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Kommentar: Horizontale Verzerrungen: Engagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Unterstützung des Regimes | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Horizontale Verzerrungen: Engagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Unterstützung des Regimes Russland-Analysen Nr. 466

Wsewolod Bederson

/ 8 Minuten zu lesen

Wie Autokraten Bürgerinitiativen für ihre Zwecke nutzen: Ein Blick auf Russlands Strategie zur Kontrolle und Mobilisierung der Gesellschaft.

Mitglieder der Yunarmia (Junge Armee), einer vom russischen Militär gesponserten Organisation, die den Patriotismus unter der russischen Jugend fördern will, nehmen in T-Shirts in den Farben der russischen Nationalflagge an einer Zeremonie zum Hissen der russischen Flagge anlässlich des Tags Russlands am Siegesdenkmal auf dem Poklonnaja-Hügel in Moskau teil. (© picture-alliance/AP, Alexander Zemlianichenko)

Herausgeber der Länderanalysen

Die Russland-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., dem Deutschen Polen-Institut, dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) gGmbH gemeinsam herausgegeben. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht die Analysen als Lizenzausgabe.

Zivilgesellschaftliche Organisationen im Autoritarismus

Die Politik in Autokratien kann mit einem Zerrspiegel verglichen werden. Das Parlament spiegelt nicht den Willen des Volkes wider, Wahlen führen nicht zu einem Machtwechsel und es gibt keinen echten Parteienwettbewerb. Im alltäglichen Leben und in den sozialen Beziehungen unterhalb des Radars des autoritären Regimes gibt es jedoch immer noch Raum für bürgerschaftliche Initiativen, Freiwilligenarbeit, Wohltätigkeit und Selbstorganisation. Das zivilgesellschaftliche Leben an der Basis, das außerhalb von Staat und Wirtschaft existiert, bleibt für autoritäre Regime lange unsichtbar. Doch in dem Maße, wie die Regime die Kontrolle über die wichtigsten Institutionen festigen, achten Autokraten zunehmend auch auf diesen Sektor. Sie machen gesellschaftliche Organisationen und Bürgervereinigungen zu Instrumenten, mit denen sie sich die Loyalität gesellschaftlicher Gruppen erkaufen, politische Ziele mit geringen Kosten umsetzen und ausbleibendes Feedback aus der Bevölkerung aufgrund von Medienzensur und Repressionen kompensieren können.

In Russland begann die gezielte Kooptierung und Unterwerfung der auf Berufstätigkeit basierenden gemeinnützigen Organisationen in den Jahren 2012–2013. Der Kreml griff auf eine Reihe von Maßnahmen zurück: Einschränkung der ausländischen Finanzierung, Einführung des Status „ausländischer Agenten“ und „unerwünschter Organisationen“ und die gezielte Verteilung von „Zuwendungen“ aus dem Förderprogramm des Präsidenten zur Unterstützung loyaler Strukturen. Mit diesen Maßnahmen wurden die offiziell registrierten Nichtregierungsorganisationen unter Kontrolle gebracht. Allerdings geht zivilgesellschaftlicher Aktivismus weit über den beruflich organisierten Sektor hinaus und umfasst alltägliche Formen der Selbstorganisation: Sportvereine, Hausbesitzervereinigungen, Eltern-Chatgruppen, Tanzgemeinschaften und andere informelle Zusammenschlüsse, die Sozialkapital, gegenseitiges Vertrauen und horizontale Netzwerke schaffen.

Klassische Werke der Politikwissenschaft stellen eine Verbindung her zwischen Faktoren wie dem Vertrauen in die Gesellschaft, des Ausmaßes an Sozialkapital und der Stärke der sozialen Netzwerke mit der Qualität der Demokratie und der öffentlichen Dienstleistungen. Die Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Vereinigungen verringert die Transaktionskosten der Kommunikation: Die Bürger:innen finden schneller Gleichgesinnte, können andere auf geteilte Werte überprüfen und schneller untereinander kommunizieren. Die Kommunikationsdichte und -geschwindigkeit erhöht sich, was wiederum die soziale Mobilisierung erleichtert: Es ist effektiver über ein Netzwerk von Gleichgesinnten, die einander vertrauen und daran interessiert sind, wichtige Informationen mitzuteilen, zu einer Umweltaktion oder Demonstration einzuladen. Es hat sich herausgestellt, dass das viel besser funktioniert als eine Einzelperson einfach nur gezielt anzusprechen und einzuladen.

In Autokratien, in denen die Spielregeln im politischen System wie durch einen gekrümmten Spiegel verzerrt sind, stellt sich jedoch die Frage, ob Graswurzelbewegungen noch das Potenzial haben, die Zivilgesellschaft zu stärken. Um diese Frage in Bezug auf das Russland seit der Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 zu beantworten, wende ich mich den Daten der 14. Welle des Projekts Chroniki zu , einer landesweit repräsentativen Umfrage, die im Februar 2025 durchgeführt wurde (Stichprobe: 1.600 Befragte). Die Befragten wurden u. a. nach ihrer Beteiligung an verschiedenen Arten von zivilgesellschaftlichen Vereinigungen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass etwa 40 Prozent der Russ:innen sich überhaupt nicht an den Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen beteiligen. Etwa 30 Prozent engagieren sich in einer Organisation und fast ebenso viele sind in zwei oder mehreren Organisationen aktiv. Im Weiteren teile ich die Befragten in drei Gruppen ein:

  • „Inaktiv“: keine Beteiligung an einer zivilgesellschaftlichen Organisation

  • „Wenig aktiv“: engagiert sich in ein bis drei Organisationen

  • „Sehr aktiv“: Engagement in vier oder mehr Organisationen.

Religiöse Vereinigungen sind am häufigsten vertreten: 45 Prozent der Befragten sind dort aktiv. Es folgen Freiwilligen-, Wohnungs-, Sport-, Kultur- und Bildungsorganisationen (27–35 Prozent der Befragten). 10–20 Prozent der Befragten beteiligen sich an Aktivitäten weiterer Organisationen. Politische Parteien und Frauenorganisationen sind am unbeliebtesten.

Artefakte des Zerrspiegels

Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Grad des Engagements in zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Loyalität gegenüber dem Staat. Unter den „Inaktiven“ hätten gerne 66 Prozent Wladimir Putin nach der nächsten Wahl als Präsident, bei den „sehr Aktiven“ sind es 77 Prozent. Auch die Unterstützung für den Krieg steigt mit zivilgesellschaftlichem Engagement: von 51 Prozent bei den „Inaktiven“ auf 59 Prozent bei den „sehr Aktiven“. Gleichzeitig gibt es unter den „Inaktiven“ einen höheren Anteil von Personen, die die „militärische Spezialoperation“ nicht unterstützen (nicht unterstützen, keine Meinung haben oder die Antwort auf die Frage verweigern): 12 Prozent bei den „Inaktiven“ gegenüber 9 Prozent bei den „sehr Aktiven“.

Weniger eindeutig sind die Ergebnisse bei der Frage nach der Unterstützung für Putins hypothetische Entscheidung, die Truppen aus der Ukraine abzuziehen und zu Verhandlungen überzugehen. „Wenig Aktive“ würden eine solche Entscheidung eher unterstützen (42 Prozent), während „Inaktive“ und „sehr Aktive“ dies in gleichem Maße tun würden (jeweils 40 Prozent). 46 Prozent der „Inaktiven“ und „wenig Aktiven“ unterstützen den Truppenabzug nicht, unter den „sehr Aktiven“ sind es nur 43 Prozent. Dahinter verbergen sich wahrscheinlich Artefakte der politischen Loyalität und der Tendenz, sich der Mehrheit anzuschließen: Diejenigen, die sozial breit vernetzt sind, bringen eher ihre Bereitschaft zum Ausdruck, jegliche notwendige staatliche Entscheidung zu unterstützen. Ähnliche Artefakte finden sich auch bei Themen, die nicht im direkten Zusammenhang mit der Unterstützung für das Regime oder dem Krieg stehen. So sind die „sehr Aktiven“ eher bereit, die Armee zu unterstützen (72 Prozent gegenüber 34 Prozent der „Inaktiven“), während die „Inaktiven“ eher bereit sind, Tieren oder der Umwelt zu helfen (27 Prozent gegenüber 17 Prozent der „sehr Aktiven“).

Die Abstimmung bei der letzten Präsidentschaftswahl hängt auch mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement zusammen. Bei der Wahl im Jahr 2024 haben 64 Prozent der „sehr aktiven“ Befragten und 52 Prozent der „inaktiven“ Befragten für Putin gestimmt. Unter denjenigen, die nicht an der Wahl teilgenommen haben, ist der Anteil jener, die sich nicht zivilgesellschaftlich engagieren mit 31 Prozent höher, während „sehr Aktive“ unter den Nichtwähler:innen nur 20 Prozent ausmachen. Darüber hinaus stimmten die „Inaktiven“ häufiger als andere für Wladislaw Dawankow (drei Prozent gegenüber einem Prozent der „sehr Aktiven“).

Verzerrte Wahrnehmungen

Das zivilgesellschaftliche Engagement korreliert auch mit dem materiellen Wohlstand. Je höher das Einkommen, desto häufiger ist eine Person in die Aktivitäten mehrerer Organisationen gleichzeitig eingebunden. Es gibt mehr „sehr aktive“ Befragte mit einem Einkommen von mehr als 70.000 Rubel pro Haushalt als solche, die mit einem Einkommen von 30.000 Rubel oder weniger auskommen müssen. Diejenigen, die ihre finanzielle Situation so einschätzen, dass sie sich „alles außer dem Kauf einer Wohnung“ oder sogar deren Erwerb leisten könnten, gehören häufiger zur Gruppe der „sehr Aktiven“. Ärmere Schichten sind demgegenüber deutlich weniger sozial aktiv.

Die „sehr Aktiven“ stimmen eher zu, dass der Krieg auch positive Auswirkungen auf ihr tägliches Leben hat (14 Prozent gegenüber acht Prozent der „wenig Aktiven“). Trotzdem sind sie besser darüber informiert, wie die Dinge tatsächlich stehen: 45 Prozent der „sehr Aktiven“ (gegenüber 38 Prozent der „Inaktiven“ und 41 Prozent der „wenig Aktiven“) geben an, dass sie in den letzten zwei bis drei Jahren mehr arbeiten mussten und 32 Prozent klagen über ein Defizit an Medikamenten (bei den „Inaktiven“ und „wenig Aktiven“ sind es 25 Prozent bzw. 30 Prozent). Diese Wahrnehmung schlägt sich jedoch nicht in Unzufriedenheit nieder: Die „sehr Aktiven“ kritisieren das Regime oder den Krieg seltener und passen sich den Gegebenheiten an oder akzeptieren sie als Normalität.

Die Qual der Wahl

Bei der Umfrage wurde auch danach gefragt, ob wichtige Ämter auf kommunaler und regionaler Ebene (wie Bürgermeister:innen, Bezirksvorsitzende, Gouverneur:innen) von der Bevölkerung gewählt oder aber ernannt werden sollen. Entgegen den Erwartungen ergab sich hier ein komplexes Bild.

„Sehr aktive“ Befragte sind eher der Meinung, dass die Bürgermeister:innen ernannt werden sollten (22 Prozent), bei den „wenig aktiven“ Befragten sind es 15 Prozent und bei den „inaktiven“ Befragten 13 Prozent. 73 Prozent der „sehr aktiven“, 76 Prozent der „inaktiven“ und 78 Prozent der „wenig aktiven“ Befragten würden gewählte Bürgermeister:innen bevorzugen. Ähnlich verhält es sich mit der Einstellung zur Wahl der Gouverneure. Die Mehrheit der Befragten in allen Gruppen bevorzugen gewählte Regionalgouverneure: 57 Prozent der „sehr aktiven“, 62 Prozent der „wenig aktiven“ und 60 Prozent der „inaktiven“ Befragten. Unter denjenigen, die sich bei vielen Nichtregierungsorganisationen engagieren, sind jedoch mehr Personen der Ansicht, dass die Gouverneure vom Präsidenten ernannt werden sollten (etwa 40 Prozent, 10 Prozentpunkte weniger in den anderen Gruppen). Bei den Bezirksräten ergibt sich ein anderes Bild: „sehr aktive“ Befragte sprechen sich häufiger für gewählte Bezirksräte aus, während „wenig Aktive“ eher für deren Ernennung sind.

Das Leben der Anderen

In Russland ist das zivilgesellschaftliche Engagement ein entscheidender Kanal für die Herausbildung von Sozialkapital und trägt zur Vertrauensbildung und zur Stärkung horizontaler Netzwerke bei. Diese Faktoren sollten, folgt man klassischen Theorien der Politikwissenschaft, mit größerem zivilgesellschaftlichem Engagement, einer kritischen Haltung und einer stärkeren Präferenz für politische Teilhabe einhergehen. In autoritären Regimen, in denen die Zivilgesellschaft streng von oben kontrolliert wird, arbeitet das Sozialkapital jedoch anders: Es findet zwar Mobilisierung statt, jedoch nicht, um Druck auf den Staat auszuüben, sondern um politische Loyalität zum Ausdruck zu bringen.

Ein höheres Maß an Aktivität in Nichtregierungsorganisationen korreliert nicht mit einer kritischeren Haltung gegenüber dem Staat, sondern, ganz im Gegenteil, mit einer größeren Unterstützung für die wichtigsten Symbole und Institutionen des Regimes: Putin, die Armee und den Krieg. Von den „sehr aktiven“ Befragten glauben 54 Prozent, dass ihr Umfeld die „militärische Spezialoperation“ unterstützt, während es bei den „inaktiven“ und „wenig aktiven“ Befragten 49 Prozent sind. Dies deutet darauf hin, dass das Sozialkapital in Russland über Kanäle aufgebaut wird, die dem Staat gegenüber wohlgesonnen sind. Damit wird Konformismus gefördert, indem die russischen Bürger:innen in von oben kontrollierte soziale Netzwerke eingebettet werden. Der Kreml betreibt dieses „Kapern“ des sozialen Kapitals konsequent, indem die unabhängige Zivilgesellschaft neutralisiert und loyale Nichtregierungsorganisationen gefördert werden. Unter diesen Bedingungen bringt das Engagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht Selbstbestimmung zum Ausdruck, sondern stellt eine Form der politischen Sozialisierung im Autoritarismus dar. Die horizontalen Beziehungen der Befragten stellen deswegen keine Bedrohung für die Staatsmacht in Russland dar, sondern können vom Staat als Ressource genutzt werden.

Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst bei Riddle Russia auf Russisch unter Externer Link: https://ridl.io/ru/gorizontalnye-iskrivleniya-uchastie-v-deyatelnosti-obshhestvennyh-obedinenij-i-podderzhka-rezhima/ . Die Redaktion der Russland-Analysen bedankt sich bei Riddle und dem Autor für die Erlaubnis, die deutsche Übersetzung veröffentlichen zu dürfen.

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Wsewolod Bederson ist promovierter Politikwissenschaftler und ist Forscher im Projekt Chronicles Externer Link: https://www.chronicles.report/en.