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"Eine soziale Dimension" Interview mit Dominic Frohn

Dominic Frohn

/ 7 Minuten zu lesen

Die Hälfte aller Schwulen und Lesben behalten ihre sexuelle Identität am Arbeitsplatz für sich. Viele haben Diskriminierung erlebt. Dominic Frohn über Erfahrungen von Homosexuellen in der Arbeitswelt und warum sich eine offene Betriebskultur für Unternehmen lohnen kann.

Dominic Frohn untersuchte die Situation von Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz. (© privat)

Ja, ganz genau 2.230 lesbische und schwule Beschäftigte – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie Führungskräfte – haben sich an der Studie beteiligt. Die Frage, ob es besser ist, die eigene sexuelle Identität am Arbeitsplatz geheim zu halten, kann ich nicht pauschal beantworten. Das ist konkret im Einzelfall zu entscheiden. Hier kommt es z.B. darauf an, wie die Führungskraft dem Thema gegenüber steht oder auch, wie es um die Teamdynamik aussieht. Genauso ist es wichtig zu schauen, wie die Unternehmenskultur bzgl. Vielfalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt ist oder um welche Branche es geht. Elementar ist letzten Endes vor allem, welche Impulse die Person selbst hat und ob sie sich in der Lage sieht, mit dem Thema in seiner gegebenen Selbstverständlichkeit umzugehen. Wir haben es ja in dem Fall mit einer sehr wichtigen Entscheidung zu tun, die Auswirkungen auf das persönliche ebenso wie auf das berufliche Leben hat.

Insgesamt aber hat sich die Situation für lesbische und schwule Beschäftigte am Arbeitsplatz in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Heute gehen mehr Personen offen mit dem Thema im Job um als noch vor 10 Jahren. Vollständig offen mit ihrer sexuellen Identität gehen allerdings nur die wenigsten Befragten um. Als eine wesentliche Erkenntnis der Studie musste ich feststellen, dass 52 Prozent der Befragten mit keinem Kollegen bzw. wenigen Kolleginnen und Kollegen offen über ihre sexuelle Identität sprechen.

Welche Gründe gibt es dafür?

Nun, da gibt es einige Gründe. Bei Manchen ist es bereits erfahrene Diskriminierung, wodurch die Betroffenen vorsichtiger geworden sind, wem sie sich mitteilen. Bei Anderen ist es die Sorge, die nächste Karrierestufe nicht erreichen zu können. Dem Ganzen liegt meines Erachtens zu Grunde, dass jede Form der sexuellen Identität, die nicht der Norm der Heterosexualität entspricht, als etwas "Sexuelles" wahrgenommen wird. Dass es dabei ebenso, wie bei heterosexuellen Beschäftigten vor allem um eine soziale Dimension geht, wird oft vernachlässigt.

Was bedeutet diese soziale Dimension?

Wenn ich im Business über das Thema sexuelle Identität spreche, höre ich oft: "Wieso muss man denn darüber sprechen? Wir erzählen ja auch nicht, was wir im Bett machen...". Aber darum geht es den lesbischen und schwulen Beschäftigten auch überhaupt nicht. Stellen Sie sich einmal vor, Sie dürften als heterosexueller Beschäftigter einen Arbeitstag lang keine Information kommunizieren, die etwas über Ihre sexuelle Identität verrät. Dann müssen Sie, wenn Sie verheiratet sind, Ihren Ehering am Morgen zu Hause lassen. Wenn Sie ein Bild von Frau und Kindern auf dem Schreibtisch stehen haben, müssen Sie dieses in der Schublade verschwinden lassen. Über die Einschulung der Tochter, den Theaterbesuch mit einem befreundeten Ehepaar – kein Wort. Die meisten Auswirkungen hat es jedoch, wenn es private Situationen gibt, die Ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und die Sie dann auch nicht ansprechen können, z.B. dass Ihre Frau die Scheidung eingereicht hat oder den tödlichen Autounfall der Schwiegereltern. Über all das könnten Sie nicht sprechen, weil alle diese Informationen Hinweise auf Ihre sexuelle Identität geben. Was ich damit sagen will: Sexuelle Identität ist eine zentrale soziale Dimension, die unser Leben bestimmt, unabhängig davon, ob ich schwul, lesbisch, bi- oder heterosexuell bin. Und wenn ich darüber am Arbeitsplatz nicht sprechen kann, hat das erhebliche Konsequenzen.

Welche Folgen hat diese Geheimhaltung für die Betroffenen?

Die Geheimhaltung kostet einfach wahnsinnig viel Energie – manche bezeichnen es auch als "the cost of thinking twice". Es ist notwendig, kognitiv eine dauerhafte Zensur aufrecht zu erhalten: Was darf ich sagen, was nicht? Dieser Prozess bindet Ressourcen, die eigentlich für die konkreten Arbeitsaufgaben genutzt werden sollten. Dazu konnte ich in der Studie feststellen, dass Personen, die weniger offen mit ihrer sexuellen Identität umgehen, tendenziell mehr psychosomatische Beschwerden aufweisen.

Und bei den Schwulen und Lesben, die offen zu ihrer Identität stehen, wie fallen da die Reaktion der Kollegen aus?

Hier gab es eine ausgesprochen ermutigende Erkenntnis: Diejenigen, die offen zu ihrer Identität stehen, machen zum großen Teil gute Erfahrungen. Bei den Kolleginnen und Kollegen fällt die Reaktion etwas öfter besser aus als bei den Führungskräften: 92 Prozent der Befragten sagen, dass die Kollegen überwiegend positiv reagierten, 86 Prozent sagen, dass die Führungskräfte überwiegend gut reagierten. Allerdings sind die Ergebnisse zu Diskriminierung und Ungleichbehandlung weniger ermutigend. Fast 80 Prozent aller Befragten haben bereits in der ein oder anderen Form Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt.

Um welche Formen der Diskriminierung und Ungleichbehandlung handelt es sich da?

In Sachen Ungleichbehandlung haben die Befragten die Erfahrung gemacht, weniger Wertschätzung zu erleben als heterosexuelle Kolleginnen und Kollegen. Auch haben sie den Eindruck, unter stärkerem Leistungsdruck zu stehen oder bei Gehalt und Beförderungen schlechter behandelt zu werden. Dazu kommt ganz konkrete Diskriminierung: Hier reichen die Erfahrungen von Isolation oder Kommunikationsausschluss über Tuscheln, Gerüchte und Lügen sowie Imitieren oder Lächerlichmachen bis hin zu Beschimpfungen oder Beleidigungen. Auch Mobbing und Psychoterror und sogar körperliche Gewalt oder Aggression werden erlebt. Lesbische Frauen berichten zusätzlich leider auch noch über sexuelle Belästigung.

Gibt es weitere Unterschiede zwischen den Diskriminierungserfahrungen von homosexuellen Frauen und Männern?

Die Geschlechterunterschiede kann man so zusammenfassen: Schwule Männer erleben eher Diskriminierung, die mit zu viel Aufmerksamkeit zu tun hat, z.B. Imitieren. Und lesbische Frauen erleben eher Formen von Diskriminierung, die mit weniger Aufmerksamkeit oder "Nicht-Beachtung" zu tun haben. Insgesamt haben etwa 12 Prozent der Befragten sogar schon Diskriminierung erlebt, die direkt mit dem Job zu tun hatte: eine Versetzung, die Kündigung oder sie haben den Arbeitsplatz im Bewerbungsprozess auf Grund der sexuellen Identität erst gar nicht erhalten. Insgesamt sind die Zahlen zur Diskriminierung und Ungleichbehandlung sehr hoch. Nur 22,5 Prozent der Befragten haben keine Diskriminierungserlebnisse berichtet, alle anderen haben solche Erfahrungen machen müssen – ein Viertel der Befragten sehr viel und 10 Prozent der Befragten extrem viel.

Es wird oft behauptet, besonders viele homosexuelle Menschen arbeiten in der Medien- und Kreativbranche und dort herrsche ein besonders offenes Klima. Konnten Sie solche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen und Unternehmen ebenfalls feststellen?

Ich konnte keine Unterschiede darüber feststellen, ob es Branchen gibt, in denen mehr Lesben oder Schwule tätig sind. Ich kann jedoch bestätigen,dass sich das Klima in den verschiedenen Branchen unterscheidet: So können die Bereiche wie Marketing, Werbung, Vertrieb aber auch zum Beispiel nicht konfessionell gebundene Verbände als eher offen bezeichnet werden, während traditionelle Branchen wie Industrie, Schwermetalle, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei weniger offen sind. Am wenigsten offen sind die Bereiche Militär bzw. Bundeswehr und Kirchen bzw. kirchlich gebundene Organisationen.

Einige Firmen versuchen gezielt, die Vielfalt ihrer Mitarbeiter hervorzuheben und zu fördern (Diversity Management). Wer profitiert davon mehr: die Mitarbeiter oder die Firmen selbst?

Die Frage lässt sich so bipolar nicht beantworten, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja die Hauptressource des Unternehmens: Wenn diese in ihrer Vielfalt wahrgenommen, gewürdigt oder gewertschätzt werden sowie die daraus resultierenden Effekte wieder für das Unternehmen nutzbar gemacht werden, dann profitieren beide. Dabei lässt sich nur schwer auseinander dividieren, wer denn nun mehr profitiert. Denn das Unternehmen kann im Grunde genommen als System nur profitieren, wenn die Bestandteile des Systems, die Mitarbeitenden, profitiert haben. Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint mir auf ein weiteres Ergebnis der Studie "Out im Office?!" hinzuweisen: Demnach hat Diversity Management erhebliche Effekte, wenn neben Geschlecht, Alter, Nationalität und anderen auch die Kerndimension sexuelle Identität berücksichtigt wird: Zum einen resultiert daraus eine offenere Unternehmenskultur und zum anderen konnte belegt werden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen mit Diversity Management tatsächlich offener mit ihrer sexuellen Identität umgehen. Hieraus resultieren wiederum eine höhere Arbeitszufriedenheit und eine stärkere Verbundenheit mit dem Arbeitgeber – zwei wesentliche Variablen für den Erfolg eines Unternehmens. Das Unternehmen profitiert in der Regel darüber hinaus noch durch den Imagegewinn, der zum Beispiel das Erschließen neuer Märkte, den Absatz der Produkte oder Dienstleistung sowie vor allem das Gewinnen neuer Mitarbeiter positiv beeinflusst.

Demnach kann ein Unternehmen also vor allem gewinnen, wenn es einen schwulen Mitarbeiter oder eine lesbische Mitarbeiterin einstellt?

Diese Frage wird seit kurzer Zeit heiß diskutiert. Es ist davon auszugehen, dass Personen, die nicht der Norm entsprechen, andere biografische Erfahrungen machen, als Personen die in allen Dimensionen der mehrheitlichen Norm entsprechen. So macht zum Beispiel eine Person mit Migrationshintergrund die Erfahrung von Mehrsprachigkeit und kann dadurch besondere Kompetenzen einbringen. Genauso haben Lesbische Frauen und schwule Männer aufgrund ihrer biografischen Erfahrungen die Chance gehabt, bestimmte Kompetenzen zu entwickeln. So ist zum Beispiel in der Phase des inneren Coming Outs, also des Sich-Bewusst-Werdens schwul oder lesbisch zu sein, besonders viel Selbstreflexion gefragt. Und in der Phase des äußeren Coming Outs, also dem Involvieren von Familie, Freunden usw. in diese Tatsache, sind vor allem soziale Kompetenzen wichtig. Auch Konfliktkompetenzen können sich in dieser Zeit entwickeln. Demnach ist davon auszugehen, dass schwule oder lesbische Beschäftigte ihrem Arbeitgeber besondere Kompetenzen zur Verfügung stellen können.

Die Fragen stellte Stephan Trinius.

Fussnoten

Dominic Frohn arbeitet selbstständig als Berater, Coach, Mediator und Trainer in eigener psychologischer Praxis in Köln. Er ist Autor der Studie "Out im Office?!". Die komplette Studie kann unter Externer Link: www.dominicfrohn.de heruntergeladen werden.