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Kalter Krieg im Kino: Zur Konjunktur des Agentenfilms in den 1960er-Jahren und ihren Voraussetzungen

Christoph Classen

/ 6 Minuten zu lesen

Die bemerkenswerte Karriere, die das Spionage-Genre seit dem späten 19. Jahrhundert erlebt, geht mit zwei Entwicklungen einher, die eng miteinander verbunden sind: der Einbeziehung immer größerer Teile der Bevölkerung in politische Diskurse einerseits und dem Aufstieg der populären Massenmedien andererseits.

Umgedeutete Geschichte: der DEFA-Film "For Eyes Only – Streng geheim" fußt auf historischer Augenwischerei. (© bpb)

Die 1960er-Jahre waren ohne Zweifel eine Hochzeit des Kalten Krieges. Zu Anfang des Jahrzehnts, im August 1961, erschütterte der Bau der Berliner Mauer die Weltöffentlichkeit und, wie wir heute wissen, war die Welt nie so nah an einer atomaren Konfrontation der Supermächte wie während der Kuba-Krise im Herbst 1962. Noch gegen Ende der Dekade, im Sommer 1968, machte die Sowjetunion mit ihrer Invasion in die ČSSR unmissverständlich klar, dass eigene Wege innerhalb ihres Einflussbereiches nicht toleriert wurden, ein Ende der bipolaren Eiszeit mithin vorerst nicht in Sicht war. Spionage und Gegenspionage boomten unter diesen Umständen. Das belegten nicht zuletzt peinliche Fälle, wie beispielsweise der Abschuss eines US-amerikanischen U2-Aufklärers über der Sowjetunion im Mai 1960, bei denen die geheimen Aktivitäten aufflogen und ihre Urheber ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurden – zugleich als Trophäen der eigenen Überlegenheit und als Beweis für die niederen Absichten der Gegenseite.

Es besteht also kein Zweifel, dass die realen politischen Hintergründe maßgeblich für die dynamische Entwicklung des Spionage-Genres in dieser Zeit waren. Der sogenannte "Spy Cry", wie der Boom thematisch einschlägiger, zumeist unterhaltsamer Filme, Fernsehserien und Literatur zeitgenössisch genannt wurde, fand im Klima des Kalten Krieges mit seiner paradoxen Atmosphäre des gegenseitigen Belauerns, der verdeckten Operationen einerseits und der dröhnenden Feindpropaganda andererseits einen idealen Nährboden. Dies schloss ein Spektrum durchaus unterschiedlicher Verarbeitungsformen und Motive ein, das von anspruchsvollen, analytischen und satirischen Auseinandersetzungen über weitgehend politikfreie, kommerzielle Filme bis hin zu verschwörungstheoretischen oder politisch motivierten Versuchen reichte, die das populäre Genre selbst zum Instrument der Systemauseinandersetzung machten.

1. Unterhaltung und Politik: Der Aufstieg des Spionage-Genres

Doch wäre es zu kurz gegriffen, den Boom des Spionage-Thrillers in den 1960er-Jahren allein als Verarbeitung aktueller politischer Ereignisse zu deuten. Dagegen spricht schon, dass der Erfolg dieses Sujets bereits vor dem Kalten Krieg einsetzte und die Faszination des Themas einschließlich der damit verbundenen Aspekte des Geheimen und des Verrats ihre Attraktivität bis heute kaum eingebüßt hat.

Im Geheimdienst-Gewimmel: Plakatmotiv zu "For Eyes Only - Streng geheim". (© The Kiss Kiss Kill Kill Archive)

Die bemerkenswerte Karriere, die dieses Genre seit dem späten 19. Jahrhundert erlebt, geht nicht zufällig mit zwei Entwicklungen einher, die ihrerseits eng zusammenhängen: der "Vergesellschaftung" von Politik, also der Einbeziehung immer größerer Teile der Bevölkerung in politische Diskurse einerseits und dem Aufstieg der populären Massenmedien andererseits. Die Ansprüche auf Partizipation und demokratische Teilhabe der Bevölkerung rückten die verbliebenen staatlichen Arkanbereiche ins Blickfeld der entstehenden politischen Massenöffentlichkeit oder setzten sie unter Legitimationsdruck. Zugleich schien die Aura des Verborgenen, Geheimen und des trügerischen Scheins perfekt zu den dramaturgischen Mustern der populären Medien zu passen. Jedenfalls verbanden sich hier früh politische und mediale Logiken, spätestens seit Robert Erskine Childers 1903 seinen Bestseller The Riddle of the Sands publizierte, in dem er eindringlich die "deutsche Gefahr" beschwor. Die Muster und Zuspitzungen erfolgreicher Unterhaltungsliteratur wurden hier mit den vorherrschenden nationalen politischen Stimmungen und Ängsten am Ende des viktorianischen Zeitalters verknüpft. In der Folge etablierte sich das Genre vor allem in der populären britischen und US-amerikanischen Literatur, wobei die internationalen Spannungen im Zuge der Weltkriege den Hintergrund dafür lieferten, beispielsweise in den Romanen von Eric Ambler, Graham Greene oder John Buchan. Dabei produzierten sie in sich stimmige, an verbreitete Vorstellungen anknüpfende Versionen einer Wirklichkeit, die dem unmittelbaren Augenschein weitgehend entzogen war. Die Attraktivität der fiktionalen Auseinandersetzungen dürfte also neben dem Bedürfnis nach schlichtem suspense darin bestanden haben, dass sie zeitgenössischen Wünschen nach Plausibilisierung, Selbstvergewisserung und Komplexitätsreduktion in einer sich dramatisch verändernden Welt entgegen kamen.

2. Spionagefilme in West- und Osteuropa

Letzteres gilt auch für die Wahrnehmung des Kalten Krieges in Europa, das vom "Eisernen Vorhang" geteilt war. Aber nicht nur dies und die binäre Logik des Konfliktes mit seiner klaren Unterscheidung von Freund und Feind trugen dazu bei, dass das Thema zum beliebten Gegenstand fiktionaler Verarbeitungen wurde. Die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn hat in ihrem brillanten Buch Der geheime Krieg über Verrat und Spionage in modernen Romanen und Spielfilmen auf die prinzipielle Nähe von Kaltem Krieg und Fiktion hingewiesen. Es war ein Krieg "in den Köpfen", in dem die Beteiligten mit hypothetischen Szenarien operierten und ihre eigenen Rationalitäten auf den jeweiligen Gegner projizierten. Das, was normalerweise das Geschäft von Schriftstellern und Filmemachern ist, das Imaginieren von Möglichkeiten bis hin zu "worst-case"-Szenarien, die Erfindung von Informationen machten nun einen wichtigen Teil der Arbeit der Geheimdienste aus.

Jenseits solch struktureller Ähnlichkeiten war jedoch noch etwas anderes maßgeblich für den Boom in den 1960er-Jahren: die nun auf breiter Front vollzogene Adaption des Stoffes durch die visuellen Medien Kino und Fernsehen. Vor dem Hintergrund der Konkurrenz, die dem Kino aus dem seinerzeit noch neuen Medium Fernsehen erwuchs, kamen jetzt zum Teil aufwendig inszenierte Produktionen in die Kinos, die jene technologischen Möglichkeiten ausschöpften, die das Fernsehen (noch) nicht bieten konnte. Insbesondere die britisch-amerikanischen James-Bond-Verfilmungen nach den Vorlagen von Ian Fleming (1962 ff.) waren überaus erfolgreich und wirkten im Hinblick auf "special effects" und actionreiche Inszenierung stilbildend.

Auffällig ist, dass bei der Mehrzahl dieser westlichen Produktionen keineswegs politische Distinktion im Vordergrund stand, sondern der Kalte Krieg in erster Linie als spannungsreicher, dabei aber mehr oder weniger unkonkreter Hintergrund begriffen wurde. Erkennbar folgten Filme wie die spanisch-portugiesisch-deutsche Koproduktion Comando de asesinos (1966) primär ökonomischem Kalkül, indem sie versuchten, das Erfolgsrezept der weitgehend depolitisierten James-Bond-Filme zu imitieren. Allgemeiner formuliert: Die wirtschaftlichen Zwänge der unter Druck stehenden europäischen Filmwirtschaft strukturierten diese Filme weitaus stärker als die politische Abgrenzungslogik des Kalten Krieges. Das bedeutete allerdings nicht, dass solche Filme unterschwellig nicht sehr wohl die Botschaft von der Überlegenheit westlicher Konsumgesellschaften vermittelten.

Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Filmen aus osteuropäischer Produktion. Ökonomische Aspekte standen hier nicht im Zentrum, demzufolge orientierte sich die Produktion auch nicht primär am Publikumsinteresse. Spionagefilme wurden deshalb nur ab und an hergestellt, und wenn, dann folgten sie der politischen Logik des Kalten Krieges, indem sie meist offen die Überlegenheit des Sozialismus postulierten. Nicht selten handelte es sich um plumpe Versuche, mit derartigen Filmen selbst propagandistische Geländegewinne zu erzielen, wie im Falle der langatmigen DDR-Produktion For Eyes Only – Streng geheim (1963), in der die Aufdeckung eines (angeblich realen) Invasionsplanes der NATO im Mittelpunkt stand.

Damit fiel das Genre im Sozialismus freilich auch als Medium kritischer Selbstreflexion der Logiken des Kalten Krieges aus, wie sie anspruchsvolle westliche Filme bisweilen leisteten. Ein Beispiel dafür stellt die Verfilmung des Erfolgsromans von John Le Carré, The Spy Who Came in from the Cold (GB 1965), dar. Der Film führte die Arbeit der Geheimdienste auf beiden Seiten als zutiefst zynisches, inhumanes Geschäft vor, bei dem notorisch alle Werte verraten wurden, für die man zu kämpfen vorgab. Die Pointe liegt dabei in der Äquidistanz von westlicher und östlicher Seite: Wenn die Auseinandersetzung um Werte nur vorgeschoben war und beide sich in ihrem praktischen Nihilismus zum Verwechseln glichen, dann blieb als einziges Motiv des Konflikts das jeweilige Streben nach Hegemonie. Eine solch fundamentale Kritik an den Prämissen und der Logik des Kalten Krieges, die noch dazu sehr erfolgreich war, war gewiss auch im Westen nicht die Regel. Aber Ironie, satirische Brechung und Distanz gehörten in den 1960er-Jahren zu den gängigen Stilmitteln auch vieler politisch weniger ambitionierter Filme.

In der Zusammenschau erweist sich die Konjunktur der Agentenfilme in den 1960er-Jahren somit durchaus als vielschichtiges Phänomen. Im Westen bediente die Filmindustrie mehr oder minder routiniert ein offenkundig vorhandenes gesellschaftliches Bedürfnis nach unterhaltsamer Veranschaulichung der unsichtbaren, geheimen Seite des Kalten Krieges und vermied dabei meist allzu offene politische Positionierungen. Allerdings nutzten ambitionierte Produktionen das Sujet zugleich für Selbstreflexionen bis hin zu fundamentaler politischer Kritik auch der "eigenen" Seite. Noch zehn Jahre zuvor wäre dies in den meisten Ländern nur schwer vorstellbar gewesen, zudem wäre eine große Resonanz gewiss ausgeblieben. Die Popularität der Spionagegeschichten blieb auch im Osten nicht unbeachtet, doch mussten sich die Filme hier nach wie vor primär an den vorgegebenen politischen Positionen orientieren. Obwohl sich die einzelnen osteuropäischen Länder durchaus graduell unterschieden, blieben dort in den sechziger Jahren der Berücksichtigung gesellschaftlicher bzw. ökonomischer Eigendynamiken insgesamt enge Grenzen gesetzt.

Literaturhinweise

Eva Horn: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion. Fischer: Frankfurt a. M. 2007.

Patrick Major: 'Coming in from the Cold: The GDR in the British Spy Thriller'. In: Arnd Bauerkämper (Hrsg.): Britain and the GDR. Relations and Perceptions in a Divided World. Philo: Wien 2002, S. 339-52.

Toby Miller: Spyscreen. Espionage on Film and TV from the 1930s to the 1960s. Oxford University Press: Oxford 2003.

Hans-Peter Schwarz: Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers. DVA: München 2006.

Bernd Stöver: "Das ist die Wahrheit, die volle Wahrheit". Befreiungspolitik im DDR-Spielfilm der 1950er und 1960er Jahre. In: Thomas Lindenberger (ed.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen. Böhlau: Köln. u.a. 2006, pp 49-76.

Christoph Classen, 1965 in Hagen (Westfalen) geboren, ist seit 2009 Projektleiter in der Abteilung "Zeitgeschichte der Medien- und Informationsgesellschaft" des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Mediengeschichte, Erinnerungskultur und Politische Kultur im 20. Jahrhundert.