Laut Medienberichten beriefen sich die Netzbetreiber auf die Nichteinhaltung des rechtmäßigen Vorgehens zur Informationsbeschränkung. Da sie ihren Kund:innen keinen offiziellen Grund der Drosselung von YouTube mitteilen konnten, hielten sie es für ihre vertragliche Pflicht, ihnen den Dienst zur Verfügung zu stellen.

Erwartungsgemäß hielt dieser Zustand nicht lange an. Ende August 2024 wies das für die Steuerung der TSPU zuständige Hauptfunkfrequenzzentrum die Netzbetreiber an, das Vorgehen einzustellen und bis zum 2. September 2024 über alle vorgenommenen Maßnahmen zu berichten.

Bis Ende 2024 wurde YouTube auch über mobile Netze gedrosselt und laut einer RBC Recherche erstmals durch den inländischen Konkurrenten Vkontakte hinsichtlich der Nutzer:innenzahl überholt. Dennoch ist dieser Fall einer eigenmächtigen und längerfristigen Umgehung der TSPU eine bemerkenswerte Zuwiderhandlung russischer Netzbetreiber gegen staatliche Behörden und verweist auf Schwachstellen der TSPU-Infrastruktur, über die auf Verwaltungs- und technischer Ebene bislang wenig bekannt ist.

Das Fallbeispiel YouTube zeigt die Komplexität in der Anwendung der TSPU, da eine zentralisierte Steuerung auf eine dezentrale Netzinfrastruktur angewendet werden muss. Denn das Routing des Datenverkehrs der Netzkunden durch die TSPU ist ohne die aktive Konfigurierung und Kooperation der Netzbetreiber nicht möglich. Die TSPU können durch die zugriffsberechtigten Behörden umgangen werden, etwa im Fall von technischen Störungen. Auch die Betreiber können ihren Datenverkehr um die TSPU herumrouten, allerdings ist dieses Vorgehen spätestens nach dem Fall YouTube illegal.

Vereinheitlichung des Netzbetreibermarktes

Jedes TSPU verursacht Kosten für Hardware, Software und Wartung. Je mehr Netzbetreiber, desto mehr TSPU und auch desto mehr Meinungen, wie das Gesetz auszulegen ist. Es ist davon auszugehen, dass die russische Regierung ein Interesse an der Vereinheitlichung des Netzbetreibermarktes hat. Die Arbeit von AMOR und Rosteleset macht deutlich, dass kleinere und unabhängige Netzbetreiber in Russland gegenüber dem staatlichen und größten Anbieter Rostelecom benachteiligt sind. Beispielsweise zahlen unabhängige Internetanbieter seit Jahren eine etwa zehnmal höhere Miete als Rostelecom für die Nutzung von Kabelmasten, die zu 90 Prozent der staatlich kontrollierten Firma Rosseti gehören. Im Januar 2025 sind die Mietkosten aufgrund eines neuen Berechnungsmodells für alle Netzbetreiber außer Rostelecom auf das Fünfzigfache angehoben worden. Die russische Antimonopolbehörde schweigt dazu, obwohl Klagen gegen diese Ungleichbehandlung auf kommunaler Ebene teilweise erfolgreich waren. Es ist nicht eindeutig klar, ob dahinter eine staatliche Strategie steht, es spricht allerdings einiges dafür. Ein weiteres Beispiel: Rostelecom profitiert durch die Finanzierung aus einer staatlichen Rücklage, die unter anderem zum Ausbau des Internets in entlegenen Regionen bestimmt ist. Hierfür wurde Rostelecom beauftragt. In diesen Topf müssen alle Netzbetreiber zwei Prozent ihres jährlichen Gewinns einzahlen. Auf diese Weise erlangt Rostelecom Besitz über ein stetig wachsendes Netz, während andere Betreiber im Zuge der Abgabe geschwächt und langfristig aus dem Markt gedrängt werden könnten. In der Folge wäre eine engere Kooperation zwischen staatlichen Behörden und wenigeren Netzbetreibern denkbar, was eine Effektivitätssteigerung und, möglicherweise, eine Kostensenkung für Russlands staatliche Internetkontrolle bedeuten würde.

Fazit

Über die russischen Gesetze zur Internetregulierung Nr. 126 und Nr. 149 sowie über die technischen Möglichkeiten zur Kontrolle des Datenverkehrs auf Netzwerkebene lässt sich die zentrale Position der Netzbetreiber für die Kontrolle über den Internetverkehr in Russland verdeutlichen. Die Rolle als "Hüter des Internets" wird den Netzbetreibern per Gesetz vollständig und in der Praxis in großen Teilen aus der Hand genommen, indem Roskomnadsor über die zentralisierte Steuerung eines dezentralen Systems der TSPU den gesamten russischen Datenverkehr steuert.

In der Praxis sorgen die TSPU durch die zentralisierte Steuerung immer wieder für großflächige Internetausfälle. Tritt eine derartige Notsituation ein, dann können die staatlichen Koordinierungsstellen im Bypass-Modus den Datenverkehr an den TSPU vorbeileiten, um kurzfristig den störungsfreien Internetverkehr wieder herzustellen. Auch Netzbetreiber haben Möglichkeiten, den Datenverkehr ihrer Kund:innen um die TSPU herumzuleiten. Der Fall YouTube zeigt, dass einige Netzbetreiber diese Möglichkeit auch nutzen, wenn keine technische Notwenigkeit besteht. Die Folge war, dass eine eigenständige Umgehung der TSPU durch die Netzbetreiber weitgehend gesetzlich verboten wurde.

Aufgrund der technischen Möglichkeiten der Netzbetreiber ergeben sich Fragen nach deren Politisierung. Die Umgehung der TSPU für Datenverkehr von YouTube wurde rechtlich und wirtschaftlich begründet. Allerdings gibt es das Potential für eine Umleitung des Verkehrs aus politischen Gründen, beispielsweise um oppositionelle Webinhalte für Endkund:innen verfügbar zu machen. In diesem Zusammenhang wären Studien interessant, die untersuchen, wie die TSPU in der Praxis von Netzbetreibern und Behörden gehandhabt werden und wie eng die behördlichen Kontrollen sind.

Danksagung und Hinweise

Danke an Prof. Dr. Marie Caroline Oetzel, Professorin für IT-Sicherheit an der TH Aschaffenburg, für ein Experteninterview zu den technischen Möglichkeiten digitaler Informationskontrolle.

Der vorliegende Artikel beruht in Teilen auf einem Konferenzpapier über die Internetgesetzgebung in Russland, der im Juli 2024 auf der JOE-Tagung in Gießen vorgestellt wurde. Danke für das konstruktive Feedback während der Tagung.

Weitere Inhalte

Annemarie Polheim ist Doktorandin der Justus-Liebig-Universität Gießen und Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stif- tung. Sie forscht zum souveränen russischen Internet und internationaler Internetverwaltung. Seit 2016 studiert sie die Region Russland.