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The Spy Who Came in from the Past | The Celluloid Curtain | bpb.de

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The Spy Who Came in from the Past Podiumsdiskussion im Rahmen der Filmreihe "The Celluloid Curtain" am 7. Juni im Zeughaus Berlin

/ 14 Minuten zu lesen

Als Dokumente des Zeitgeists zeigen Spionagefilme eine Welt der ideologischen Grabenkämpfe und der Bedrohung durch die Atombombe. Heute, in Zeiten von al-Qaida, WikiLeaks und dem iranischen Nuklearprogramm, sind diese Bilder bedrückend aktuell. Eine prominent besetzte Podiumsdiskussion zum Thema liefert interessante Denkanstöße.

Die russische Produktion "Starling and Lyre" veranschaulicht auf recht explizite Weise die ideologischen Grabenkämpfe im geteilten Europa. (© bpb)

Auf dem Podium sitzen der deutsch-amerikanische Historiker Konrad Jarausch von der Freien Universität Berlin, Christoph Classen vom Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam, der Autor und ehemalige Politiker Andreas von Bülow sowie Oliver Baumgarten, Co-Kurator von "The Celluloid Curtain". Es moderiert die Journalistin und Filmkritikerin Claudia Lenssen.

Claudia Lenssen: Die Reihe "The Celluloid Curtain" beschäftigt sich mit der Sicht von West und Ost auf den Agenten. Herr Baumgarten, mir stellen sich zunächst einmal die Fragen: Wurden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ähnlich viele Agentenfilme produziert? Gab es ein ähnliches Interesse für die populäre Figur des Agenten?

Oliver Baumgarten: Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs war das Interesse an der Figur des Agenten und auch an den Motiven, die an ihr hängen, groß. Nur aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Interesse in Westeuropa war ein anderes als in Osteuropa. In Westeuropa, wo eine Filmindustrie existierte, die gerade in den 60er Jahren sehr viele Unterhaltungsfilme produzierte, war der Agentenfilm eines der beliebtesten Genres überhaupt. Da wurden in Koproduktion mit Spanien, Frankreich, Italien, Westdeutschland Massen produziert. Es gibt ein Buch, für das jemand versucht hat, diese sogenannten Eurospy-Filme zu sammeln, und er ist auf 600 Filme gekommen, allein für Westeuropa zwischen 1962 und 1969! Im Westen war der Agentenfilm also ein sehr beliebtes Genre, das nach einiger Zeit in den James Bond-Filmen seinen Höhepunkt gefunden hat. Im Osten waren die Produktionsumstände grundsätzlich andere. D.h. hier von einem Mainstream-Genre zu sprechen, ist schwierig, weil es in den meisten Ländern keine Filmindustrie gab. Es existierte kein Zwang, populäre Filme zu schaffen.

Claudia Lenssen: Gab es denn ein staatliches Interesse, Agentenfilme zu drehen, oder wurde dieses Genre nicht gefördert?

Oliver Baumgarten: Wir müssen zwei Seiten berücksichtigen. Der Agentenfilm ist ein Genre, das dafür geschaffen ist, den verlotterten Westen zu zeigen, d.h. den Westen als Prunk: Menschen, die ständig feiern, Alkohol trinken, gut angezogen sind, Frauen vernaschen und schnelle Autos fahren. Dieses Lotterleben konnte man sehr schön zeigen, wobei es nicht nur negativ gezeigt wurde. Es wurde auch so präsentiert, dass viele Leute Lust hatten, sich dieses Leben anzuschauen. Es stellte eine Möglichkeit dar, die westliche Lebensweise zu zeigen, was nicht unbedingt im Sinne der Machthaber war. Andererseits gibt es aber auch Filme wie den sowjetrussischen Film Skvorets i Lira / Starling and Lyre, der eindeutig benutzt worden ist, um propagandistische Ideen zu prägen. [...]

Claudia Lenssen: Das Stichwort "James Bond" ist bereits gefallen, Herr Classen. Es gibt das Klischee, dieses Stereotyp, das man mit dem Agenten verbindet: der Agent ist smart, sexy, er hat viele technische Spielzeuge, ist waffentechnisch opulent ausgestattet und agiert an exotischen Schauplätzen. Welche Gründe für seine Popularität gab es über die bereits erwähnten hinaus, wenn man z.B. auf die 1960er Jahre zurückgeht, auf den historischen Rahmen, in dem die Filmreihe angesiedelt ist?

Christoph Classen: Ich glaube, es kommen in den 1960er Jahren zwei Dinge zusammen. Vielleicht muss man zunächst betonen, dass das Spionage-Genre schon älter ist, es nimmt seinen Aufschwung etwa ab der Jahrhundertwende. Der erste wirkliche Spionageroman ist The Riddle of the Sands von Erskine Childers, einem irischen Schriftsteller. Das ist eigentlich eine Propagandaschrift im Gewand eines Unterhaltungsromans, eines Thrillers. Das Genre entwickelt sich dann im Zuge des Ersten Weltkrieges und in der Zwischenkriegszeit weiter. Dass es in den 1960er Jahren solch einen Aufschwung nimmt, hängt zum einen mit dem Kalten Krieg selber zusammen. Es handelt sich um eine Konstellation, in der auch die Spionagetätigkeit einen Höhepunkt erreicht. Hinzu kommt, dass die Konstellation scheinbar übersichtlich ist: Wir haben relativ klare Antagonisten. Das kommt diesen populären Adaptionen entgegen, bei denen man immer sehr stark die Komplexität reduzieren muss und nur Gut und Böse hat. Zum anderen handelt es sich um eine Entwicklung, die zu tun hat mit der Situation des Kinos in den 60er Jahren. Es gibt neue technische Möglichkeiten; neue Verfahren, Special Effects zu produzieren, Breitwand, Farbe usw. Dies ermöglicht andere Formen der Inszenierung, die bislang im Film so nicht möglich waren. Hinzu kommt, dass das Kino in der Krise ist. Das hat natürlich etwas mit dem Fernsehen zu tun. Das Kino braucht neue Attraktionen. Da bietet sich das Genre des Agentenfilms an, das politisch aktuell ist, und auf starkes Interesse stößt, weil es sich im Umfeld des Geheimen, von Skandal und Verschwörung bewegt. Ich glaube, dass dieser sogenannte Spy Cry, dieser immense Boom an Spionagefilmen in den 1960er Jahren, mit diesen beiden Entwicklungen zusammenhängt.

Claudia Lenssen: Herr Jarausch, wir haben eben eine Medientheorie zur Entwicklung des Genres Agentenfilm im Kino gehört. Es war von Attraktionen die Rede, die auf den ersten Blick unpolitisch, reine Unterhaltung, nur fröhlicher Eskapismus sind. Dennoch spielen auch Feindbilder und der Dualismus von West/Ost eine Rolle, das Gut-Böse-Muster ist klar strukturiert. Sie interessieren sich für die kulturelle Dimension des Ganzen. Was können Sie uns über dieses Feindbild sagen? Warum war es so populär?

Konrad Jarausch: Der Kalte Krieg wird oft auf das Wettrüsten oder eine militärische Auseinandersetzung reduziert. Er war aber auch ein Wettbewerb um die Loyalität der Bürger in den eigenen Lagern. Man musste die eigenen Leute auf Vordermann bringen. Im Westen gab es Linksintellektuelle, die am Sozialismus als besserem System interessiert waren. Im Osten lebten Dissidenten, die an westlichen Menschenrechtsvorstellungen interessiert waren. Im Kalten Krieg geht es um die interne kulturelle Homogenisierung. Im eigenen Lager muss Klarheit herrschen. Filme sind aufgrund ihrer Unterhaltsamkeit ein geeignetes Medium, dies zu befördern, da man bei einem Actionfilm mit positiv gezeichneten Figuren Empathie entwickelt, sich in ihre Situation versetzt und dann von diesen Figuren Weltbilder und Reaktionen übernimmt. Die innenpolitische Seite ist diese Homogenisierung, die nicht nur durch Kontrolle wie KP-Verbot oder Verfolgung von SPD-Ostarbeit geleistet worden ist. Die andere Seite –

Claudia Lenssen: – Sie sprechen von der Bundesrepublik?

Konrad Jarausch: Ja, von der Bundesrepublik auf der einen Seite, aber auch von der DDR auf der anderen. Man musste die Dissidenten und Mitglieder der Blockparteien ebenso auf Vordermann bringen, damit sie der SED genügend Unterstützung gaben. Das ist die innenpolitische Seite. Auf der außenpolitischen Seite ging es darum, Überkreuzungen zu vermeiden. In einer polarisierten Welt ist der Gegner das Gefährliche und wenn ein Eiserner Vorhang existiert, dann ist das Bedrohliche auf der jeweils anderen Seite! Diese Bedrohung ist ein Gefühl, das man in den Leuten zunächst generieren muss. Es ist eine Sache, wenn man in Berlin oder an der tschechischen Grenze lebt und an der Mauer entlang läuft. Es ist allerdings etwas ganz anderes, wenn man in Düsseldorf oder im Rheinland ist und die Russen weit weg sind! Wie sollte man sich da gefährdet fühlen? Diese Hervorrufung der Gefahr zur Unterstützung von Militärausgaben, zur Aufrüstung der Bundeswehr oder zur Akzeptanz von Atomwaffen bei Stationierung im eigenen Lande, das sind Dinge, die auch Bürgerreaktionen brauchen. Wenn diese Reaktionen nicht da sind, kann man solch eine Politik nicht weiter verfolgen. [...]

Claudia Lenssen: Wir können den Agenten als eine Art Stellvertreter im kulturellen Prozess verstehen. Herr von Bülow, wenn man sich für die Welthaltigkeit der Filmbilder interessiert, dann stellt sich die Frage, wie Agenten in den 1960er, 1970er Jahren, zur Zeit des Kalten Krieges, gearbeitet haben? Was war ihre Rolle, was ihre Funktion? Was weiß man darüber, wie sie tatsächlich gearbeitet haben?

Andreas von Bülow: Zunächst einmal zu den Agentenfilmen: Es gibt natürlich den Landserfilm, den Western und Agentenfilm, und in der Regel tritt in diesen Genrefilmen das Gute gegen das Böse an und das wird auch sehr eingehend dargestellt, so dass der Zuschauer zwangsläufig die richtige Position bezieht. In Deutschland wurde die Wiederbewaffnung gegen die Mehrheit des Volkes betrieben. Auch die Trennung des Landes fand ja keine Mehrheit im Volke. Die Mehrheit war damals der Meinung, die vier Besatzungszonen müssten zusammen bleiben, wir müssten versuchen, mit den Russen zu Kompromissen zu kommen. Dagegen wurde die kommunistisch-sowjetische Bedrohung aufgebaut, eine Macht, mit der man nicht verhandeln kann, die in der Welt ihre vernichtende Weltrevolution durchsetzen will, die hinter jeder Ecke auszubrechen droht. Da fand eine immense Indoktrination statt. Die CIA hatte den Auftrag, die Bevölkerung in Europa in allen Ländern und mit allen Möglichkeiten auf die Konfrontation einzustimmen. Sie hatte sehr viel Geld zur Verfügung, da ungefähr 10% des Marshallplans für Geheimdienstoperationen eingesetzt wurden, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Es wurde sehr genau geschaut, welche Intellektuellen, welche Schriftsteller, welche Filmproduzenten zu unterstützen sind. Es wurde Der Monat gegründet, ein großer Kongress der europäischen Intellektuellen veranstaltet. Das war auch eine Zeit, in der Europa intensiv mit Amerika bekannt gemacht wurde. Das hatte zwar sehr positive Seiten, war aber auch dazu bestimmt, die sich fortsetzende Konfrontation mit dem Kommunismus akzeptabel zu machen. Ich bin allerdings der Meinung, wenn die Sieger des Ersten Weltkrieges 1918/19 das Land der Weimarer Republik so behandelt hätten wie die westlichen Sieger die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, dann wäre aus der Weimarer Republik ein sehr ordentlicher Staat geworden. Die schwersten Opfer der politischen Entwicklung nach 1945 hatte zweifellos die mit Mauer und Stacheldraht abgetrennte DDR-Bevölkerung zu bringen. Die Teilung Deutschlands war nicht das Ziel der Russen, sie forderten Neutralität und Entmilitarisierung, was wiederum die Amerikaner nicht akzeptieren wollten. Die USA wollte den westlichen Teil Deutschlands hinter die anstehende Konfrontation mit der Sowjetunion bringen. Deshalb die Forderung nach einer Armee mit 500.000 Mann im westlichen Bündnis. Entsprechend fiel die Antwort Moskaus aus, es kam zur Teilung, der DDR und der Mauer. Der Kalte Krieg ist eingebettet in diese große, Gott sei Dank unblutig gebliebene Auseinandersetzung. Es kam zu den vielen bekannten wie im Stillen ertragenen Tragödien! Im Bundesnachrichtigendienst waren früher mehr als 2.000 Leute damit beschäftigt, in den Auffanglagern die Ost-West- Briefe auszuwerten –

Claudia Lenssen: – welche Briefe?

Andreas von Bülow: Alles, was an Post zwischen Ost und West lief, konnte aufgemacht, gelesen, wieder zugemacht und zugestellt werden. Später wusste man überhaupt nicht mehr, was man mit all diesen BND-Leuten machen sollte. Es gab Spione auf der westlichen Seite, die von der intelligent operierenden Spionageabwehr der Ostseite "umgedreht" werden konnten. Die Gegenspionage-Operationen des BND lag in der Hand von Leuten, die Doppelagenten waren! Insofern ist das im Nachhinein mit viel Spott zu versehen. Der KGB wusste ganz genau, dass die Abteilung Fremde Heere Ost zur CIA kam und dass General Gehlen, der spätere Chef des Bundesnachrichtendienstes, vor allem Adelige und SS-Leute einstellte. Daher schob man dem Dienstgrad entsprechende Leute von östlicher Seite unter, die dann aufgrund ihrer fabelhaften Spionagekenntnisse im Apparat aufstiegen und in leitender Funktion den Geheimdienst teilweise blind machen konnten. Der CIA wiederum ist ein völlig anderer Geheimdienst, der im Wesentlichen darauf angelegt ist, unterhalb jeder öffentlichen Wahrnehmung und Rechtfertigung ausländische Gesellschaften und Politsysteme so zu steuern, wie es für die USA nach deren Auffassung wünschenswert ist. [...] Wenn das bezweifelt wird, muss man sich nur anschauen, was am Ende des Vietnamkrieges im amerikanischen Kongress in den Anhörungen der Verantwortlichen alles zur Sprache kam!

Konrad Jarausch: Nur ein oder zwei Sätze Widerspruch! Man sollte nicht alle Berichte, Willens- und Absichtserklärungen für die Tatsachen nehmen! Natürlich haben Sie bei Congress of Cultural Freedom und Der Monat ohne Weiteres Recht. Aber dann müssen Sie auch die Ostseite daneben legen mit dem Friedenslager, den Gewerkschaften und den Intellektuellen bis zu Sartre. Es findet eine große Auseinandersetzung um die Loyalität der Bürger auf beiden Seiten statt. Die Amerikaner sind in ihren intelligenteren Phasen indirekt vorgegangen, indem sie sich Bundesgenossen gesucht und diese finanziert haben. Wenn man aber die Welt nur runterschrumpft auf die Perspektive der Spione, dann wird sie ein bisschen zu eng für mich! [...]

Christoph Classen: Wir leben in Gesellschaften, deren Bevölkerung den Anspruch hat, möglichst alles über Politik zu wissen. Die demokratischen Gesellschaften leben von der Vorstellung, das Volk sei der Souverän, der die letzten Entscheidungen trifft. Selbst in den Massendiktaturen des 20. Jahrhunderts ist das partizipatorische Element sehr stark gewesen. Unter dieser Prämisse ist natürlich jedes Geheimnis ein Problem. Wenn das Volk der Souverän ist und der Staat vor dem Volk Geheimnisse hat, dann wird es schwierig. In einer normalen Politikberichterstattung stoßen sie da sehr schnell an Grenzen. Wenn ungeschützte Behauptungen geäußert werden, sie sagen, das war so und so, der hat dies gemacht, der jenes befohlen, so haben sie sehr schnell ein Rudel Anwälte auf dem Hals. Das fiktionale Genre bietet dagegen die Möglichkeit, Dinge in einem geschützten Raum zu thematisieren. Man kann zunächst etwas behaupten und dann in sich stringente Geschichten konstruieren. Die mögen paranoid sein oder auf realen Indizien beruhen, das Genre bietet einen großen Imaginationsraum.

Andreas von Bülow: Aber es kommen natürlich auch enorm viele Illusionen auf, denn die eigentlichen Operationen sind im Grunde viel raffinierter angelegt. [...]

Claudia Lenssen: Herr Jarausch, auf der einen Seite reden wir von Operationen und Strukturen, bei denen der einzelne Agent im Sinne eines Agitators und Propagandisten Schritt für Schritt lenkt, infiltriert, Ideologien unter einem übergeordneten Gedanken bedient, der geheim ist und der einer Macht nutzt. Das ist schwer zu legitimieren vor einem, wie Herr Classen sagt, auf Offenheit und Partizipation angelegten Publikum. Wie beurteilen Sie dieses Verhältnis? Liefern die Filme mythisierte Helden, die davon ablenken, wie das Geschäft wirklich aussieht, wie Herr von Bülow es soeben scharf umrissen hat?

Konrad Jarausch: Es ist natürlich auf der täglichen Ebene der Agentenarbeit trivialer, schmutziger und langweiliger als das, was in den Filmen gezeigt wird, sonst würde sich niemand die Filme ansehen wollen. Der Agent ist Teil eines Kontinuums, das auch die legale, öffentliche Beeinflussung einschließt, halblegale Interessen, Verkopplungen, wirtschaftliche Dinge oder die Platzierung von Geschichten und Meldungen in Zeitungen und Nachrichtenorganisationen. In diesem Kontinuum ist der einzelne, kleine Spion vielleicht der letzte in einer ganzen Kette. Es muss ihm eingebläut werden, dass das, was er tut, ganz wichtig ist, das Schicksal der ganzen Menschheit davon abhängen wird. Wenn er nur ein erniedrigtes Individuum wäre, das mit seiner Frau Krach hat oder auf die letzte Nutte hereinfällt, ist es im Kino nicht mehr spannend. [...]

Christoph Classen: Ich habe den Eindruck, dass viele populäre westliche Filme, die keine hohen Ansprüche verfolgen, zumindest auf einer oberflächlichen Ebene keine politischen Filme, sondern Abenteuerfilme sind. Man könnte sie auch, wenn man es flapsig sagt, als "Jungsfantasien" bezeichnen: Es geht darum, schnelle Autos zu fahren, alle attraktiven jungen Frauen liegen einem zu Füßen. Man ist heute hier und morgen in Acapulco, ist in nichts eingeschränkt, hat alle Mittel zur Verfügung. Es ist ein ungeheuer spannendes und abenteuerliches Leben. Diese Vision von Internationalität, von Verfügbarkeit ist ein ganz wichtiges Moment von kommerziellem Kino. Dem unterliegt aber sehr wohl auch eine ideologische Botschaft. Die ist allerdings nicht vordergründig politisch in einem propagandistischen Sinne. Es ist die Botschaft der Konsumgesellschaft, die sich in Europa in den 1960er Jahren vollends durchsetzt. Wenn es so etwas gibt wie eine Utopie der Konsumgesellschaft, dann ist das die Verfügbarkeit von allem, von Waren, von Zeit, von Raum usw. Alles steht dem Individuum zur Verfügung. Diese Botschaft eines tollen Lebens in einer freien Konsumgesellschaft unterliegt diesen vordergründig ganz unpolitischen Filmen sehr wohl! Dazu gehört nach meinem Eindruck in den 1960er Jahren auch ein ausgesprochen chauvinistisches Gender-Verhältnis, wobei die Männer in aller Regel die dominante Rolle spielen und die Frauen entweder von vornherein nur Gespielinnen sind und völlig auf diese Ebene reduziert werden oder ein altes Geschlechterklischee aufscheint wie das des rätselhaften, verruchten Weibs, dem man(n) nicht trauen kann, wie wir es eher aus dem späten 19., frühen 20. Jahrhundert kennen.

Andreas von Bülow: Aber die Darstellung dieser Konsumwelt hat natürlich einen ungemeinen Einfluss auf den Osten gehabt, wie auch die westliche Reklame, die jeden Abend auf die Bildschirme kam, eine sehr große Rolle gespielt hat. Ich erinnere mich noch, wie mir ein Fahrer des Bundestages erzählt hat, dass er nicht mehr nach Ostberlin zu seinen Verwandten gehe, da diese die Nase hochzögen bei der Schokolade, die er ihnen von Aldi mitbringe. Es hätte immer das Markenprodukt aus der Fernsehwerbung sein sollen! All dies hat eine unglaublich suggestive Wirkung gehabt, und das war auch die Aufgabe dieser Agentenfilme.

Christoph Classen: Ja, die Magnettheorie hat tatsächlich funktioniert. Das war natürlich vor allem ein Problem für die realsozialistischen Spionagefilme. Wenn man sich dort an den Konventionen des Genres orientierte, die es seit den 1960er Jahren gab, war die Konsequenz eine widersprüchliche Botschaft zu dem, was im Osten als die verbindlichen gesellschaftlichen Werte vermittelt werden sollte: eher ein Kollektivitätsideal, kein Individualitätsideal, Konsumverzicht usw.

Konrad Jarausch: Aber dadurch wird das Genre am Ende auch etwas beliebig! Dann sind die Feinde austauschbar. Das passiert später mit James Bond. Wenn der Kalte Krieg aufgrund von Vietnam und internen amerikanischen Auseinandersetzungen über Gleichheit der Rassen und Feminismus selbst problematisch wird, dann sind diese Arten von Gegenüberstellungen nicht mehr möglich! Dann gibt es nur noch den tollen Agenten, der die Menschheit rettet gegen irgendeine Krake, die nicht mehr genau definierbar ist – mal hat sie noch Nazizüge, mal hat sie japanische oder asiatische Züge. Dann sind wir allerdings an dem Punkt, wo das Genre auseinander fällt. [...]

Claudia Lenssen: Wenn wir die Einschätzungen von Herrn von Bülow noch einmal aufgreifen – die gegenseitige Blockierung der Geheimdienste, deren absolute Manipulationsfähigkeit auf unser aller Information – bedeutet dies, dass das Zeitalter des Agenten, der Züge eines Helden hat, der stellvertretend für uns den Durchblick hat, dass dieses Zeitalter zu Ende gegangen ist? Ist das Genre des Agentenfilms überhaupt noch attraktiv?

Oliver Baumgarten: Ich kann es nicht für die Realität sagen. Dafür kenne ich mich mit dem Agenten zu wenig aus, wobei ich mir schon vorstellen kann, dass es immer mehr Agenten geben wird, die Schreibtischarbeit leisten.

Claudia Lenssen: Ja, deren Rolle und ihre Arbeitsweise haben sich sicher verändert.

Oliver Baumgarten: Definitiv. Auch im Film. Dort ist die Zeit des klassischen Agenten durchaus vorbei! Man sieht sie kaum noch. Wenn man sich die Matt Damon-Filme The Bourne Identity anschaut, so sind das auf gewisse Weise Agentenfilme, aber sie konzentrieren sich auf ganz andere Dinge. Tatsächlich spricht aus diesen Filmen eher ein Misstrauen auf das Agentennetz der eigenen und auch der anderen Seite –

Claudia Lenssen: – es geht um absoluten Identitätsverlust.

Oliver Baumgarten: Es geht um Identitätsverlust, um Ängste und Befürchtungen, die letztlich wieder mit der Überwachung zu tun haben, wie 1960 in den Mabuse-Filmen. Da schließt sich ein Kreis.

Claudia Lenssen: Wir haben uns darüber unterhalten, dass das Genre des Agentenfilms vor dem Hintergrund der Blockade zweier Systeme entstanden ist. Inzwischen haben sich die geopolitischen Situationen grundsätzlich verschoben. Heute könnte man spekulativ einen chinesischen Superagenten oder einen indischen Hacker, der den Cyberkrieg von seinem Laptop aus in Gang setzt, erfinden. Es haben sich sowohl die Technologien verändert als auch, denkt man an die Atommächte, die Machtfragen in der Welt verschoben. Ist das Zeitalter des Agenten als einer kulturellen Repräsentationsfigur vorüber? Was meinen Sie, Herr Jarausch?

Konrad Jarausch: Es hat zumindest seine Gestalt grundsätzlich geändert. Ein guter Indikator ist das, was ich Airplane Fiction nenne, jene Paperbacks, die bei transatlantischen Flügen an den Ständen verkauft werden.

Claudia Lenssen: Airplane Fiction?

Konrad Jarausch: Ja, Airplane Fiction. Früher hatten sie Hakenkreuze auf dem Cover. Man konnte jeden Schrott hineintun. Solange es ein Hakenkreuz hatte, wurde es verkauft. Später hatten sie Hammer und Sichel oder einen Sowjetstern. Dann diffundierten die Plotstrukturen aber sehr stark, jetzt gehen sie in die verschiedensten Richtungen. Verschwörungen gibt es endlos, angefangen vom Da Vinci Code hin zu Fanatismen, Konflikten der Kulturen mit Muslimen, Attentäterplots oder Wirtschaftsplots, die eher mit Chinesen oder Indern zu tun haben. Die Eindeutigkeit ist verschwunden. Was weiterhin bleibt, ist die Attraktion des Geheimnisses, der Gefahr und der Gewalt – das sind meine drei G's der Spionagefilme. Aber sie müssen jeweils eine andere Gestalt annehmen.

Oliver Baumgarten: Sie sprechen Elemente an, die auch andere Genres, vielleicht sogar manchmal klarer, bedienen, z. B. der Kriminalfilm.

Claudia Lenssen: Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Wir haben ein breites Spektrum besprochen. Die Entwicklungen der nächsten Jahre werden zeigen, ob der Agent im Kino als eine Reminiszenz weiter leben wird oder ob neue Formen, neue Helden entstehen werden.

Transkribiert von Mirko Wiermann