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Ursachen und Folgen von Staatenlosigkeit | Staatenlosigkeit | bpb.de

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Ursachen und Folgen von Staatenlosigkeit

Beeke Wattenberg

/ 16 Minuten zu lesen

Staatenlosigkeit ist ein komplexes Phänomen. Es hat vielfältige Ursachen – und weitreichende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen.

Staatenlosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit vielfältigen Usachen - und weitreichenden Folgen für das Leben der Betroffenen. (© picture-alliance, imageBROKER | dirk enters)

Staatenlosigkeit ist komplex und kann verschiedene Ursachen haben. Einige Menschen werden staatenlos geboren, während andere im Laufe ihres Lebens staatenlos werden. Meist sind Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft oder Religion und das Zusammenwirken von vielfältigen Diskriminierungen die Hauptursachen für staatliche Praktiken, die Staatenlosigkeit begründen oder aufrechterhalten.

Diskriminierende Gesetze und Gesetzeslücken

Die Staatsangehörigkeit wird meist bei der Geburt erworben – je nach geltendem Recht kann ein Kind die Staatsangehörigkeit durch die Eltern nach dem Interner Link: Abstammungsprinzip (jus sanguinis, wörtlich: “Recht des Blutes”) oder gemäß des Interner Link: Geburtsortsprinzips (jus soli, wörtlich: “Recht des Bodens”) bekommen. In den meisten Staaten ist der Erwerb der Staatsangehörigkeit an das Abstammungsprinzip gekoppelt. Eine Ausnahme stellt der amerikanische Doppelkontinent dar, auf dem das Geburtsortsprinzip überwiegt. Auf der Welt wird fast alle zehn Minuten ein staatenloses Kind geboren, da durch Gesetzeslücken, praktische Hindernisse oder Diskriminierung einige Kinder weder die Staatsangehörigkeit der Eltern noch des Geburtsortes erwerben können. In 25 Staaten der Welt werden Frauen vom Recht ausgeschlossen, ihre Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weiterzugeben. Kann oder will der Vater seine Nationalität ebenfalls nicht weitergeben oder ist der Vater nicht bekannt, so werden diese Kinder staatenlos geboren. Zwölf dieser Staaten befinden sich im Nahen Osten oder Nordafrika und sechs in Subsahara-Afrika. Während Frauen in Katar ausnahmslos von diesem Recht ausgeschlossen sind, können Kinder in Togo die Nationalität ihrer Mutter nur erhalten, wenn der Vater staatenlos oder dessen Nationalität nicht bekannt ist. Frauen mit einer Staatsangehörigkeit der Bahamas oder von Barbados, können ihre Staatsangehörigkeit zwar in ihrem jeweiligen Herkunftsland weitervererben, aber nicht, wenn sie sich im Ausland befinden.

Gesetzesänderungen und Entzug der Staatsangehörigkeit

In vielen Staaten führen Veränderungen von Staatsangehörigkeitsgesetzen sowie bürokratische Praktiken – wie etwa die Erstellung neuer Bevölkerungsregister – zu Staatenlosigkeit. Dabei können ganze Bevölkerungsgruppen, die als 'illegitim' bzw. 'anders' und entsprechend als 'nicht zugehörig' markiert werden, vom Recht auf eine Staatsangehörigkeit ausgeschlossen werden. Diskriminierung aufgrund der ethnischen Gruppenzugehörigkeit oder nationalistisches Gedankengut spielen meist eine zentrale Rolle und bieten die Basis für diskriminierende Handlungen und Gesetze, die daraufhin die weitere Grundlage für eine kontinuierliche Diskriminierung der ausgegrenzten Gruppen darstellen. Auf diese Weise wurde 1962 in Nordsyrien lebenden Kurd:innen die syrische Staatsangehörigkeit entzogen; und in Interner Link: Myanmar wurde 1982 durch das Staatsbürgerschaftsgesetz Angehörigen der muslimischen Minderheit der Rohingya die Staatsangehörigkeit aberkannt. Betroffene, die keine andere Staatsangehörigkeit besaßen, wurden staatenlos.

Der Entzug der Staatsangehörigkeit resultiert dabei meist nicht aus einem amtlichen Verfahren, sondern aus administrativen Prozessen, bei denen beispielsweise Voraussetzungen für den Eintrag in ein Zivilregister etabliert werden, die viele Menschen nicht erfüllen können. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die 2013 von Indiens Oberstem Gerichtshof geforderte Aktualisierung des Registers der Staatsangehörigen (National Register of Citizens, NRC) im indischen Bundesstaat Assam. In dieses aktualisierte Register, das Ende August 2019 veröffentlicht wurde, konnten sich nur Personen eintragen lassen, die durch entsprechende Dokumente nachweisen konnten, dass sie von Personen abstammten, die spätestens seit dem 24. März 1971 Einwohner:innen Assams waren. 1,9 Millionen Menschen konnten die vorausgesetzten Nachweise nicht erbringen und wurden von der Registrierung ausgeschlossen. Sie sind nun der Gefahr ausgesetzt, staatenlos zu werden. Die Wissenschaftlerin Laura van Waas beschreibt dieses Ereignis als den Höhepunkt einer langen (weltweiten) Dekade der Denationalisierung (‘Decade of Denationalisation’) von 2010 bis 2019. Diese sei neben umfangreichen staatlichen Praktiken der Ausbürgerung von Minderheiten auch durch eine Renaissance individueller Ausbürgerungen geprägt.

Die Ausbürgerung von einzelnen Personen oder ganzen Personengruppen wird zunehmend auch als eine Anti-Terror-Strategie verstanden und in einer wachsenden Zahl von Staaten als Maßnahme zur Wahrung der nationalen Sicherheit genutzt. In Deutschland ist beispielsweise seit dem 9. August 2019 eine Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) in Kraft, wonach Personen, die sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligen, die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wird. Diese Regelung gilt jedoch nicht, wenn die Betroffenen dadurch staatenlos würden. Sie kann auch nicht rückwirkend angewendet werden. In Staaten wie Italien oder der Türkei gibt es einen solchen Schutz vor Staatenlosigkeit bei der Ausbürgerung hingegen nicht.

In einigen Staaten wird die Möglichkeit des Staatsangehörigkeitsentzugs bei (vermeintlicher) Beteiligung an terroristischen Vereinigungen als Mittel politischer Repression eingesetzt. So werden beispielsweise in Bahrain bereits die "Störung der öffentlichen Ordnung", "Bedrohung der Sicherheit des Königreichs" und "Schädigung der nationalen Einheit” als terroristische Handlungen eingestuft. Dies ermöglichte etwa die seit 2012 zunehmende Ausbürgerung von Journalist:innen, Angehörigen von Oppositionsparteien und Menschenrechter:innen im Rahmen vermeintlicher Anti-Terror-Maßnahmen. Bis Ende 2020 haben auf diesem Wege 990 Menschen ihre bahrainische Staatsangehörigkeit verloren und sind staatenlos geworden, sofern sie nicht noch die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes besaßen.

Verlust der Staatsangehörigkeit durch Staatsauflösung

Eine große Zahl der Menschen, die derzeit weltweit staatenlos sind, kann auf die Auflösung von Staaten und die Gründung von Nachfolgestaaten zurückgeführt werden, in deren Zuge es Menschen nicht gelang, die Staatsangehörigkeit des Nachfolgestaats zu erwerben. Dies war beispielsweise Ende der 1990er Jahre im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion der Fall, Interner Link: wie die hohe Zahl an Staatenlosen bzw. Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit in den baltischen Staaten zeigt. Und auch der Interner Link: Zerfall des Osmanischen Reiches (17. bis frühes 20. Jahrhundert) und das Ende der Kolonialherrschaft führten zur Entstehung neuer Staaten im Nahen Osten und Nordafrika. Im Zuge dieses Prozesses wurden beispielsweise tausende Menschen in Kuwait staatenlos. Der kuwaitische Staat stuft sie noch heute als ‘illegale Bewohner:innen’ ein und beschränkt ihren Zugang zu grundlegenden Rechten. Da die Staatsangehörigkeit Kuwaits nach dem Abstammungsprinzip vergeben wird, vererbt sich auch die Staatenlosigkeit von Generation zu Generation. Auch im Libanon und Syrien sind die Nachfahren von Personen, die in den bei der Unabhängigkeit beider Staaten angelegten Bevölkerungsregistern nicht erfasst wurden, bis heute staatenlos, obwohl ihre Vorfahren ein Anrecht auf die Staatsangehörigkeit gehabt hätten.

Fehlende oder nicht anerkannte Nachweise der Staatsangehörigkeit

Auch fehlende Nachweise der Staatsangehörigkeit oder der Geburt können zu Staatenlosigkeit führen. Eine Geburtsurkunde dient als Nachweis der Verbindung zu den Eltern oder des Geburtsortes und bildet somit in modernen Staaten eine wichtige Grundlage für die Anerkennung der Staatsangehörigkeit. Fehlt eine solche Urkunde, erhöht sich das Risiko, staatenlos zu werden. Weltweit besitzen bis zu 237 Millionen Kinder unter fünf Jahren keine Geburtsurkunde. Sowohl praktische als auch juristische Hürden können einer Registrierung von Geburten und der Ausstellung entsprechender Urkunden im Wege stehen. In manchen Fällen fehlen schlichtweg Zivilregister, um Geburten registrieren zu lassen; in anderen Fällen haben die Eltern nicht die Ressourcen, um für die Gebühren einer Geburt im Krankenhaus aufzukommen oder in die nächstgrößere Stadt zu reisen, um die Geburt ihrer Kinder registrieren zu lassen.

In zahlreichen Ländern Europas ist die Registrierung der Geburt eines Kindes an den Aufenthaltstitel und die Dokumente der Eltern gekoppelt. In Lettland, Nordmazedonien, Serbien, der Ukraine und Moldawien hingegen werden Kinder nur dann registriert, wenn die Eltern bestimmte Ausweisdokumente vorlegen können. Für einige Bevölkerungsgruppen wie geflüchtete Menschen oder Personen mit einem irregulären Aufenthaltsstatus stellen diese Voraussetzungen ein großes Hindernis dar. Die praktische Folge solcher Regelungen ist, dass besonders Kinder von staatenlosen oder unzureichend dokumentierten Eltern staatenlos geboren werden, wenn sie im Aufenthaltsland keinen rechtlichen Schutz vor Staatenlosigkeit haben. In Europa sind insbesondere Interner Link: Angehörige der Roma mit generationenübergreifenden Barrieren beim Zugang zu den benötigten Dokumenten konfrontiert und haben seltener die Möglichkeit, die Geburt ihrer Kinder registrieren zu können, als andere Bevölkerungsgruppen in Europa. Zudem gibt es häufig keine Regelungen für Kinder, die auf der Flucht nach Europa geboren werden, deren Geburt aber weder im Herkunfts- noch in Transitländern registriert werden konnte.

Auch Interner Link: LGBTIQ*-Familien können mit Problemen bei der Registrierung von Geburten sowie der Anerkennung der Partner:innenschaften oder Ehen und damit der Vererbung der Staatsangehörigkeit konfrontiert sein. Besonders in Fällen von Familien, in denen die Eltern verschiedene Staatsangehörigkeiten besitzen, kann es zu Anerkennungsschwierigkeiten kommen. Das kann z.B. bei grenzüberschreitender Mobilität der Fall sein: So zeigen gesammelte Beispiele des Network of European LGBTIQ*-Families Associations (NELFA), dass in Spanien ausgestellte Geburtsurkunden, in denen beide gleichgeschlechtlichen Eltern aufgeführt werden, in Ländern wie Polen und Bulgarien nicht anerkannt werden. Die betroffenen Kinder laufen so Gefahr, staatenlos zu bleiben, weil die biologische Mutter ihre Staatsangehörigkeit nicht an sie weitergeben kann. Der Europäische Gerichtshof hat diesbezüglich im Dezember 2021 entschieden, dass eine Beziehung zwischen Kind und Eltern, die in einem EU-Staat anerkannt wurde, auch von allen anderen EU-Mitgliedsländern anerkannt werden muss. Das Herkunftsland eines Elternteils muss dessen Staatsangehörigkeit auch dem Kind zuerkennen und ihm einen Ausweis ausstellen.

Auf dem afrikanischen Kontinent sind insbesondere Angehörige ethnischer Gruppen, die sich durch Interner Link: nomadische Lebensweisen auszeichnen, mit Schwierigkeiten konfrontiert, die Bedingungen für eine Staatsangehörigkeit zu erfüllen. Da sie häufig keinen festen Wohnort haben und als Viehhirt:innen über nationalstaatliche Grenzen hinweg ziehen, können sie oft keinen Nachweis des Geburtsortes oder der Abstammung erbringen.

Klimawandel

In Zukunft kann auch der Klimawandel eine Ursache für Staatenlosigkeit sein, wenn ganze Regionen unbewohnbar werden oder ganze staatliche Territorien verschwinden: Die Ausbreitung der Wüste kann dazu führen, dass Teile Äthiopiens, Eritreas, Somalias und des Sudan zu trocken und damit unbewohnbar werden. Und der Anstieg des Meeresspiegels könnte nicht nur einige Küstengebiete unbewohnbar machen, sondern auch dazu führen, dass ganze Inselstaaten wie Kiribati, Tuvalu und die Marshallinseln überflutet werden. Durch eine solche Bedrohung der Existenzgrundlage ganzer Staaten wären viele Menschen gezwungen, ihre Herkunftsstaaten zu verlassen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie diese Personen von ihren jeweiligen Herkunfts- oder Aufnahmestaaten unterstützt werden (können), da sie Interner Link: weder der rechtlichen Definition, der von Gewalt und Verfolgung betroffenen Flüchtlinge entsprechen, noch als staatenlos gelten, solange ihre Herkunftsstaaten rechtlich weiter existieren. Damit diese Bevölkerungsgruppen nicht de facto staatenlos werden, müssten schon jetzt entsprechende Maßnahmen geschaffen werden, um von Klimaflucht betroffenen Menschen einen dauerhaften Aufenthaltsstatus in den Ankunftsländern zu ermöglichen.

Mögliche Folgen von Staatenlosigkeit

Die Staatsangehörigkeit ist mehr als eine rechtliche Kategorie und beeinflusst alle Bereiche des Lebens. Keine oder eine ungeklärte Staatsbürgerschaft zu haben, bedeutet für die Betroffenen häufig, vom Schutz nationaler Gesetze ausgeschlossen zu sein und dadurch keine oder nur eine stark eingeschränkte Garantie grundlegender Sozialleistungen und politischer Rechte zu haben. Dies kann den Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem, dem Arbeitsmarkt sowie die Möglichkeiten zu wählen, zu heiraten, zu reisen und Eigentum zu besitzen umfassen. Die konkreten Auswirkungen von Staatenlosigkeit unterscheiden sich von Person zu Person und von Land zu Land. Entscheidende Faktoren sind dabei häufig der Aufenthaltsstatus der staatenlosen Person sowie die Frage, ob es staatliche Verfahren zur Anerkennung von Staatenlosigkeit gibt und welche Rechte als staatenlos anerkannte Menschen in dem jeweiligen Staat zugebilligt werden. In Europa haben Personen, die offiziell als de jure Staatenlose anerkannt sind, meist die gleichen Rechte und Zugänge wie Staatsbürger:innen. De facto Staatenlose mit einem geduldeten oder irregulären Aufenthalt und besonders Menschen ohne offizielle Ausweisdokumente sind dagegen im alltäglichen Leben meist mit großen Hürden konfrontiert.

Gesundheit und Arbeit

Der Zugang zum Gesundheitssystem ist in einigen Ländern von (nationalen) Ausweisdokumenten oder dem Aufenthaltsstatus abhängig. Verfügen Personen weder über das eine noch das andere, haben sie keinen Zugang zu Gesundheitsleistungen. Da vor allem de facto Staatenlose vielerorts ohne offizielle Papiere oder ohne einen Aufenthaltstitel leben, sind sie davon besonders betroffen. In einigen Staaten sind die Kosten einer Gesundheitsvorsorge zudem eine große Hürde: so sind etwa staatenlose Menschen in Ländern wie der Dominikanischen Republik, Indonesien, Nordmazedonien und Südafrika von Gesundheitsvorsorgeplänen, dem Versicherungssystem und kostenloser Gesundheitsvorsorge für Bürger:innen ausgeschlossen sind. Besonders staatenlose Personen ohne legalen Aufenthaltstitel gehen aus Angst, bei den Ausländerbehörden gemeldet und folglich inhaftiert oder abgeschoben zu werden, sowie aus Angst vor Diskriminierung oder hohen Rechnungen häufig nicht zum Arzt und nehmen daher oftmals potenziell lebensrettende Behandlungen nicht in Anspruch. In vielen Staaten haben zudem (insbesondere de facto) staatenlose Menschen keine oder eingeschränkte Möglichkeiten einer legalen Beschäftigung, weshalb sie sich gezwungen sehen, im informellen Sektor zu arbeiten, wo sie vermehrt prekären Arbeitsbedingungen und Ausbeutung ausgesetzt sind.

Gesellschaftliches Zusammenleben und politische Teilhabe

Viele Kernbereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens, wie beispielsweise die Registrierung an Schulen oder Universitäten, sind mit bürokratischen Schritten verbunden, die eine Auskunft über die eigene Staatsangehörigkeit oder den Nachweis offizieller Ausweisdokumente notwendig machen. In Formularen kann die Option ‘staatenlos’ oder ‘ungeklärte Staatsangehörigkeit’ häufig nicht angekreuzt werden, was für Staatenlose einen zusätzlichen Aufwand bedeutet, um sich überhaupt in einer Bildungseinrichtung anmelden zu können. In einigen Staaten wird staatenlosen Kindern der Zugang zu öffentlichen Schulen oder Hochschulbildung zudem gänzlich verweigert. Nach Angaben von UNHCR schließen zum Beispiel in Myanmar nur 4,8 Prozent der staatenlosen Mädchen und 16,8 Prozent der staatenlosen Jungen die Grundschule ab, verglichen mit über 40 Prozent bei Mädchen und Jungen mit einer Staatsangehörigkeit. Auch politische Mitbestimmungsmöglichkeiten sind ausgeschlossen, Personen ohne oder mit nur ungeklärter Staatsangehörigkeit dürfen weder wählen noch gewählt werden. Hinzu kommen politische und wirtschaftliche Marginalisierung und Diskriminierung (einschließlich Interner Link: Antiziganismus und Interner Link: Rassismus). So sind beispielsweise in Europa viele staatenlose Personen, insbesondere staatenlose Roma, mit Hassreden, Ausbeutung und Missbrauch sowie eingeschränkter Bewegungsfreiheit konfrontiert. Hinzu kommen psychologische Folgen, wie das Gefühl, ausgeschlossen zu sein und sich nicht zugehörig fühlen zu dürfen, insbesondere die stetige Angst, durch falsche Handlungen den eigenen Aufenthaltsstatus zu gefährden.

Gefahr der dauerhaften Inhaftierung

Staatenlose Personen sind einem erhöhten Risiko der willkürlichen Inhaftierung in Abschiebehaft ausgesetzt, da es keinen Staat gibt, in den sie abgeschoben werden können. Diese Gefahr besteht dann, wenn ein Staat über keine Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit verfügt und betrifft insbesondere Staatenlose ohne einen legalen Aufenthaltstitel. Eine mögliche Staatenlosigkeit wird bei der Entscheidung, eine Person in Abschiebehaft zu nehmen, in Staaten wie der Ukraine, Polen, dem Vereinigten Königreich und Deutschland häufig nicht beachtet. Doch besonders in solchen Fällen ist die Identifizierung von Staatenlosigkeit zentral, denn die anerkannte Staatenlosigkeit gilt beispielsweise in Deutschland als ein dauerhaftes Abschiebehindernis, sie ermöglicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§25 Abs. 5 AufenthG) und verhindert so eine unrechtmäßige Inhaftierung staatenloser Menschen.

Besondere Betroffenheit von Corona-Pandemie

Staatenlose sind besonders stark von den Auswirkungen der Interner Link: COVID-19 Pandemie betroffen. Weltweit leben Menschen ohne oder mit einer ungeklärten Staatsangehörigkeit häufiger in prekären Lebenssituationen und sind ökonomisch abhängiger vom informellen Sektor, weil sie in vielen Ländern nur eingeschränkten Zugang zu formeller Beschäftigung haben. In der Pandemie ist für viele von ihnen die Lebensgrundlage weggebrochen. Das ist beispielsweise in Ländern wie Malaysia, Montenegro, Nordmazedonien oder Bangladesch der Fall, wo Arbeitsmöglichkeiten im informellen Sektor durch Infektionsschutzmaßnahmen wie einen Lockdown nicht mehr zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sind Staatenlose und Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit häufig von staatlichen Hilfsprogrammen ausgeschlossen, weil diese an offizielle Ausweisdokumente gebunden sind. Sowohl die Arbeit im informellen Sektor als auch die oft beengte Wohnsituation vieler Staatenloser birgt in der Pandemie besonders hohe Risiken einer Ansteckung mit dem Corona-Virus. Weltweit leben viele staatenlose Bevölkerungsgruppen in dicht besiedelten Camps und Siedlungen (z.B. die Interner Link: Rohingya in Bangladesch). Infektionsschutzmaßnahmen wie Abstand und Hygieneregeln können hier nur schwer eingehalten werden.

Gleichzeitig führt der in vielen Staaten begrenzte Zugang staatenloser Personen zum Gesundheitssystem dazu, dass sie nur eingeschränkt Zugang zu Tests, Impfungen und medizinischer Behandlung haben. Häufig hängt dies mit dem Fehlen notwendiger Ausweisdokumente zusammen. Eine Umfrage in der Ukraine zeigt beispielsweise, dass 46 Prozent der staatenlosen Befragten während der Pandemie der Besuch von Ärzt:innen verwehrt wurde, da sie sich nicht ausweisen konnten.

Das Aussetzen von Asylverfahren und Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit in Staaten wie Bulgarien, Deutschland, der Ukraine und Kolumbien führte dazu, dass der rechtliche Status und damit die garantierten Rechte betroffener staatenloser Personen oft lange ungeklärt blieben. Zusätzlich wurden in einigen Staaten Geburtsregistrierungen (vorübergehend) ausgesetzt, was besonders für Angehörige von Minderheiten, Menschen in Grenzregionen oder mit familiärer Migrationsgeschichte die Gefahr erhöht hat, dass Neugeborene über längere Zeit staatenlos bleiben.

Was es bedeutet, staatenlos zu sein und welche Folgen dies für die Betroffenen hat, erläutern Christiana Bukalo und Laura van Waas im Interner Link: Interview.

Weitere Inhalte

Beeke Wattenberg absolviert den Masterstudiengang Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen (IMIB) an der Universität Osnabrück und ist Studentische Hilfskraft am dortigen Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS).