Europa unter nationalsozialistischer Besatzung
Nie zuvor wurde Besatzungspolitik in einem solchen Maße von einer mörderischen Ideologie angetrieben. Die Ausgangsbedingungen in den betroffenen Ländern waren nicht zuletzt unter den rasseideologischen Gesichtspunkten verschieden. Ziel Hitlers war die Neuordnung Europas. Und ein Großreich vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer.Es gibt kaum ein Land in Europa, das zwischen Oktober 1938 und Mai 1945 nicht zeitweise von deutschen Truppen besetzt oder zumindest vom NS-Regime beeinflusst worden ist. Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, wäre ein großgermanisches Weltreich entstanden. Denn Hitlers Utopie einer Neuordnung Europas ging über die allenthalben geforderte Revision der Versailler Ordnung und die Vorherrschaft Deutschlands in "Mitteleuropa" weit hinaus. Ihm schwebte von vornherein – das war neu – ein "rassereines" Großreich vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer vor, das die Grundlage seiner Weltherrschaft bilden sollte. Gleichwertige "germanische Völker" unter der Vorherrschaft des Großdeutschen Reiches sollten das Rückgrat einer neuen europäischen Raumordnung bilden, in der die ost- und südosteuropäischen slawischen Völker unterjocht würden. Der osteuropäische Raum bis zum Ural war als germanisches Siedlungsgebiet gedacht. Einheimische, die dem aus rasseideologischen Gründen im Wege standen – die Rede ist von mehr als 30 Millionen Menschen! –, sollten zuvor nach Sibirien vertrieben werden, sofern sie nicht zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Nichts anderes sah der "Generalplan Ost" vor, den der Leiter des "Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums", Heinrich Himmler, 1941 abgesegnet hatte. Nach dem Angriff auf die UdSSR wurde er in die Praxis umgesetzt. Ende 1942 erreichte das besetzte Territorium seine maximale Ausdehnung.
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Erlass Hitlers zur "Festigung deutschen Volkstums" vom 7. Oktober 1939
I.
Dem Reichsführer-SS obliegt nach meinen Richtlinien:
1. die Zurückführung der für die endgültige Heimkehr in das Reich in Betracht kommenden Reichs- und Volksdeutschen im Ausland,
2. die Ausschaltung des schädigenden Einflusses von solchen volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuten,
3. die Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch Umsiedlung, im besonderen durch Seßhaftmachung der aus dem Ausland heimkehrenden Reichs- und Volksdeutschen.
Der Reichsführer-SS ist ermächtigt, alle zur Durchführung dieser Obliegenheiten notwendigen allgemeinen Anordnungen und Verwaltungsmaßnahmen zu treffen.
Zur Erfüllung der ihm in Absatz 1 Nr. 2 gestellten Aufgaben kann der Reichsführer-SS den in Frage stehenden Bevölkerungsteilen bestimmte Wohngebiete zuweisen.
II.
In den besetzten ehemals polnischen Gebieten führt der Verwaltungschef Ober-Ost die dem Reichsführer-SS übertragenen Aufgaben nach dessen allgemeinen Anordnungen aus. Der Verwaltungschef Ober-Ost und die nachgeordneten Verwaltungschefs der Militärbezirke tragen für die Durchführung die Verantwortung. Ihre Maßnahmen sind den Bedürfnissen der militärischen Führung anzupassen. Personen, die zur Durchführung dieser Aufgaben mit Sonderaufträgen versehen sind, unterstehen insoweit nicht der Wehrmachtsgerichtsbarkeit.
III.
Die dem Reichsführer-SS übertragenen Aufgaben werden, soweit es sich um die Neubildung deutschen Bauerntums handelt, von dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft nach den allgemeinen Anordnungen des Reichsführers-SS durchgeführt. Im übrigen bedient sich im Gebiete des Deutschen Reichs der Reichsführer-SS zur Durchführung seines Auftrages der vorhandenen Behörden und Einrichtungen des Reichs, der Länder und der Gemeinden sowie der sonstigen öffentlichen Körperschaften und der bestehenden Siedlungsgesellschaften.
Falls über eine zu treffende Maßnahme zwischen dem Reichsführer-SS einerseits und der zuständigen obersten Reichsbehörde – im Operationsgebiet dem Oberbefehlshaber des Heeres – eine nach Gesetzgebung und Verwaltungsorganisation erforderliche Einigung nicht erzielt werden sollte, ist meine Entscheidung durch den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei einzuholen.
IV.
Verhandlungen mit ausländischen Regierungsstellen und Behörden sowie mit den Volksdeutschen, solange sich diese noch im Auslande befinden, sind im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Auswärtigen zu führen.
V.
Sofern für die Seßhaftmachung zurückkehrender Reichs- oder Volksdeutscher Grund und Boden im Gebiet des Reichs benötigt wird, so finden für die Beschaffung des benötigten Landes das Gesetz über die Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 467) und die zu ihm ergangenen Durchführungsverordnungen entsprechende Anwendung. Die Aufgaben der Reichsstelle für Landbeschaffung übernimmt die vom Reichsführer-SS bestimmte Stelle.
VI.
Die zur Durchführung der Maßnahmen erforderlichen Mittel stellt der Reichsminister der Finanzen dem Reichsführer-SS zur Verfügung. Berlin, 7. Oktober 1939 Der Führer und Reichskanzler
gez. Adolf Hitler Der Vorsitzende des Ministerrats für die Reichsverteidigung
gez. Göring
Generalfeldmarschall Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei
gez. Dr. Lammers Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht
gez. Keitel"
Quelle: Martin Moll (Hrsg.), "Führer-Erlasse" 1939-1945, Stuttgart 1997, S. 100-102.
Besetzung und Besatzung: Formen der Fremdherrschaft

Da die Niederlande und Norwegen als "germanische" Länder galten, wurden hier zivile "Reichskommissare" eingesetzt – Josef Terboven bzw. Arthur Seyß-Inquart –, die u.a. durch die Unterstützung einheimischer nationalsozialistischer Gruppierungen die Eingliederung vorbereiten sollten. In Dänemark, das nahezu kampflos besetzt worden war, aber formal souverän blieb, suchte ein "Reichsbevollmächtigter" (Werner Best) entsprechenden Einfluss auf die Regierung zu nehmen, bis 1943 der Befehlshaber der deutschen Truppen in Dänemark das Kommando übernahm. Belgien und Nordfrankreich standen bis 1944 unter Militärverwaltung; General Alexander von Falkenhausen wurde im Juli 1944 jedoch von Gauleiter Josef Grohé abgelöst, der als Reichskommissar fungierte.
Verwickelter waren die Verhältnisse in Frankreich. Nach dem Waffenstillstand am 22. Juni 1940 wurde das Land geteilt. Die nördliche Hälfte einschließlich der Industriegebiete sowie die französische Atlantikküste unterstanden der Militärverwaltung unter General Otto von Stülpnagel in Paris, der 1942 von seinem Vetter Carl Heinrich von Stülpnagel abgelöst wurde. Hier hatte der Kommandostab in der Militärverwaltung, die rund 1.200 Offiziere und Beamte zählte, den Befehl über die deutschen Besatzungstruppen, während der Verwaltungsstab die französische Verwaltung kontrollierte. Die nordfranzösischen Departements Nord und Pas de Calais wurden dem deutschen Militärbefehlshaber in Belgien unterstellt. Elsass und Lothringen, die Deutschland 1919 an Frankreich hatte zurückgeben müssen, wurden der Sache nach annektiert und der Zivilverwaltung der angrenzenden deutschen Gaue Baden und Saar-Pfalz zugeschlagen. Dagegen entstand im unbesetzten Süden Frankreichs das Regime von Vichy: In dem Kurort residierte ab Juli 1940 eine neue französische Regierung von Hitlers Gnaden unter Marschall Philippe Pétain. Er herrschte über rund 40 Prozent des ehemaligen Staatsgebiets und seine Kolonien sowie 100.000 Soldaten. Ab dem 11. November 1942, nach der Landung der Alliierten in Nordafrika, ließ Hitler sicherheitshalber auch die Südzone besetzen.
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Aufruf Charles de Gaulles vom 18. Juni 1940

Nichts ist verloren, weil dieser Krieg ein Weltkrieg ist. In dem freien Universum sind gewaltige Kräfte noch (gar) nicht zum Tragen gekommen. Eines Tages werden diese Kräfte den Feind zerschmettern. Frankreich muss an diesem Tag beim Sieg dabei sein. Dann wird es seine Freiheit und seine Größe wiedererlangen. Das ist mein Ziel, mein einziges Ziel! Deshalb fordere ich alle Franzosen, wo immer sie sich befinden, dazu auf, sich mir anzuschließen im Kampf, im Opfergeist, in der Zuversicht.
Unser Land ist in Lebensgefahr.
Lasst uns gemeinsam kämpfen, um es zu retten.
Es lebe Frankreich!"
Quelle: Stiftung Charles de Gaulle


In den besetzten Gebieten der UdSSR brachten die Einsatzgruppen der SS im Rahmen der Germanisierungspolitik den Einheimischen millionenfachen Tod und Terror. Neben den radikalen Antisemitismus trat hier wie in Südosteuropa ein Antislawismus, der die Russen, dicht gefolgt von Weißrussen und Litauern, als "Untermenschen" auf die niedrigste Stufe in der rassistischen Hierarchie verwies. Weil sie 1940/41 dem Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan beigetreten waren, existierten die Balkanländer Ungarn, Rumänien und Bulgarien – wichtige Rohstoff- und Nahrungsmittellieferanten – als formal souveräne, jedoch zunehmend abhängige Staaten fort. Der Krieg in Südosteuropa wurde als Koalitionskrieg geführt, deshalb fiel die Okkupationspolitik komplexer aus. Ungarn und der Satellitenstaat Slowakei wurden erst 1944 militärisch besetzt, im Rumänien General Ion Antonescus sicherten deutsche Verbände längst die Ölfelder. Besatzungstruppen befanden sich auch im ehemaligen Jugoslawien: im Satellitenstaat Kroatien, in dem Ante Pavelić als Führer der faschistischen Ustascha herrschte; in Serbien, das unter deutscher Militärverwaltung stand; in Griechenland, das in eine deutsche und eine italienische Besatzungszone zerfiel. Die Wehrmacht marschierte nach dem Sturz Mussolinis 1943 schließlich auch in Italien ein; die italienischen Soldaten wurden entwaffnet und als "Italienische Militärinternierte" gefangen genommen. Eine Marionettenregierung in Salò verwaltete Norditalien. Zugleich wurde Südtirol annektiert, und die südosteuropäischen Besatzungsgebiete der Italiener fielen in deutsche Hand.
Besatzungsalltag
Unter diesen – wie bereits der grobe Überblick zeigt – vielfältigen okkupationspolitischen Rahmenbedingungen fiel der Besatzungsalltag verschieden aus. Im Verlauf des Krieges änderten sich zudem die Situation lokaler Bevölkerungen, ihre Ängste und Hoffnungen, ihre Alltagserfahrungen und Überlebensstrategien. Erstens verfolgten die Nationalsozialisten in ihrer Besatzungspolitik von Land zu Land unterschiedliche Absichten. Was die Wirtschaft betraf, stand mal die kurzfristige Ausbeutung der Ressourcen der besetzten Gebiete, mal der Aufbau einer europäischen "Großraumwirtschaft" im Mittelpunkt. Die verschiedenen Regionen machten ganz unterschiedliche Erfahrungen mit den wirtschaftlichen Eingriffen der Okkupationsmacht, die nicht zuletzt von den örtlichen Gegebenheiten abhingen. Zweitens wirkten sich die für das Herrschaftssystem typischen Kompetenzstreitigkeiten aus, insbesondere zwischen der Ministerialbürokratie in der Hauptstadt und den ausführenden Institutionen vor Ort. Drittens kamen die Deutschen im Besatzungsalltag nicht ohne die Zusammenarbeit mit der lokalen, regionalen und nationalen Verwaltung aus. Man brauchte einheimische, mehr oder minder freiwillige Helfershelfer, die den Besatzungsapparat am Laufen hielten. Organisation und Verwaltung folgten daher keiner klaren Linie. Gleichwohl sorgten die zentrale Steuerung und der ideologische Grundkonsens dafür, dass die Okkupation ähnlichen Prinzipien folgte.”
"Ausländische Unterstützung für Hitlers Ostfront"


"1. Ohne den Einbau der verbündeten Armeen, von Hitler eher lustlos und ohne große Erwartungen betrieben, hätte die Wehrmacht 1941 niemals bis vor die Tore Moskaus marschieren können. Durch den Einsatz der finnischen, ungarischen und rumänischen Wehrpflichtigen konnte die Ostfront nach Norden und Süden erheblich ausgedehnt und abgedeckt werden. Bei 2000 Kilometern Frontlinie wurden 600 Kilometer von den Finnen gehalten, weitere 600 Kilometer von Ungarn und Rumänen. Auf diese Weise war die Wehrmacht in der Lage, die Masse des Ostheeres im Zentrum gegen Moskau zukonzentrieren. Die Bindung der sowjetischen Hauptarmee in der Ukraine hauptsächlich durch die deutschen Verbündten ermöglichte den Erfolg [der Wehrmacht in] der größten Kesselschlacht der Weltgeschichte bei Kiew [1941].
2. Ohne die Mobilisierung zusätzlicher Kräfte der Verbündeten hätte Hitler 1942 seine neue Sommeroffensive in Richtung Wolga und Kaukasus nicht durchführen können. Sie sicherten die weite Flanke an Wolga und Don. So ermöglichten sie den riskanten Vorstoß zu den Ölfeldern des Kaukasus. Dazu trugen auch Hunderttausende von einheimischen Freiwilligen bei, die als "Hilfswillige" oder in bewaffneten Formationen den Vormarsch der Wehrmacht unterstützten.
3. Spätestens nach der Katastrophe von Stalingrad konnte die Wehrmacht einen Zusammenbruch der Ostfront nur mit Hilfe der ausländischen Helfer verhindern. Ihre größte Bedeutung hatten sie bei der Sicherung des Hinterlandes und der Bekämpfung der Partisanen. […] Auch im letzten Kriegsjahr hing die Mobilität der Wehrmacht nicht nur vom Treibstoff, sondern auch von fast einer Million Freiwilliger der osteuropäischen Völker ab."
Quelle: Rolf-Dieter Müller, An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945, Frankfurt am Main 2010, S. 243f.
Widerstand
Wer nicht bereit war, die Besatzung als Notwendigkeit hinzunehmen und rechtzeitig geflohen oder in den Untergrund abgetaucht war, hofften auf einen Sieg der Anti-Hitler-Koalition und setzte auf Widerstand. London entwickelte sich zu einem Zentrum des Exils. Der britische Geheimdienst SOE, die Kommunistische Partei in der Sowjetunion (seit 1952 KPdSU) und schließlich der amerikanische Geheimdienst OSS bildeten Knotenpunkte im Netz der Widerstandsgruppierungen. Viele geflohene Politiker und Militärs versuchten von London aus, mit britischer Schützenhilfe die Diktatur im Deutschen Reich zu destabilisieren und den Widerstand in den besetzten Ländern zu stärken. Zunächst griffen die Männer und Frauen in Westeuropa auf Formen des zivilen Widerstandes zurück, auf Gegenpropaganda oder Streiks. Wer hätte schon bis 1941/42 gedacht, dass die Besatzungsherrschaft nicht von Dauer sein würde? Wie in Osteuropa von Beginn an, reagierte die Besatzungsmacht auf gewaltsamen Widerstand mit sogenannten Vergeltungs-Aktionen. Die völkerrechtswidrigen Repressalien gegen (vermeintliche) Partisanen waren nicht selten rassistisch motiviert. Bei Geiselerschießungen in Serbien etwa betrug bereits 1941 das Verhältnis 1:100, das heißt für einen ermordeten Soldaten töteten die Exekutionskommandos befehlsgemäß hundert serbische Häftlinge. Rund eine halbe Million Menschen wurden im Zuge dieser, wie es im NS-Jargon hieß, "Bandenbekämpfung" allein in der Sowjetunion ermordet.Zwar existierten Widerstandsgruppen in allen besetzten Ländern Europas, von einem "europäischen Widerstand" lässt sich gleichwohl nicht sprechen. Zu sehr klafften die politischen Vorstellungen auseinander. Regelmäßig galt der Kampf nicht nur dem Ende der Okkupation, sondern auch dem Beginn einer neuen Staats- und Gesellschaftsordnung. Selbst innerhalb eines Landes zogen die einzelnen Widerstandsgruppen aus politischen Gründen häufig nicht an einem Strang. In Frankreich zum Beispiel stellte die Gründung der Streitkräften des Inneren (FFI) im Februar 1944 den Versuch dar, u.a. die Freien Französischen Streitkräfte (FFL) unter de Gaulle und die primär kommunistischen Francs-Tireurs et partisans (FTP) unter eine Dachorganisation zu einigen. Angehörige der Résistance kämpften gegen das deutsche Besatzungsregime wie auch gegen die kollaborierende, ihrerseits antisemitische Vichy-Regierung. Sie spionierten für die Alliierten, verübten Attentate und sabotierten das Nachrichtenwesen oder die Bahnverbindung, vor allem nach dem Angriff auf die UdSSR im Juni 1941. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie kämpften zahlreiche Résistants Seite an Seite mit den westlichen Alliierten.
In Polen entstand auf der einen Seite die Volksarmee (Armia Ludowa, AL), in der sich kommunistische Untergrundkämpfer zusammenfanden, und auf der anderen Seite die nationalpolnische "Heimatarmee" (Armia Krajowa, AK), die als militärische Gruppierung früh mit der Exilregierung in London zusammenarbeitete. Ihr vergeblicher Versuch, die Hauptstadt aus eigener Kraft zu befreien – der Warschauer Aufstand ab dem 1. August 1944 – ragt schon wegen der 160.000 Todesopfer aus den gewaltsamen Aktionen des Widerstandes in Europa heraus.
In Russland kämpften Partisanen hinter der deutschen Frontlinie. Von Moskau gelenkt, unterstützten sie zunehmend die Rote Armee etwa durch das Sprengen der für die Wehrmacht wichtigen Eisenbahnstrecken 1944. In Griechenland einigten sich die Partisanen des "Nationalrepublikanischen Bundes" nur durch Druck von außen auf ein gemeinsames Vorgehen mit der kommunistischen "Nationalen Befreiungsarmee". Im ehemaligen Jugoslawien rivalisierten die Tschetniks – die nationalserbische Partisanenarmee – mit den kommunistischen Widerstandskämpfern unter Josip Broz ("Tito"). Dessen Armee, 1943/44 rund 300.000 Mann stark, fand schließlich die Unterstützung der Alliierten und erhielt selbst militärische Bedeutung. Dass Tito dann auch die jugoslawische Nachkriegsordnung gestalten konnte, bildete jedoch eine Ausnahme. In den meisten Fällen blieben die Gestaltungsmöglichkeiten der Widerstandsbewegungen nach 1945 hinter deren Erwartungen zurück.
Misst man schließlich die Neuordnungspolitik an ihrem eigenen Maßstab, fällt die Bilanz negativ aus. Zwar führte die auf Unterdrückung und Ausbeutung zielende Eroberungsstrategie bis 1942 tatsächlich zur Entstehung eines ausgedehnten Imperiums, das selbst die USA an Größe und Bevölkerungszahl übertraf. Doch in der Stärke des rasseideologischen Antriebs lag zugleich seine Schwäche. Wegen des ideologisch begründeten Größenwahns kamen selbst die westlichen Staaten nicht als Partner in Frage, von der Selbstüberhebung über die slawischen Völker ganz zu schweigen. Die Besatzer ließen die anfänglich deutschfreundliche Stimmung etwa der Ukrainer, welche die Wehrmacht zunächst als Befreier vom Joch Stalins begrüßt hatten, durch ihre eigene Mord- und Terrorpolitik in Feindschaft umschlagen, statt sie zur Stabilisierung ihrer Besatzungsherrschaft zu nutzen. So mangelte es dem "Tausendjährigen Reich" an tragfähigen Strukturen und qualifizierten Funktionsträgern.
Dank der militärischen Niederlage platzte die Utopie vom großgermanischen Reich. Eine friedliche, demokratische Europa-Idee setzte sich durch, die nicht zuletzt in den Konföderationsplänen des Widerstandes wurzelte. Die Erfahrungen von Besatzung, Terror und Widerstand lieferten auch den Stoff für die nationalen Gründungsmythen der Nachkriegsgesellschaften.
Ausgewählte Literatur:
- Johannes Bähr, Ralf Banken (Hrsg.), Das Europa des "Dritten Reichs": Recht, Wirtschaft, Besatzung, Frankfurt am Main 2005
- Rab Bennett, The Moral Dilemmas of Resistance and Collaboration in Hitler's Europe, Basingstoke 1999
- Wolfgang Benz, Johannes Houwink ten Cate, Gerhard Otto (Hrsg.), Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Europa 1939–1945, 10 Bde., Berlin 1996-2001
- Philip W. Blood, Hitler's Bandit Hunters: The SS and the Nazi Occupation of Europe, Dulles/Va., 2006
- Jochen Böhler, Stephan Lehnstaedt (Hrsg.), Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939-1945, Osnabrück 2012
- Christoph Buchheim, Marcel Boldorf (Hrsg.), Europäische Volkswirtschaften unter deutscher Hegemonie 1938–1945, München 2012
- Philippe Burrin, La France a l'heure allemande, Paris 1995 (engl. u.d.T. Under the Germans. Collaboration and Compromise, New York 1996)
- Bernhard Chiari, Alltag hinter der Front. Besatzung, Kollaboration und Widerstand in Weißrussland 1941-1944, Düsseldorf 1998
- Deutsches Historisches Institut Paris, Frankreich unter deutscher Besatzung 1940–1945. Die deutschen und französischen Dienststellen.
- Jürgen Elvert, Mitteleuropa!: deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung (1918-1945), Stuttgart 1999
- Bruno de Wever, Herman Van Goethem, Nico Wouters, Local government in occupied Europe (1939-1945), Gent 2006
- Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1998
- Robert Gildea, Anette Warring, Olivier Wieviorka (Hrsg.), Surviving Hitler and Mussolini. Daily Life in Occupied Europe, Oxford 2006
- Robert Grunert, Der Europagedanke westeuropäischer faschistischer Bewegungen 1940-1945, Paderborn 2012
- Isabel Heinemann, "Rasse, Siedlung, deutsches Blut": Das Rasse- und Siedlunghauptamt der SS, 1939-1945, Göttingen 2. Aufl. 2003
- Birgit Kletzin, Europa aus Rasse und Raum. Die nationalsozialistische Idee der Neuen Ordnung, Münster 2000, 2. Aufl. 2002
- Mark Mazower, Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 2009
- Rolf-Dieter Müller, An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945, (Berlin 2007) Frankfurt am Main 2010
- Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941-1944, (München 2008) Frankfurt am Main 2011
- Robert Seidel, Deutsche Besatzungspolitik in Polen. Der Distrikt Radom 1939-1945, Paderborn 2006
- Jacques Semelin, Ohne Waffen gegen Hitler. Eine Studie zum zivilen Widerstand in Europa, Frankfurt am Main 1995
- Timothy Snyder, Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin. Beck, München 2011
- Joachim Tauber (Hrsg.), "Kollaboration" in Nordosteuropa. Erscheinungsformen und Deutungen im 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2006
- Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa, Berlin 2011
- Wildt, Michael: Völkische Neuordnung Europas. In: Themenportal Europäische Geschichte (2007).