🤔 Was ist los?
Am 13. Juni 2025 spitzte sich die Lage im Nahen Osten dramatisch zu. Israel griff mit Raketen und Kampfflugzeugen den Iran an, der mit Gegenangriffen konterte. Der Konflikt steuerte auf einen vorläufigen Höhepunkt zu, als die USA wenig später direkt in den Konflikt eingriffen und unterirdische iranische Atomanlagen bombardierten. Eine weitere Eskalation in der Golfregion schien möglich – auch eine Blockade der Straße von Hormus. Durch diese Meerenge im Persischen Golf wird ein Fünftel des weltweit verbrauchten Erdöls transportiert, rund 3,2 Milliarden Liter täglich. Eine Lieferunterbrechung ausgelöst durch iranische Sabotageakte hätte wirtschaftliche Auswirkungen weit über die Region hinaus. Die Gefahr ist bis zum Erscheinen dieser Ausgabe nicht endgültig vorüber, trotz einer zwischenzeitlich vereinbarten brüchigen Waffenruhe zwischen den Kriegsparteien.
Entsprechend warnten Finanzanalysten, Wirtschaftsforscher und viele Medien bei Kriegsbeginn vor einem heftigen Anstieg der Ölpreise und den negativen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Der Konflikt in der Golfregion könne weltweite ökonomische Folgen haben, so wie das früher schon oft der Fall war: teures Benzin und Heizöl, mehr Inflation, in der Folge womöglich abermals steigende Zinsen.
Doch dann geschah – fast nichts.
Die Preise reagierten zwar unmittelbar auf den Kriegsausbruch. Das betraf auch die Notierungen für Nordseeöl der Sorte Brent (Grafik 1). Nach dem israelischen Angriff am 13. Juni schnellten die Notierungen um gut 11 Prozent nach oben. Nachdem die USA am 22. Juni ihre B2-Bomber zum Einsatz gebracht hatten, stieg der Preis nochmal kurzzeitig. Doch dann entspannte sich die Situation auf den Energiemärkten. Statt eines massiven Ölschocks kam es lediglich zu zwei Zacken in der Kurve. Seither haben sich die Preise normalisiert.
⚠️ Wo ist das Problem?
Auf den ersten Blick gibt es keines. Wenn Öl günstig bleibt und die Preise trotz geopolitischer Schocks relativ stabil sind, ist das erstmal eine gute Nachricht für die Wirtschaftsentwicklung. Derzeit gibt es ein strukturelles Überangebot, es wird also tendenziell mehr Öl gefördert als die Weltwirtschaft verbraucht. Aber das muss nicht so bleiben. Auf mittlere Sicht tun sich einige Problemfelder auf.
In den 2000er Jahren kursierte noch das Szenario einer Ölklemme, also die Vorstellung, irgendwann gehe uns das Öl aus, weil alle Vorkommen in absehbarer Zeit erschöpft sein würden („Peak Oil“). Inzwischen hat sich das Szenario eher zu einer potenziellen Ölschwemme verkehrt, während die Nachfrage kaum noch steigt („Peak Oil Demand“). Nach Prognosen der Internationalen Energie-Agentur (IEA), der Organisation der westlichen Verbraucherländer mit Sitz in Paris, wird der Verbrauch an Erdöl und Ölprodukten kaum noch steigen und gegen Ende der 2020er Jahre beginnen zu sinken. Schwächeres globales Wirtschaftswachstum, effizienterer Verbrauch und der Umstieg auf Elektrizität, die mit Erneuerbaren oder Atomenergie erzeugt wurde, dämpfen die Nachfrage.
Parallel dazu ist das Angebot seit den 2010er Jahren massiv gestiegen. Das liegt insbesondere an den USA, wo die Ausbeutung von Vorkommen in Schiefergestein („Shale“) zu einem Ölboom (und erheblichen Umweltschäden) geführt hat. Inzwischen sind die USA das größte Förderland der Welt, mit einem Marktanteil von 22 Prozent. Rechnet man noch Kanadas Output hinzu, liegt Nordamerika als zweitwichtigste Region nur knapp hinter dem Nahen Osten. Russland und einige zentralasiatische Länder kommen zusammen auf gut ein Achtel der globalen Förderung (Grafik 2).
Saudi-Arabien und die anderen Mitglieder der Ölproduzenten-Organisation OPEC versuchen in enger Abstimmung mit Russland, die Preise zu beeinflussen, indem sie weniger Öl auf den Markt bringen, als sie könnten. Die Reservekapazitäten der OPEC-Länder werden in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Russland hingegen dürfte auf maximalen Output setzen. Wladimir Putins Regierung braucht die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft, die rund ein Drittel zum russischen Staatshaushalt beitragen, um ihren Angriffskrieg auf die Ukraine finanzieren zu können. Beide Entwicklungen wirken preisdämpfend.
Dazu kommen die Ölproduzenten in den USA, die dank Fracking-Technologie ihre Förderung relativ flexibel steuern können. Bei auskömmlichen Preisen fahren sie die Produktion hoch. Bei niedrigen Preisen motten sie Anlagen ein. All diese Strukturverschiebungen auf dem Ölmarkt wirken preisstabilisierend und erklären, warum selbst bei geopolitischen Stressphasen wie dem Krieg zwischen Israel und Iran die Auswirkungen überschaubar sind.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als stünde uns ein sachter Ausstieg aus dem Ölzeitalter bevor – absehbar sinkende Nachfrage und entsprechend allmählich zurückgehende Förderung. Um der Klimaerwärmung entgegenzuwirken, ist dies dringend geboten. Allerdings könnte es beim Ausstieg gehörig rumpeln.
Insbesondere US-Shale-Produzenten fahren ihre Investitionen zurück. Die Kosten sind stark gestiegen, zunächst durch den Inflationsschub der Jahre 2022 und 2023, aktuell durch die Zölle, die Präsident Donald Trump erhoben hat. Die gestiegenen Abgaben auf Stahlimporte machen den Firmen zu schaffen. Bei Ölpreisen von gegenwärtig rund 65 Dollar pro Fass (159 Liter) kürzen sie Budgets und Produktionsmengen. Erschöpfte Vorkommen werden nicht durch neuerschlossene Felder ersetzt. Wegen dieser Investitionszurückhaltung dürfte das Ölangebot in den kommenden Jahren kaum noch steigen – und womöglich sogar irgendwann erheblich schrumpfen. Gegen Ende des Jahrzehnts könnte das Angebot schneller zurückgehen als die Nachfrage, befürchtet die IEA. Es käme zu einer Ölklemme unter veränderten Vorzeichen. Möglich, dass der Ölpreis dann wieder steigt.
Auch wenn die Wirtschaft inzwischen weniger ölabhängig ist als noch vor einer Generation, so bleiben Erdölprodukte für einige Branchen wichtige Produktionsmittel. So wird der Transport auf See und in der Luft bislang nahezu vollständig von Erdöl angetrieben. Auch der Straßenverkehr basiert trotz steigender E-Auto-Anteile bislang überwiegend auf Benzin und Diesel. Auch die chemische Industrie beispielsweise bleibt auf absehbare Zeit darauf angewiesen. Dass irgendwann soviel Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert wird, dass sich synthetische Kraftstoffe zu vertretbaren Kosten und Preisen herstellen lassen, ist nicht in Sicht.
📰 Ist das neu?
Seit den 1970er Jahren wird die Weltwirtschaft immer wieder von der Sorge um Ölknappheit erfasst. 1973 drosselten die arabischen Ölförderstaaten die Förderung, was zu einem sprunghaften Preisanstieg führte („erste Ölkrise“). Auslöser war damals der Jom-Kippur-Krieg, in dem Israel Nachbarländer angriff. Dessen westliche Unterstützer sollten unter Druck gesetzt werden. Beim zweiten Ölschock 1979/80 im Zuge der islamischen Revolution im Iran verschärfte sich die Lage nochmal (Grafik 3).
Die 70er Jahre sind als „Große Inflation“ in die jüngere Wirtschaftsgeschichte eingegangen. Infolge der stark gestiegenen Ölpreise kam damals in westlichen Ländern eine Inflationsdynamik bei gleichzeitig stagnierender Wirtschaftsdynamik in Gang, die sich erst in den 80er Jahren wieder bremsen ließ. Verteilungskämpfe und Wechselkursschwankungen rückten in den Fokus der wirtschaftspolitischen Agenda. Dass damals gewaltsame Auseinandersetzungen um Israel und den Iran Auslöser dieser Entwicklung waren, dürfte die Wahrnehmung der jüngsten Nahostkrise beeinflusst haben und ein Grund für den kurzzeitigen Marktreaktionen gewesen sein.
Die starke Abhängigkeit der Volkswirtschaften von Erdöl spielte auch noch während des Golfkriegs 1990/91 eine Rolle. Der Ölpreis stieg rasant, fiel aber nach dem Ende der US-geführten Operation „Desert Storm“ wieder auf sein vorheriges Niveau zurück. Ein Jahrzehnt später konnten auch massiv steigende Ölpreise den Globalisierungsboom der 2000er Jahre nicht abwürgen. In der Spitze erreichten die Marktpreise 2008 ein Niveau von 140 Dollar pro Fass. Die Auswirkungen auf die Inflation blieben moderat.
Der russische Angriff auf die Ukraine 2022 und die folgenden Beschränkungen der Öl- und Gaslieferungen ließen die Energiepreise massiv nach oben schnellen. Da viele ostwestliche Verbindungen als Pipeline bestanden, war der Umstieg auf andere Lieferanten aufwändig, gerade für die deutsche Wirtschaft. Doch anders als in den 70er Jahren zeigte sich, wie flexibel der Markt in seiner heutigen Struktur derartige Schocks abfedern kann. Im Frühjahr und Sommer 2022 erreichte der Ölpreis zwischenzeitliche Spitzenwerte. Ab Herbst jenes Jahres gingen die Preise bereits wieder zurück und folgen seitdem einem fallenden Trend – mit kurzzeitigen Unterbrechungen wie jenen im Juni.
Nach wie vor ist der Ölpreis ein Seismograf für die politische und wirtschaftliche Großwetterlage. Er reagiert sensibel auf geoökonomische Verwerfungen und tiefe Konjunktureinbrüche. Aber die Schwankungen sind heute meist nicht mehr als kurzfristige Zuckungen, die von einem elastischen Angebot ausgeglichen werden.
⏩ Was passiert als nächstes?
Die Bedeutung von Öl als Energieträger dürften in der Zukunft weiter abnehmen, weil in nahezu allen Ländern Erneuerbare und Kernenergie zu tragenden Säulen des Energiemix ausgebaut werden. Entsprechend dürften sich auch geopolitische Verwerfungen weniger direkt über diesen Kanal auf andere Regionen der Weltwirtschaft übertragen.
Wegen der Klimaerwärmung wird der Verbrauch von Öl und anderen klimaschädlichen Energieträgern zunehmend eingeschränkt. Das spricht für im Trend relativ niedrige Weltmarktpreise. Entsprechend dürfte sich die Ölförderung in kommenden Jahrzehnten nur noch an den günstigsten Standorten lohnen. Und die liegen allesamt in der Golfregion, da die Ölfelder dort relativ gut zugänglich sind. Bei geringerer Gesamtproduktion könnte sich die Ölförderung abermals im Nahen Osten konzentrieren. Ein kompletter Ausstieg aus der Ölnutzung erscheint – Stand heute – in weiter Ferne, da der Ersatz durch andere Energieträger mit hohen Hürden versehen ist, zumal im Transportsektor.
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Hier gibt's Antworten auf eure Fragen zur letzten Ausgabe:
Mich würde noch interessieren, wie die enorme Erhöhung des Rüstungsetats und die damit verbundenen Ausgaben mit Nachhaltigkeitszielen vereinbart werden können. Gibt es dazu auch Zahlen und Überlegungen?
Nachhaltigkeit im klimapolitischen Sinne – also das Ziel, bis Mitte des Jahrzehnts den Ausstoß an Treibhausgasemissionen auf „netto Null“ zu reduzieren – ist von den Verteidigungsausgaben zunächst unberührt. Auf der einen Seite verursacht das Militär weltweit mehr CO2-Emissionen als die zivile Luftfahrt, und allein die Aufrüstung der NATO könnte zu Mehremissionen in Höhe von 200 Millionen Tonnen jährlich führen, wie der Externer Link: britische Guardian schreibt. Es ist aber auch denkbar, dass höhere militärisch motivierte Forschungsausgaben überraschende technologische Durchbrüche auf dem Energiesektor bringen. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das hochgradig spekulativ.
Ihrer Behauptung "Gewinne, die im Außenhandel eingefahren werden, fließen nicht in höhere Löhne und Investitionen im Inland, sondern werden im Ausland investiert" (aus [Interner Link: ZahlenBitte] #10) kann ich nicht zustimmen. Warum sollte Gewinne aus Produkten, die in D hergestellt werden, nicht wieder hier investiert werden? Wie begründen Sie Ihre Aussage? Ich bitte um Beispiele! Nur ein Gegenbeispiel: Siemens Healthineers investiert 80 Millionen Euro in neue Halbleiter-Fabrik in Forchheim - wie passt dies zu Ihrem Statement?
Hier liegt ein Missverständnis vor. Das von dir genannte Zitat ist eine Erklärung für die hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands. Diese Überschüsse entstehen, wenn mehr Einnahmen mit dem Ausland generiert werden, als Ausgaben ans Ausland getätigt werden, also etwa ein Exportüberschuss besteht. Unternehmen, die im Export Gewinne erzielen (oder deren ausländische Tochterfirmen Gewinne machen), tragen nicht zu den Leistungsbilanzüberschüssen bei, wenn sie diese Gelder in Deutschland ausgeben – etwa für Investitionen hierzulande. Anders ist die Lage, wenn sie diese Gewinne im Ausland investieren beziehungsweise Gewinne ihrer ausländischen Töchter vor Ort reinvestieren. Dann tragen sie zu den Überschüssen in der Leistungsbilanz bei, deren Kehrseite Defizite im Kapitalverkehr sind. Die deutsche Volkswirtschaft exportiert in großem Stil Kapital, das bei uns fehlt – ein Grund für die schwache Wirtschaftsentwicklung. Bitte nicht falsch verstehen: Es geht mir nicht um Unternehmerbashing. Wenn einzelne Firmen so handeln, kann das vernünftig sein. Als volkswirtschaftliches Phänomen sind dauerhaft hohe Überschüsse, wie sie Deutschland seit Anfang der 2000er Jahre einfährt, hingegen problematisch.
🧐 Wer weiß mehr?
- Externer Link: Energiewirtschaftliches Institut der Universität Köln
. Expertisen, Erklärungen und Prognosen zu Energiemärkten, speziell auch zu Erdöl.
International Energy Agency (IEA). Externer Link: Oil 2025. Analysis and Forecast to 2030. Umfassende Analyse der weltweiten Ölmärkte von der Organisation der westlich orientierten Verbraucherländer.
Henrik Müller (2008). Die sieben Knappheiten. Wie sie unsere Zukunft bedrohen und was wir dagegen tun können. Campus, insbesondere Kapitel 4: Energie. Das Buch ist zugegebenermaßen nicht mehr ganz frisch. Viele Entwicklungen sind anders gekommen als damals absehbar war, insbesondere die raschen Effizienzverbesserungen bei Erneuerbaren. Die geopolitischen Implikationen wirken überraschenderweise noch halbwegs aktuell.