🤔 Was ist los?
In den vergangenen Wochen hat sich der Konflikt um die US-Notenbank Federal Reserve zugespitzt. Präsident Donald Trump hat wiederholt öffentlich deutliche Zinssenkungen gefordert. Ende Juni legte er eine Liste mit den Leitzinsen Dutzender Länder vor, versehen mit einem handschriftlichen Hinweis an den Vorsitzenden der Fed, Jerome Powell. Trump beschuldigte den Zentralbanker darin, Kosten in Höhe von „hunderten Milliarden Dollar“ verursacht zu haben. Die Zinsen müssten runter, und zwar schnell: „Wie üblich bist Du zu spät.“
Mehrfach hat Trump öffentlich mit dem Gedanken gespielt, Powell vorzeitig zu entlassen. Dessen Amtszeit als Vorsitzender dauert bis Mai kommenden Jahres. Auch danach könnte er noch bis Januar 2028 als einfaches Mitglied im geldpolitischen Entscheidungsgremium, dem Federal Open Market Committee (FOMC), bleiben, sodass Trump den Posten bis dahin nicht mit einem ihm genehmen Kandidaten neubesetzen könnte. Eigentlich kann der US-Präsident den Zentralbank-Chef nicht einfach so entlassen – es sei denn, es liegen „triftige Gründe“ oder grobes Fehlverhalten vor. Uneinigkeit in der Geldpolitik gehört da eigentlich nicht zu.
Die Federal Reserve ihrerseits verweist darauf, dass die Höhe der US-Leitzinsen der gesamtwirtschaftlichen Lage angemessen sei. Die Inflation, also der Anstieg der Verbraucherpreise, liegt mit gut 2,7 Prozent nach wie vor über dem Zielwert von 2 Prozent. Zugleich verweist die Notenbank auf die Unsicherheit, die von der Wirtschaftspolitik der Regierung ausgeht. Dies betrifft Interner Link: insbesondere die Zölle, die Trump angekündigt oder bereits verhängt hat. In seinem Externer Link: halbjährlichen Bericht gegenüber dem US-Parlament Ende Juni sagte Powell, höhere Zölle oder Einfuhrsteuern würden „wahrscheinlich die Preise nach oben treiben“, weil Importe aus anderen Ländern dadurch teurer werden. Die Fed versuche durch den hohen Zinssatz zu verhindern, dass die Zölle zu mehr Inflation führen.
Denn das ist die Kernaufgabe einer Zentralbank: die Geldversorgung eines Landes so zu steuern, dass die Volkswirtschaft inflationsfrei wachsen kann. Weder soll zu viel Geld im System sein, denn dann steigen die Preise, wenn es zu viel Nachfrage gibt. Noch soll zu wenig Geld da sein, weil das die realwirtschaftliche Entwicklung behindern würde.
Zentralbanken sind heute staatliche Geldbehörden. Die Versorgung mit flüssigen Mitteln steuern sie mittelbar. Und das geht so: Nur bei der Zentralbank können sich Geschäftsbanken wie die Deutsche Bank oder die Sparkassen Bargeld besorgen. Außerdem sind sie verpflichtet, Guthaben bei der Zentralbank zu unterhalten. Die dafür geltenden Zinssätze sind die Leitzinsen. Deren Höhe beeinflusst wiederum die Zinssätze, die die Geschäftsbanken für Kredite an Unternehmen und Privatpersonen verlangen. Senkt beispielsweise die Fed den Leitzins, sinken in der Folge auch die Kreditzinsen der Geschäftsbanken. Kredite werden billiger, sodass Konsumenten und Unternehmen mehr ausgeben können, was die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen anregt und tendenziell die Preise steigen lässt. Umgekehrt haben steigende Zinsen in der Regel eine sinkende Nachfrage zur Folge. Dieser komplexe Prozess („Transmission“) dauert ein bis anderthalb Jahre. Allerdings haben Leitzinsentscheidungen auch unmittelbare Signalwirkung an die Börsen.
⚠️ Wo ist das Problem?
Der Konflikt ist höchst ungewöhnlich. Seit vielen Jahrzehnten hat es in westlichen Ländern keinen vergleichbaren Vorfall gegeben. Wegen der Größe der amerikanischen Volkswirtschaft und ihrer Finanzmärkte hat der Streit weltweite Bedeutung. Sollte die Fed unter den verstärkten Einfluss der US-Regierung geraten, wäre dies ein Signal an andere Länder. Interner Link: Die Folgen für die Inflation, für Börsen- und Wechselkurse dürften gravierend sein.
Wie andere Notenbanken auch, genießt die Fed ein hohes Maß an Unabhängigkeit. Notenbank-Gouverneure werden für lange Amtszeiten berufen und können nicht einfach so wie andere „politische Beamte“ ausgetauscht werden. Bei der Fed sind es 14 Jahre, bei der Europäischen Zentralbank (EZB) acht Jahre. Der Gedanke dahinter: Die Geldbehörden sollen von Technokraten geführt werden, Fachleuten also mit großer Expertise und langer Erfahrung. Auch in der Wahl ihrer Instrumente ist die Fed unabhängig von Regierung und Parlament. Ähnliche gesetzliche Regelungen gelten in anderen Ländern, darunter auch in der Eurozone, wo die EZB durch umfangreiche gesetzliche Grundlagen vor politischem Druck geschützt ist.
Unabhängigkeit bedeutet nicht, dass Notenbanken tun und lassen könnten, was sie wollen. Per Gesetz sind sie auf Ziele festgelegt. So hat die Fed den Auftrag, die Preise stabil, die Zinsen niedrig und den Beschäftigungsstand in den USA hoch zu halten; die EZB soll vorrangig Preisstabilität gewährleisten. Notenbanken sind gegenüber Parlamenten und Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig. Vor Parlamentsausschüssen und auf Pressekonferenzen stellen sich die Führungsfiguren kritischen Fragen. Die Notenbanken veröffentlichen große Mengen an Daten und Analysen. Dadurch soll ihr Handeln für Bürger, Wirtschaft und Finanzmärkte nachvollziehbar sein.
Dass Zentralbanken der sonstigen Politik weitgehend entzogen sind, liegt an einer besonderen Eigenart der Geldsteuerung: Niedrige Zinsen machen Kredite und Investitionen günstiger, so können sie kurzfristig das Wachstum antreiben und die Beschäftigung steigern sowie die Finanzierung hoher Schulden erleichtern. Längerfristig aber kann diese Strategie zu Inflation und finanzieller Instabilität führen. Wenn Politiker über die Geldpolitik entscheiden, so könnten sie versucht sein, die Wirtschaft übermäßig anzukurbeln, um ihre Zustimmungswerte in der Bevölkerung zu verbessern – und die längerfristigen negativen Folgen zu ignorieren.
Am (zugegeben krassen) Beispiel der USA lässt sich dieser Effekt derzeit beobachten. Trump fordert von der Fed, dass sie den Leitzins auf 1 Prozent senkt. Bislang hält die US-Notenbank den Satz, zu dem sich Banken kurzfristig Geld leihen können, in einem Korridor zwischen 4,25 und 4,5 Prozent. Um seine Forderung zu untermauern, führt der US-Präsident niedrigere Zinsen anderer Länder an. So liegt der vergleichbare Zins in der Eurozone derzeit bei 2 Prozent. In Dänemark sind es 1,6 Prozent, in Japan 0,5 Prozent, in der Schweiz null Prozent (Stand: Ende Juli 2025).
Offenkundig wünscht sich Trump niedrigere Zinsen, um die hohe Verschuldung des amerikanischen Staates leichter tragen zu können. Allerdings könnte eine heftige Zinssenkung die Nachfrage zu stark ankurbeln und damit die Inflation befeuern. Denn ein solcher Satz läge weit unter dem Niveau, das unter Ökonomen als angemessen gilt. Das wohl bekannteste Maß für den angemessenen Zins hat der US-Wirtschaftswissenschaftler John Taylor entwickelt. Grob gesagt beruht diese geldpolitische Regel auf der Abweichung der jeweils aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage von ihrem Gleichgewichtszustand. (Der lässt sich allerdings nicht direkt beobachten; Schätzungen sind deshalb stets mit großer Ungewissheit behaftet, weshalb Ökonomen typischerweise Bandbreiten berechnen, die mehrere Prozentpunkte weit sein können.)
Grafik 1 zeigt eine Schätzung für den sogenannten Taylor-Zins sowie den tatsächlichen Leitzins in den USA. Demnach wäre der aktuelle Leitzins in etwa angemessen. Auffällig ist auch, dass die Zinsen nach der Corona-Pandemie in den Jahren ab 2021 viel zu niedrig waren, was die US-Inflation der Jahre 2022/23 mitverursacht haben dürfte. Auch in den 2010er Jahren waren die tatsächlichen Zinsen meist niedriger als die Taylor-Regel rückblickend nahelegt. Das Ziel der Fed war es in dieser Zeit, Investitionen und Konsum durch günstiges Geld anzuregen, um die Konjunktur zu stützen.
Auch die EZB ist immer wieder vom Taylor-Zins abgewichen (Grafik 2). Denn in den 2010er-Jahren versuchte sie vor allem, durch sehr günstiges Geld deflationäre Tendenzen zu bekämpfen, und Parallelen zur Fed gibt es auch im Umfeld des Inflationsschocks von 2022/23. Wie gesagt, wegen der großen Datenunsicherheit ist es zum jeweiligen Zeitpunkt nicht so einfach zu berechnen, wie hoch der angemessene Zins tatsächlich ist. In der Praxis stehen Notenbanken deshalb vor dem Problem, dass sie eine Vielzahl von Daten und Szenarien analysieren müssen, ohne zu wissen, wie sich die Lage weiterentwickelt.
📰 Ist das neu?
Eigentlich widerspricht die Unabhängigkeit der Notenbank dem demokratischen Prinzip. Denn gewählte Volksvertreter und Regierende geben damit einen zentralen Teil der Wirtschaftspolitik ab – immerhin ist eine Zentralbank die Instanz, die unser Geld herausgibt und das Geldsystem steuert. Entsprechend taten sich gerade alte, etablierte Demokratien wie Großbritannien und die USA schwer damit, die Autonomie der Geldbehörden zu stärken. Die Fed wurde 1951 per Gesetz unabhängig, die Bank of England in bescheidenerem Maße erst 1997. Die Deutsche Bundesbank, gegründet 1957, war von Anfang weitgehend dem politischen Zugriff entzogen, das heißt, sie war keiner übergeordneten Instanz (etwa dem Finanzministerium oder dem Bundeskanzler) gegenüber weisungsgebunden. In ihrer Nachfolge ab 1999 gilt das auch für die EZB.
Insbesondere in der Ära der Globalisierung ab den 1990er Jahren setzte sich geldpolitische Autonomie als Norm durch. In dieser Zeit wurden auch vormals gebundene Zentralbanken wie die französische oder (in geringerem Maße) britische unabhängiger. Der Ökonom Davide Romelli vom Trinity College in Dublin hat einen Indikator für die rechtliche Unabhängigkeit entwickelt. Grafik 3 zeigt die Werte für einige ausgewählte westliche Länder. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für viele Schwellenländer beobachten. Vor allem ging es darum, Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit der Geld- und Finanzordnung zu signalisieren. Dadurch sollte nicht nur die Inflation gedämpft werden. Man versprach sich auch eine Beruhigung der internationalen Kapitalströme. Weil Bürger, Wirtschaft und Anleger keine mehr oder weniger erratischen Kehrtwenden mehr befürchten mussten, sanken die Zinsen, was das Wachstum anregte.
Allerdings garantiert rechtliche Unabhängigkeit keineswegs faktische Autonomie. Gesetze sind das eine, die politische Realität womöglich etwas ganz anderes. Eine stabilitätsorientierte, regelgebundene Geldpolitik braucht die Unterfütterung durch einen gesellschaftlichen Konsens – im Idealfall auch eine flankierende Fiskalpolitik. Entsprechend hat die Ausbreitung von autoritären Regierungsformen die Notenbanken anfällig für Übergriffe gemacht, ohne dass Gesetze geändert wurden. Populistischen Politikern gelten technokratische Notenbanker als elitär und abgehoben, gewissermaßen als personifizierter „deep state“. Zwar ist das maßlos übertrieben, trotzdem kann man eine gewisse „Externer Link: Entpolitisierung“ eines wichtigen Politikfeldes wie der Geldpolitik auch aus guten Gründen kritisieren.
⏩ Was passiert als nächstes?
Die US-Regierung hat mitgeteilt, dass sie einen Nachfolger für Jerome Powell sucht. Doch bislang gibt es keinerlei Anzeichen, dass der Fed-Chef dem Druck nachgibt und sein Amt vorzeitig niederlegt. Bleibt es dabei, wird Trump mit seiner Parlamentsmehrheit im kommenden Jahr einen ihm genehmen Fed-Chef installieren. Dadurch könnte er maßgeblichen Einfluss auf die Zentralbank gewinnen, so wie ihm das zuvor schon bei anderen Behörden gelungen ist – ironischerweise war es Trump selbst, der Powell 2017 für das Amt des Fed-Chefs vorgeschlagen hatte.
Allerdings muss Trump die Reaktionen der Finanzmärkte fürchten. Breitet sich Misstrauen gegen die Fed aus, könnte das zu einer Kapitalflucht aus den USA führen, die den hochverschuldeten amerikanischen Staat und die Privatwirtschaft massiv schädigen würde. Bereits im ersten Halbjahr seit Trumps Amtsantritt sind Anzeichen der Verunsicherung sichtbar.
So ist die Weltwährung Dollar im Wert gefallen, nicht nur gegenüber dem Euro, sondern auch gegenüber anderen Währungen. Angesichts der massiven wirtschaftspolitischen Unsicherheit, die von Washington ausgeht, suchen internationale Anleger nach Alternativen. Das zeigt sich etwa im drastisch gestiegenen Goldpreis. Auch Krypto-Assets wie Bitcoin, die der staatlichen Kontrolle entzogen und deren Menge durch Algorithmen begrenzt sind, profitieren vom Streit um die Fed und das rechtsstaatliche Institutionengefüge insgesamt.
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🧐 Wer weiß mehr?
Claudio Borio. Externer Link: Central Banking in Challenging Times. BIS Working Paper No. 829. Dezember 2019. Der damalige Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigt, wie Notenbankunabhängigkeit und Globalisierung zusammenhängen – und sagt vorher, dass beide Spielarten einer regelgebundenen Wirtschaftspolitik unter Druck geraten.
Claus Brand, Noëmie Lisack und Falk Mazelis. Externer Link: Estimates of the natural interest rate for the euro area: an update. Im Economic Bulletin No. 1 2024 der EZB. Die drei EZB-Ökonomen erklären die Schwierigkeiten, die Höhe des „natürlichen Zinses“ in Echtzeit zu schätzen. Klingt nerdig, ist aber politikrelevant, da diese natural rate ein zentraler Maßstab für die Ermittlung des angemessenen Leitzinses sind.
Federal Reserve Bank of Atlanta. Das Center for Quantitative Economic Research der Regional-Fed im Südosten der USA hat eine Externer Link: spannende Website eingerichtet, auf der man selbst mit der Taylor-Rule herumspielen und dabei die Datensensibilität dieses Ansatzes erkunden kann.
Charles Goodhart. Externer Link: The Changing Role of Central Banks. BIS Working Paper 326, November 2010. Kurz nachdem die akute Phase der Finanzkrise von 2008 vorbei war, zeichnete der britische Ökonom die Geschichte der Notenbanken und ihre veränderte Rolle nach.
Henrik Müller. Externer Link: Wie verletzlich ist die EZB? „Müllers Memo“ vom 20. Juli 2025. In dem Text gehe ich der Frage nach, auf welche Weise das Erstarken des Nationalpopulismus zu einem Untergraben der faktischen Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank führen könnte.
Davide Romelli. Externer Link: Trends in Central Bank Independence: A De-jure Perspective. BAFFI CAREFIN Centre Research Paper No. 217, Februar 2024. Der Ökonom vom Trinity College in Dublin hat eine umfangreiche Datenbank über die Inhalte von Notenbankgesetzen im Zeitablauf zusammengetragen. In dem Papier erklärt er seinen Ansatz. Die Daten lassen sich Externer Link: hier im Excel-Format herunterladen.