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Migrationspolitik – Juli 2022 | Migrationspolitik – Monatsrückblick | bpb.de

Migrationspolitik – Juli 2022

Vera Hanewinkel

/ 8 Minuten zu lesen

Griechenland muss überlebende Geflüchtete eines Bootsunglücks entschädigen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Italien hat das Flüchtlingslager Lampedusa geräumt.

Die italienische Behörden fahren im Juli 2022 Flüchtlinge von der Insel Lampedusa zu einem Marineboot, das sie nach Sizilien bringt. (© picture alliance / Avalon | Alessandro Serrano)

Zahl der Arbeitskräfte aus Drittstaaten stark gestiegen

Die Zahl der Menschen, die aus nicht zur EU gehörenden Ländern (Drittstaaten) nach Deutschland gekommen sind, um vorübergehend hier zu arbeiten, hat sich laut Statistischem Bundesamt in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht. Waren 2011 noch rund 95.000 Menschen mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit im Ausländerzentralregister erfasst, so hielten sich Ende 2021 rund 295.000 Drittstaatsangehörige zu diesem Zweck in Deutschland auf. Die meisten Drittstaatsangehörigen, die Ende 2021 zum Arbeiten in Deutschland waren, stammten aus Interner Link: Indien (rund 33.900, elf Prozent) sowie den beiden Interner Link: Westbalkanstaaten Bosnien und Herzegowina (26.300, neun Prozent) und Kosovo (19.600, sieben Prozent).

Deutlich größer als die Zahl der vorübergehend in Deutschland arbeitenden Drittstaatsangehörigen ist die Zahl der Menschen, die aus EU-Staaten zum Arbeiten ins Land gekommen sind. Der Mikrozensus zählte 2021 rund 1,65 Millionen von ihnen. Das bedeutet einen Anstieg um 19 Prozent gegenüber 2017, als die Zahl der aus EU-Staaten zugewanderten Arbeitskräfte erstmals erfasst wurde. 2021 kamen die meisten EU-Arbeitskräfte aus Polen (rund 380.000, 23 Prozent), Rumänien (271.000, 16 Prozent) und Italien (208.000, 13 Prozent).

Insgesamt lebten 2021 rund 2,72 Millionen Menschen in Deutschland, die zum Zweck der Erwerbstätigkeit zugewandert sind. Interner Link: 43 Prozent von ihnen sind seit 2014 ins Land gekommen, 15 Prozent leben bereits seit der Zeit des Wirtschaftsbooms in der Nachkriegszeit im Land, Interner Link: als ausländische Arbeitskräfte (sogenannte Gastarbeiter/-innen) aktiv angeworben wurden.

Bundesregierung will Regelungen zur Arbeitsmigration erleichtern

Angesichts des wachsenden Arbeitskräftemangels in Deutschland will die Bundesregierung die Interner Link: Arbeitsmigration aus dem Ausland weiter erleichtern. Das geht aus einem Gastbeitrag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) im „Handelsblatt“ hervor. Die Erlaubnis zur Einreise nach Deutschland soll nach ihren Reformplänen nicht mehr ausschließlich davon abhängen, ob eine Jobzusage und ein anerkannter Bildungsabschluss vorliegen. Stattdessen sollen berufspraktische Erfahrungen stärker berücksichtigt werden. Wer seinen Lebensunterhalt selbstständig sichern kann, soll auch für mehr als die bisher erlaubten sechs Monate nach Deutschland kommen können, um sich hier einen Arbeitsplatz zu suchen. Ein entsprechender Gesetzentwurf oder eine Koalitionsentscheidung liegen bislang nicht vor.

Seit der Jahrtausendwende sind die Interner Link: Regelungen zur Arbeitsmigration nach Deutschland deutlich erleichtert worden. Zuletzt hatte das im März 2020 in Kraft getretene Interner Link: Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Hürden für die Einwanderung insbesondere für nicht akademisch ausgebildete Fachkräfte deutlich gesenkt. Vor allem im ersten Jahr konnte es seine Wirkung aber aufgrund der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Rückgang der Zuwanderung nach Deutschland nicht entfalten. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) beklagt zudem, dass die Regelungen des Gesetzes immer noch zu komplex seien und sowohl Unternehmen als auch Behörden überforderten. Zudem gebe es sehr lange Wartezeiten für Visa.

Nach Externer Link: Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erreichte die Zahl der offenen Stellen in Deutschland im ersten Quartal 2022 mit 1,74 Millionen einen neuen Höchstwert. Der Arbeitskräftemangel macht sich aktuell insbesondere an Flughäfen bemerkbar, wo seit Wochen Personal unter anderem in der Gepäck- und Passagierabfertigung fehlt. Die Bundesregierung hatte deswegen Anfang Juli beschlossen, kurzfristig 2.000 Arbeitskräften aus der Türkei Externer Link: eine erleichterte Einreise zu gewähren, um für drei Monate an deutschen Flughäfen zu arbeiten. Die dazu Externer Link: genutzte Regelung des Aufenthaltsgesetzes (§ 19c Absatz 3 AufenthG) sieht vor, dass in begründeten Einzelfällen eine Einreiseerlaubnis erteilt werden darf, wenn an der Beschäftigung „ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht“. Bis Ende Juli waren nach Angaben mehrerer Medien noch keine türkischen Arbeitskräfte in Deutschland eingetroffen. Dies liege an bürokratischen Hürden und an den langwierigen Sicherheitsüberprüfungen für Flughafenpersonal.

Anteil von Zugewanderten an Tatverdächtigen gesunken

Der Anteil zugewanderter Menschen an Tatverdächtigen bei der Ermittlung von Straftaten in Deutschland ist weiter gesunken. Das geht aus dem jüngsten Bundeslagebild Externer Link: „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ des Bundeskriminalamts hervor. 2021 hat die Polizei insgesamt 1,79 Millionen Tatverdächtige für versuchte oder vollendete Straftaten ermittelt. Davon waren 7,1 Prozent Zugewanderte, worunter im Lagebild Asylbewerber/-innen, anerkannte Flüchtlinge, Geduldete oder Menschen mit „unerlaubtem Aufenthalt“ gezählt werden (2020: 7,3 Prozent). Die Zahl der tatverdächtigen Zugewanderten ist damit im Vergleich zum Vorjahr stärker zurückgegangen (-6,7 Prozent) als die Zahl der Tatverdächtigen insgesamt (-4,2 Prozent). Die Zahlen sind um ausländerrechtliche Verstöße (z.B. gegen das Aufenthalts- oder das Asylgesetz) bereinigt.

Das Lagebild zeigt außerdem, dass Zugewanderte aus den drei Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden – Syrien, Afghanistan und Irak – deutlich seltener straffällig geworden sind als Menschen, die aus anderen Staaten im Zeitraum 2015 bis 2021 zugewandert sind. Für alle drei genannten Länder – aber zum Beispiel auch für Albanien, Eritrea und Pakistan – lag der Anteil an den tatverdächtigen Zugewanderten zum Teil deutlich unter ihrem Anteil an allen Asylsuchenden, am deutlichsten bei syrischen Staatsangehörigen (Anteil an tatverdächtigen Zugewanderten: 20,7 Prozent, Anteil an allen Asylsuchenden: 34,1 Prozent). Der Anteil von Menschen aus Ländern wie Algerien, Marokko, Nigeria und Serbien an tatverdächtigen Zugewanderten war dagegen höher als ihr Anteil an allen Asylsuchenden. Während zum Beispiel rund 1,1 Prozent aller Asylsuchenden algerische Staatsangehörige waren, stellten sie 2021 rund 3,5 Prozent aller tatverdächtigen Zugewanderten.

Deutlich höher als der Anteil der Tatverdächtigen, die im Kontext der Asylzuwanderung nach Deutschland gekommen sind, ist der Anteil aller nichtdeutschen (d.h. ausländischen) Tatverdächtigen. So ermittelte die Polizei 2021 insgesamt 533.484 nichtdeutsche Tatverdächtige, was 29,9 Prozent an allen ermittelten Tatverdächtigen entspricht. Zu den nichtdeutschen Tatverdächtigen zählen neben nach Deutschland zugewanderten Menschen zum Beispiel Urlaubs- und Geschäftsreisende, die sich nur kurzzeitig im Land aufhalten, aber auch ausländische Staatsangehörige, die zu kriminellen Zwecken wie dem Drogenhandel nach Deutschland einreisen.

Insgesamt zeigt sich, dass nach Deutschland Eingewanderte statistisch etwas Interner Link: häufiger durch Straftaten auffallen als Nichtmigranten. Die Gründe dafür sind Interner Link: vielfältig und komplex. So ist der Anteil junger Männer, die in allen Ländern häufiger straffällig werden als beispielsweise junge Frauen oder ältere Männer, unter Zugewanderten deutlich höher als in der nicht migrantischen Bevölkerung. Zudem leben Migrant/-innen häufiger in belastenden Lebensumständen und werden auch häufiger angezeigt als andere Täter/-innen. Die Forschung deutet zudem darauf hin, dass Geflüchtete mit sicherem Aufenthaltsstatus seltener straffällig werden als Menschen mit unsicheren Aufenthaltsperspektiven.

Entschädigung für überlebende Geflüchtete eines Bootsunglücks in der Ägäis

Griechenland muss Geflüchteten, die im Winter 2014 ein Bootsunglück in der Ägäis überlebt haben, eine Entschädigung von 330.000 Euro zahlen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Externer Link: entschieden. Die griechischen Behörden hätten gegen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Recht auf Leben (Artikel 2) und dem Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Artikel 3) verstoßen. Ein Fischerboot, auf dem sich Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien und den Palästinensischen Gebieten befanden, war im Januar 2014 im Beisein der griechischen Küstenwache vor der Insel Farmakonisi in der östlichen Ägäis gekentert und gesunken. Elf Menschen starben, darunter Angehörige der antragstellenden Personen. Die Straßburger Richter hatten sich mit 16 Anträgen der Überlebenden befasst. Die Überlebenden erklärten, das Unglück habe sich ereignet, weil das Schiff der griechischen Küstenwache sehr schnell gefahren sei, um das Flüchtlingsboot in türkische Gewässer zurückzudrängen (sogenannter Pushback). Die griechischen Behörden machten hingegen eine Panik an Bord des Fischerboots für dessen Sinken verantwortlich, die entstanden sei, als die Küstenwache versucht habe, das Boot Richtung Insel zu schleppen.

Die Richter des EGMR kommen in ihrem Urteil zu dem Schluss, dass nicht festzustellen sei, ob es sich tatsächlich um einen völkerrechtswidrigen Pushback-Versuch gehandelt habe, da die griechischen Behörden in dem Fall nur unzureichend ermittelt hätten. Zudem habe die Küstenwache zu wenig unternommen, um die Menschen zu retten. Das Schnellboot der Küstenwache sei nicht geeignet gewesen, das Fischerboot in Sicherheit zu schleppen und habe auch nicht über die notwendige Ausrüstung zur Rettung Schiffbrüchiger wie etwa Schwimmwesten verfügt. Ein Notruf zur Anforderung weiterer Schiffe sei jedoch erst abgesetzt worden, nachdem das Fischerboot bereits vollständig gesunken war. Nach dem Unglück seien die Überlebenden, die gerade Angehörige verloren hatten, zudem öffentlich durchsucht und dafür entkleidet worden. Die Richter werteten dies als eine erniedrigende Behandlung und damit als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Regelmäßig berichten Menschenrechtsorganisationen über die illegale Zurückdrängung von Schutzsuchenden durch die griechische Küstenwache in der Ägäis. Der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex wird vorgeworfen, diese Pushbacks zu ignorieren. Nach Externer Link: Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind im laufenden Jahr bereits 6.835 Menschen über den Land- oder Seeweg in Nordostgriechenland und auf den griechischen Inseln vor der türkischen Küste angekommen (Stand: 31. Juli). In der Ägäis ereignen sich dabei regelmäßig Bootsunglücke. Auf der östlichen Mittelmeerroute sind laut der Internationalen Organisation für Migration seit Jahresbeginn Externer Link: 64 Menschen ums Leben gekommen oder werden seither vermisst.

Flüchtlingslager auf Lampedusa geräumt

Im Juli haben die italienischen Behörden damit begonnen, das völlig überfüllte und vermüllte Flüchtlingslager auf der Mittelmeerinsel Lampedusa zu räumen, um es zu säubern. Das Lager ist für 350 Menschen ausgelegt, zuletzt hielten sich dort rund 1.800 Personen auf. Die Marine brachte 1.200 Menschen von Lampedusa nach Sizilien, um sie von dort aus auf andere Einrichtungen in Italien zu verteilen. Allerdings kamen bereits Tage später binnen weniger Stunden mehrere Hundert neuer Schutzsuchender und aus Seenot geretteter Migrant/-innen auf Lampedusa an. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind seit Jahresbeginn rund 40.830 Menschen über den Seeweg nach Italien gelangt (Stand: 31. Juli). Im Vorjahreszeitraum waren es gut 27.200.

Was vom Monat übrig blieb…

In deutschen Schulen waren Ende Juli rund 150.000 geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine angemeldet, wie eine Externer Link: Statistik der Kultusministerkonferenz zeigt. Insgesamt waren Mitte Juli 909.740 Personen aus der Ukraine im deutschen Ausländerzentralregister (AZR) erfasst. EU-weit wurden bislang Externer Link: rund 3,9 Millionen Menschen aus der Ukraine für den temporären Schutz nach der entsprechenden EU-Richtlinie registriert.

Seit Jahresbeginn sollen mehr als 15.000 Menschen in Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien gekommen sein, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Das haben Externer Link: mehrere britische Medien berichtet unter Berufung auf Daten der Regierung. Die Zahl der Bootsmigranten ist von 1.800 im Jahr 2019 auf 28.500 im Jahr 2021 gestiegen. Maßnahmen der britischen Regierung zur Abschreckung von Asylsuchenden, etwa durch geplante Abschiebungen nach Ruanda, zeigen bislang keine Wirkung.

Spanien hat seine Externer Link: Einwanderungsgesetze gelockert. Hintergrund ist der zunehmende Arbeitskräftemangel in Branchen wie dem Tourismus und der Landwirtschaft. Die neuen Regelungen erleichtern die Anwerbung von Saisonarbeitskräften. Zudem ermöglichen sie es Drittstaatsangehörigen, die seit mindestens zwei Jahren in Spanien leben, eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erlangen – vorausgesetzt, sie nehmen eine Ausbildung in einem Beruf auf, in dem Arbeitskräfte fehlen. Ausländische Studierende dürfen zukünftig neben ihrem Studium bis zu 30 Wochenstunden arbeiten und nach dem Abschluss zum Arbeiten in Spanien bleiben.

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Vera Hanewinkel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
E-Mail: E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de