Die Bedeutung des Handwerks für Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland
Das Interner Link: Handwerk stellt keinen großen, aber dennoch wichtigen Teil der deutschen Volkswirtschaft dar. Dabei mag überraschen, dass nicht exakt bekannt ist, wie viele Unternehmen und Beschäftigte in diesem Wirtschaftsbereich aktiv sind. Die Handwerkszählung des Statistischen Bundesamts geht von rund 560.400 Unternehmen und 5,4 Millionen im Handwerk tätigen Personen im Jahr 2020 aus. Diese Zahlen unterschätzen jedoch die tatsächliche Zahl, da bestimmte Unternehmen nicht erfasst werden (bspw. Unternehmen mit geringen Umsätzen oder aus bestimmten Handwerks-Branchen wie z.B. Maskenbildner oder Eisenflechter). Der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) schätzt die Zahl der Beschäftigten auf rund 5,6 Millionen für das Jahr 2020. Insgesamt arbeiten dementsprechend zwischen 12,1 Prozent und 12,5 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland im Handwerk.
Handwerker*innen erfüllen eine Reihe wichtiger Funktionen, indem sie bspw. Wohngebäude energetisch sanieren, Solar- und Wärmepumpen-Heizungen installieren oder Lebensmittel bereitstellen. Außerdem werden in Handwerksunternehmen besonders viele Jugendliche ausgebildet. Fast ein Drittel aller Fachkräfte Deutschlands (30 Prozent aller Auszubildenden) kommen aus dem Handwerk. Es wird damit theoretisch über dem eigenen Bedarf ausgebildet. Allerdings verlassen die fertig ausgebildeten Handwerker*innen oftmals das Ausbildungsunternehmen und nehmen eine Tätigkeit in anderen Wirtschaftszweigen auf, so dass sie dem Handwerk verloren gehen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist in diesem Zusammenhang auch die Integrationsfunktion des Handwerks wichtig: Über eine duale Ausbildung im Handwerk finden jedes Jahr auch zahlreiche Jugendliche mit geringer schulischer Vorbildung oder Jugendliche mit Migrationshintergrund den Weg in den Arbeitsmarkt.
Daneben kommt eine regionale Dimension zum Tragen. Aufgrund der breiten, dezentralen Verteilung der Handwerksunternehmen bieten sie auch in ländlich-peripheren Regionen Deutschlands, die oft strukturschwach sind, vielfältige Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten. Auf diesem Wege leistet das Interner Link: Handwerk im Bereich der Humankapitalbildung seinen Beitrag zur politisch angestrebten Verringerung von regionalen Disparitäten.
Wann gehört ein Unternehmen zum Handwerk?
Wenn die Tätigkeit eines Unternehmens mit der Beschreibung der über 130 Handwerksberufe der Interner Link: Handwerksordnung (HwO) übereinstimmt, ist es ein Handwerksunternehmen und muss bei einer Interner Link: Handwerkskammer angemeldet werden und einen monatlichen Mitgliedsbeitrag entrichten. Vor allem Berufe aus dem Bau- und Ausbau-Bereich – wie Maurer und Betonbauer, Dachdecker und Fliesenleger – gehören fast immer zum Handwerk. Es gibt außerdem Berufe im Lebensmittelbereich, wie Bäcker und Brauer, oder aus dem Gesundheitsbereich, wie Augenoptiker oder Hörgeräteakustiker, welche dem Handwerk zugerechnet werden. Andere Tätigkeiten, wie Kochen oder Gärtnerei, werden oft fälschlicherweise als Handwerk klassifiziert. Außerdem gibt es Tätigkeiten, bei denen es nicht leicht zu entscheiden ist, ob sie zum Handwerk gehören. Deshalb stellen die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern Leitfäden zur Verfügung, die die Unternehmens-Gründer*innen bei der Abgrenzung zwischen Handwerk und anderen Wirtschaftsbereichen unterstützen.
Fachkräfteknappheit im Handwerk
Damit eine Bevölkerung konstant groß bleibt, müsste jede Frau im Schnitt 2,1 Kinder bekommen. Interner Link: In Deutschland liegt die Zahl der Kinder je Frau aber seit gut 50 Jahren mit einem Wert von im Durchschnitt 1,5 deutlich unter diesem sogenannten Bestanderhaltungsniveau. Das bedeutet: Wenn keine Menschen aus dem Ausland zuziehen, schrumpft die Bevölkerung langfristig. Es gibt also allein durch eine geringe Geburtenzahl immer weniger junge Menschen, die eine Ausbildung durchlaufen und arbeiten. Laut Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung ist der Anteil der unter 20-Jährigen an der Gesamtbevölkerung Deutschlands von 27 Prozent im Jahr 1980 auf aktuell 18 Externer Link: Prozent gefallen (siehe Abbildung 1). Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen im Ruhestand. Bis 2036 werden laut Statistischem Bundesamt 12,5 Millionen Erwerbspersonen in Deutschland das gesetzliche Rentenalter erreichen. Damit schrumpft die Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen um 30 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021.
Angesichts dieser Entwicklungen wird es für Unternehmen im Handwerk immer schwieriger, Mitarbeiter*innen zu finden – zumal die Zahl derjenigen jungen Menschen, die sich für eine Ausbildung entscheiden, sinkt, während die Zahl der Studierenden anwächst (siehe Abbildung 2). Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt es schon heute in vielen Handwerks-Berufen – insbesondere bei Friseuren, Kosmetikern, Metallbauern, Dachdeckern und Elektrotechnikern – immer häufiger Arbeitsstellen, die unbesetzt bleiben. Der ZDH geht von rund 250.000 fehlenden Handwerker*innen aus.
Die Beschäftigung von Migrantinnen und Migranten im Handwerk
Es stellt sich die Frage, ob die Interner Link: Fachkräfteknappheit durch Zuwanderung kompensiert werden kann. Der Anteil der Erwerbstätigen mit Migrationserfahrung unterscheidet sich kaum zwischen Handwerk und anderen Wirtschaftsbereichen, liegt jedoch höher als in den fertigungstechnischen Berufen (siehe Abbildung 3). Allerdings steigt die Bedeutung der Zuwanderer*innen auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Während im Jahr 2010 ca. 8,7 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland ausländische Staatsangehörige waren, traf dies im Jahr 2020 bereits auf rund 12,6 Prozent zu. Zudem fällt mit Blick auf den Ausbildungsstellenmarkt auf, dass im Handwerk der Ausländeranteil an allen Neuabschlüssen über dem Durschnitt liegt. 2020 entfielen 35 Prozent und somit mehr als ein Drittel der ausländischen Ausbildungsanfänger*innen auf das Handwerk. Auch hier zeigt sich also die oben erwähnte beruflich-gesellschaftliche Integrationsfunktion des handwerklichen Ausbildungsbereichs.
Der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und eine Veränderung der Ausbildungspräferenzen zeigt sich auch bei der Zahl der Auszubildenden im Handwerk (Abbildung 4). Während es in den Jahren 2005 bis 2007 noch fast eine halbe Million Auszubildende in Handwerksberufen gab, sank diese Zahl bis 2021 auf rund 360.000. Im Gegensatz dazu ist der Ausländeranteil unter den Auszubildenden im Handwerk im selben Zeitraum von fünf Prozent auf 13,7 Prozent gestiegen – auch, weil es dem Handwerk seit 2015 gelungen ist, rund 25.000 junge Geflüchtete in die Ausbildung zu bringen. Ohne Migration hätte es im Handwerk im Jahr 2021 ungefähr 50.000 Auszubildende weniger gegeben. Die Zugewanderten können die Fachkräfteknappheit also zum Teil kompensieren, aber der Auszubildendenrückgang im Handwerk ist so stark, dass Deutschland ungefähr vier Mal so viele junge Migrant*innen im Handwerk bräuchte, um so viele Gesell*innen auszubilden wie vor 15 Jahren.
Da die Handwerksunternehmen von Zuwanderung profitieren, setzte sich der ZDH für die Umsetzung des sogenannten Interner Link: Fachkräfteeinwanderungsgesetz ein, mit dem es für gut ausgebildete Nicht-EU-Ausländer*innen leichter wurde, eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu erhalten. Außerdem gibt es verschiedene Projekte, über die Jugendliche, die in ihrer Heimat keine Arbeit finden, angeworben werden können (beispielsweise Externer Link: ein Fachkräfteprojekt des ZDH mit Bosnien-Herzegowina). Das Handwerk bietet auch Migrant*innen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen und geringen Deutschkenntnissen einen guten Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt, weil die Zugangshürden für viele Tätigkeiten relativ gering sind (man benötigt zum Beispiel meist kein Abitur). In einigen Berufen kann man ohne Berufsausbildung arbeiten, etwa in an- und ungelernten (Helfer-)Tätigkeiten. Und obwohl diese Arbeitsplätze mit niedrigerer Entlohnung einhergehen, bieten sie die Möglichkeit zum Spracherwerb und zur Weiterbildung. Gleichzeitig ist das Handwerk nach oben durchlässig: egal ob man als ungelernter Arbeiter oder als Auszubildende beginnt, gibt es weitere Qualifizierungsmöglichkeiten, wie beispielsweise den Meisterbrief, mit welchem man die Zugangsvoraussetzung für ein Universitätsstudium erfüllt. Ausgebildete Gesell*innen haben Zugang zum Studium an einer Fachhochschule.
Nichtsdestotrotz gibt es auch Zugangsbarrieren, welchen es weniger gut ausgebildeten Zugewanderten erschweren, im Handwerk zu arbeiten bzw. sich selbstständig zu machen. In fast allen Handwerksberufen gilt beispielsweise die Meisterpflicht. Diese fordert, dass ein/e Unternehmensgründer*in einen Meisterbrief besitzen muss, oder dass eine Person mit Meisterbrief im Unternehmen angestellt werden muss. Beispielweise können Migrant*innen ohne Meisterbrief kein Friseurgeschäft und keine Bäckerei eröffnen. Schätzungsweise läge der Migranten-Anteil von Gründer*innen ohne die Meisterpflicht ca. acht Prozent höher, der Migranten-Anteil unter Gründerinnen läge sogar bis zu 18 Prozent höher.
Insgesamt stellt das Handwerk einen wichtigen Wirtschaftsbereich dar, welcher aktuell unter einer ausgeprägten Fachkräfteknappheit leidet, die in den nächsten Jahrzehnten anhalten wird. Migration nach Deutschland wird für das Handwerk in der Folge immer wichtiger. Die Kombination von niedrigen Einstiegsbarrieren und Möglichkeiten der Weiterqualifikation kann die Integration von Migranten*innen unterstützen und die Fachkräfteknappheit abmildern – aber nicht annähernd vollständig kompensieren.
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Volkwirtschaftlichen Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen e.V. (ifh). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Small Business, Energieökonomik und politische Ökonomik.