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Analyse: Nach dem Aufstand: der Untergang von Jewgenij Prigoschins digitalem Imperium Russland-Analysen Nr. 464

Serge Poliakoff

/ 12 Minuten zu lesen

Diese Analyse dokumentiert den Untergang von Jewgenij Prigoschins Medienimperium nach dem gescheiterten Aufstand im June 2023 am Beispiel der Lebensläufe von Medienschaffenden der Mediengruppe "Patriot".

Eine Gerichtsverhandlung zur Festlegung einer Strafmaßnahme für den ehemaligen Top-Manager Ilja Gorbunow der Mediengruppe „Patriot“ von Jewgenij Prigoschin. (© picture-alliance, Sipa USA | Kommersant Photo Agency)

Zusammenfassung

Nach dem gescheiterten Aufstand gegen den Kreml sind noch viele Fragen zu Jewgenij Prigoschins digitalem Imperium offen. Bemerkenswert ist vor allem das Verschwinden der berüchtigten "Trollfabrik", die sich noch 2016 in die US-Präsidentschaftswahlen eingemischt hatte. Diese Analyse untersucht, was mit Prigoschins Medienschaffenden geschah, wie der russische Staat bereits 2019 einen Konkurrenten für Prigoschins "Trollfabrik" aufbaute, und warum es unwahrscheinlich ist, dass Russland nach dem Prigoschin-Aufstand seine Soft- oder Hardpower in private Hände auslagern wird.

Herausgeber der Länderanalysen

Die Russland-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., dem Deutschen Polen-Institut, dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) gGmbH gemeinsam herausgegeben. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht die Analysen als Lizenzausgabe.

Von der "Agentur für Internetrecherchen" zur Mediengruppe "Patriot"

Jewgenij Prigoschin besaß die beiden mächtigsten Instrumente, mit denen Russland im Ausland Einfluss nahm (und intervenierte), nämlich die Söldnertruppe "Wagner" und die "Agentur für Internetrecherchen" (im Weiteren: "Internetagentur"), also die Trollfabrik, die von den USA für die versuchte Beeinflussung der Präsidentschaftswahlen von 2016 mit Sanktionen belegt wurde. Für den russischen Staat war es vorteilhaft, diese Einflussnahme Prigoschin zuzuschreiben und dadurch die Verantwortung für das Vorgehen der "Internetagentur" und der Wagner-Gruppe zu einem gewissen Grad abstreiten zu können. Mit dem Beginn der Vollinvasion in die Ukraine hat Russland jedoch aufgehört, seine aggressive außenpolitische Haltung zu verbergen. Prigoschin nutzte die Gelegenheit und stellte die Wagner-Gruppe (im September 2022) und der "Internetagentur" (im Februar 2023) als seine eigenen Projekte dar und nahm dem Staat somit die Möglichkeit, deren "Erfolge" für sich zu verbuchen. Dieser Vorstoß war womöglich der Punkt, an dem Prigoschins kurze politischen Karriere begann, die 2023 genau zwei Monate nach seinem Aufstand gegen den Kreml mit seinem Tod endete.

Die "Internetagentur", die nach einer Theorie im Anschluss an Prigoschins Unterredungen mit Wjatscheslaw Wolodin (seinerzeit stellvertretender Leiter der russischen Präsidialadministration) aufgebaut wurde, hatte sich im Laufe von nicht einmal einem Jahrzehnt zu einem digitalen Imperium entwickelt. Prigoschin schuf im Umfeld der "Internetagentur" eine Medienholding Namens Mediengruppe "Patriot", die neun Medienportale umfasste. Er leugnete nicht, dass die Mediengruppe in seinem Besitz ist (er war Vorsitzender des Kuratoriums). Nach den US-Sanktionen von 2018 setzte Prigoschin "Patriot" dazu ein, das Vorgehen seiner Internet-Trolle zu verschleiern. Das hat auch meine Analyse der Lebensläufe auf zwei der beliebtesten russischen Bewerbungsportale ergeben ("hh.ru" und "superjob.ru"), mehr dazu weiter unten.

Medien und Aufstand

Für Prigoschins politische Karriere, die nach seinem Aufstand endete, war sein medialer Einfluss sicherlich hilfreich. Sein Vorgehen nach der Vollinvasion in die Ukraine erinnerte an eine echte politische Kampagne. In den ersten Tagen nach Beginn der Vollinvasion erschien bei RIA FAN ("Föderale Nachrichtenagentur"), dem Flaggschiff der Mediengruppe "Patriot", Prigoschins Kolumne (einer der ersten journalistischen Texte, die angeblich aus Prigoschins Feder stammten). Später ging Prigoschins Kommunikation zu einem Netz von Telegram-Kanälen und -Gruppen über, mit dem Kanal seines Pressedienstes im Zentrum ("Prigoschins Pressedienst"), aber auch "Prigoschins Cap". Hierzu gehörten zudem mit der Wagner-Gruppe verbundene Kanäle, unter anderem "Grey Zone", "Alex Parker Returns", und Prigoschins "patriotische Organisation" Namens "Cyberfront Z". Die Formate wechselten, von ersten journalistischen Kolumnen bis hin zu schockierenden Videos. Sie kulminierten in einer Sprachnachricht mit schreiender Stimme, in der er den Marsch der Wagner-Gruppe auf Moskau ankündigte. Am Abend des Aufstands, am 23. Juni 2023, war die russische staatliche Propaganda genötigt, im Fernsehen eine Eil-Botschaft zu senden, mit der die Bevölkerung aufgerufen wurde, den auf den Telegram-Kanälen kursierenden Nachrichten nicht zu glauben.

Prigoschin versuchte mit seiner medialen Kommunikation nach Beginn der Vollinvasion in die Ukraine, einen direkten Konflikt zwischen der Mediengruppe "Patriot" mit dem Verteidigungsministerium zu vermeiden. "Patriot" berichtete zwar über Prigoschins Botschaften, diese wurden aber nicht direkt veröffentlicht. Die Beiträge erschienen in einem eher neutralen Berichtsstil. "Patriot" produzierte vorwiegend Inhalte, die eher auf Masse anstelle von Qualität setzten. Seine Belegschaft arbeitete rund um die Uhr, unter anderem auch ein Fernsehteam. Das unterscheidet Prigoschin von jenen, die 1991 (beim Augustputsch) und 1993 (beim Konflikt zwischen Jelzin und dem Parlament) auf der Verliererseite waren, u. a. weil sie während der Auseinandersetzungen der Macht der Medien relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Die Zeit nach Prigoschins digitalem Imperium

Am Morgen des 24. Juni 2023, des zweiten Tags der Aufstands, wurden "Patriot" und andere mit Prigoschin verbundene Medien auf Anordnung des Generalstaatsanwalts auf VK, Russlands größtem sozialen Netz, gesperrt. Es war einer der schwerwiegendsten Fälle, bei dem Inhalte auf VK blockiert wurden; die Sperrung besteht bis heute. Darüber hinaus blockierten russische Internetanbieter Webseiten von "Patriot". Die Mediengruppe produzierte nach dem Aufstand noch eine Woche lang Beiträge. Am 30. Juni 2023 wurde der Betrieb eingestellt, nachdem Sicherheitskräfte in die Räumlichkeiten eindrangen und die Server beschlagnahmt wurden. Es gab Gerüchte, Prigoschin habe in dieser Woche befohlen, sämtliche Daten zu löschen. Online-Inhalte von "Patriot" sind nur noch in Internetarchiven zu finden.

Es gibt nicht sehr viel öffentlich zugängliche Informationen darüber, was nach dem Aufstand mit Prigoschins Medienleuten passierte. Einige Mitarbeiter:innen von "Patriot" erklärten in Interviews mit ausländischen Medien, sie hätten ihr Gehalt für Juni 2023 nicht erhalten. 2024 berichteten russische Medien von der Verhaftung zweier ehemaliger Mitarbeiter:innen von "Patriot". Hintergrund scheint aber wohl eher eine Auseinandersetzung zwischen ehemaligen Mitarbeiter:innen Prigoschins gewesen zu sein, und nicht ein Konflikt zwischen dem Staat und Leuten, die einst Prigoschin gegenüber loyal waren. Prigoschins Sohn Pawel war formal der Erbe. Er machte jedoch keine Anstalten, die Medien zu reaktivieren. Die letzte verbliebene juristische Person, die mit "Patriot" verbunden war, leitete am 22. Oktober 2024 offiziell ihre Auflösung ein.

Das größte Problem bei einer Analyse von Prigoschins digitalem Imperium (sowohl vor wie auch nach dessen Tod) besteht darin, dass es nicht möglich ist, alle dazugehörigen Einheiten eindeutig zu identifizieren (Prigoschins Medienaktivitäten in Afrika sind noch schwieriger nachzuvollziehen). Am Vorabend des Aufstands gehörten zu den inländischen Medienressourcen, die mit Prigoschin in Verbindung gebracht wurden, jene, die von den "Patriot"-Büros in St. Petersburg aus arbeiteten, jene, die ein kommerzielles Interesse an einer Verbreitung von Prigoschins Botschaften hatten, und jene, die mit Prigoschin ideologisch verbündet waren. Die Löschung der digitalen Spuren von "Patriot", könnte darauf hinweisen, dass selbst den russischen Behörden nicht vollkommen klar war, welche Medien nach der Aufstand nun zu blockieren waren.

Bei der Untersuchung von Lebensläufen ehemaliger Mitarbeiter:innen von Patriot und der Internetagentur stieß ich auf einige weitere Ressourcen: auf Thinktanks, YouTube-Kanäle für Kinder mit animierten Bildungsclips und Gruppen in den sozialen Medien. Die meisten werden derzeit (im März 2025) immer noch nicht von Behörden im Westen oder von russischen oder westlichen sozialen Medien blockiert – und auch nicht von den russischen Zensurbehörden. Einige frühere Prigoschin-Angestellte berichteten, sein Mediennetz habe aus mindesten 15 juristischen Personen und mehreren Einzelunternehmer:innen bestanden.

Lebensläufe von Medienangestellten Prigoschins nach dem Aufstand

Für eine Untersuchung der weiteren Lebensläufe ehemaliger Mitarbeiter:innen der "Internetagentur" suchte ich nach den Lebensläufen mit den gleichen Suchbegriffen wie bei meinen Artikeln über "Patriot" und die "Internetagentur" (siehe Lesetipps). Im Vergleich mit den 350 Lebensläufen von Mitarbeiter:innen der "Internetagentur" und denen von 818 Leuten bei "Patriot", die ich im März 2022 ermitteln konnte, waren im Oktober 2024 nur 122 Lebensläufe ehemaliger Mitarbeiter:innen der "Internetagentur" und von "Patriot" zu finden. 83 dieser Lebensläufe waren im September 2024 aktualisiert worden. 18 Personen schreiben, dass sie Prigoschins Firmen im Mai 2023 verlassen haben, also einen Monat vor der Aufstand, 11 taten dies im Juni 2023. Aus den Daten geht hervor, dass es keine juristischen Personen, Firmen oder Medien gibt, in denen sich jetzt eine Gruppe ehemaliger Patriot-Angestellter gebildet hat (wo also nach dem Verlassen von Prigoschins Imperium zwei oder mehr "Ehemalige" eingestellt wurden). Elf Personen gingen einer Tätigkeit als Freelancer in unterschiedlichen Branchen nach. Die anderen arbeiteten meist bei lokalen Petersburger Medien weiter.

Dass im Vergleich zu meinen früheren Recherchen nur relativ wenige Lebensläufe verfügbar waren könnte darauf zurückzuführen sein, dass ehemalige Mitarbeiter:innen jetzt entweder ihre Lebensläufe von den einschlägigen Portalen heruntergenommen oder dort jede Erwähnung von Prigoschins Medienunternehmen gelöscht haben. Bei der Datenerhebung im Oktober 2024, also nach dem Aufstand, erwähnten einige wenige ihre Tätigkeit – vermutlich, um keine Lücken in ihrem Lebenslauf aufführen zu müssen. Eine der Personen beschrieb die Situation im Lebenslauf so: "Ich arbeitete in Prigoschins Team, mit allen sich daraus ergebenden Kontakten und Verbindungen, als dieser dem Präsidenten der Russischen Föderation gegenüber noch loyal war."

Erfolgreicher Konkurrent: ANO "Dialog"

Prigoschins Konflikte mit dem Staat um wirtschaftliche Ressourcen hatten bereits vor der Vollinvasion in die Ukraine begonnen. Russische Journalist:innen berichteten, dass er Auseinandersetzungen mit dem Verteidigungsministerium und der Präsidialadministration hatte. Wir wissen zwar nichts Genaueres über den zweiten Konflikt, doch ist bekannt, dass die Präsidialadministration seit 2019 eine andere Organisation gefördert hat, die ähnliche Aufgaben wie Prigoschins Trollfabrik übernahm, nämlich die ANO "Dialog" (ANO ist die Abkürzung für "Autonome Non-Profit-Organisation", eine der in der russischen Gesetzgebung vorgesehenen Formen einer gesellschaftlichen Organisation).

Die ANO "Dialog" wurde 2019 von der Kanzlei des Moskauer Bürgermeisters begründet. De jure hatte sie ursprünglich die Aufgabe, einen digitalen Kanal einzurichten, über den die Moskauer Regierung auf die alltäglichen Beschwerden der Bevölkerung reagieren kann. Kurz darauf erhielt die Organisation aufgrund eines Erlasses von Putin Gelder aus dem Staatshaushalt und wurde damit beauftragt, ein landesweites Medienmonitoring zur Coronapandemie zu betreiben. Ab diesem Zeitpunkt war die ANO "Dialog" für Operationen auf zentralstaatlicher Ebene zuständig und war eher der russischen Präsidialadministration verantwortlich als der Moskauer Stadtregierung. De facto wurde sie eingerichtet, um ein umfangreiches Monitoring und eine Analyse der sozialen Medien vorzunehmen und auf dieser Grundlage Desinformationskampagnen zu starten sowie den digitalen Raum zu dominieren, indem dieser mit staatsnahen Gruppen überschwemmt wurde (etwa von staatlichen Schulen, Kindergärten oder Krankenhäusern). Letztere Technik war ursprünglich von Prigoschin eingesetzt worden. Die Mitarbeiter:innen seiner "Internetagentur" hatten auf städtischer Ebene Gruppen auf VK eingerichtet, in denen sie regionale Nachrichten weiterleiteten, und konnten das als Netzwerk zur Verbreitung eigener Botschaften nutzen. "Dialog" richtete in sozialen Medien Gruppen ein, und zwar für russische Städte und besetzte Gebiete in der Ukraine, für Stadtbezirke und alle Schulen. Die Organisation konnte erreichen, dass ein neues Gesetz verabschiedet wurde, welches alle staatlichen Einrichtungen verpflichtete, in sozialen Medien (bei VK oder "Odnoklassniki") öffentliche Gruppen (russ.: "gospabliki") zu unterhalten, die mit dem Portal "Gosuslugi" für öffentliche Dienstleistung verknüpft sind. "Dialog" präsentierte sich als Auftragnehmer, der "gospabliki" einrichten kann.

Nach Beginn der Coronapandemie wurde "Dialog" eingesetzt, um ein digitales Monitoring zu coronarelevanten Themen durchzuführen; daneben sollte gegen Falschinformationen über das Virus vorgegangen werden. Dieses Monitoring zur Coronapandemie entwickelte sich zu einem breit angelegten Monitoring der sozialen Medien in Russland. "Dialog" erhielt beträchtliche Gelder aus dem russischen Staatshaushalt und wuchs zu einer landesweiten Organisation heran, die in nahezu jeder Region Vertretungen hatte, die als "Verwaltungszentren für die Region" bezeichnet wurden. Nach Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine erhielt "Dialog" zusätzliche Haushaltsgelder, um die besetzten und annektierten Gebiete in der Ukraine zu digitalisieren (und damit digital zu besetzen). In der Folge wurde die Organisation von der EU, Großbritannien und den USA wegen der Verbreitung von Online-Propaganda mit Sanktionen belegt. "Dialog" wurde auch mit der jüngsten Desinformationskampagne namens "Doppelgänger" in Verbindung gebracht, die auf eine Schwächung der Unterstützung für die Ukraine in der westlichen Öffentlichkeit abzielte.

Das Projekt "Botnadsor" [in etwa: "Bot-Watch", Anm. d. Red.], das bei VK Bot-Aktivitäten aufspürt und beobachtet, berichtete, dass sich die Zahl der Bot-Kommentare während und nach Prigoschins Aufstand nicht verändert habe. Gleichzeitig hat das Projekt in fast jeder russischen Region Bot-Aktivitäten festgestellt – überall dort, wo "Dialog" eine Regionalvertretung hat. Das könnte ein Hinweis sein, dass Prigoschin gegenüber "Dialog" das Nachsehen hatte, nachdem letzteres 2020 mit landesweiten Operationen betraut worden war, etwa mit der Informationskontrolle in den sozialen Medien während der Coronapandemie. Auch der Wechsel von Alexej Goreslawskij aus der Präsidialadministration auf den Geschäftsführerposten bei "Dialog" im Februar 2020 könnte ein Faktor gewesen sein. Das könnte zudem Prigoschins Medienaktivitäten im Vorfeld der Vollinvasion erklären. Prigoschins berühmtester Vorstoß war sein Versuch, Alexej Nawalnyj, der in St. Petersburg ein lokales Kampagnenbüro eröffnen wollte, dadurch zu diskreditieren, dass er Fotos von sich und Nawalnyj postete, wie sie das gleiche Hotel verlassen. Dieses Foto wurde das Userpic von "Prigoschins Cap", einem seiner wichtigsten Telegram-Kanäle.

Davon abgesehen wurde Prigoschin in den Medien meist im Kontext seines Streits mit dem Petersburger Bürgermeister Alexandr Beglow erwähnt. Prigoschin produzierte B-Movies über seinen Großvater ("Rschew", 2019), über die Wagner-Gruppe ("Solnzepjok", dt.: "Heißes Sonnenlicht" [ebenfalls der Spitzname des Mehrfachraketenwerfers TOS-1 Buratino, der thermobarische Sprengköpfe abfeuert, Anm. d. Red.], 2021; "Tourist", 2021) über seinen Polittechnologen Maxim Schugalej ("Schugalej", 2020/21) und die "Agentur für Internetrecherche" ("Der 16.", 2021). Der letzte Film war Teil von Prigoschins Arbeit am eigenen Mythos, wobei er versuchte, über seine Präsenz in den Medien die Kontrolle zu erlangen: Er klagte gegen russische und ausländische Journalist:innen, die über seine Verbindungen zur Wagner-Gruppe und zur "Internetagentur" berichtet hatten, und versuchte, sein Image eines mysteriösen Gauners aufrecht zu erhalten.

Bis zu dem Zeitpunkt, als am 14. September 2022 das erste Video auftauchte, auf dem Prigoschin Strafgefangene für die Wagner-Gruppe und den Einsatz in der Ukraine rekrutiert (in einer Strafkolonie in der Republik Mari El) , hatten nur wenige seine Stimme gehört. Mit diesem Video begann eine recht erfolgreiche politische Kampagne, bei der Prigoschin seine Beteiligung und die der Wagner-Gruppe am Krieg dazu nutzte, zu einer der populärsten Personen in Russland zu werden. Er wurde zu einem der wichtigsten Gesichter der russischen Vollinvasion in die Ukraine. Seine Loyalität zum Staat bekam erstmals nach den "Fleischwolf"-Schlachten zur Eroberung von Bachmut Risse. Dort hat er mutmaßlich viele Kämpfer der Wagner-Gruppe verloren, was ihn dazu brachte, die Führung des Verteidigungsministeriums zu attackieren. Seine letzten Statements scheinen ein Angriff nicht nur gegen das Verteidigungsministerium gewesen zu sein, sondern ganz allgemein gegen das russische Establishment ("jesli wdrug deduschka mudak", "Und wenn der Opa doch ein Vollidiot ist?" [Prigoschin behauptete später, dass er damit Generalstabschef Gerassimow gemeint habe. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass er bewusst zweideutig auch auf Putin angespielt hatte, den schon Nawalnyj als "Opa im Bunker" bezeichnete, Anm. d. Red.] ). Da er sowohl die Wagner-Gruppe wie auch sein digitales Schattenreich unter sich hatte, wurde Prigoschin mit seiner zweifelhaften Loyalität zu einer Bedrohung für den Staat. Im ersten Teil des Interviews, das am Morgen des Aufstands am 23. Juni 2023 veröffentlicht wurde, verwarf er sämtliche offiziellen Narrative über die Ursprünge der russischen Vollinvasion. Er behauptete, die Gründe seien die Korruption und die persönlichen Ambitionen der Oligarchen, die in Russland am Ruder sind. Der versprochene zweite Teil dieses Interviews wurde nie veröffentlicht.

Schlussfolgerungen

Der Aufbau von Prigoschins "Agentur für Internetrecherche" nach den gescheiterten Protesten von 2011/12 [gemeint ist die Bolotnaja-Protestbewegung gegen die gefälschten Parlamentswahlen 2011 und die darauffolgenden Repressionen, Anm. d. Red.] fiel zeitlich grob mit der erfolgreichen, zum Teil digital befeuerten ukrainischen Revolution der Würde 2013/2014 zusammen. Die Agentur wuchs zu einem digitalen Imperium in privater Hand und wurde für seinen Besitzer zu einem Instrument für politische Kampagnen im digitalen Raum. Das war einer der wenigen Orte, wo solche Kampagnen möglich waren, was auch Nawalnyjs YouTube-Kampagnen belegen. Prigoschins digitales Imperium war eine Woche nach dem Aufstand verschwunden. Die "Mediengruppe Patriot" wurde nie in den staatlichen Propagandaapparat integriert. Auf einigen Telegram-Kanälen wurden zwar im Sommer 2023 weiterhin Prigoschins Fotos und Videos aus Belarus und Afrika gepostet. Sie erreichten aber nie ein derart großes Publikum wie noch vor dem Aufstand. Die Demontage des Medienimperiums erfolgte weitgehend geräuschlos. Die wichtigsten digitalen Aufgaben, die der Staat früher an Prigoschin ausgelagert hatte, waren lange vor Prigoschins Tod der ANO "Dialog" übertragen worden.

Das Ende von Prigoschin und seinem digitalen Imperium bedeutete, dass politischer Protest im digitalen Raum nicht mehr möglich war, selbst innerhalb der Elite (schließlich war Widerspruch nach Beginn der Vollinvasion durch restriktive Gesetze generell unterbunden worden). Und dieses Ende bedeutete abschließend den Transfer der Trollfabriken und Stellen zur Kontrolle der sozialen Medien (wie etwa "Dialog") in staatliche Hände (oder zumindest unter dessen unmittelbare Kontrolle). Seither ist es unwahrscheinlich, dass es jemals wieder einem Oligarchen erlaubt wird, über eine derartige Konzentration von Medienmacht zu verfügen, die er gegen den Staat einsetzen könnte.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Diese Analyse basiert auf der Forschung des Projektes RUSINFORM (Externer Link: https://www.rusinform.uni-passau.de/), welches vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen von Horizon 2020, einem Forschungs- und Innovationsprogramm der Europäischen Union (Zuschussvereinbarungsnummer 819025), gefördert wird.

Weitere Inhalte

Serge Poliakoff ist Doktorand und forscht beim Consolidator Project des European Research Council (ERC) unter dem Titel "Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Russlands informationellen Einfluss im Ausland" (RUSINFORM, 2019–2025) an der Universität Passau. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Russlands informationeller Einfluss, Trollfabriken (insbesondere Prigoschins "Agentur für Internetrecherche" und die Mediengruppe "Patriot"), Desinformation, Falschinformationen und Propaganda.