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Wanderungspolitik und demografische Konsequenzen | Demografischer Wandel und Migration in Europa | bpb.de

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Wanderungspolitik und demografische Konsequenzen

Frank Swiaczny

/ 3 Minuten zu lesen

Deutsch-polnischer Kindergarten in Frankfurt (Oder). (© picture-alliance/ ZB)

Die Diskussion um die Begrenzung von Zuwanderung hat die politische Auseinandersetzung in Europa vor allem in Zeiten stark ansteigender Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen, wie in den 1990er Jahren, geprägt. Heute wird dagegen in EU-Ländern stärker der Beitrag von Wanderungen für die Bewältigung des demografischen Wandels diskutiert. Eine Analyse der Wanderungspolitiken durch die UN zeigt, dass 2011 nur noch wenige Länder in Europa das Zuwanderungsniveau explizit als zu hoch betrachten und dieses reduzieren möchten. Dies ist der Fall in Dänemark, Großbritannien, Kroatien, Frankreich und den Niederlanden. Andere Staaten – vor allem in Osteuropa – befürworten dagegen eine Steigerung der Zuwanderung. Eine besondere Rolle spielen dabei hochqualifizierte Migranten, deren Zuwanderung die Mehrheit der Länder erhöhen möchte. Dies gilt, mit Ausnahme von Großbritannien, selbst für die oben genannten Länder, die generell eine Reduzierung der Zuwanderung anstreben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Herkunftsländer, aus denen bisher der Großteil der hochqualifizierten Migranten stammt, weitgehend deckungsgleich mit den Ländern sind, die ein Interesse an einer Zuwanderung dieser Gruppe angeben.

Auch in zahlreichen Schwellen- und Entwicklungsländern werden sich dem Rückgang der Fertilität in Zukunft ein rückläufiges Bevölkerungswachstum und eine Alterung der heute noch jungen Bevölkerungen anschließen. Die Konkurrenzsituation um die Zuwanderung Hochqualifizierter spiegelt dabei die demografische Zukunft in Europa wider: Alterung und in Zukunft auch in fast allen Ländern ein Geburtendefizit sorgen dafür, dass der Zuwanderung für die Arbeitsmärkte und Sozialversicherungssysteme eine wachsende Bedeutung zukommt.

Zuwanderung und Bevölkerungsentwicklung

Abb. 6: Bevölkerungssaldo in ausgewählten europäischen Ländern je 1.000 Einwohner 1950, 2010 und 2060 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Im Kontext des demografischen Wandels stellt sich nun die Frage, welche Auswirkungen die Zuwanderung auf die Bevölkerungsentwicklung konkret hat. Hierzu eignet sich ein Vergleich des Wanderungssaldos und des natürlichen Saldos aus Geburten und Sterbefällen je 1.000 Einwohner (siehe Abb. 6). Die rückläufigen natürlichen Salden führen in allen betrachteten Ländern zwischen 1950/55 und 2060/65 dazu, dass der relative Anteil der Wanderungssalden an den Gesamtsalden zunimmt. Mit Ausnahme der Länder mit vergleichsweise hoher Fertilität (Irland, Frankreich, Niederlande) trägt aktuell in allen Ländern der Wanderungssaldo mehr zur Bevölkerungsentwicklung bei als der natürliche Saldo aus Geburten- und Sterbefällen. Für Länder mit niedriger Fertilität, die einen negativen natürlichen Saldo haben (Polen, Slowenien), wird dieser derzeit noch durch die Zuwanderung kompensiert. Eine Ausnahme ist hier Deutschland, für das im Zeitraum 2010 bis 2015, nach Schätzungen der UN, die Zuwanderung geringer als der negative natürliche Saldo ausfällt. Bis 2060/65 wird dies auch für Polen, Slowenien, Spanien und die Niederlande gelten.

"Replacement Migration"

Die UN sind 2001 in einer Modellrechnung der Frage nachgegangen, wie hoch die Zuwanderung sein müsste, um bestimmte demografische Veränderungen einer Bevölkerung zu kompensieren (“Replacement Migration“). Am Beispiel von Deutschland, mit einem hohen Geburtendefizit, und Frankreich, mit einer Fertilität, die fast das Bestandserhaltungsniveau erreicht, zeigen diese Modellrechnungen, dass Zuwanderung unter bestimmten Umständen zwar in der Lage ist, den Rückgang z.B. der Bevölkerungszahl auszugleichen, jedoch keine langfristige Lösung für die Alterung einer Bevölkerung darstellt. Aufgrund der bei niedriger Fertilität kleiner werdenden Müttergenerationen in Kombination mit dem Rückgang der Fertilität von Migrantinnen mit zunehmender Aufenthaltsdauer im Zielland und der Tatsache, dass auch die Zuwanderer älter werden, wären stetig wachsende Zuwanderungssalden erforderlich.

Für Deutschland steigen die erforderlichen Salden bis 2050 auf 430.000 (konstante Bevölkerungszahl) bzw. erreichen ein Maximum von 900.000 pro Jahr 2025/30 (konstante Erwerbsbevölkerung). Für ein konstantes Verhältnis zwischen Erwerbspersonen und Rentnern würde der Saldo aber 2050 bei über 4 Millionen pro Jahr liegen, mit einem Maximum zwischen 2025 und 2035 von über 5 Millionen. Für Frankreich sind die Werte entsprechend niedriger und betragen 90.000 (konstante Bevölkerungszahl) bzw. erreichen ein Maximum von 210.000 2015/20 (konstante Erwerbsbevölkerung). Für ein konstantes Verhältnis zwischen Erwerbspersonen und Rentnern würden aber auch in Frankreich Zuwanderungsüberschüsse erforderlich, die bis 2050 auf über 3 Millionen pro Jahr steigen müssten. Die Gesamtzuwanderung, die zwischen 1995 und 2050 für Deutschland mehr als 180 Millionen und für Frankreich 90 Millionen betragen müsste, um das Verhältnis zwischen Erwerbspersonen und Rentnern konstant zu halten, belegt, dass Wanderung aufgrund des erforderlichen Zuwanderungsvolumens alleine keine Lösung für die Alterung einer Bevölkerung darstellen kann.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Demografischer Wandel und Migration in Europa".

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Frank Swiaczny ist Wissenschaftlicher Rat am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden und leitet die Redaktion der Zeitschrift Comparative Population Studies. Von 2000 bis 2012 war er Vorsitzender des Arbeitskreises Migration-Integration-Minderheiten der Deutschen Gesellschaft für Demographie (DGD). Zu seinen Aufgaben am Bundesinstitut gehören Forschung und Politikberatung in den Bereichen Demografie und Weltbevölkerung. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen daneben unter anderem Bevölkerungsgeographie und Migrationsforschung.
E-Mail: E-Mail Link: frank.swiaczny@swiaczny.de