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Gewaltschutz für alle Frauen? Hürden im Hilfesystem

Gloria Schmid

/ 12 Minuten zu lesen

Trotz zahlreicher Hilfsangebote stoßen viele Frauen auf Barrieren. Ein inklusives Hilfesystem muss unterschiedlichste Bedarfe berücksichtigen, um wirksamen Gewaltschutz zu sichern.

Flyer ermöglichen den direkten Zugang zu Hilfsangeboten auch ohne Internet oder technische Geräte. Sie können im öffentlichen Raum ausgelegt oder verteilt werden und sind dadurch für viele Menschen leicht erreichbar. (© picture-alliance/dpa, Tom Weller)

Grundlage und Aufbau des Hilfesystems

Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Allerdings trifft es verschiedene Gruppen von Frauen unterschiedlich – insbesondere, wenn es um den Zugang zum Hilfesystem geht.

In Deutschland erleben sehr viele Frauen Gewalt aufgrund ihres Geschlechts. In der Praxis wird zumeist mit dem Begriff „geschlechtsspezifische Gewalt“ gearbeitet, da er die Bandbreite der Problematik aufzeigt.

Zitat

Geschlechtsspezifische Gewalt ist Gewalt, die sich gegen eine Person aufgrund ihres biologischen oder sozialen Geschlechts richtet. Sie umfasst alle Formen von Gewalt, also körperliche, sexualisierte, psychische und wirtschaftliche Gewalt […]

Deutsches Institut für Menschenrechte 2025

Diese nimmt kontinuierlich zu, wie das Lagebild Externer Link: „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ des Bundeskriminalamts (BKA) zeigt. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen 2023 die frauenfeindliche Straftaten um 56,3 Prozent, die der politisch motivierten Kriminalität zugeordnet werden. Auch die Fälle von häuslicher Gewalt stiegen um 5,6 Prozent an. Ebenso wie Fälle von sexualisierter Gewalt (um 6,2 Prozent) und digitaler Gewalt (um 25 Prozent). Die Zahl der Femizide stieg um ein Prozent, im Berichtsjahr 2023 wurden insgesamt 360 Mädchen und Frauen Opfer eines Femizids (Bundeskriminalamt 2024).

Das Deutsche Institut für Menschenrechte zählte für 2023 insgesamt 909 versuchte und/oder vollendete Femizide und erklärt, dass es pro Tag zwei bis drei mögliche Fälle in Deutschland gibt (Deutsches Institut für Menschenrechte 2024). Der Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt macht deutlich, dass Frauenhass gesellschaftlich weit verbreitet ist (vlg. Clemm 2023). Er zeigt sich in kleinen Formen wie Interner Link: Kommentaren auf Social Media bis hin zur Ermordung einer Frau, weil sie sich etwa getrennt oder nicht den Regeln der Familie angepasst hat.

Um dem Phänomen etwas entgegen zu setzen, Interner Link: haben viele Staaten Gesetze und Regelungen geschaffen sowie Gewaltschutz-Systeme aufgebaut. In Deutschland gelten aktuell das Gewaltschutzgesetz und das Gewalthilfegesetz, das Frauen Schutz und Unterstützung bieten soll. Zudem gelten verschiedene europäische Abkommen wie z.B. die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandel, die Europäische Konvention zur Verhütung von Folter (CPT).

In Deutschland gibt es ein Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen, das Frauenhäuser und Frauenschutzwohnungen umfasst, wie auch Frauenberatungsstellen, Frauennotrufe, Interventionsstellen bei häuslicher und sexualisierter Gewalt sowie Stalking und das Externer Link: bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (vgl. Frauenhauskoordinierung 2025a).

Zudem gibt es rund 400 Frauenhäuser sowie über 40 Schutzwohnungen mit insgesamt mehr als 6.000 Plätzen für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder. Sowie 750 Fachberatungsstellen (BMFSFJ 2025). Die Zahlen beeindrucken auf den ersten Blick, doch gemessen am Bedarf, fehlen laut Expert:innen weiterhin Schutzplätze (Pfadenhauer 2024). Des Weiteren sind die vorhandenen Frauenhäuser dauerhaft belegt (Harland 2023), während Ämter, Polizei und Gerichte Partnerschaftsgewalt bisher nicht ausreichend bedenken (Hedayati 2023). Das führt dazu, dass Frauen und Kinder in gefährlichen Situationen weiterleben müssen.

Erschwerte Zugänge

Geschlechtsspezifische Gewalt betrifft alle, unabhängig von Herkunft, finanzieller Absicherung, Bildungsgrad oder Gesundheitszustand (vgl. Clemm 2023; Schröttle 2004, Schröttle/Glade 2020). Das Grundgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz machen deutlich, dass Schutz für Alle möglich sein muss – das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, da Deutschland eine diverse Bevölkerungsstruktur hat.

Auch für den Gewaltbereich gilt, dass alle von geschlechtsspezifischer Gewalt Betroffenen das gleiche Recht auf Schutz und Unterstützung haben – ob sie finanziell unabhängig sind, staatliche Leistungen beziehen, ob sie von Rassismus betroffen sind oder mit einer Behinderung leben. Manche Menschen erleben mehrere Formen der Benachteiligung gleichzeitig.

Gesetze bilden eine wichtige Grundlage. Doch es braucht einen Blick in die Praxis um überprüfen zu können, ob die verschiedenen Bevölkerungsgruppen die gleichen Zugänge haben, oder ob Hürden im Weg sind. Für viele gewaltbetroffene Frauen sind Ämter und Behörden der erste Kontakt zum Hilfesystem, oft das Jugendamt (wenn Kinder involviert sind) oder die Polizei (wenn es einen Vorfall gab). Die Struktur dieser Institutionen ist meist nicht auf Menschen mit Mehrfachdiskriminierungen ausgelegt. Oft sind die Abläufe schwer verständlich, wodurch sie für viele Betroffene intransparent bleibt. Das kann zu Ängsten und Misstrauen gegenüber den Institutionen führen und auch dazu, dass viele Vorfälle nicht gemeldet werden.

Konkrete Hürden

Die Herausforderungen von Frauen, die nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern aus mehreren Gründen diskriminiert werden (Mehrfachdiskriminierungen), sind sehr unterschiedlich. Die Situation einer Frau die von Armut betroffen ist, kann eine ganz andere sein als die von einer Frau mit Behinderung oder von einer Frau mit Fluchterfahrung. Armut, Behinderung und aufenthaltsrechtliche Probleme können als zentrale Ausschluss-Faktoren im Hilfesystem gesehen werden.

Armut

Wenn in einer Beziehung eine Person finanziell stark von der anderen abhängig ist, kann sich ein Machtungleichgewicht entwickeln. Für Frauen, die kein eigenes Einkommen haben oder gemeinsam mit dem/der Partner:in staatliche Leistungen wie Bürgergeld oder Sozialhilfe erhalten, kann das besonders gravierende Folgen haben. Sie können sich schlechter aus gewaltvollen Beziehungen lösen, da sie sich beispielsweise keine eigene Wohnung leisten können. Armut kann aber auch bedeuten, dass Frauen kein eigenes Handy, Smartphone oder einen PC haben, zu Hause kein WLAN ist und/oder das Datenvolumen in der ersten Hälfte des Monats aufgebraucht wurde. Das bedeutet, dass sie vermehrt auf Flyer oder Plakate angewiesen sind, um Informationen über Hilfsangebote zu bekommen. Die verstärkte Digitalisierung des Hilfesystems schließt arme Frauen oft aus.

Gewalt in Familie oder Partnerschaft ist neben Armut ein häufiger Auslöser von Wohnungslosigkeit bzw. Obdachlosigkeit bei Frauen. Nur wenige leben sichtbar auf der Straße, sie gehen in die sogenannte „verdeckte Wohnungslosigkeit“, indem sie bei Bekannten unterkommen, Zwangsgemeinschaften eingehen oder in ungesicherten, unzumutbaren Wohnverhältnissen leben. Zu dem Mangel einer festen Unterkunft, kommen oft auch gesundheitliche Probleme, sowohl körperlich wie auch psychisch. Gefährliche und gewaltvolle Erfahrungen auf der Straße können zu psychischen Erkrankungen und/oder Suchtmittelabhängigkeiten führen (vgl. Frauenhauskoordinierung 2025b, vgl. Juvonen 2023). Weder die Einrichtungen der Suchthilfe, noch psychiatrische Angebote werden dem Unterstützungsbedarf dieser Frauen derzeit gerecht. In der Wohnungslosenhilfe gibt es nur an wenigen Orten frauenspezifische Einrichtungen. Gemischtgeschlechtliche Gemeinschaftsunterkünfte stellen insbesondere für gewaltbetroffene wohnungslose Frauen eine nicht akzeptierbare Hürde dar (Frauenhauskoordinierung 2025b).

Behinderungen

Viele Angebote sind nicht auf Frauen mit Behinderungen ausgelegt oder nur für eine Art von Behinderung geöffnet. Gleichzeitig erleben sie fast doppelt so häufig körperliche und sexuelle Gewalt wie nichtbehinderte Frauen (bff 2025).

Monika Schröttle hat als erste Forscherin versucht einen Überblick über die Gewalterfahrungen von Frauen in Deutschland zu bekommen (Schröttle 2004). Sie ist eine Pionierin im Forschungsfeld Gewaltschutz und ihre Texte sind zentrale Ankerpunkte, auf die sich im Hilfesystem immer wieder bezogen wird. Im Jahr 2014 hat sie gemeinsam mit Sabine Fries die erste Untersuchung zu den Gewalterfahrungen von Frauen innerhalb der Behindertenhilfe durchgeführt. Ein Großteil der befragten Frauen in Einrichtungen hat Gewalt erlebt (70 bis 90 Prozent), meist psychische Gewalt. Frauen mit Behinderung, die im eigenen Haushalt wohnen, erleben häufig psychische Gewalt durch die Eltern (vgl. Fries/Schröttle 2014). In einer Studie von 2024 spezifizieren Schröttle und Kolleg:innen, dass bis zu 57 Prozent der Befragten, die in Einrichtungen leben, in der Kindheit und Jugend von den Eltern körperliche oder psychische Gewalt erfahren haben (Schröttle et al. 2024).

Frauen mit Behinderungen werden oft stark zur Anpassung erzogen. Das kann es erschweren, Bedürfnisse auszusprechen oder durchzusetzen. Viele sind in ihrem Leben von der Unterstützung anderer Personen abhängig. In Pflege- und Betreuungssituationen, aber auch bei medizinischen und therapeutischen Maßnahmen kommt es nicht selten zu Grenzverletzungen und Übergriffen (vgl. Schröttle et al. 2024, vgl. Fries/Schröttle 2014). Des Weiteren können Einrichtungen der Behindertenhilfe auch strukturelle Gefahren beinhalten z.B. durch nicht verschließbare Zimmer, Toiletten und Waschräume. Der hierdurch entstehende Mangel an Privatsphäre kann übergriffiges Verhalten erleichtern und gefährdet die Frauen zusätzlich.

Gehörlose Frauen sind einem noch weiter erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt, etwa im Elternhaus, in Schulen und Internaten. Aufgrund von kommunikativen Barrieren sind sie nahezu alternativlos auf die Einbindung in die Gehörlosengemeinschaft angewiesen. Die starke Einbindung in die Gehörlosengemeinschaft kann eine spezielle Isolation dieser Frauen zur Folge haben (vgl. Fries/Schröttle 2014). Wenn z.B. sexuelle Gewalt innerhalb dieser Community stattfindet, wird es für die Opfer schwer, sich dem Täter zu entziehen und mit Außenstehenden zu sprechen. Hinzu kommt, dass wenn sie über Gewalterfahrungen sprechen, ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt wird, da gesellschaftlich noch so wenig über diese Gruppe bekannt ist. Im Hilfesystem kann das Wissen über die Herausforderungen von gehörlosen gewaltbetroffenen Frauen nur ankommen, wenn es Gebärdendolmetscher:innen gibt, die die Frauen beraten. Bisher gibt es davon noch zu wenige.

Aufenthaltsrechtliche Probleme

Frauen, die vor Krieg und Vertreibung geflüchtet sind, haben oft gewaltbelastete Fluchterfahrungen hinter sich. Viele geflüchtete Frauen sind per Familiennachzug nach Deutschland gekommen, auch Interner Link: in den Kernfamilien kann es geschlechtsspezifische Gewalt geben. Geflüchtete Frauen haben häufig nur wenig Deutschkenntnisse. Erschwerend kommt hinzu, dass sie überproportional von Analphabetismus betroffen sind, da der Schulbesuch für Mädchen in einigen Regionen der Welt nicht gestattet ist oder der Bildungsweg durch die Flucht unterbrochen wurde (Europäische Kommission 2023).

In der Regel treffen sie in Deutschland auf Fachkräfte der Sozialen Arbeit, die ihre Erstsprache nicht teilen. Sowohl die auf der Flucht erlebte Gewalt wie auch potentielle häusliche Gewalt muss aufgearbeitet werden, was aufgrund mangelnder Kapazitäten im sozialen und therapeutischen Bereich kaum passiert.

Hier zeigt sich eine Schere: In den Unterkünften für Geflüchtete arbeiten meist keine Gewaltschutzexpert:innen und in den Frauenhäusern keine Fachkräfte für Flucht und Migration. Wenn es in Geflüchtetenunterkünften zu häuslicher Gewalt kommt, werden die Betroffenen im besten Falle in ein Frauenhaus vermittelt. Dort angekommen treffen sie auf eine neue Umgebung mit neuen Menschen. Das heißt die Fluchtgeschichte hat nicht geendet, es gab einen Wandel – von der Flucht vor dem Krieg – zur Flucht vor dem Partner.

Ohne Dolmetscher:in bleibt ihre Geschichte im System unerzählt. Doch diese braucht es, um Hilfe und Unterstützung zu erhalten z.B. für eine Finanzierung des Lebensunterhalts. Dazu kommen Termine vor Gericht, bei Ärzt:innen, beim Jobcenter, bei der Meldebehörde, auf der Bank etc. Für Frauen denen dieses System unbekannt ist, bleibt kein anderer Ausweg als sich auf die Hilfe der ihnen zugewiesenen Fachkraft zu verlassen. Dies ist ein weiterer Ausbau eines Abhängigkeitsverhältnisses.

Ausbau der Hilfslandschaft für verschiedene Bedarfe

Um sich auf verschiedene Bedarfe einzustellen braucht es Wissen, um die Hürden und Bedarfe von mehrfachdiskriminierten Personen. Viele Betroffene sprechen in der Regel nicht öffentlich über ihre Problemlagen. Das hat mit vielfachen Diskriminierungs- und Abwertungserfahrungen zu tun und auch mit Angst vor Sanktionen. So bleibt das Wissen oft in den Communities und kommt erst gar nicht in den Unterstützungseinrichtungen beziehungsweise im Hilfesystem an (Kaufmann 2022). Katharina Kaufmann nennt das „das Wissen der Marginalisierten“ und beschreibt damit ein spezifisches Wissen von Gruppen – im Besonderen über Ungerechtigkeiten –, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt wurden und das somit der breiten Mitte nicht bekannt ist (ebd.).

In der praktischen (meist Sozialen) Arbeit wird die Perspektive von benachteiligten Gruppen oft über aufsuchende Arbeit oder Streetwork eingeholt. Hierbei ist es notwendig sensibel zu agieren und bereit zu sein, neue Perspektiven anzunehmen, um Probleme als solche wahrzunehmen. Es muss Vertrauensarbeit geleistet werden, dafür braucht es einen langen Atem. Daraus wird auch deutlich, dass befristete Projekte zur Integration oder Inklusion nicht die Lösung sind. Vielmehr braucht es langfristige Strategieplanungen, um Angebote mit den betroffenen Zielgruppen bestmöglich umzustrukturieren.

Aktuell sind die Unterstützungsangebote oft nicht auf die verschiedenen Bedarfe von mehrfachdiskriminierten Personen bzw. Gruppen eingestellt. Allerdings haben einige Einrichtungen das Problem der schwierigen Zugänge erkannt und versuchen barriereärmer zu werden. Beispielsweise wird auf den Internetseiten oder in den Flyern angegeben, ob Beratungsstellen mit Rollstühlen erreichbar sind, oder welche Sprachen die Mitarbeiter:innen beherrschen. Das sind positive Entwicklungen, die den verschiedenen Zielgruppen wirklich helfen.

Zugangsbarrieren in der Praxis

Barrieren entstehen nicht einfach so, sie werden gemacht. Teils aus Finanzierungsgründen, teils aus bürokratischen Vorgaben oder gesetzlichen Bestimmungen. Den arbeitenden Menschen im Feld ist oft gar nicht klar, woher die Barrieren stammen und welche Bestimmungen sie einst hatten. Viele arbeiten am Abbau von Barrieren. Diese treten für unterschiedliche Zielgruppen aber an ganz unterschiedlichen Stellen auf. Daher ist eine absolute Barrierefreiheit wohl ein unerreichbares Ideal. In der Praxis reichen die Hindernisse von baulichen über sprachliche Barrieren, bis hin zum Misstrauen gegenüber Einrichtungen oder unbekannten Personen per se.

Ein generelles Problem in der Gewaltprävention ist zudem ein geringes Wissen über das Hilfesystem. Viele Betroffene kennen bestehende Hilfen wie das bundesweite Hilfetelefon oder die Externer Link: Frauenhaus-Suche nicht. Auch Fachkräfte im sozialen Bereich, die nicht täglich mit dem Gewaltschutzsektor arbeiten, kennen oft weder die Anlaufstellen noch die Abläufe.

Das Wissen über Zugänge und Hilfen müsste – analog z.B. wie bei der Feuerwehr – frühestmöglich und ohne Angst vermittelt werden. Wenn Ämter und Behörden ihre Arbeit verständlicher und leichter zugänglich machen könnten, würden Ängste z.B. vor dem Jugendamt, der Polizei oder vor Krankenhäusern abgebaut werden.

Ansätze für ein inklusiveres Hilfesystem

Verschiedene Ansätze können dabei helfen Frauen mit Mehrfachdiskriminierungen Zugänge zu erleichtern und Hürden abzubauen.

Fokus verschieben

Hierfür ist es notwendig den Fokus zu verschieben, weg von Angeboten die „für alle offenstehen“ und dann doch nur wenigen zugänglich sind, hin zu spezialisierten Angeboten für spezifische Gruppen. Diese spezialisierten Angebote zeigen Schutzlücken auf, von deren Schließung im Umkehrschluss alle profitieren.

Beispielsweise können Informationsmaterialien in leichter Sprache den Zugang zu Hilfsangeboten nicht nur für Frauen mit kognitiven Beeinträchtigungen erleichtern, sondern auch für Frauen, die nicht fließend Deutsch sprechen und für Frauen, die wenig Schulbildung hatten. Das heißt, wenn der Fokus auf die Inklusion von Frauen mit kognitiven Beeinträchtigungen gelegt wird, profitieren auch andere mehrfachdiskriminierte Gruppen davon und die Angebote werden insgesamt zugänglicher.

Das gilt auch für den Abbau von baulichen Barrieren oder die Bereitstellung von Infomaterialien, die sowohl digital als auch gedruckt bereitgestellt werden sollten – da nicht alle Menschen einen Zugang zum Internet oder Smartphones haben.

Im Hilfesystem sensibilisieren

Es ist von zentraler Bedeutung, die Mitwirkenden innerhalb des Hilfesystems zu sensibilisieren. Wenn in Fort- und Weiterbildungen über Probleme bei den Zugängen gesprochen wird, können neue (unbürokratische) Wege gefunden werden, um Hürden abzubauen. Oftmals braucht es nur den Hinweis, dass ein Problem vorliegt, um einen Veränderungsprozess anzustoßen. Zwar braucht es dafür auch immer Zeit und Geld, aber zuvor muss ein Problembewusstsein entstehen. Sobald eine Hürde erkannt wird, lässt sich daran arbeiten und eine Haltung fördern, die alle einbezieht. So könnten auch Ängste der Betroffenen vor Behörden und Institutionen abgebaut werden.

Betroffenenbeiräte aufbauen

Einige Kommunen haben sich entschieden Betroffenenbeiräte zu etablieren. Das sind Gremien in denen Menschen sitzen, die nicht per se Fachkräfte sind, sondern selbst geschlechtsspezifische Gewalt erlebt haben und mit diesem Erfahrungswissen als Expert:innen hinzugezogen werden.

Hiermit können Hilfssysteme auf deren Wirksamkeit hin geprüft werden. Diese Beiräte ermöglichen einen differenzierten Blick auf bestehende und geplante Maßnahmen, um potentielle Hürden frühzeitig zu erkennen. Gleichzeitig erweitern sie das Verständnis vom Expert:innen-Tum und bieten verschiedenen Gruppen das Recht auf Mitsprache in Räumen, die ihnen sonst verschlossen sind. Allerdings gilt auch hier zu bedenken, dass nicht alle „Betroffenen“ im gleichen Maße beteiligt werden können.

Eine Analphabetin wird kaum Barrieren in bereits vorhandenen Materialien finden können, ebenso kann eine gehörlose Frau nur schwer einer Diskussion unter Hörenden folgen. Gleichzeitig muss bedacht werden, dass eine solche Arbeit in irgendeiner Form vergütet werden sollte, da die Menschen zumeist ehrenamtlich daran teilnehmen. Das Erfahrungswissen dieser Menschen ist eine große Ressource, die zu strukturellen Verbesserungen des Schutz- und Hilfssystems führen kann.

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Gloria Schmid ist Soziologin und Sozialpädagogin, sie arbeitet im Bereich Gewaltschutz für Frauen.