In der Art und Weise, wie in Deutschland über Migration gesprochen und Migrationspolitik gemacht wird, gibt es meist ein implizites Selbstverständnis darüber, dass Geflüchtete und Migrant*innen entweder einen Aufenthaltsstatus erhalten oder das Land wieder verlassen müssen. Diesem Anspruch stehen vielfältige praktische und rechtliche Gründe entgegen, die es häufig nicht möglich machen, Menschen zur Ausreise zu zwingen – was wiederum in einem Spannungsverhältnis steht mit dem Anspruch des Staates, souverän über den Aufenthalt von Migrant*innen auf dem eigenen Staatsgebiet und dessen Beendigung zu verfügen.
Auch wenn Daten zu Abschiebequoten und sogenannten Vollzugsdefiziten oft mangelhaft und intransparent sind, lässt sich feststellen, dass Nichtabschiebbarkeit und Nicht-Abschiebung mehr Regel als Ausnahme darstellen. Die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts, die Aufforderung zur Ausreise und das tatsächliche Verlassen des Landes fallen in der Realität nicht zwangsläufig zusammen. Dadurch entsteht ein Raum zwischen Gehen-Müssen und Bleiben-Dürfen. Die Duldung ist ein Zwischenstatus, der diesen Raum verwaltet. Mit einer Duldung erkennt der Staat die bloße Anwesenheit einer Person zwar an, hebt dabei die Ausreisepflicht aber nicht auf. Entsprechend können Betroffene weiterhin abgeschoben werden. Die Duldung begründet also einen rechtlichen Schwebezustand und ist gleichzeitig Ausdruck staatlicher Souveränität sowie ihrer Grenzen.
Historische Ursprünge
Als Sonderkategorie des Aufenthaltsrechts gibt es die Duldung seit 1965 – und seither prägt sie migrationspolitische Debatten und die Lebensrealitäten hunderttausender Menschen. Eingeführt wurde sie im Rahmen der ersten Reform des Ausländergesetzes nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, um ein rechtliches Vakuum zu schließen: Menschen, die zwar ausreisepflichtig waren, aber aus politischen, humanitären oder praktischen Gründen nicht abgeschoben werden konnten, erhielten formal einen (Zwischen-)Status, der sich im Laufe der Zeit wandelte und ihre konkreten Rechte auf verschiedene Weise einschränkte.
In der Zeit des Kalten Krieges reagierte die Bundesrepublik damit unter anderem auf die komplexen diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten. Abschiebungen in diese Länder waren in der Politik und Bevölkerung umstritten. Mit der Duldung konnten solche Abschiebungen vermieden werden, ohne einen Schutzstatus gewähren zu müssen. Insofern wurde mit der Duldung ein Instrument geschaffen, das auch den restriktiven Logiken des damals geltenden Ausländerrechts entsprach: Die geduldete Person blieb unerwünscht – ihr Aufenthalt wurde lediglich hingenommen und als solcher entkriminalisiert, aber nicht anerkannt.
Die Duldung ist ein Sammelstatus für unterschiedlichste Fallkonstellationen und Einzelschicksale, in denen Menschen nicht abgeschoben werden und gleichzeitig nicht bleiben dürfen. Weder die konkreten Gründe, die eine (erzwungene) Ausreise verhindern, noch die Zielgruppe waren im Duldungsparagraphen von 1965 genau definiert. Es lassen sich aber beispielhaft einige zentrale Gruppen benennen, auf die die Duldung häufig angewandt wurde. Aktuell handelt es sich bei der Mehrheit der Geduldeten um abgelehnte Asylsuchende. In den frühen 1990er Jahren, zur Zeit der postjugoslawischen Kriege, Interner Link: wurden massenhaft Duldungen für Geflüchtete aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens erteilt. Andere Beispiele für größere Gruppen mit Duldungsstatus sind unbegleitete minderjährige Geflüchtete, Angehörige von Rom*nja-Gemeinschaften sowie seit den 2000er Jahren irakische Staatsangehörige, denen ihr Schutzstatus entzogen wurde.
Zwischen Arbeitsmarktpotenzial und Sicherheitsrisiko
In den politischen und medialen Debatten schwanken die Perspektiven auf Geduldete zwischen zwei Polen: So werden sie einerseits als potenziell nützlich und andererseits als potenziell gefährlich betrachtet. Bei der „Nützlichkeitsdiskussion“ geht es vorrangig darum, wie die vielen geduldeten Personen in Deutschland als Arbeitskräfte mobilisiert werden könnten. Der andere dominante Deutungsrahmen hingegen zeichnet Geduldete vorrangig als Gefahr für die öffentliche Sicherheit, etwa wenn ihnen pauschal unterstellt wird, ihre Identität zu verschleiern, nicht mit Behörden zu kooperieren oder kriminell zu sein. Während der Nützlichkeitsdiskurs den Fokus auf eine verstärkte Integration in den Arbeitsmarkt legt und zu Gesetzesinitiativen wie der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung (§60c und §60d AufenthG) geführt hat, schlägt sich die Debatte um ungeklärte Identitäten als Abschiebungshindernis und Geduldete als „Gefährder“ in einer fortschreitenden Einschränkung von Bewegungsfreiheit, sozialer Unterstützung, Grundrechten und Entfaltungsmöglichkeiten der Betroffenen nieder – wie sich etwa an der Einführung der „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ zeigen lässt.
Dauerhafte Vorläufigkeit
Die Duldung verwaltet den widersprüchlichen Zustand dieses rechtlichen Zwischenstatus' des Bleibens-ohne-bleiben-zu-dürfen nicht nur – sie ist selbst Ausdruck dieses Schwebezustands: Sie ist weder Aufenthalts- noch Schutzstatus und erschwert weitgehend gesellschaftliche Teilhabe und aktive Lebensgestaltung. Stattdessen folgt sie einer Logik der Kontrolle, sowie struktureller Passivierung und Desintegration. Ein zentraler Widerspruch dieses Status liegt in seiner zeitlichen Unbestimmtheit: Zwar wurde und wird die Duldung als Übergangsregelung konzipiert, sie kann jedoch unbegrenzt verlängert werden. Die Grundannahme, die Nichtabschiebbarkeit einer Person sei nur ein temporärer Zustand, begründet politisch in der Regel die Einschränkung von Rechten – etwa eingeschränkte Bewegungsfreiheit oder minimale Sozialleistungen. Tatsächlich verbleiben viele Menschen aber über Jahre – in einigen Fällen sogar über Jahrzehnte – in diesem Zustand permanenter Vorläufigkeit. Diese sogenannten Kettenduldungen sind seit Ende der 1980er Gegenstand politischer Debatten im Bundestag. Zahlreiche politische Vorstöße, um Bleiberechtsregelungen für Langzeitgeduldete zu schaffen, scheiterten in ihrer Wirksamkeit bisher an Kriterien, die für die breite Mehrheit der Langzeitgeduldeten nicht erfüllbar sind. Das jahrelange Verharren im Weder-Noch wiederum geht für Langzeitgeduldete mit Unsicherheit und prekären Lebensverhältnissen einher: Dazu zählen, neben der Interner Link: Residenzpflicht, die ihre Bewegungsfreiheit massiv einschränkt, dass Geduldete keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu Integrationsmaßnahmen, Familienzusammenführung, Regularisierungsoptionen – also Möglichkeiten, einen regulären Aufenthalts- oder Schutzstatus zu erhalten –, zum Arbeitsmarkt, zu sozialen Rechten und Datenschutzrechten erhalten.
Ein Status voller Widersprüche
Die Duldung bietet keine Lösung für das grundlegende Dilemma des Aufenthalts ohne Aufenthaltsrecht. Vielmehr spiegelt sie das fundamentale Spannungsverhältnis zwischen Abschiebungen, Vollzugshindernissen und dem unzureichenden internationalen Schutz Geflüchteter wider und macht damit sichtbar, was migrationspolitisch oft verdrängt wird: Dass sogenannte irreguläre Migration und irregulärer Aufenthalt keine Ausnahme, sondern eine systemische Regel in der Fluchtmigration bilden, was unmittelbar damit zusammenhängt, dass es kaum reguläre Fluchtwege nach Deutschland gibt. Während die Duldung innerhalb der Logik des Migrationsregimes als Ausnahmefall verhandelt wird, ist sie in der Praxis schon lange zum Regelfall geworden. Sie belässt Menschen dauerhaft in einem Zustand der Ungewissheit – stets mit der Möglichkeit einer Abschiebung konfrontiert – und beschränkt sie in ihren Rechten und Lebensperspektiven. Eine gesetzlich festgelegte maximale Duldungsdauer mit anschließendem Übergang in einen regulären Aufenthaltsstatus wäre eine Möglichkeit, um Rechtsklarheit und soziale Standards zu fördern.