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Wo kommst du denn her? Alltagsrassismus in Deutschland | Rechtsextremismus | bpb.de

Wo kommst du denn her? Alltagsrassismus in Deutschland

Der Webtalk ist nun beendet, vielen Dank für eure Beteiligung! Hier könnt ihr euch die Aufzeichnung des Talks anschauen:

Interaktiver Webtalk: Wo kommst du denn her? Alltagsrassismus in Deutschland

Veranstaltungsmitschnitt

Interaktiver Webtalk: Wo kommst du denn her? Alltagsrassismus in Deutschland

Was ist das eigentlich, Alltagsrassismus? In welchen Situationen manifestiert er sich und wie kann man ihm begegnen? Julius Franklin von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und Nuran Yiğit vom Migrationsrat Berlin im Dialog mit Schülerinnen und Schülern der Albert-Schweitzer-Schule Berlin Neukölln.

Viele Menschen in Deutschland sind täglich Alltagsrassismus ausgesetzt – in der Schule, am Arbeitsplatz, im Bus, auf der Straße. In einem interaktiven Webtalk diskutierten hier im Livestream Externer Link: Julius Franklin von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und Externer Link: Nuran Yigit vom Migrationsrat Berlin, wie sich Alltagsrassismus äußert und was man dagegen tun kann. User konnten mitreden per Hashtag #wokommstdudennher und sich live dazuschalten am 17. November 2014 ab 11.50 Uhr auf Interner Link: bpb.de/Alltagsrassismus.

TranskriptWebtalk - Alltagsrassismus

Moderation: Hadija Haruna (M) Nuran Yigit: NY Julius Franklin: JF SchülerInnen: S

M: Herzlich willkommen zum interaktiven Webtalk der Bundeszentrale für politische Bildung. Heute nicht aus dem Studio, sondern live in der Albert-Schweitzer-Schule in Berlin. Ein ganz herzliches Willkommen daher an euch hier in der Aula an die Schüler. Mein Name ist Hadija Haruna und unser Thema heute ist: Wo kommst du denn her? Über Alltagsrassismus – [Gong] wir sind in einer Schule – in Deutschland. Wir warten kurz.

Der Talk findet wie gesagt in Kooperation mit der Albert-Schweitzer-Schule statt und hier haben ganz viele Schüler zum Thema gearbeitet und von denen hören wir später dann auch mehr. Außerdem werde ich in den kommenden anderthalb Stunden hier mit den Experten auf dem Podium sprechen und ich freue mich, sie erst mal vorstellen zu können. Ich beginne hier zu meiner Rechten, das ist Nuran Yigit. Nuran Yigit ist Diplom-Pädagogin und war ganz lange Zeit Leiterin im Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, arbeitet als Empowerment-Trainerin und ist aktuell Vorstand beim Migrationsrat Berlin-Brandenburg.

Ganz außen sitzt Julius Franklin, er ist Vorstandsmitglied der ISD, das ist die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Er ist Filmemacher in Berlin und innerhalb der ISD unterstützt er verschiedene Projekte, unter anderem die Kampagne Stop Racial Profiling, außerdem das Filmprojekt Rheinland. Und er ist außerdem Teil des Web-Teams und betreut die Politgruppe der ISD Berlin. Meine Wenigkeit – ich bin freie Print-Journalistin und Redakteurin im Hessischen Rundfunk und meine Schwerpunktthemen sind Jugend, Migration und Rassismusforschung.

Bevor wir loslegen, der Aufruf an euch: Ihr könnt euch einbringen. Stellt den Experten hier auf dem Podium direkt eure Fragen oder macht Anmerkungen auf Facebook oder Twitter unter dem Hashtag #wokommstdudennher. Oder direkt auf der Seite der Bundeszentrale, dort könnt ihr direkt unter dem Livestream eure Kommentare einbringen und bei den Umfragen mitmachen.

Fangen wir an. Rassismus – wir wollen heute über Alltagsrassismus sprechen, aber da sollten wir erst mal vorher kurz darüber sprechen, was Rassismus überhaupt ist. Viele benutzen ja diesen Begriff nicht so wirklich gerne, weil er ein bisschen Scham auslöst oder man irgendwie die Sorge hat, nicht rassistisch zu sein. Deswegen erscheint er für viele als kein guter Begriff, ihn zu benutzen. Viele benutzen dann eher Begriffe wie Ausländerfeindlichkeit oder Fremdenfeindlichkeit. Rassismus wird auch gerne mal als Einzelfall betitelt oder "manche Leute sind einfach zu empfindlich". Leider sieht es in der Realität anders aus. Viele Wissenschaftler sprechen davon, dass es verschiedene Rassismusformen gibt, weil es geschichtlich gesehen eben ganz viele verschiedene Rassismen gab, die bis heute wirken. Und die Wissenschaftler sagen zum Beispiel auch, dass Kinder mit bestimmten Bildern und Vorstellungen aufwachsen, die sie bis heute prägen. Und genau darüber wollen wir heute sprechen. Alltagsrassismus: Alltagsrassismus bedeutet ja, überall und täglich. Julius und Nuran, erzählt mir, was bedeutet Alltagsrassismus in euren Augen.

JF: Alltagsrassismus, das sind Rassismen, die uns im täglichen Leben begegnen. Das kann in jeder Situation entstehen, in der Schule, auf der Straße, beim Arbeitsplatz, beim Besuch beim Arzt, beim Einkaufen. Das sind Situationen, in denen uns Rassismus begegnet und das nennt man Alltagsrassismus.

NY: Ergänzend würde ich auch sagen, um es noch mal zu spezifizieren, es geht darum, dass Menschen zu "Anderen" gemacht werden, sie entsprechen dann sozusagen nicht dem Normalverständnis, sie sehen nicht so aus wie "normale Deutsche" aussehen oder sie haben einen anderen Namen, sie haben einen Akzent oder sie haben eine andere Religion. Es wird etwas genommen, das wird markiert als etwas anderes, damit man eine Trennung zwischen Wir – also die Normalität, die normale Gesellschaft – und die – die anderen, die anders aussehen oder anders sprechen oder wie auch immer... Das ist dann das, was im Alltag immer wieder hochkommt, wie zum Beispiel "Wo kommst du eigentlich her?". Das ist der bekannte Herkunfts-Check, wo kommst du eigentlich her. Und wenn man dann sagt, ich komme nirgendwo her, ich komme hier aus Berlin - "nee, nee, wo kommst du eigentlich her?". Oft wird damit gemeint, ich bin ja auch neugierig, ich möchte gerne wissen, wo du herkommst, aber wenn man ein bisschen tiefer rein guckt, ist es gar nicht wirklich die Neugier, sondern es ist die Verfestigung von diesem Bild: du siehst anders aus, also gehörst du hier nicht dazu, also musst du ja von irgendwo anders herkommen. Und da würde ich mir wünschen, dass das aufgebrochen wird, weil Deutschland eben nicht mehr weiß – also "weiß" als Begriff, da kommen wir vielleicht nochmal dazu – sondern eben ganz unterschiedlich ist.

M: Also noch mal zusammengefasst, dieses normal und nicht normal – normal ist ja, was ist die Norm, wer sagt überhaupt, was normal ist. Hast du, Julius, noch andere Beispiele, wo man Alltagsrassismus erlebt ganz konkret?

JF: Das hängt eben vom Normverständnis ab, weil die deutsche Gesellschaft davon ausgeht, dass Deutschland ein weißes Land ist, wie du schon gesagt hast, Nuran. Da bekommt man dann oft zu hören "du sprichst aber gut deutsch", wenn man nicht dieser Norm entspricht. Solche Geschichten. Man schafft es auch schwerer, in Clubs zu kommen, auch bei der Polizei wird man öfter kontrolliert – Stichwort Racial Profiling, da kommen wir später bestimmt auch noch darauf. Also diese Situationen. Auch in völlig absurden Situationen, beim Einkaufen, wo es eben überhaupt keine Rolle spielt, wie ich aussehe, wo ich herkomme, dass dann Leute einem begegnen, wo kommst du eigentlich her, du siehst aber anders aus, wo sind denn deine Wurzeln, du sprichst aber gut deutsch. Diese alltäglichen Sprüche.

M: Also markiert werden. Ich würde gerne wissen, was bedeutet das denn, markiert zu werden, also was macht das mit einem vom Gefühl her, beständig erklären zu müssen, wer man ist, woher man kommt, warum man so spricht oder so gut deutsch spricht. Was macht Markierung mit einem?

NY: Ich kann vielleicht ein Beispiel von gestern erzählen im Zug. Ich saß da und der Platz war reserviert und dann sprach mich der Herr auf Englisch an und versuchte mir zu erklären in seinem Englisch, dass dieser Platz reserviert sei. Ich habe dann auf Deutsch geantwortet und er meint, ach Sie sprechen ja deutsch. Ich so, warum nicht? Also, es war eine ganz komische, irritierende Situation für beide Seiten. Was hat das mit mir gemacht? Mit mir hat das in dem Augenblick gemacht "Das kann doch nicht sein". Mich hat es in dem Augenblick erst mal irritiert und dann hat es mich aber auch wütend gemacht. Man kann doch erst mal ganz normal auf Deutsch fragen und wenn man merkt, dass diese Person vielleicht doch aus dem "Ausland" kommt, das passiert ja auch mal, dann kann man es ja auf Englisch versuchen, aber gleich von vornherein die Zuschreibung "sie sieht nicht deutsch aus, also kann sie kein Deutsch". Das war sehr irritierend und am Ende auch ein bisschen lustig für meine Sitznachbarin, die dann gelacht hat und gedacht hat, äh, was passiert hier jetzt gerade?

M: Das war jetzt eine persönliche Geschichte, aber ihr arbeitet ja auch mit vielen Menschen zusammen, die immer wieder die gleichen Erfahrungen machen. Was ist da eure Erfahrung, ich sage mal, auf einer übergeordneten Metaebene? Was sind da eure Erkenntnisse, was macht Markierung, Fremdmarkierung?

JF: Es ist schwierig, sich zugehörig zu fühlen zu dieser Gesellschaft. Ich zum Beispiel bin hier geboren, bin hier aufgewachsen, ich sehe das als meine Heimat. Und es ist immer schwierig, dann immer als anders betrachtet zu werden von dieser Gesellschaft, von der man eigentlich ein Teil ist und Teil sein möchte. Es ist auch eine Ohnmacht in den Situationen, wenn man oft nicht weiß, wie soll man reagieren. So geht es auch anderen Menschen, man sitzt dann erst mal und ist völlig verwundert, was passiert mir gerade, wie kommt diese Person überhaupt auf die Idee, mir so zu begegnen? Ich würde schon sagen, das ist schwierig, ein Ohnmachtsgefühl, Hilflosigkeit oft und dann natürlich Wut. Im besten Fall, wenn man gelernt hat, wie man damit umgeht, kann man darüber lachen.

M: Wir haben ja eine Umfrage im Netz gestartet, die ging um Rassismus im Alltag, weil – wie man bei euch gehört hat, das ist ein Thema. [Ins Publikum] Wir kommen auch gleich zu euch, vielleicht ist das auch für euch ein Thema. Vielleicht auch für euch im Netz. Aber für manche ist das total schwer nachvollziehbar. Die sind eben auf der anderen Seite und machen diese Erfahrungen nicht. Und deswegen würde ich gerne von euch wissen: Was glaubt ihr, wie viele Befragte haben der Aussage zugestimmt "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet."? Haben das 10 Prozent gesagt oder haben das 27,5 Prozent gesagt? Das frage ich euch im Netz und das frage ich auch euch [im Publikum]. Ihr habt so rote und grüne Karten in der Hand und die grünen Karten stehen für die 10 Prozent und die roten Karten für die 27,5 Prozent. Was glaubt ihr, wie viele Leute haben gesagt 27,5 Prozent und 10 Prozent? Einfach mal Karten nach oben. Also, ihr könnt es sehen, die Mehrheit geht davon aus, dass 27,5 Prozent das gesagt haben, außer zwei in der Mitte. Jetzt würde mich wirklich interessieren, ihr seid so rausgefallen, warum glaubt ihr 10 Prozent, was ja bedeutet, wenig? Da kommt ein Mikro. Einfach, was euch spontan einfällt, warum ihr glaubt, dass es nur 10 Prozent sind.

S1: Naja, man geht am Anfang immer davon aus, das ist auf jeden Fall viel, aber ich denke, das ist einfach meine Meinung, wie ich die Menschen kenne und deswegen denke ich 10.

S2: Also ich würde das auch geringer einschätzen, weil ich denke, dass viele inzwischen darüber sprechen und vielleicht jetzt auch von dieser Meinung abkommen. Deswegen würde ich das so gering einschätzen.

M: Und möchte jemand was von den 27,5-ern sagen? Warum sie glauben, so "viel"? Nur Mut! Magst du was sagen? Gut, soll ich es auflösen? Dann löse ich es auf. Leider muss ich euch beiden sagen, es sind die 27,5 Prozent, die gesagt haben, dass viele Ausländer Deutschland in einem gefährlichen Maß überfremden. Warum wir diese Umfrage eingeblendet haben, ist natürlich, um deutlich zu machen, was ist für eine Stimmung im Land. Es gibt auch Studien, die sagen, der Rassismus kommt nicht nur von rechts, sondern er kommt aus der Mitte, er ist täglich unter uns, und darüber sprechen wir ja auch. Wir haben jetzt ein paar alltagsrassistische Beispiele von euch gehört und ich habe vorhin eine kleine Einführung gemacht, was könnte Rassismus bedeuten, das ist ja sehr abstrakt. Wir wollen hier ja verstehen, wie Rassismus funktioniert. Deswegen die Frage an euch: Wie funktioniert Rassismus in unseren Köpfen? Gerne auch konkret an Beispielen, also wie sind die Mechanismen?

JF: Rassismus ist ja eine Ideologie, die entstanden ist, als Menschen kategorisiert wurden. Man ging davon aus, dass Menschen verschiedenen "Rassen" angehören und da wurden sie in verschiedene Kategorien gesteckt und jede Kategorie hat eine Zuschreibung von Merkmalen bekommen, also bestimmte Stereotype, die sich heute noch hartnäckig halten. Die Theorie ist noch nicht so alt im Verhältnis gesehen und es ist sehr schwierig, das aufzubrechen, obwohl die Wissenschaft schon seit mehreren Jahren erwiesen hat, dass es eigentlich keine "Rassen" gibt unter Menschen, sondern nur eine menschliche Rasse in dem Sinne. Und ich glaube, dass diese Stereotype, die ja immer noch durch die Medien verbreitet werden, sich sehr hartnäckig in den Köpfen halten.

NY: Ich denke anschließend daran, dass wir das sozusagen als Erbe in unserer Gesellschaft mittragen. Wir wissen heute alle, es gibt keine "Rassen", aber es gibt dieses Denken immer noch. Und das ist von Generation zu Generation weitergegebenes Denken in Sprache, in Wissen, es wird alles reproduziert, wir saugen das quasi mit der Muttermilch schon auf. Wenn wir geboren werden in diese Gesellschaft, die so strukturiert ist, die rassistisch strukturiert ist, dann lernen wir das auch, wir verinnerlichen das und dann verhalten wir uns auch dementsprechend.

M: Wie lernt man das denn? Wie muss ich mir das vorstellen? Was lerne ich denn da für Beispiele, dass ich weiß, zu welcher Gruppe oder sogenannten "Rasse"... wie lerne ich das, was sind das für Mechanismen?

NY: Das lernt man über Kinderbücher zum Beispiel oder Kinderlieder, das lernt man spätestens im Kindergarten oder auch in der Schule. Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive, gehöre ich zu denen, die "normal" sind und in einer Normalität aufgewachsen sind, somit auch unsichtbar sind, oder gehöre ich zu denen, die nicht dazugehören, die anders aussehen, die zu anderen gemacht werden und entsprechend dieser Positionierung sind die Erfahrungen sehr unterschiedlich. Es ist für die, die zu anderen gemacht werden, ein sehr schmerzhafter Prozess, weil man sich als Kind natürlich immer dazugehörig fühlt. Es ist von der Psychologie her auch so, jeder möchte dazugehören. Das ist ein ganz tief verwurzeltes Bedürfnis: Ich möchte dazugehören zu einer großen Gruppe, ich möchte nicht außen stehen. Wenn man diese Erfahrung macht, dass man anders ist und diese Stereotype... das wird ja markiert, das Anderssein, dann ist man faul oder man ist dümmer als die anderen oder man ist hässlich, man hat nicht die schönen goldenen Haare, man hat nicht die schöne weiße Haut. Also das sind manchmal auch sehr subtile Sachen, die werden ja auch nicht so offen gesagt, oft auch doch offen gesagt, das ist eine Aneinanderreihung von Erfahrungen innerhalb der Biographie, die macht man, und das ist sehr schmerzhaft.

M: Also, wenn ich es richtig verstehe: Rassismus als eine Markierung als eine Gruppe mit bestimmten Attributen, mit bestimmten Merkmalen, und diese Merkmale sind dann weniger wert als die von der Mehrheitsgruppe, die das bestimmt hat. Ich habe jetzt auch die Ergebnisse der Umfrage von euch im Netz. Und tatsächlich, ähnlich wie hier in der Schule, etwa 21 Prozent haben gesagt, nur 10 Prozent finden Deutschland in gefährlichem Maße überfremdet und 79 Prozent haben gesagt, das ist so. Ich finde das sehr bemerkenswert, weil natürlich sehr deutlich wird, es scheint ein Gefühl zu geben, dass Rassismus auf jeden Fall da ist. Interessanterweise – und das ist jetzt eine These, die ich in den Raum stelle und die viele Wissenschaftler auch sagen – wird aber über Rassismus in Deutschland nicht so gerne gesprochen. Und ich würde gerne mal wissen von euch, von dir, Julius, als erstes, warum wird denn nicht so gerne darüber gesprochen? Warum ist denn da vielleicht ein Gefühl der Scham oder auch Angst?

JF: Zum einen hängt es mit den Individuen zusammen. Wenn man auf Rassismus hingewiesen wird, man hat sich falsch verhalten... natürlich möchte sich niemand falsch verhalten, vor allem keinem anderen Menschen gegenüber. Also erst mal sein eigenes Fehlverhalten einzugestehen ist sehr schwierig für viele Menschen, ich glaube, daran scheitert es. Und in Deutschland ist natürlich das Besondere die deutsche Geschichte. Weil Rassismus hier immer noch mit Nazis verknüpft ist und mit dem Nationalsozialismus, ist es sehr schwierig, über Alltagsrassismus überhaupt zu sprechen oder über die rassistischen Erfahrungen, die Menschen hier machen. Hier ist immer noch der Gedanke vorherrschend, dass Rassismus irgendwas mit Nationalsozialismus zu tun hat, was nicht grundsätzlich der Fall ist.

M: Also das heißt, es ist vorbei, Rassismus ist dann vorbei.

JF: Die Mehrheit der Deutschen sieht wohl Rassismus als vorbei, mit der Geschichte abgehakt, die Geschichte ist aufgearbeitet und damit wurde eine Haken drunter gesetzt und heute ist ja alles anders.

M: Dann ist die Scham, weil das war damals und nicht mehr heute...

JF: Genau.

M: Und was denkst du?

NY: Man verortet ja auch ganz gerne den Rassismus am liebsten irgendwo, wo er sichtbar ist, am Rand ist, das sind die Rechtsextremen, die Nazis, die Glatzköpfe, das sind Rassisten. Aber aus der Historie heraus hat man so ein Gefühl von, das haben wir überwunden, das sind die Reste davon, die noch da sind. Aber das stimmt eben nicht. Der Rassismus selber kommt ja aus der Mitte der Gesellschaft, das ist ja auch mit dieser Umfrage... das sind ja keine Glatzköpfe, Neonazis oder sonst wer, die diese Meinung haben, dass Deutschland überfremdet sei, sondern das sind ja ganz normale Menschen, die wirklich so denken. Ich denke auch, wenn man diese Menschen dann mit Rassismus konfrontiert, ist diese ganz große Angst dabei, als Rassist abgestempelt zu werden. Das ist nicht schön, das fühlt sich auch nicht gut an, man möchte ja immer zu den Guten gehören, man hat ein Bedürfnis danach, nicht mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht zu werden, sondern man möchte eben als der gute Mensch dastehen, dann kann man auch nicht Rassist sein. Wenn man es dann benennt und sagt, kommen dann oft Abwehrmechanismen zutage.

M: Nochmal ganz deutlich gemacht, das heißt, dieses "Muss ich denn immer gleich ein Rassist sein, wenn ich ein rassistisches Verhalten an den Tag lege" oder ist da eine Trennung? Also, ich kann auch nicht Rassist sein und kann mich trotzdem rassistisch verhalten?

NY: Ich glaube, wir müssen das ein bisschen entdramatisieren. Was heißt das denn, natürlich, wenn ich mich rassistisch verhalte, ob bewusst oder unbewusst, bin ich natürlich ein Rassist. Aber es ist nicht so aufgeladen, man sollte diese Aufladung von Moral da mal rausnehmen. Ich meine, wenn man so aufgewachsen ist, wenn man das verinnerlicht hat, wenn man das reproduziert und dann damit konfrontiert wird und gesagt wird, du hast gerade etwas Falsches gemacht, das hat mich sehr verletzt, was du gesagt hast, dann sollte man vielleicht nicht gleich diesen Abwehrmechanismus, ich bin ja kein Rassist... dann entledigt man sich jeglicher Verantwortung und das kann es ja auch nicht sein. Das heißt, ich fände es besser, wenn man guckt, was meint die andere Person jetzt eigentlich damit, mit dieser Kritik und einfach auf diese Kritik mal einzugehen und sich vielleicht auch einzugestehen, ich habe was falsch gemacht und das ist richtig dumm und doof und ich habe die andere Person verletzt und ich achte vielleicht nächstes Mal lieber darauf, bestimmte Wörter nicht zu benutzen oder diese Frage "wo kommst du her?" nicht gleich als erste Frage zu stellen, wenn ich dich kennen lernen möchte, dass man einfach bestimmte Dinge hinterfragt und so versucht, ein – ich sage mal – besserer Mensch zu werden. Und nicht von vornherein sagt, ich bin ja ein guter Mensch, also kann ich kein Rassist sein.

M: Also es geht eher darum, nicht so sehr bei sich zu bleiben, bin ich jetzt rassistisch oder nicht, sondern zu hinterfragen, wo kommt das her? Wie mache ich das denn, "wo kommt das her", zu hinterfragen? Gerade hattest du beschrieben, es ist Scham und Angst, man möchte ein guter Mensch sein, man möchte zur guten Gruppe gehören. Aber was ist, wenn ich das realisiere? Das ist ja ein unglaublich schwieriger Prozess.

JF: Ich denke schon, dass das ein schwieriger Prozess ist. Aber andererseits muss man auch sagen, es ist auch ein schwieriger Prozess, der Gruppe anzugehören, die diskriminiert wird. Es steht in keinem Verhältnis, jeden Tag Menschen Verletzungen anzutun und dann bei sich selbst nicht anfangen zu können. Man muss an sich selbst arbeiten, man muss sich erst mal bewusst werden der rassistischen Struktur, die es in Deutschland gibt und dass man Teil des Ganzen ist auf irgendeine Art und Weise – wir sind auch Teil, wir sind betroffen – dass man zum Teil der Verursacher gehört. Und da ein Bewusstsein zu schaffen oder sich selbst bewusst zu werden, was tue ich andern Menschen an oder was könnte ich durch mein Verhalten anderen Menschen antun und das zu ändern. Im Endeffekt wollen wir doch alle nur nett miteinander umgehen und gut miteinander umgehen und ich glaube, dass man sich erst mal selbst bewusst werden wird, was ist meine Position in dieser Gesellschaft und wie kann ich mein Verhalten ändern, ohne andere Menschen zu verletzen.

M: Also eigentlich ein Bewusstwerdungs-Prozess, um gemeinsam in einem Boot zu sitzen. Ich würde gerne – ihr habt es angesprochen – noch mal deutlich machen, Rassismus und "Rasse" ist ja etwas sehr Unterschiedliches, wird aber gerne gleichgesetzt. Warum gibt es den Rassebegriff nicht mehr und den Rassismusbegriff sehr wohl noch, und woher kommt dieser Begriff eigentlich? Man hört den heute noch, Rassentrennung in den USA, also was ist dieses Konstrukt von "Rasse" heute noch bei uns?

JF: Dieser Begriff "Rasse" an sich ist ein bisschen schwierig. Rassismus heißt Rassismus, weil er eben von dieser Ideologie herstammt. Es ist auch sehr schwer, das Wort race aus dem Englischen einfach ins Deutsche zu übernehmen, weil es ein anderes Konstrukt ist aus einem anderen Land. Es wird hier gerne verwendet, obwohl es hier fehl am Platze ist. "Rasse" im Deutschen ist eindeutig mit einer Geschichte der Gewalt verknüpft und es ist hier nicht mehr zu verwenden, wird leider in den Medien immer noch verbreitet und gehalten. Ich glaube, daher kommt dieser Begriff "Rassentrennung", also der Begriff "Rasse" hält sich immer noch, weil es eben auf dieser Ideologie beruht, wie ich schon vorher erwähnt habe.

NY: Es gibt eine Verschiebung. Natürlich wissen wir heute alle, es gibt keine biologischen "Rassen" mehr. Aber es gibt dieses Denken, dass Menschen aufgrund unterschiedlichem Aussehen, vor allen Dingen die Menschen, die eine dunklere Hautfarbe haben, dunkle Haare, dunkle Augen oder eben einen anderen Namen... es gibt zwar keine "Rassen" mehr, aber dieses Denken wird verschoben auf andere Kategorien, es sind dann soziale Kategorien oder kulturelle Kategorien, die aufgemacht werden. Es gibt sozusagen eine Verschiebung. Die Wirkung ist die gleiche und die Funktion ist auch die gleiche, aber sie beruht nicht mehr auf dieser Konstruktion des biologischen Rassismus. Das ist ganz wichtig, dass man das sieht.

M: Jetzt haben wir sehr theoretisch, fast schon wissenschaftlich – und ich hoffe, das war nachvollziehbar, [ins Publikum] war das nachvollziehbar? Sehr gut, dann lasst uns noch mal in den Alltag gucken. Wir haben versucht, Rassismus im System zu erklären, damit wir überhaupt über die Phänomene im Alltag sprechen können. Nuran, du gibst Trainings, es gibt sogenannte Empowerment-Trainings. Menschen, die Rassismus-Erfahrungen machen, gehen zum Beispiel in diese Trainings, um dort zu lernen, mit Rassismus-Erfahrungen umzugehen, sozusagen selbstbestärkt, empowert rauszugehen, weil sie mit den oft – du hattest das Wort schon benutzt – subtilen Rassismen umgehen lernen. Was ist denn subtiler Rassismus?

NY: Subtiler Rassismus ist dieser unsichtbare Rassismus, den man nicht so wirklich greifen kann, der aber alltäglich da ist, den man hauptsächlich als Ergebnis sieht, zum Beispiel auf der Wohnungssuche. Ich suche eine Wohnung, ruf dann immer an und sag meinen Namen und dann ist die Wohnung aber schon irgendwie weg. Oder Bewerbung – ich schreibe Bewerbungen und irgendwie klappt das nicht so wirklich mit einem Vorstellungsgespräch. Das sind dann so unsichtbare rassistische Erfahrungen, die man im Alltag macht, die man aber nur am Ergebnis merkt, da stimmt irgendwas nicht. Oder in der Schule, dass man eine Note bekommt zum Beispiel, aber irgendwie das Gefühl hat, ich habe eigentlich eine bessere Note verdient, woran liegt das denn jetzt. Das sind so diese subtilen Sachen. Oder wenn ich in der Bahn sitze und niemand setzt sich neben mich, obwohl der Bus voll ist. So subtile Sachen, wo man merkt, man gehört nicht dazu, irgend etwas wird mir zugeschrieben, warum ich diese Wohnung nicht bekomme, warum ich den Job nicht bekomme, warum ich nicht bedient werde, warum ich auf der Straße angerempelt werde. Das sind so diese kleinen, feinen Dinge, die im Alltag passieren und die Summe derer, das ist auch ein sehr sehr schmerzhafter Prozess, weil man irgendwann anfängt, an sich selbst zu zweifeln oder man anfängt, sich selbst die Schuld zuzuschreiben, man versucht dann vielleicht, noch besser zu sein, irgendwie macht das ja auf jeden Fall was mit einem. In diesen Empowerment-Trainings geht es eben darum, das Schweigen zu brechen, weil es auch so schwer fassbar ist, dass da, indem man über diese Erfahrungen, die sich in der ganzen Biographie ansammeln, indem man das mit anderen bespricht und teilt, dass da ein Raum der Befreiung entsteht und auch zu sehen, anderen passiert das auch und ich bin gar nicht allein mit meiner Erfahrung. Das ist der erste Schritt, das Schweigen brechen, mit anderen sprechen, gucken, wie gehen andere damit um, um dann neue Ideen zu entwickeln, wie kann ich dann noch damit umgehen, so dass ich am Ende nicht mit einem schlechten Gefühl dastehe, sondern mit einem guten Gefühl, mit einem starken Gefühl.

M: Dann habe ich das für mich erkannt und dann stelle ich mir aber schwer vor, oder es ist bestimmt kompliziert – subtil muss man den anderen unter Umständen ja auch belegen. Wie ist das denn in der Gegenwirkung, also wenn ich sage, das, was du da gerade gedacht hast, das, was passiert ist – wenn das einem abgesprochen wird.

JF: Das ist eben das Problem, wenn wir über Alltagsrassismus sprechen, dass viele Menschen einfach davon ausgehen, dass es Einzelerfahrungen sind. Es wird immer zum Einzelproblem gemacht, auch durch die Politik, und es gibt eben Initiativen wie TBB und ISD, die sich dafür einsetzen, dass es deutlich wird, dass es ein strukturelles und ein institutionelles Problem ist und kein Problem der einzelnen Personen.

M: Das ist eine gute Überleitung. Es gibt ja dieses schöne Wort Chancengleichheit, das gibt es in verschiedenen Kontexten und da wollen wir auch mal reingucken, also Bildung, Arbeitsbereich, Arbeitsmarkt, Wohnungssuche, Behörden wurden angesprochen. Mal ganz allgemein gefragt: Haben wir dieselben Chancen?

NY: Laut Gesetz ja. Ich habe mir das auch nochmal rausgeschrieben, laut Gesetz haben wir eine Chancengleichheit, Artikel 3 Grundgesetz: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich2. Und in Absatz 3: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse" – also hier finden wir das Wort auch im Gesetz wieder, es gibt ja auch Initiativen, die versuchen, das aus den Gesetzen zu streichen – "seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden". Das heißt, im Grundgesetz ist es verankert, dass alle Menschen in Deutschland die gleichen Chancen haben sollen. Dass die Realität dann anders aussieht, sehen wir, aber laut Gesetz sind wir alle gleichgestellt.

JF: Genau. In der Realität sieht es leider anders aus. Wir haben schwierigen Zugang zu Bildung, auf dem Arbeitsmarkt, auch im Gesundheitssystem wird man immer wieder mit Problemen konfrontiert, und ich glaube, das ist auch etwas, was angegangen werden muss.

M: Kannst du ein Beispiel nennen?

JF: In der Bildung – wir haben ja vorhin schon darüber gesprochen, dass es eine unglaubliche Belastung ist für Kinder mit Rassismus-Erfahrungen, dem standzuhalten. In Berlin ist es nicht das große Problem, aber in kleineren Städten, wo der Anteil nicht so hoch ist in den Klassen, ist man meistens das einzige Kind und dann muss man sich irgendwie rechtfertigen, muss alleine mit diesen Situationen umgehen, was natürlich unglaublich schwierig ist, und muss natürlich den Schulalltag auch noch bewältigen, was auch schon eine Leistung an sich ist in dem Alter. Auch wie wir schon angesprochen haben, bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt, es fällt Leuten, die nicht der weißen Norm entsprechen, wesentlich schwerer, eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz zu finden. Das sind die Situationen, in denen wir weniger Zugang haben.

M: Warum ist das denn so? Das sind diese Argumentationen, Einzelfälle, die kann man ja gerne glauben, dann hört man diese Berichte, aber ihr hattet vorhin darüber gesprochen, dass es institutionell ist. Was macht denn das, also was bewirkt das denn, dass das Grundgesetz auf der einen Seite steht und Lehrer ja sicherlich auch ausgebildet werden, nicht rassistisch zu sein, und dann passieren die Dinge doch. Woher kommt das von der anderen Seite, was bedingt denn strukturellen Rassismus, wie ihr ihn genannt habt, also weg vom Einzelfall.

NY: Diese Strukturen haben sich ja nicht im luftleeren Raum entwickelt. Diese gesellschaftliche Struktur, die wir hier in Deutschland haben, ist eben entlang dieser rassistischen Struktur, über die wir ja gesprochen haben, unser Vermächtnis, unser Erbe. Das heißt, warum sollte die Struktur in sich nicht rassistisch sein? Deswegen sprechen wir ja auch von strukturellem Rassismus. Dass sich natürlich Rassismen nicht nur individuell reproduzieren – also du und ich, wir reproduzieren sie alle – sondern die Struktur reproduziert sie auch. Das heißt, man müsste eigentlich auch genauer in diese Institution wie Schule zum Beispiel gucken, wo versteckt im System diese Rassismen reproduziert werden.

M: Hast du da ein Beispiel? Dass ich das ein bisschen füllen kann? Ich verstehe schon, wenn Menschen in einem System agieren und wir sind alle codiert, dann nehmen wir das natürlich auch mit in dem System, in dem wir arbeiten. Aber was machen wir dann da zum Beispiel, was erkennen wir dann da?

NY: Die Schulstruktur ist ja monokulturell und monosprachlich. Es gibt die Vorstellung der Norm, dass Menschen aus einer christlichen Sozialisation herkommen, eine Muttersprache sprechen und die ist deutsch, vielleicht noch auf anderen Diskriminierungsebenen – alle Kinder sind gesund, wenn sie in die Schule kommen. Es gibt ganz bestimmte Normvorstellungen, wie sich Schule vorstellt, wie Kinder zu sein haben, wenn sie in die Schule kommen. Aber dass die Realität heutzutage ganz anders aussieht, da hat sich diese Struktur noch nicht umgestellt. Viele Kinder sprechen mehrere Sprachen, sie sind nicht monolingual, sie haben unterschiedliche Sozialisationsstrukturen in den Familien, verschiedene Kulturen, verschiedene Religionen. Es ist sehr viel vielfältiger und diese Vielfalt wird in Schulen leider nur sehr sehr langsam angenommen und akzeptiert. Man sieht das auch am Lehrpersonal. Es ist sehr langsam, dass sich Lehrpersonal auch an die Zusammensetzung der Schüler und Schülerinnen anpasst. Es sind immer noch sehr wenige Lehrer und Lehrerinnen mit einer eigenen Migrationsgeschichte, die lehren. Das ist vielleicht ein Beispiel für Struktur, aber vielleicht fällt dir auch noch was ein?

M: Also sozusagen die Problematisierung von Vielfalt.

NY: Zum Beispiel.

JF: Genau. Das äußert sich ja auch in den Schulbüchern, das hast du ja auch schon angesprochen, dass da einfach nicht die Gesellschaft, wie sie jetzt ist in Deutschland, widergespiegelt wird. Viele Kinder finden sich in den Schulbüchern nicht wieder, es wird rassistisches Wissen in den Büchern schon weitergegeben. Wenn wir Erdkundebücher anschauen, die Bilder über Afrika oder die Türkei, es sind immer dieselben Bilder, die reproduziert werden, die dann natürlich diese Gedanken verfestigen und es umso schwerer macht, diese Struktur aufzubrechen und da mal ein neues Denken zu schaffen. Deswegen ist es auch sehr wichtig, dass die Schulverlage sich jetzt langsam mal ranmachen und das ändern und die Schulbücher anpassen. Allein die Illustrationen sind schon so, dass die Kinder vermehrt weiß, blond sind, die Namensvielfalt, die in Deutschland mittlerweile herrscht, wird nicht widergespiegelt, alle diese Dinge führen dazu, dass diese Bilder sich halten.

M: Ich würde gerne noch einen Blick auf Racial Profiling werfen, auch als ein Beispiel für Alltagsrassismus und strukturellen Rassismus, über den wir sprechen – wir haben jetzt über Bildung gesprochen. Racial Profiling – vielleicht kannst du kurz sagen, was das ist und wo sich Rassismus daran zeigt.

JF: Racial Profiling bedeutet, dass die Polizei Menschen aufgrund ihrer äußeren Merkmale öfter kontrolliert als die weiße Norm. Ich glaube, das rührt auch daher, dass – wie wir auch schon angesprochen haben – Menschen, die in Institutionen arbeiten, einfach auch ein Spiegel der Gesellschaft sind, ihre eigenen rassistischen Vorstellungen haben und die natürlich mit in die Arbeitswelt bringen. Das bedeutet also für einen Polizisten, jemand, der nicht der weißen Norm entspricht, kann nicht aus Deutschland sein, dem werden je nachdem, welcher Gruppierung diese Person in seinen Augen zugehört, Dinge zugeschrieben wie diese Person muss kriminell sein, diese Person muss ein illegaler Einwanderer sein, diese Person macht irgendwas falsch, handelt mit Drogen und so weiter. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, als nicht der weißen Norm entsprechend kontrolliert zu werden, viel höher.

M: Vielleicht kurz für alle, die den Begriff weiße Norm noch nie gehört haben, und weiß und Schwarz – jetzt werden so Begriffe geworfen, die politisch sind. Vielleicht könnt ihr noch mal ganz kurz sagen, für was stehen diese Begriffe, wenn ihr sie benutzt.

NY: Wenn wir über Weißsein und Schwarzsein oder auch den Begriff People of Color – der ist noch nicht gefallen, aber den möchte ich hier auch noch sagen – sprechen, dann reden wir nicht über Hautfarben, also es geht nicht darum, dass jemand eine weiße Haut hat oder eine schwarze Haut hat, sondern es geht um eine Sichtbarmachung von der Positionierung dieser Person oder dieser Gruppe in der Gesellschaft. Das heißt, es gibt welche, die zur Norm gehören, eine Normalität repräsentieren, die unsichtbar sind, die nennen wir weiß, also es ist eine politische Kategorie. Und es gibt die, die markiert werden, diskriminiert werden entlang dieser Merkmale wie Hautfarbe, Aussehen, Name und so weiter. Das sind eben People of Color oder auch Schwarze Menschen. Wir benutzen das deswegen auch, weil dieser Begriff "Menschen mit Migrationshintergrund" nicht genau den Rassismus trifft, über den wir reden. Menschen mit Migrationshintergrund haben nicht alle Rassismus-Erfahrungen. Jemand, der aus Schweden eingewandert ist, eine weiße Schwedin oder ein weißer Schwede, macht eben keine Rassismus-Erfahrung, hat aber trotzdem einen Migrationshintergrund. Deswegen trifft diese Bezeichnung Migrationshintergrund nicht das, worüber wir sprechen, den Alltagsrassismus. Deswegen benutzen wir diese empowernden, also von uns selbst definierten Begriffe wie Schwarzsein, Schwarze Menschen, People of Color oder Jugendliche of Color, Frauen of Color, Männer of Color. Das ist dann sozusagen ein emanzipatorischer Prozess, um uns selber eine Eigendefinition zu geben.

M: Da wird das auch deutlich, Racial Profiling in diesem Kontext – man wird markiert und man bekommt Kontrollen aufgrund dieser Markierung des Nicht-weiß-seins, Nicht-unsichtbar-seins. Jetzt haben wir euch ganz schön viel Input gegeben. Habt ihr Fragen, wollt ihr vielleicht einfach nur was sagen, weil euch jetzt das Bedürfnis danach ist? Nur Mut. Da ist eine Meldung.

S3: Es gibt auch Lehrer zum Beispiel, die normalerweise neutral unterrichten müssten, aber die dann ihre eigene Meinung mit einfließen lassen, so dass sie uns ihre Meinung aufdrängen wollen, dass wir uns zum Beispiel unserer Herkunft schämen.

M: Du beschreibst jetzt auch was Subtiles. Hast du ein konkretes Beispiel, wie man das spürt?

S3: Zum Beispiel, wenn mal im Heimatland die Politik gerade nicht so gut läuft, dass man die schlechtredet und in keinster Weise auch positiv, so dass man sich dann für sein Land schämt und nächstes Mal halt nicht über die Politik redet, so dass man seine Meinung verdrängt.

M: Ich finde das ganz interessant, da gibt es ja eine Hierarchie, das ist der Lehrer und man ist der Schüler und dann hat man ja auch Sorgen um Noten vielleicht, wie ist das dann?

S3: Man kann auch nicht diskutieren. Ich habe schon mal diskutiert mit einem Lehrer und dann habe ich am Ende eine Vier bekommen statt die Zwei plus, die er mir davor gesagt hat. Und wenn ich zum Direktor gehe, hab ich auch keine Chance, weil die Lehrer können einfach besser argumentieren und deswegen muss man einfach nur ruhig sein und zuhören und am besten einfach gar nichts sagen.

M: Das ist deine Lösung jetzt daraus?

S3: Ja, das ist keine gute Lösung, aber wenn es um die Schule geht, muss man so reagieren.

M: Das heißt, ein System finden, um durchzukommen.

S3: Ja.

M: Hat noch jemand von euch ein Statement?

S4: Sie haben ja nach einem Beispiel für Alltagsrassismus gesucht und die Schule ist eins der größten Beispiele dafür, und zwar dass man in der Schule jeden Tag, tagtäglich Rassismus erlebt. Und die Schule gehört ja für jeden Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahr zum Alltag. Nur als Input jetzt.

M: Also das heißt, das ist für euch ein Thema. Beschäftigt ihr euch denn mit dem Thema Alltagsrassismus, ist das was Präsentes, was ihr auch so benennt, oder ist das eher "Ja, das ist halt so"?

S5: Ich wollte noch was zu ihm sagen, ich denke nämlich, es ist eine sehr schlechte Idee, wenn wir einfach ruhig sind und zuhören, weil sonst geht das ja immer weiter so. Ich denke, ein Lehrer ist genauso ein Mensch wie wir. Er weiß nun mal nicht alles. Und diese Klischees, diese Vorurteile entstehen nun mal aus Unwissenheit. Und deshalb denke ich, sollten wir sie ein bisschen darin aufklären, weil wir uns besser auskennen, weil wir vielleicht einen Migrationshintergrund haben und ich denke, das wäre dann dieser Moment, in dem wir einschreiten sollten und ihnen was beibringen. Das ist doch Geben und Nehmen, und wenn er nicht so viel darüber weiß, dann kann ich ihm ja auch helfen, und vielleicht versteht er das dann auch. Und ruhig sein ist für mich keine Option.

M: Also du bist nicht ruhig, du sagst deine Meinung. Ist gut!

S5: Ja definitiv. Sonst geht das immer weiter so und wir wollen doch, dass es irgendwann mal stoppt. So finden wir auch keine Möglichkeit.

M: Also Stimme haben.

S2: Also ich würde ihr zustimmen. Wenn jemand mir gegenüber rassistische Äußerungen macht, dann versuche ich erst mal so, ihn darauf aufmerksam zu machen und nicht zu sagen, ey, du benimmst dich jetzt rassistisch oder so, sondern versuche, unterschwellig ihm klar zu machen, was das eigentlich bewirkt, wenn ein Mensch so behandelt wird. Aber wenn es gar nicht mehr geht und der Mensch die ganze Zeit weitermacht beziehungsweise der Lehrer mit sich gar nicht reden lässt und sagt, nee, das ist jetzt meine Meinung, dann versuche ich wirklich, klaren Tisch zu machen und zu sagen, so und so, das ist jetzt passiert, ob es jetzt Lehrer ist, Schüler ist, wer auch immer.

M: Aber du benutzt dann nicht das Wort Rassismus, sondern du umschreibst es über das Gefühl?

S2: Genau, damit die Person dann nicht denkt, die bezeichnet mich jetzt als Rassisten und das wird ja, wie schon gesagt wurde, als total gefährlich und böse dargestellt, sondern dass man es erst auf nette Art und Weise versucht und wenn das nicht funktioniert, dann sage ich auch, das war jetzt eine rassistische Äußerung. Wenn man ruhig ist, bringt es einfach nichts. OK, ich habe auch schlechtere Noten bekommen, wenn ich dann meine Meinung mal sage, weil ich das halt oft mache, aber das ist das Leben. Wenn ich die ganze Zeit ruhig sitze, dann bringt es mir ja nichts, weil das immer weiter geht.

M: Also dir geht es besser damit, was zu sagen, und du nimmst in Kauf, dass das unter Umständen Konsequenzen hat?

S2: Ja genau.

M: Hinter dir der Kollege...

S3: Ich wollte sagen, ich finde es nicht gut, nichts zu sagen, aber zum Beispiel, wenn ich weiß, mit dem Lehrer hat es keinen Sinn zu diskutieren, warum soll ich meine Note gefährden? Dann denke ich mir, ich weiß es besser als er, ich brauche es ihm nicht zu beweisen, ich beweise es anderen Menschen, die mich fragen. Aber warum soll ich mich mit dem Lehrer anlegen, was habe ich denn davon. OK, dann habe ich meine Meinung gesagt, aber im Endeffekt bin ich nicht der Klügere, weil ich dann eine schlechte Note kriege und einen schlechten Durchschnitt und es später wieder schwieriger habe, um mich zu bewerben. Von daher würde ich dann meine eigene Meinung für mich selber lassen auf einer privaten Ebene und mit Lehrern oder Menschen, die über mir stehen vom Rang her, nicht versuchen, sie mit meiner Meinung zu konfrontieren, wenn sie sowieso gegen meine Meinung sind.

M: Es gibt einfach unterschiedliche Strategien, die ihr anwendet. Es gibt wahrscheinlich kein richtig und falsch.

S6: Ich wollte sagen, dass auf unserer Schule Rassismus in dem Fall Herkunft nicht so das große Problem ist, weil wir alle eine unterschiedliche Herkunft haben. Das Problem an unserer Schule wäre, ich weiß nicht wie ich das höflich umschreiben soll, zum Beispiel die Homophobie...

M: Andere Rassismusformen...

S5: Genau, aber eigentlich finde ich es an unserer Schule sehr gut, dass die Lehrer... also da hab ich nicht die Erfahrung gemacht, dass die sagen, der ist Türke, der ist Araber. Es gibt ja nur Türken, Araber, Jugoslawen, was weiß ich, an der Schule. Deshalb würde ich den beiden sagen, dass auf unserer Schule die Lehrer eigentlich nicht so rassistisch sind wie man so...

M: Um Gottes willen, es sollte ja jetzt auch hier nicht um ein Schul-Bashing gehen, sondern eher um euren Umgang.

Letzte Meldung, dann würden wir weitermachen, ihr kommt ja auch später nochmal dran.

S2: Nur ganz kurz. Ich war ja davor auf einer anderen Schule und auf dieser Schule habe ich Gott sei Dank diese Erfahrung nicht gemacht. Wir haben auch Lehrer, die eine andere Herkunft haben, das ist total angenehm, dieser Lehrer versteht dann auch, OK, wenn ich das jetzt sage, dann fühle ich mich selber doof und dann fühlen die Schüler sich halt auch so. Deshalb ist es an dieser Schule sehr angenehm, dass man weiß, egal was gesagt wird, das kann man dann nicht so falsch verstehen.

M: Das ist ein bisschen das, Nuran, was du gerade auch gesagt hast, je diverser, je vielfältiger eine Schule ist, umso mehr gibt es ein zurück und nach vorne.

NY: Ich würde gerne was ergänzen. Wir haben ja bisher noch gar nicht so über den Machtbegriff gesprochen. Was der junge Mann beschrieben hat – Schule ist ja auch kein machtfreier Raum. Es gibt nun mal die Lehrer, die durch die Noten ja auch die Macht haben, jemanden zu sanktionieren und zu bestrafen, wenn er oder sie nicht seiner oder ihrer Meinung ist. Und so ist es auch in der Gesellschaft. Es gibt Strukturen, rassistische Strukturen, wo die ganze Funktion darin besteht, sich selber zu bestätigen, sich selber diese Macht zu erhalten. Wir haben noch zu wenig über diesen Machtbegriff gesprochen und ich fand das ganz gut, dass das hier gefallen ist. Schule ist kein machtfreier Raum und da muss man ganz genau aufpassen, was man sagt und was man nicht sagt und was man riskiert und was man nicht riskiert, ob man die Sanktionen, die Strafen, die kommen, tragen kann oder nicht tragen kann. Das sind ganz individuelle Entscheidungen und Strategien.

M: Wir kommen zum nächsten Kapitel: Rassismus, Medien und Sprache. Jetzt weg von Institutionen. Für alle, die später zugeschaltet haben, unser Thema heute: Wo kommst du denn her? Über Alltagsrassismus in Deutschland. Am Anfang des Gesprächs habe ich es schon erwähnt: Wir sind heute nicht im Studio, wir sind hier in der Albert-Schweitzer-Schule in Berlin Kreuzberg oder Neukölln genauer gesagt, oder Kreuzkölln, und viele Schüler haben auch zum Thema gearbeitet und haben sich eingebracht und werden später ihre Arbeiten auch noch vorstellen. [in die Kamera] Aber auch ihr könnt mitdiskutieren auf Facebook und Twitter unter dem Hashtag #wokommstdudennher oder auch beim Livestream auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung die Umfragen mitmachen. Nachdem wir jetzt über ganz verschiedene Lebensbereiche gesprochen haben, möchte ich gerne jetzt meinen Blick auf die Schüler und die Arbeiten der Schüler – Medienarbeit habt ihr betrieben... Da wird gleich was eingeblendet werden. Wir gehen davon aus und viele Wissenschaftler auch, dass Medien, was Rassismus angeht, eine große Rolle spielen, weil sie Meinung beeinflussen, weil sie Meinung bestimmen und weil sie eben auch Bilder reproduzieren. Ihr Schüler – und zwar Pervin aus der 12. Klasse, Osan aus der 10. Klasse und Iman aus der 11. Klasse – stellt uns doch mal bitte eure Arbeiten vor und was ihr herausgefunden habt.

S7: Wir haben uns in einer Gruppe... also in verschiedenen Gruppen haben wir über Rassismus gesprochen und in unserer Gruppe haben wir uns Medien und Werbungen angeschaut, in denen Rassismus oder rassistische Äußerungen vorzufinden sind. Bei der Ferrero-Schokoladen-Werbung ist uns in unserer Gruppe sofort aufgefallen, dass da etwas Rassistisches dran ist. Hier haben wir jetzt ein Bild, aber wir haben uns den Clip angeguckt, und im Clip war sofort zu merken, dass da...

M: Was war in dem Clip?

S7: In dem Clip waren nur hellhäutige Menschen zu sehen und es geht hier um die Ferrero Weiße Schokolade, uns ist dann sofort aufgefallen, dass es was Führerhaftes hatte, dass da die Schokolade auf einem Podest stand und zu den mehreren hellhäutigen Menschen gesprochen hat. Und – das fanden wir wirklich dreist – auch noch zu hören und zu lesen "Deutschland wählt weiß". Wir fanden das schon irgendwie offensichtlich, dass es eine rassistische Werbung ist und wir waren erst mal sprachlos.

M: Das wäre dann, was ihr vorhin erklärt habt, diese weiße Norm als Kategorie und hier tatsächlich noch mal so.

S7: Und da ist auch was Historisches dran, ich meine, "Deutschland wählt weiß", das erinnert irgendwie an den Nationalsozialismus.

M: Ihr hattet noch mehrere Werbungen. Das ist eine Playstation-Werbung, sehe ich gerade.

S2: Genau. "PlayStation. Portable White is coming." Da sehen wir eine weiße Frau, die auch weiß gekleidet ist, also komplett weiß. Eine dunkelhäutige Frau, die im Gesicht wirklich gepackt wird, das ist nicht mehr sanftes Berühren, das ist regelrecht Körperverletzung, wie sie da ihr Gesicht zusammendrückt. Wir als Gruppe haben uns dann dafür entschieden beziehungsweise es so verstanden, dass diese weiße PSP beziehungsweise in diesem Fall diese weiße Frau die dunkelhäutige Frau einfach unterdrückt, sie hat so einen herabschauenden Blick und das ist der dunkelhäutigen Frau gegenüber ziemlich, ich sag mal, eklig. Die weiße Frau hält sie im Gesicht fest, also, das geht einfach nicht, dass ein Mensch einen anderen Menschen im Gesicht packt und so herablassend schaut. Das ist einfach eine Diskriminierung beziehungsweise das ist Rassismus, der eigentlich nicht mehr stattfinden sollte. Und wir haben direkt gemerkt, da stimmt was nicht, auch wenn das jetzt nur eine PSP Werbung sein soll. Das kann man auch irgendwie anders darstellen als dass man da zwei Menschen, zwei verschiedene Hautfarben hinstellt und das dann so radikal darstellt.

M: Man hat über Produkte, ein neues Produkt, weiße und Schwarze Menschen gegenübergestellt. Ihr habt auch eine dritte Werbung bearbeitet. Wie lange habt ihr daran gearbeitet? Also drei, vier Stunden. Die nächste Werbung, vielleicht könnt ihr kurz beschreiben...

S7: Auf dieser Werbung sieht man Deutschland und Ghana beim letzten WM Spiel. Das ist eine Werbung von Sixt, von der Autovermietung, und da sieht man Deutschland in der Edelkarosse und Ghana im überfüllten Auto mit Dunkelhäutigen, wie man sieht jetzt, und darunter steht: "Der Sixt WM-Tipp: Ghana – das könnte eng werden." Und da steht auch noch: "50% Trost-Rabatt für alle Ghanaer unter sixt.de – wenn Deutschland gewinnt." Dazu ist meine persönliche Meinung: Ich finde das nicht gut, das ist unverschämt. Ghana, dieses Land so darzustellen, ist nicht gut.

M: Was ist denn das für ein Gefühl, also was beschreibt denn diese Autowerbung für euch? Du hast gerade Edelkarosse gesagt und überfülltes Auto, was ist dann das Bild, was habt ihr da rausgelesen?

S7: Wir haben das so verstanden, dass Deutschland ein höheres Niveau haben soll als Ghana, dadurch dass Deutschland im neuesten Auto ankommt und Ghana so überfüllt und in einem eher dreckigen Auto kommt. Das ist schon sehr mit Vorurteilen überfüllt und in keinem Fall auf die Leistung, auf die Fußball-Leistung, zu beziehen. Es ging ja eigentlich um Fußball, OK, in der Werbung geht es jetzt um das Auto. Das könnte man auch irgendwie anders machen, das ist schon beleidigend finde ich.

M: Vielen Dank. Ihr habt jetzt auch die Werbung gesehen, Julius, was ist dir gekommen, als du die drei Werbungen, die kanntest du ja vielleicht auch...

JF: Also, ich finde, ihr habt das ganz toll ausgewertet. Da kann man fast schon nichts mehr hinzufügen. Bei der Ferrero Küsschen Werbung, klar, wir sprechen wieder von der weißen Norm, die da vorgelebt wird, und "Deutschland wählt weiß", das weiße Ferrero Küsschen hat das dunkle Ferrero Küsschen abgelöst und wir müssen das jetzt essen, das ist besser, das ist schöner – das ist auch immer dieser Gedanke von diesem Weißsein und Reinheit und Unberührtheit und alles, was dann dunkel ist, ist böse und erschreckend und gefährlich. Das sieht man auch bei dieser Playstation Werbung, wie schon angesprochen. Die Bildsprache ist da sehr deutlich, die weiße Frau ist höhergestellt, abwertender Blick, guckt nach unten, greift der Person ins Gesicht, diese Übergriffigkeit wird einfach normalisiert, die ja Schwarze Menschen tagtäglich erleben.

M: Zum Beispiel?

JF: Zum Beispiel "Kann ich dir mal in die Haare fassen", meistens wird auch gar nicht gefragt, man wird einfach angefasst, man wird als Objekt betrachtet. Es ist nicht so, dass man als gleichwertige Person gesehen wird und das wird genau durch diese Bilder in der Werbung reproduziert. Bei der Ghana Werbung habt ihr auch ganz toll rausgefunden, es ging wirklich nicht um die Fußball-Leistung, es ging darum, die angebliche Armut des Landes zu reproduzieren. Deutschland mit dem hohen Standard, mit dem schönen Auto, mit dem schnellen Auto – Ghana, die Armut, die in Afrika immer gezeigt wird, wenn es im Fernsehen um Afrika geht. Afrikabilder, die momentan kursieren, sind immer mit Armut, momentan mit Ebola, behaftet. Es werden nicht die Bilder dargestellt, wie es eigentlich sein sollte, das Afrika, wie es andere Menschen eben kennen.

M: Was für eine Macht haben denn Sprache und Bilder? Wir haben vorhin über Macht im Bildungssystem geredet und jetzt vielleicht übertragen – also Macht, Sprache und Bilder. Was machen so Bilder und auch die Sprache dazu in Kombination? Was sagt ihr dazu?

NY: Ich glaube nicht, dass so viele Menschen sich großartig Gedanken darüber machen, wenn sie Werbung sehen oder ein Plakat sehen. Man saugt das ja im Alltag auf so nebenher und diese ganze Berieselung von den Bildern macht natürlich sehr viel mit uns, ohne dass wir das merken, dass wir unsere Bilder, die wir dann auch auf anderen Ebenen wie Schule, Familie, Alltag mitbekommen, dann verfestigen. Das heißt, diese rassistischen Bilder werden durch solche Bilder... und Bilder haben eine große Kraft auf Menschen, mehr als Worte haben Bilder eine sehr starke, weil man sich die einfach einprägt oder, das benutzt ja die Werbung auch, diese Sprüche, die sie dazuschreiben, das soll ja witzig sein, "Ghana – das könnte eng werden". Das soll ja auch lustig sein und witzig sein, eigentlich versuchen sie damit, auf der Ebene von Witz Werbung zu machen, aber es ist nicht witzig. Aber das fällt vielen gar nicht auf, dass das gar nicht witzig ist. Das ist nur für die witzig, die zur Norm gehören und für die es selbstverständlich ist, dass Ghana natürlich verliert und Deutschland gewinnt. "Wir sind die Gewinner, alle anderen, die aus Afrika kommen, sind die Verlierer, sieht man ja an diesem Autos, guckt doch mal deren Autos an". Also wirklich viel denkt man nicht darüber nach, aber unbewusst passiert ganz viel, wenn man diese Bilder sieht. Und die verfestigen sich dann auch und dann denkt man, ja, Ghana hat ja überhaupt keine Chance zu gewinnen oder unbewusst sind wir natürlich klüger, stärker, größer, reicher, das sind ja all diese Privilegien, die man ja auch hat. Es verfestigt einfach meine Machtposition.

M: Ich finde es sehr wichtig, noch mal auf diese Absicht gehen. Man könnte ja auch sagen, wollten die absichtlich rassistisch sein? Nein, das werden sie unter Umständen sagen, nein, wollten wir nicht, wir wollten witzig sein, Satire, Ironie muss man doch verstehen. Ihr habt das ganz anders gelesen als vielleicht jemand aus der Mehrheitsgesellschaft das lesen würde oder jemand, der sich mit Rassismus nicht beschäftigt. Welche Absichten sind denn dahinter und wie sind so Reaktionen, wenn man dann Kritik übt? Ihr habt ja schon mit euren Institutionen öfter Kritik geübt.

JF: Wie Nuran schon gesagt hat, es geht wirklich darum, seine Machtposition zu sichern und sich zu bestätigen in der Ansicht, dass ich als Mensch, wenn ich der Norm entspreche... bei mir ist alles in Ordnung, und alles, was davon abweicht, ist irgendwie schlechter oder weniger wert. Was natürlich schwierig ist. Wenn ich dem einen suggeriere, dass er besser ist, suggeriere ich dem andern, dass er schlechter ist. Diese Bilder verfestigen sich ja auch bei den Gruppen, die betroffen sind. Wie vorhin in der Diskussion bei dem jungen Mann, der dann lieber im Unterricht den Mund hält und nichts sagt, das zeigt einfach, was machen diese Bilder mit uns. Ich sehe so oft, ich bin weniger wert, ich kann das nicht, ich darf das nicht, ich bin kriminell, wenn es um Bilder von Schwarzen Menschen in den Medien geht. Die werden immer als Prostituierte, Kriminelle, illegale Einwanderer dargestellt. Irgendwann nimmt man diese Bilder an und fragt sich natürlich selber, irgendwas kann mit mir nicht in Ordnung sein, wenn ich immer so dargestellt werde. Es geht eigentlich nur um Machtsicherung und Machtposition und deswegen sind auch die Abwehrreaktionen so hoch, wenn man dann Menschen damit konfrontiert und sagt, diese Werbung ist unter Umständen rassistisch, dann ist immer gleich so "aber wir doch nicht, bei uns ist alles OK, ich entspreche doch der Norm, ich bin ja aber ein guter Mensch, stellt euch nicht so an, ihr seid ein bisschen überempfindlich, es ist nur ein Witz gewesen, man kann doch drüber lachen" und so weiter. Das sind meistens die Reaktionen, die wir erhalten, wenn wir uns entsprechend äußern.

M: Ich habe hier ein Twitter-Statement, das ich gerne vorlesen würde, und das heißt: "Das älteste und stärkste Gefühl ist die Angst. Die älteste und stärkste Form der Angst ist die Angst vor dem Unbekannten." Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat, das war wohl ohne Namen, aber es bestätigt, dass alles, worauf man sich nicht einlässt, alles, was einem fremd, anders erscheint – davor hat man unter Umständen Angst, und diese Angst wird unter Umständen als Begründung genommen, um zu sagen, sorry, aber wenn ich doch Angst habe, dann kann ich doch nichts dafür. Ich habe noch eine Schülermeldung gesehen, ich würde jetzt deinen Namen nennen, aber ich weiß ihn leider nicht.

S3: Ich wollte erst mal sagen, dass die Gesellschaft heutzutage relativ faul geworden ist, was zum Beispiel neue Erkenntnisse angeht, ob man sich bewusst ist, dass man schon die wichtigsten Sachen erfunden hat und dass nur Menschen, die wie Forscher zum Beispiel, noch etwas tun, um etwas Neues herauszufinden, der Großteil der Menschen einfach nur einen normalen Job annehmen, auch gar nicht versuchen, einen Doktortitel zu machen, so dass die Menschen im Vergleich zu früher nicht mehr so viel tun, nachdenken über das, was geschieht, so dass man auch diese Werbung nicht mehr richtig beachtet, was da eigentlich passiert. Was ich auch noch sagen wollte zu Sprachgebrauch und Bildern, dass zum Beispiel ein großer Begriff... das sind wichtige Dinge, die zum Beispiel Adolf Hitler benutzt hat, zum Beispiel Sprechstilmittel, um die Menschen zu manipulieren. Und diese ganzen Propagandabilder haben auch dazu geführt, dass die Menschen angefangen haben, nur noch Dinge zu glauben, die jemand anderes gesagt hat und nicht mehr angefangen haben, selbst nachzudenken. Das wollte ich noch ergänzen.

M: Deine Aussage ist, wie stark Bilder einen dahin bringen können, Dinge zu machen, die man gar nicht mehr reflektiert, sondern einfach...

S3: Und dass Rassismus auch was ist, was im Unterbewusstsein stattfindet, dass man von Kind auf schon lernt rassistisch zu sein. Das ist wie essen, du weißt, wenn Essen da ist – du isst automatisch, ohne nachzudenken. Das ist das gleiche bei Rassismus, wenn du hörst, dass zum Beispiel südländische Menschen böse sind und du hast das so verinnerlicht in deinem Kopf, dass du dann auch sagst, ihr braucht mich gar nicht über irgendwas aufzuklären, der ist so und ich weiß das, Punkt, so dass man gar nicht darauf eingeht.

M: Die zwei Meldungen und dann gehen wir in die nächste Runde.

S9: Ich hatte noch eine Frage: Was wird denn gegen diese Werbungen unternommen? Die sind ja rassistisch, wird das einfach durchgelassen?

M: Du fragst, wer ist so eine Instanz, die dann Gegenstimme erhebt?

JF: Meistens ist es so, dass die verschiedenen Initiativen – es gibt unglaublich viele Initiativen in Deutschland, die sich gegen solche Sachen auflehnen – dann direkt an die Produzenten beziehungsweise an die Fernsehsender schreiben. Meistens ist das Ergebnis sehr unbefriedigend, weil natürlich da wieder weiße Menschen in Machtpositionen sitzen, die dann wieder sagen, aber das ist nicht rassistisch, war doch nur ein Witz. Das wird oftmals abgeschmettert. Wir haben mittlerweile auch viele Erfolge, dass Leute das einsehen und sich dann im Nachhinein dafür entschuldigen, aber das ist dann auch so, dass die Entschuldigung immer sehr klein gehalten wird. Es wird nicht gern darüber gesprochen, dass jemand einen Fehler gemacht hat und deswegen ist es sehr schwierig, wirklich dagegen vorzugehen. Es muss auch in den Medien einen Wandel geben, es muss mehr Menschen geben, die sich mit Rassismus auskennen, also wirklich Rassismus-Experten, und nicht weiße Menschen, die für sich definiert haben, was ist Rassismus und was ist kein Rassismus mehr, es müssen mehr People of Color, mehr Schwarze Menschen Medien mitgestalten, um so was zu verhindern

NY: Und kollektive Beschwerden, also gemeinsam sich zu beschweren. Soweit ich weiß – der Deutsche Presserat ist ja eine Instanz, wo es eine Selbstverpflichtung der Presse gibt, zu sagen, wir haben bestimmte Qualitätsstandards, die möchten wir einhalten, und da haben sie sich einen Kodex auferlegt, und wenn dagegen verstoßen wird, kann es eine Rüge geben. Wer sitzt in diesem Presserat? Da sitzen eben aus dieser Berufsgruppe Menschen. Es ist nicht unbedingt eine neutrale Instanz, aber es ist immerhin ein Ort, wo man hinschreiben könnte, um sich zu beschweren. Das haben wir auch öfters gemacht, aber eigentlich nie mit einem positiven Beschluss, sondern immer mit dem Verweis, das muss unsere Gesellschaft aushalten können, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und deswegen muss das unsere Gesellschaft aushalten können und da kommt man oft nicht weit. Aber wenn es ganz viele Beschwerden immer in die gleiche Richtung gäbe, müssten sie auch irgendwann anfangen nachzudenken, irgendwas ist da, was wir nicht richtig verstehen oder was wir übersehen scheinbar. Also, es kann passieren, dass es zu einem Umdenken führen kann, da sollte man vielleicht optimistisch bleiben.

M: Also, es gibt zwar einen Pressekodex, es gibt natürlich auch so was wie kollektive Beschwerde im Netz, Shitstorms, habt ihr ja bestimmt auch schon gehört. Wir sind ein bisschen über der Zeit, aber ihr seid so toll und redselig. Ich hab da noch eine Wortmeldung und hier. Vielleicht haltet ihr euch kurz, damit wir sie auf jeden Fall noch hören können.

S9: Meine Frage ist, ist diesen Leuten eigentlich gar nicht bewusst, wen sie damit treffen? Beispiel Nummer zwei, die PlayStation Werbung, das ist extrem visuell dargestellt, dass hier Schwarze Menschen unterdrückt werden. Meine Frage ist einfach, bevor sie so was rausstellen, merken die nicht, dass man es falsch verstehen könnte? Das ist wirklich extrem dargestellt. Das erste Mal, als ich das sah, hat mich mein kleiner Bruder gefragt, werden die das auch mit mir in der Schule machen? Deswegen wollte ich fragen, ist das wirklich so schlimm, dass die das selbst nicht merken?

M: Vielleicht machen wir eine kurze Zusammenfassung. Also: Ist das so schlimm, dass sie das selbst nicht merken? Hast du eine Frage oder ein Statement? Alles Statements? Gut, dann erst die Frage beantworten.

JF: Nein, offensichtlich merken sie das nicht. Es wirken ja meistens Schwarze Menschen nicht mit an diesen Entwicklungen der Werbung. Deswegen ist es so, dass diese Leute davon ausgehen, dass es schon in Ordnung ist. Und sie kennen ja auch nur dieses Bild, es ist selbstverständlich, dass ich eine Schwarze Person einfach anfassen darf, dass ich der Gewalt antun darf, dass ich das und das machen darf. Also offensichtlich merken sie es nicht. Und es ist eben das Ziel vieler Initiativen zu sagen, wir müssen da ein anderes Bild, ein Umdenken bewirken, schon bei der Entwicklung von Werbung. Das ist auch ein Problem, das wirst du immer wieder sehen, wenn es zum Beispiel um UNICEF Werbung geht, das ist genauso. Es ist ziemlich schwierig und es fällt ihnen eigentlich nie auf. Wenn man sie darauf hinweist, dann erst recht nicht, dann kommen eben diese normalen Abwehrmechanismen. Ich finde es sehr bezeichnend, was du gesagt hast, weil auch das unterschätzt wird: Wie wirkt das denn auf Kinder? Dass schon die Frage ist, machen die das mit mir in der Schule? Ich glaube, diese Wirkung auf Jugendliche und auf Kinder wird unterschätzt und ist Menschen einfach nicht bewusst. Ihnen muss bewusst werden: Was macht diese Werbung mit Menschen.

M: So, wir sind wirklich in Verzug. Ganz kurz die Statements, ich will sie natürlich nicht verpassen.

S10: Meiner Meinung nach ist es, dass sie eigentlich ganz bewusst sind, was sie machen und dass sie das deswegen auch machen. Dass die Werbung etwas sagen soll. Und ich glaube nicht, wenn schon Kinder darauf kommen, was in der Werbung gemeint ist, dass die, die das posten, das nicht wissen, sondern die machen das extra, damit Leute auch das denken, was sie wollen. Die wissen das, die machen das bewusst und nicht unbewusst.

M: Das ist eine sehr klare Meinung.

S12: Ich denke, dass sie schon damit recht hat, dass die Leute das extra machen und einfach Aufmerksamkeit suchen und dadurch, dass wir darüber reden, haben sie sowieso schon gewonnen, da wir darüber reden und da Aufmerksamkeit gegeben wurde. Ich denke schon, dass das extra gemacht wurde.

M: Das ist also das Heischen nach Schlagzeilen, weil das gut funktioniert.

S12: Genau, ja.

S6: Bei der Playstation Werbung ist es ja so, dass es lange Zeit nur schwarze Playstations gab und nicht weiße. Ich glaube, die wollen einfach nur provozieren. Klar ist das jetzt sehr schlimm dieses Mal, aber nur so kriegen sie auch Aufmerksamkeit, dass es jetzt auch eine weiße Playstation gibt, eigentlich hat es dieselbe Funktion, aber die ist halt weiß.

M: Schlagzeilen, Provokation...

S5: Zu der Angst wollte ich noch einen wichtigen Aspekt erwähnen, und ich glaube, das beantwortet auch seine Frage, nämlich dass die Menschen einfach nicht hinsehen wollen. Sie verschließen ihre Augen. Sie verstehen schon, was da abgeht, was für Konsequenzen das zur Folge hat. Aber sie wollen halt nicht hinsehen. Und wir Menschen – das bezieht sich auf unsere Lernbereitschaft. Wenn ich nicht bereit bin, eine neue Kultur kennenzulernen oder eine neue Tradition beziehungsweise einen Migrationshintergrund, dann verschließe ich mich automatisch, dann möchte ich das nicht lernen. Und das sind nun mal diese Vorurteile, die wieder auf diese Angst zurückzuführen sind. Deshalb denke ich, sollte man erst mal bereit sein, etwas Neues kennenzulernen, ehe man dann erst die Angst überwinden kann. Und dann versteht man vielleicht auch, wieso die Menschen solche Werbung machen.

M: Vielen Dank an euch. Die zwei Statements sind auch die perfekte Überleitung zum nächsten Kapitel, nämlich der Frage: Wer bestimmt eigentlich, was rassistisch ist und was nicht? Vorhin, als du dein Statement gebracht hast und was soll ich meinem kleinen Bruder erklären, warum sehen die das nicht, das hat ja viel damit zu tun, zu definieren. Und wer definiert das denn bei uns in der Werbung beispielsweise, wer sind die, nicht nur in der Werbung, auch im Alltag, wer definiert, was Rassismus ist?

NY: Wir haben ja schon über Macht gesprochen, über die Normalität, die Norm. Die Norm bestimmt eigentlich auch das, was rassistisch ist und was nicht. Das merkt man spätestens dann, wenn man jemanden darauf anspricht, dass das rassistisch war, was die Person gesagt hat oder gemacht hat, dann kommt sofort die Abwehrhaltung "nein, das ist nicht rassistisch, ich habe es ja nicht rassistisch gemeint, also kann es auch nicht rassistisch sein". Die Person nimmt sich nochmal die Freiheit und die Deutungshoheit, also ich bestimme, was rassistisch ist.

M: Woher kommt das, dass der Glaube da ist, das bestimmen zu können? Was denkst du oder was denkt ihr?

JF: Ich denke auch, dass es immer noch von der Rassenideologie abhängt. Wir haben dann die weiße Norm, die bestimmt, ich bin der Bessere im Gefälle, der bessere Mensch als du, ich weiß besser, was das und das ist. Ich gebe mein Wissen weiter, ich gebe das rassistische Wissen weiter, du bist einer gewissen Gruppe angehörig, du bist dümmer als ich, du kannst es nicht wissen. Mir wird dann eigentlich mein Empfinden und mein Wissen abgesprochen, indem die andere Person sich das Recht nimmt zu sagen, nein, ich bestimme, wie sich was für dich anfühlen kann oder soll.

NY: Aber es ist auch die Macht der Mehrheit, also wenn alle so denken, dann kann es gar nicht falsch sein, was ich denke. Und wenn die Mehrheit bestimmt, was Rassismus ist und was nicht, kann ich als die Person, als POC... wenn ich sage, das ist aber rassistisch, dann werde ich nicht ernst genommen, ich werde kleingeredet, ich werde ignoriert, ich werde sogar schuldig dafür gemacht, dass ich so behandelt werde, schlechter behandelt werde. Das sind ganz viele Abwehrmechanismen, aber das ist, weil die Macht auf der anderen Seite da ist. Ich kann noch so viel sagen, das ist Rassismus, wenn die anderen sagen, nö, so sehe ich das nicht. Und dann wird das einfach umgekehrt und die ganze Zeit gibt es dann ein bam bam bam bam und du bist das und du bist emotional, und wenn ich dann laut werde, dann: Siehste, jetzt bist du auch noch aggressiv, ihr seid ja alle so. So ungefähr. Es schaukelt sich dann hoch und egal, was man macht, kommt dann sofort noch ein anderes Argument, man spricht dann gar nicht mehr über das, was ursprünglich passiert ist. Das ist auch eine Strategie, man spricht nur über das, was die Person möchte, worüber man sprechen soll, nämlich über mich.

M: Das heißt, das sind dann Wiederholungen?

NY: Genau. Es sind Folgetaten. In den seltensten Fällen geht es dann tatsächlich um das, was eigentlich ursprünglich passiert ist.

M: Ich fasse noch mal zusammen: Das eine ist, viele Leute haben die gleiche Meinung und dann muss ich nicht darüber nachdenken. Und das zweite ist, es ist schon sehr lange da und es ist quasi in mir drin, sozialisiert seit Kindheit. Und darauf würde ich gerne eingehen und wir blenden das glaube ich ein und ich lese es aber auch vor. Wenn es sozialisiert ist und geschichtlich und schon lange zurückliegt und wir das verinnerlicht haben, passt auch ganz gut diese Kinderbuchdebatte. Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Vor gut einem Jahr lief eine Debatte über die Streichung von diskriminierenden Wörtern in Kinderbüchern. [Ins Publikum] Habt ihr das mitbekommen? Manche haben es mitbekommen, manche nicht. Das waren Bücher wie Die kleine Hexe oder Jahre vorher auch Pippi Langstrumpf. Da gab es diskriminierende Begriffe, die wurden dann gestrichen beziehungsweise durch neutrale Begriffe ersetzt. Das hat zu einer Debatte geführt, da wurde dann zum Beispiel über Zensur, über Überempfindlichkeit der Minderheit gesprochen. Es wurde genau die Frage gestellt, was ist rassistisch, was nicht? Und auch die Frage, wie viel Rassismus muss Sprache einfach hinnehmen. Ich würde gerne einblenden ein Sprachbeispiel aus Pippi Langstrumpf, da heißt es: ",Und übrigens', fuhr sie fort, und sie strahlte über ihr ganzes sommersprossiges Gesicht, ,will ich euch sagen, dass es in Kenia keinen einzigen Menschen gibt, der die Wahrheit sagt. Sie lügen den ganzen Tag. Sie fangen früh um sieben an und hören nicht eher auf, als bis die Sonne untergegangen ist.'" Das zweite ist: "Unterdessen näherten sich die kleinen schwarzen Taka-Tuka-Kinder Pippis Thron. Aus irgendeinem unbegreiflichen Grund bildeten sie sich ein, dass weiße Haut viel feiner sei als schwarze, und deshalb waren sie voller Ehrfurcht, je näher sie an Pippi und Thomas und Annika herankamen." Ganz kurzer Hinweis, diese Bücher sind von 1986 und ursprünglich... Astrid Lindgren hat sie wohl in den 40er Jahren geschrieben, die sind auch überarbeitet worden, also bestimmte Wörter gibt es nicht mehr, aber bestimmte Botschaften sind noch drin. Ich würde gerne mal fragen, wenn ihr das so hört, was für heimliche Botschaften, subtile Rassismen, hört man da heraus? Julius.

JF: Wir hören zum einen heraus, dass die weiße Haut etwas Besonderes ist, etwas Schönes ist, was sich eigentlich jeder Mensch insgeheim wünscht. Dass selbst die Kinder, die dunklere Haut haben, Schwarz sind, eigentlich gerne weiße Haut hätten, dass das was Besonderes, was Tolles ist. Zum anderen gibt es uns wieder rassistisches Wissen weiter darüber, dass Schwarze Menschen und POCs nicht die Wahrheit sagen, dass sie lügen, gibt einfach Stereotype weiter, die seit Jahren existieren. Und damit verfestigt sich das. Es ist auch sehr bezeichnend, dass das aus einem Kinderbuch ist, Wenn es um Kinder geht und man einfach schon, als Astrid Lindgren das schrieb, davon ausging, dass es nur weiße Kinder lesen werden, auch heute die Rassismus-Debatte angestoßen wurde aus dem Verständnis heraus, dass die Kinder, die das lesen, weiß sind und eigentlich schon Schwarzen Kindern und POC-Kindern damit Zugang zu diesem Buch verwehrt ist, ohne verletzt zu werden oder diskriminiert zu werden.

NY: Es ist eigentlich total fatal, gerade Pippi Langstrumpf ist ja eine Heldin, eine Heldinnenfigur und nicht ein Held, sondern ein Mädchen, das so stark ist und was sie alles macht. Und natürlich identifiziert man sich mit der Heldin. Und wenn dann als POC oder als Schwarzes Kind diese Stelle kommt – das ist total schlimm. Das ist richtig verletzend, irritierend und da kommen dann solche Momente bei den Kindern, oder Folgen: ich möchte nicht Schwarz sein, ich möchte keine dunkle Hautfarbe haben, ich hab hässliches Haar, ich hab kein schönes Haar. Da kommen diese Folgen, was ich auch oft von anderen Kindern höre, dass sie sich nicht hübsch finden, dass sie sich als hässlich empfinden, dass sie ihre Haut weiß machen möchten und so weiter. Das sind dann die Folgen, für eine Kinderseele ist das dramatisch.

M: Also diese heimlichen Botschaften machen was mit uns, in Kindern machen sie noch viel mehr, weil die vielleicht die Worte noch nicht haben. Ich finde es zum Beispiel auch interessant, dass hier die schwarzen Taka-Tuka-Kinder weiß sein wollen und gar nicht Pippi. Wenn man Pippi gelesen hat, dann weiß man, Pippi will schwarz sein, sie will sein wie schwarz und die Schwarzen selber wollen weiß sein, das ist ganz interessant. Du hattest eine Wortmeldung?

S6: Ich wollte noch sagen, dass die Kinder sich dann auch immer denken, ja die Schwarzen lügen, also rede ich nicht mit denen oder spiele nicht mit denen. Das fängt schon im Kindergarten an, dass die Schwarzen Kinder so differenziert werden, dass sie dann von der Gesellschaft getrennt werden.

S11: Wissen Sie, wenn man auch Wörter aus einem Buch wegmacht oder wegstreicht – trotzdem kann man von vielen Menschen das Denken nicht ändern, deswegen sollte man eigentlich denken, ich kann die Menschen nicht stoppen zu reden, was kann ich dagegen machen. Dann muss man selber etwas unternehmen und das ändern, man muss selber zeigen, dass man nicht eine schlechte Person ist, ich bin Schwarz zum Beispiel, aber ich bin glücklich mit meiner Farbe, ich bin hübsch und ich denke nicht, dass ich hässlich bin und so. Man muss doch zeigen, wie man ist. Man lernt das von den Medien, dass Ausländer so sind und dass sie nicht gute Menschen sind, aber wir Ausländer müssen uns auch ein bisschen Mühe geben und Menschen zeigen, dass wir nicht so sind.

M: Das heißt, man ist immer in der Beweisschuld? Das Gegenbild.

S11: Ja, aber ich glaube das ist auch ein bisschen nötig. Ich denke nicht, dass Rassismus, Abgrenzung, nur Ausländer oder nur Schwarze trifft oder Weiße, das trifft jeden Menschen, und jeder Mensch muss zeigen, was für eine Person er ist und dass er nicht ein schlechter Mensch ist. Jeder hat irgendwelche Meinungen und jeder mag etwas nicht und grenzt das ab. Man muss lernen, dass etwas nicht schlecht ist.

S: Ich finde es schon erstaunlich, dass die Kinder schon so früh beigebracht kriegen, dass Schwarze Haut nichts wert sei. Das ist wie im Kindergarten, die werden von den weißen Kindern getrennt, mit denen spielst du nicht und dies und das, und das hat auch zur Folge, dass die Schwarzen Kinder sich dann minderwertig fühlen. Das beste Beispiel: Als Michael Jackson, als er noch klein war... seine Kindheit war sehr schlimm, und am Beginn seiner Musikkarriere hatte er, ich sage mal, Minuszahlen, er und seine Brüder, und in dem Falle hat er sich ja operieren lassen und man hat gesehen, als er weiß wurde, wurde er, wie man sagt, King of Pop. Und das zeigt irgendwie schon, bestimmt hatte er auch solche Gedanken, als er klein war, so werde ich es nie zu irgendwas bringen. Ich glaube, das ist eigentlich sehr schade, wenn man schon Kinder mit solchen Wörtern so früh einbezieht.

M: In der letzten Reihe.

S14: Ich wollte nur sagen in Bezug auf diese Geschichte "die Schwarzen Kinder lügen den ganzen Tag": Wir haben heute innerhalb dieses sogenannten Ethnic Profiling Polizei, Zollbeamte in Bezug auf die Asylbewerberdiskussion. Und wenn man in Deutschland Asyl will, gibt es ein Interview, da hört man immer, das sind Lügner, sie lügen. Das heißt, es gibt immer eine Fortsetzung, das darf man nicht vernachlässigen. Das wollte ich anmerken.

S13: Ich wollte auch noch erwähnen, dass zum Beispiel die Kinderbücher einen großen Einfluss nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die Erwachsenen haben. Dass man zum Beispiel wie bei Pippi Langstrumpf direkt sagt, dass sie lügen oder dass sie weniger wert sind, da denkt man sich als kleines Kind, ich bin weniger wert, ich behalte meine Meinung für mich, ich werde als dumm abgestempelt. Es ist ja so, Schwarze Menschen sagt man, die kommen aus Afrika, da gibt es kein Geld, keine Schulen, die sind dumm, wissen nicht, wovon sie reden, das brennt sich auch in die Köpfe der kleinen Kinder ein, ob dunkelhäutig oder hellhäutig, dann weiß man, OK, die Dunkelhäutigen sind nicht so schlau, ich kann denen sagen, die müssen einfach danach gehen, die müssen sich das anhören.

M: Hat ja auch viel mit Macht zu tun.

S16: Ich wollte erwähnen, dass man eigentlich anfangen sollte... man sollte ja bei der Bildung dafür sorgen, dass die Kinder nicht rassistisch denken und die Rassenideologie abschaffen und Rassismus bekämpfen. Aber wie man hier sieht, gibt es schon bei Kinderbüchern rassistische Aussagen, zum Beispiel dass Schwarze lügen und dass die Weißen ein höheres Prestige als die Schwarzen haben, was natürlich nicht wahr ist. Ich bemängele auch noch, dass es solche Verlage gibt, die das auch noch öffentlich machen, dass sie es nicht bearbeiten und diese rassistischen Teile nicht-rassistisch machen.

M: Dankeschön. So, ich nehme jetzt noch die drei Wortmeldungen hier vorne und dann... Ihr seid super! Ihr solltet alle aufs Podium.

S3: Zwei wichtige Faktoren, einer wäre zum Beispiel, dass diese Kinderbücher... die Kinder in diesem Alter assoziieren vieles mit Wörtern und mit bildlichen Darstellungen. Und wenn man so was sagt wie Schwarze sind dumm. dann denke ich, ist es nicht die Schuld der Kinder, dass sie später rassistisch werden, sondern es geht auf die Eltern über, sie müssen die Verantwortung tragen und sind ja in einem gesunden Alter, in einem reifen Alter, um zu entscheiden, was richtig und falsch ist für ihre Kinder. Und wenn sie das zum Beispiel ihren Kindern vorlesen, ist das eigentlich ihre Schuld, weil sie damit die Kinder so prägen nach ihren Moralvorstellungen oder was auch immer. Und was ich noch wichtig finde ist, dass man Rassismus gar nicht abschaffen kann, er wird immer existieren. Wenn es dann aufhört, so eine Art Rassismus zu geben, wird ein neuer Rassismus entstehen, keine Ahnung in welcher Form, aber das wichtige ist, dass jeder Mensch versucht, dafür zu sorgen, sich nicht provozieren zu lassen von anderen. Wenn man provoziert wird, wird alles immer gegen dich verwendet, und dadurch entstehen immer noch mehr Vorurteile. Und indem du dich aufregst, bestätigst du deren Vorurteile als wahr sozusagen.

M: [ins Publikum] Ich nehme die Wortmeldung dran - [ans Podium] kurz an euch, es gibt eine Umfrage, die wir gleich auflösen, nämlich die Frage, ob es wichtig ist, rassistische Sprache zu vermeiden in Büchern, aber auch in den Medien. Was sagt ihr, ja oder nein? [in die Kamera] Macht mit! Und wir lösen das auch gleich auf. Du hattest noch ein Statement.

S5: Ich wollte nur sagen, dass das, was er gesagt hat, sehr wichtig ist, nämlich dass es Rassismus sowie Vorurteile immer geben wird. Deshalb sollten wir auch nicht lernen, wie wir sie bekämpfen, sondern wie wir mit ihnen klarkommen. Deshalb denke ich, spielen wir da eine sehr wichtige Rolle, weil wir dafür sind, den Menschen, die davon noch nicht wissen, zu erzählen, ihnen zu zeigen, dass das Gegenteil vorhanden ist, also dass es nicht so ist. Deshalb sind wir dafür da, um sie aufzuklären.

S7: Auch anschließend an die letzten beiden wollte ich sagen, natürlich kann man Rassismus nicht einfach auslöschen, Rassismus gibt es immer, dadurch dass es viele Kulturen und Nationalitäten auf der ganzen Welt gibt. Was ich sagen wollte, jetzt auch anhand des Beispiels mit Pippi Langstrumpf oder der Kleinen Hexe kann man sehen, dass die Gesellschaft und die Schule, Bildung, natürlich die Menschen beeinflusst, mit der Moral, mit der Einstellung gegenüber anderen Leuten. Deshalb wollte dich sagen, dass ich glaube, der Schlüssel dazu, irgendwie damit nicht klarzukommen, sondern auch dagegen anzukommen, Aufklärung ist. Man sollte immer miteinander reden, man sollte, jetzt auch wir als Gruppe, die hin und wieder diskriminiert wird wegen der Nationalität, einfach mit den Leuten reden, die vielleicht eine konservative Einstellung haben. Man sollte ihnen nicht sagen, du bist ein Rassist, man sollte ihnen sagen, es gibt so etwas und das sollte man auch wissen. Man sollte nicht sagen, es wird ausgelöscht, wir wollen, dass es ausgelöscht wird. Man sollte sagen, es gibt so etwas und wir müssen damit klarkommen, wir müssen zusammen damit klarkommen. Nicht zwei Seiten gegeneinander. Man sollte miteinander damit klarkommen, einfach mit Reden, mit Aufklärung.

M: Danke. Letztes Statement.

S6: Ich wollte noch sagen, man könnte schon Rassismus bekämpfen, wenn jeder denkt, wir können Rassismus bekämpfen, dann könnte man schon. Aber wenn einige denken, man kann das sowieso nie bekämpfen, wir sollen damit klarkommen, dann finde ich, diese Einstellung ist immer ein bisschen negativ. Deshalb würde ich sagen – wir haben ja jetzt den Anfang gemacht als Schule – dass wir sagen, wir sind gegen Rassismus. Und wenn jetzt noch andere Schulen in Berlin und später dann auch in Deutschland sagen, wir sind gegen Rassismus, dann haben wir schon was erreicht. Dann haben einige Kinder ein Bildungssystem, welches nicht rassistisch ist. Das würde dann auch immer so weiterführen.

M: Ich würde gerne einen Faden aufgreifen, um die nächste Frage zu stellen, nämlich genau das, was du gesagt hast. Du hast gesagt, es liegt in der Verantwortung der Eltern, was sie ihren Kindern zu lesen geben, die Kinder können nichts dafür. Aber wenn die Kinder dann die Bilder haben, dann haben sie sie auch, wenn sie erwachsen sind, so hattest du es ja gesagt. Und in der Debatte war ja sehr spannend, dass es eine ganz große Gegenwehr von Erwachsenen gab, von Kindern ja gar nicht unbedingt. Und Erwachsene haben so Sachen gesagt wie, das waren auch unsere Kinderbücher und das war nicht böse gemeint und damals habe ich mir selber gar nichts gedacht. Julius, was sagst du, was ist das für ein Gefühl, für was steht dieses Gefühl, diese Angst, an diesen Wörtern festhalten zu wollen?

JF: Es ist halt das Problem, dass viele Leute eigene Kindheitserinnerungen mit diesen Büchern verknüpfen, dass sie sagen, das war mein Lieblingsbuch, Pippi Langstrumpf zum Beispiel, und damals in den 60ern war das eben so, da hat man Menschen so bezeichnet, das war ja damals auch schon nicht böse gemeint, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass ein Wort damals schon belastet war, dass es zu keinem Zeitpunkt irgendwie neutral war oder nett gemeint war. Ich glaube, da kommt wieder die Angst dazu, wenn man daran festhalten möchte, jetzt gibt es eine Veränderung, Menschen fürchten sich vor Neuem, vor Unbekanntem, vor Veränderung. Ich glaube, das liegt einfach daran, dass die Verknüpfung eigener Kindheitserinnerungen... und dann wieder mit der Deutungshoheit – ich möchte mir jetzt nicht Begriffe verbieten lassen von anderen Menschen, die nicht die Masse repräsentieren – da geht es auch wieder darum, die Mehrheit, Minderheit... ich lass mir von der Minderheit jetzt nicht sagen, was ich sagen darf und was nicht oder was ich meinen Kindern zu lesen gebe und was nicht.

NY: Die Debatte wurde ja so geführt wie ein richtiger Machtkampf, als würde man irgendjemandem irgendwas wegnehmen. Dabei ging es ja gar nicht darum, diese Kindheitserinnerungen irgendjemandem wegzunehmen, sondern es ging darum, der nachfolgenden Generation die Chance zu geben, auch Pippi Langstrumpf zu lesen, aber ohne diesen rassistischen Inhalt. Deswegen auch wieder dieser Abwehrmechanismus, man redet eigentlich gar nicht über die Kritik, die geäußert wird, ernsthaft und konstruktiv, also gemeinsam, was du ja auch gesagt hast, sondern man lenkt die ganze Debatte auf etwas ganz anderes ab und verschwendet die ganze Energie in diesem Machtkampf. Und wer gewinnt am Ende? Natürlich die, die diese Deutungshoheit haben, die diese Privilegien haben, zu bestimmen, was da drin steht und was nicht. Bei der Kleinen Hexe wurden ja tatsächlich manche rassistischen Wörter geändert, weil der Autor das wollte vor einem Jahr. Das hätte eigentlich gar nicht zu so einer großen Debatte führen müssen. Es ist etwas passiert, was längst überfällig war, weil in diesem Buch bestimmte Wörter benannt werden, die nicht in Ordnung waren.

M: Also, vielleicht für alle, auch wenn wir eigentlich nicht wollen, Begriffe zu reproduzieren, es ist aber trotzdem mal wichtig zu sagen. Es waren Begriffe wie "Eskimo" und "Indianer" und "Zigeuner" und auch das Wort "Neger", was wir eben hier gehört haben, was wir als "N-Wort" bezeichnen, nur um mal zu erklären, was haben die vorhin geredet.

NY: Genau. Und das war ja dann plötzlich so, der Eingriff in diese Macht, in das Machtmonopol. Und das wurde so heftig geführt, diese Kinderbuchdebatte hat mich auch selber sehr überrascht, weil für mich und vielleicht auch für viele andere, die in einem, ich sage mal, anderen Deutschland leben, in einer anderen Realität auch leben und in einer anderen Zukunft leben wollen, wie ihr alle hier auch, ist das einfach unverständlich gewesen. Das wirklich, wie soll man sagen, solches konservativ-rückständige, von Gestern das Denken soviel Macht noch hat.

JF: Die Argumentation war auch sehr überraschend, von Zensur zu sprechen, das fand ich auch ziemlich schockierend, wenn der Autor selbst sich entscheidet, ich verändere mein Buch, mein eigenes Buch. Und dann irgendwie, wir verändern die Kinderliteratur, das sind literarisch wertvolle Bücher, das hat mich sehr überrascht. Vor allem, weil Kinderbücher und Bücher im Allgemeinen ständig, vor allem sehr alte Bücher, immer dem Sprachgebrauch angepasst werden und wenn diese Wörter eben veraltet sind und diskriminierend sind, werden die selbstverständlich irgendwann geändert. Da war für mich ganz deutlich, es ging eigentlich nur um Macht, um Sicherung der Machtposition, weil sonst, wenn andere Bücher an die aktuelle Sprache angepasst werden, hat es bis jetzt auch niemanden interessiert.

M: Also, um es noch mal deutlich zu machen, es gab Sprachanpassung in der Geschichte...

JF: … ständig...

M: … in der deutschen Literatur schon immer.

JF: Ja.

M: Die Umfrage. Die Umfrage war: Ist es wichtig, rassistische Sprache in Büchern, in Medien zu vermeiden oder können wir einfach sagen, was wir wollen? [in die Kamera] Ihr antwortet bitte jetzt noch [ins Publikum] und ich würde gerne wissen, was ihr antwortet, Grün für "muss verändert werden, sollte verändert werden", Rot für "man muss da offen sein, es muss in einem demokratischen Land eben auch möglich sein, zu sagen, was man möchte".

Da haben noch nicht alle ihre Kärtchen nach oben gehalten... Rot für "nicht verändern" und Grün für "sprachliche Anpassung". Das ist interessant. Da hab ich eine Doppelmeldung für beides, aha. Und einmal Rot. Und das würde ich jetzt gerne verstehen. Alle anderen waren grün. Also die Mehrheit will sprachliche Anpassung, einer ist indifferent und der andere möchte sie nicht. Da bin ich jetzt neugierig.

S3: Ist das jetzt bezogen auf Bücher oder allgemein auf den sprachlichen Gebrauch?

M: Rassistische Sprache zu vermeiden.

S3: Also ich finde, man kann nicht einem Menschen verbieten, irgendwas zu machen, das ist auch rein rechtlich verboten und jeder würde dann selber auch sagen, ich darf meine eigene Meinung nicht sagen. Das würde ich auch nicht gutheißen. Aber ich finde es auch nicht gut, dass man rassistisch ist. Aber man sollte irgendwie einen anderen Weg finden, dass die Person es selber vermeiden will, nicht dass man sie zwingt, das nicht mehr zu sagen oder zu tun, so dass dieser Wille von sich selbst kommt. Erst wenn es von sich selbst kommt, ist es auch ehrlich gemeint. Und wenn es aufgezwungen ist, bleibt im Hinterkopf immer noch dieser Rassismus. Das muss vom Herzen kommen.

M: Also es geht dir um das Verbot. Man kann Menschen nichts verbieten, sollte man auch nicht in einem demokratischen Land, sondern irgendwie andere Wege finden, dass die Person selber keine Lust darauf hat. Was sagst du?

S17: Ich bin eigentlich auch der gleichen Meinung, nämlich wenn man etwas verbietet, also dass man die Meinung verbietet. Aber ich auch kein großer Fan von Rassismus und ich finde auch nicht, dass man in Nachrichten zum Beispiel diese rassistischen Wörter einfach so benutzt, so diskret sozusagen, dass man die als... das klingt zwar blöd, aber als Fachwörter sozusagen benutzt. Und ich bin eigentlich auch der gleichen Meinung, man kann es nicht verbieten, das ist dann Zensur, krasse Zensur eigentlich von der Meinung. Man muss für sich selber bestimmen, was man sagt und was man nicht sagt.

M: Also du sagst, ein Verbot macht den Rassismus nicht weg, sondern macht die Leute eher wütend, weil sie dann das Gefühl haben, nicht frei sein zu können.

S17: Genau.

S12: Ich stimme ihnen überhaupt nicht zu, ich würde nicht sagen, dass man die Meinung verbietet, wenn man bestimmte Wörter verbietet. Es geht ja nicht darum, dass man seine Meinung nicht sagen darf, sondern man sollte nur darauf achten, wie man seine Meinung sagt, ob man jetzt unbedingt das N-Wort benutzt oder ob man ein anderes Wort benutzt. Die Meinung ist die gleiche, nur die Wörter sind anders, deswegen würde ich sagen, ist es nicht schlimm, die Wörter zu zensieren. Wenn man jetzt wirklich die Meinung des Autoren zensieren würde, das wäre schlimm. Aber wenn man nur die Wörter verbietet – ich sehe da kein Problem.

M: Deine Meinung ist, Wörter – wenn sie weggehen, wenn sie nicht mehr da sind, ist so zumindest etwas schon passiert und dann muss natürlich mehr passieren. Damit ist der Rassismus nicht weg, aber zumindest schon mal ein erster Schritt getan.

Wir haben nur noch fünf Minuten. Ich möchte jetzt gern kurz die Umfrage auflösen. Im Netz ist ganz klar gesagt worden, mit 92 Prozent, ja, man sollte rassistische Sprache auf jeden Fall vermeiden. Ich finde das ziemlich interessant, es gab so eine Umfrage auch schon vorher während der Debatte und da war es genau umgekehrt. Das heißt, alle, die ihr jetzt zuschaut und hier im Raum, da gibt es schon ein Empfinden, man sollte darauf achten, es verändern, weil das was bewirkt. Finde ich ziemlich interessant.

Wir haben jetzt wirklich nur noch wenig Zeit, deswegen würde ich gerne in eine Abschlussrunde mit euch allen gehen, nämlich zu der Frage: Was kann man denn tun? Wir hatten das immer mal wieder gehört, also in seinem Alltag, gegen Alltagsrassismus. Und da gab es jemanden, der hat dazu gearbeitet, nämlich Nedime, und Nedime würde ich jetzt gerne das Wort geben, du hast im Unterricht... ihr habt zu zweit sogar gearbeitet, und das war noch die Yonia, und was waren denn eure Ergebnisse stellvertretend?

S1: Also, es wurden ja schon viele Äußerungen gemacht und unser Ergebnis ist, wenn man etwas verändern möchte, dann muss man sich im Klaren erst mal darüber sein, dass es nicht von einem Tag zum anderen geht, das muss langfristig passieren und da ist es auch ganz wichtig, vor allem wenn wir jetzt zur Schule gehen, dass man das den Schülern bewusst macht. Wir haben ja auch davor gesagt, dass es oft auch was Unbewusstes ist, wenn wir uns äußern, dass wir vielleicht... wir machen bestimmt auch rassistische Äußerungen, bemerken das vielleicht gar nicht mal oder für uns ist es nicht so schlimm oder – das ist ja einfach unbewusst. Und dass das erst mal bewusst gemacht wird, dass man den Schülern zeigt, schaut, es gibt Rassismus und dass die nicht einfach wegschauen, sondern auch wirklich sagen, das ist ein Thema, das euch auch beschäftigen muss und die Schule ist ein guter Treff, wo man dann gemeinsam in der Gruppe mit Projekten oder mit Workshops daran arbeiten kann und das den Schülern dann... und dass nicht nur einige, sondern dass wirklich alle dann zusammenarbeiten und dass daraus dann etwas geschieht.

M: Also über Rassismus sprechen.

S18: Ja, gerade wir älteren Schüler können auch eine Anlaufstelle für viele sein. Es gibt zwar an jeder Schule und auch an unserer Mediatoren, aber wenn man zum Beispiel Expertengruppen gründen könnte – gerade zum Thema Rassismus, es ist ja auch ein breites Gebiet – könnte man daran arbeiten und die Schüler könnten dann auch zu den Vertrauensschülern kommen und mit ihnen darüber reden und ihre Probleme auch äußern. Es ist natürlich auch wieder was anderes auf dieser Vertrauensbasis von Schüler zu Schüler statt Schüler zu Lehrer und es ist wieder ein neuer Punkt, wenn Schüler und Schüler gemeinsam darüber sprechen können und was Neues bewirken können.

M: Super. Und was sagt ihr?

NY: Im Bereich zur Schule arbeiten wir - Julius ist auch in der Gruppe... wir haben eine AG gegründet, ein Netzwerk gegründet, wo wir gerne an Schulen unabhängige Beschwerdestellen einrichten möchten. Weil es eben kein machtfreier Raum ist, es ist eine Institution, das ist eine staatliche Schule, es ist eben eine Struktur drin, wo Schüler, Schülerinnen, aber auch deren Eltern in einer Situation sind, wo es, wenn sie sich beschweren, zu solchen Situationen kommen kann, wo diese Beschwerde nicht richtig bearbeitet wird. Deswegen möchten wir ganz gerne, dass es in Berlin an allen Schulen, oder für alle Schulen, Anlaufstellen gibt, wo man sich beschweren kann, wo diese Beschwerde...

M: ...das ist die Schulglocke...

NY: ...unabhängig und neutral bearbeitet wird, eben nicht von Lehrern, Lehrerinnen aus der Schule oder dem Rektor oder der Rektorin, sondern wo ganz genau geguckt wird, was ist da konkret passiert, gibt es Zeugen, Zeuginnen, um dann natürlich auch, wenn dem dann so ist, welche Sanktionen... was kann man eigentlich in der Schule tun, damit das nicht nochmal passiert, was kann man tun, dass Lehrer und Lehrerinnen das eben unterlassen.

JFGenau, die Beschwerdestellen sind unglaublich wichtig, die müssen auf jeden Fall kommen, dass Eltern und Schüler sich da hinwenden können. Aber es ist auch für euch im Zwischenmenschlichen ganz wichtig, dass ihr miteinander sprecht, dass ihr Aufklärungsarbeit leistet untereinander, wenn euch auffällt, dass irgendwas passiert, dass ihr miteinander sprecht, versucht, mit den Lehrern zu sprechen, das habt ihr ja eigentlich schon... da gibt es bei euch, eurem Statement, eigentlich nichts mehr anzufügen.

M: Und damit sind wir leider am Ende angekommen. Ich kann einfach nur Danke sagen ans Podium, Danke an euch, Danke an euch im Netz. Ihr könnt auch weiter diskutieren unter dem Hashtag #Alltagsrassismus oder #wokommstdudennher auf der Seite der Bundeszentrale. Gebt uns das mit, was wir jetzt leider nicht abbilden konnten. Und auch das Video von diesem schönen und sehr spannenden Talk, wie ich finde, werdet ihr in ein paar Stunden online finden und verbreitet es natürlich auch gerne. Zusammenfassend kann man einfach nur sagen, über Rassismus sprechen und keine Angst davor haben – ich glaube, das ist die Zusammenfassung von dem Tag heute. Vielen Dank, Tschüs.

Julius Franklin, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (© ISD e.V.)

Nuran Yigit, Migrationsrat Berlin. (© Derya Ovali)

Moderiert wird der Webtalk von

Hadija Haruna

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Hadija Haruna. (© Hadija Haruna. Fotografin: Bettina Volke)

Hadija Haruna ist Diplom-Politologin sowie Redakteurin und Autorin für den Hessischen Rundfunk, das Magazin "fluter" der bpb, den Tagesspiegel, die ZEIT und andere. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales, Migration und Rassismus. Sie hat für bpb.de bereits die Webtalks zu Externer Link: Neonazis und Diskriminierung im Fußball, zu Externer Link: Autonomen Nationalisten und zum Externer Link: NPD-Verbot moderiert.

In der Sendung sprachen die Webtalk-Gäste unter anderem über folgende Fragen:

In diesem Jahr wurde eine große Studie zu rechtsextremen und rassistischen Einstellungen in der deutschen Gesellschaft durchgeführt. Wie viele Befragte stimmten darin wohl der Aussage zu: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.“?

Richtige Antwort: Etwa 30 Prozent.

In der Studie Externer Link: Die stabilisierte Mitte – rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014 der Universität Leipzig stimmten insgesamt 27,5% der Befragten der Aussage zu, dass die "Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet" sei. Das ist mehr als jeder vierte Befragte. Zu anderen rassistischen Aussagen war die Zustimmung ähnlich hoch. Es trifft also nicht zu, dass es rassistische Einstellungen nur am rechten Rand der Gesellschaft gibt.



Abstimmen

Richtige Antwort: Etwa 30 Prozent.

In der Studie Externer Link: Die stabilisierte Mitte – rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014 der Universität Leipzig stimmten insgesamt 27,5% der Befragten der Aussage zu, dass die "Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet" sei. Das ist mehr als jeder vierte Befragte. Zu anderen rassistischen Aussagen war die Zustimmung ähnlich hoch. Es trifft also nicht zu, dass es rassistische Einstellungen nur am rechten Rand der Gesellschaft gibt.



Etwa 10 Prozent
Etwa 30 Prozent
Leute haben abgestimmt.

Danke für ihre Teilnahme!

Abstimmen
Ja. Man sollte rassistische Sprache auf jeden Fall vermeiden.
Nein. Jeder soll sagen können, was er will.
Leute haben abgestimmt.

Danke für ihre Teilnahme!