Die Wehrmacht: Struktur, Entwicklung, Einsatz
Den kommenden Krieg im Blick, begann der NS-Staat bereits 1933 ein gewaltiges Aufrüstungsprogramm – ab 1935 unter offenem Bruch des Versailler Vertrages. Die Friedensstärke des Heeres wuchs innerhalb von sechs Jahren um mehr als das siebenfache, diejenige der Marine um das Fünffache. Bei Kriegsbeginn verfügte die Wehrmacht schließlich über 4,5 Millionen Soldaten.Hervorgegangen aus der Reichswehr der Weimarer Republik, trugen die Streitkräfte des nationalsozialistischen Deutschland seit dem 15. März 1935 den Namen Wehrmacht. Mit ihren drei Teilen Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe wurde die Wehrmacht zum wichtigsten Instrument von Hitlers Eroberungspolitik während des Zweiten Weltkrieges.
Aufrüstung

Für Deutschland besaß aufgrund seiner geopolitischen Lage schon immer die Armee die weitaus größte Bedeutung. So dienten auch in der Wehrmacht zu Kriegsbeginn fast neun von zehn Soldaten im Heer (3,7 Mio.), dagegen diente nur jeder zehnte Soldat in der neuen Luftwaffe (400.000) und sogar nur jeder 90. Soldat in der Kriegsmarine (50.000). Die Gesamtstärke stieg im Laufe des Krieges auf das Doppelte an (1943: 9 Mio.), wobei das Heer der mit weitem Abstand größte Wehrmachtteil blieb.
Führungsorganisation
Anfangs mit Vorsicht, doch Zug um Zug gewann Hitler die Kontrolle über den Militärapparat. Sofort nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 2. August 1934 ließ er die Soldaten auf sich als "Obersten Befehlshaber der Wehrmacht" vereidigen. Nach Kritik aus der Militärführung an seinem riskanten Kriegskurs Ende 1937 ergriff er wenig später eine günstige Gelegenheit, drängte den Reichskriegsminister, Werner von Blomberg, aus dem Amt und übernahm selbst die direkte Befehlsgewalt über die Wehrmacht.”
Die Eidesformel der Soldaten der Wehrmacht:



Von der Zersplitterung der Führungsorganisation am stärksten betroffen war die Landkriegführung. Der hierfür zuständige Generalstab im Oberkommando des Heeres (OKH) hatte mit Einrichtung des OKW bereits 1938 seinen Vorrang als erste militärische Beratungsinstanz der Politik verloren. Die Konkurrenz mit dem OKW führte ab 1940 zur Aufteilung der wachsenden Anzahl von Kriegsschauplätzen zwischen OKW und OKH. Ab Sommer 1941 war der Generalstab im Wesentlichen nur noch für den Hauptkriegsschauplatz Ostfront zuständig.

Kriegseinsatz
Trotz der Mängel an der Führungsspitze hatten die deutschen Feldzüge der ersten Kriegsjahre durchschlagenden Erfolg. Er beruhte nicht zuletzt auf einem allgemein hohen Ausbildungsstand der Soldaten und den Fähigkeiten der Truppenführer und ihrer Stäbe. Die in der deutschen Armee traditionelle Kultur des Führens mit Auftrag ("Auftragstaktik") machte die deutsche Landkriegführung besonders flexibel und effizient. Mit zunehmender Kriegsdauer schlugen diese Faktoren weniger zu Buch, weil schlechter ausgebildete, oft minder taugliche Reservisten, zudem in unzureichender Zahl, die ausgebluteten älteren Jahrgänge ersetzen mussten. Zudem büßte die deutsche Kampfführung infolge von Hitlers starren Haltebefehlen ihre Beweglichkeit ein und wurde verlustreicher.
Auch wenn uns heute ein anderes Bild vor Augen stehen mag: Das Heer war alles andere als eine moderne Streitkraft, vor allem bei Kriegsbeginn. So blieb sein Motorisierungsgrad gering; anfangs bestand es zu 90 Prozent aus gewöhnlichen Infanterie-Divisionen, deren Personal wie im Ersten Weltkrieg zu Fuß marschierte. Überwiegend dienten noch Pferde als Zugmittel für Bagage und Artillerie. Auch waren die deutschen Truppen dem Gegner an Bewaffnung keineswegs überlegen. Gegen die französische Armee etwa konnte die Wehrmacht 1940 sogar deutlich weniger, technisch teilweise unterlegene Geschütze und Panzer aufbieten. Und die Rote Armee übertraf 1941 das deutsche Heer nicht nur an Kopfstärke erheblich, sondern besaß auch vielfach bessere Waffensysteme, zudem in deutlich höherer Stückzahl.
Modern und überlegen zeigte sich die Wehrmacht dagegen mit ihren Einsatzverfahren. Der neuartige geschlossene, weitgehend über Funk geführte Einsatz größerer Panzerverbände und motorisierter Infanterie revolutionierte den Bewegungskrieg. Die relativ wenigen "Schnellen Truppen" des Heeres errangen im engen Zusammenwirken mit Verbänden der Luftwaffe die deutschen Blitzkriegserfolge der Anfangsjahre. Ähnlich erfolgreich operierten zeitweise die deutschen U-Boote mit ihrer bereits im Ersten Weltkrieg entwickelten "Rudeltaktik" gegen Schiffskonvois der Alliierten.
Die Wehrmacht trat 1939 mit der weltweit stärksten Luftwaffe in den Krieg ein. Oberbefehlshaber Göring hatte den Vorrang ihrer Aufrüstung durchgesetzt. In den ersten Kriegsjahren verhalfen die Kampfflugzeuge und motorisierten Flak-Verbände der Luftwaffe den Angriffsoperationen des Heeres zum Erfolg. Zum Aufbau einer strategischen Bomberwaffe fehlten der Wille und die Kapazitäten.

Die Dominanz des Landkrieges ließ der kleinen Kriegsmarine nur eine Nebenrolle. Sie war der britischen Seemacht hoffnungslos unterlegen, erlitt schon bald große Schiffsverluste und blieb weitgehend auf die Bekämpfung der alliierten Handelsschifffahrt beschränkt. Deutsche U-Boote beeinträchtigten die Versorgung Großbritanniens und die alliierten Hilfslieferungen an die Sowjetunion erheblich, bis sie ab dem Frühjahr 1943 durch überlegene Aufklärungs- und Abwehrtechnik der Alliierten in die Defensive gezwungen wurden. Ungeachtet dessen hielt Großadmiral Karl Dönitz, treuer Gefolgsmann Hitlers

Wehrmacht und Nationalsozialismus
Führende Offiziere öffneten die Streitkräfte frühzeitig für die NS-Ideologie. So veranlasste der Reichswehrminister Anfang 1934, dass der rassistische "Arier-Paragraph" auch Anwendung auf Berufssoldaten fand; das Wehrgesetz von 1935 schloss alle "Nichtarier" vom aktiven Wehrdienst aus.
Im Zeichen des "totalen Krieges" führte die Wehrmacht Ende 1943 die Funktion des "Nationalsozialistischen Führungsoffiziers" ein. Bald bemühten sich mehrere tausend haupt- und nebenamtliche NSFO um die ideologische Festigung der Soldaten. Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 veranlasste die Führung, die Soldaten noch stärker auf das Regime einzuschwören.

Gegen Kriegsende trieb das Regime die "Gleichschaltung" der Wehrmacht weiter voran. Bereits nach dem 20. Juli 1944 hatte Hitler dem "Reichsführer SS" Heinrich Himmler mit dem Befehl über das Ersatzheer eine Schlüsselposition in der Wehrmacht übertragen. Zu Lasten der Wehrmacht wurde die Waffen-SS mit Personal und Material bevorzugt ausgestattet. Vermehrt übernahmen SS-Generäle und besonders regimetreue Generäle der Wehrmacht die Regie an der Front. Sie führten vielerorts einen fanatischen Endkampf im Sinne Hitlers, was die Verluste ab Sommer 1944 drastisch ansteigen ließ. Insgesamt kamen 4,8 der 17,3 Millionen Soldaten, die im Krieg in der Wehrmacht dienten, ums Leben – ein Viertel davon allein in den letzten vier Kriegsmonaten.
Weiterführende Literatur:
- Omer Bartov, Hitler's Army. Soldiers, Nazis and War in the Third Reich, New York 1991.
- Martin van Creveld, Kampfkraft. Militärische Organisation und militärische Leistung 1939–1945, Freiburg 1989 (engl. Orig. 1982).
- Jürgen Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat. Eine strukturgeschichtliche Analyse, München 2007.
- Jürgen E. Förster, The Dynamics of „Volksgemeinschaft”: The Effectiveness of the German Military Establishment in the Second World War, in: Allan R. Millet, Williamson Murray (Hrsg.), Military Effectiveness. Vol. 3 The Second World War, New Edition, New York 2010.
- Christian Hartmann, Johannes Hürter, Ulrike Jureit (Hrsg.), Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte, München 2005.
- Geoffrey P. Megargee, Hitler und die Generäle. Das Ringen um die Führung der Wehrmacht 1933-1945, Paderborn u.a. 2006 (engl. Orig. 2000).
- Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtjustiz 1933–1945, Paderborn 2005.
- Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden 1648-1939, Bd. 4, Abschnitt VII Wehrmacht und Nationalsozialismus 1933-1939, München 1979.
- Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler, Stuttgart 1969.
- Rolf-Dieter Müller, Hitlers Wehrmacht 1935 bis 1945, München 2012.
- Rolf-Dieter Müller, Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München 1999.
- Christoph Rass, „Menschenmaterial“ – Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945, Paderborn 2003.
- Felix Römer, Kameraden. Die Wehrmacht von innen, München, Zürich 2012.
- Wolfram Wette, Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt am Main 2005.