Die Arbeitsmarktperspektiven von Geflüchteten: Rechtliche Bedingungen, Qualifikationen und die Rolle der ArbeitgeberInnen
Die Integration in den Arbeitsmarkt gilt als Hinweis, wie sich die Fluchtzuwanderung nach Deutschland langfristig auswirkt. Welche Qualifikationen bringen seit 2013 nach Deutschland eingereiste Geflüchtete mit? Wie verläuft bislang ihre Arbeitsmarktintegration? Ein Überblick.Im Zuge der gestiegenen Fluchtzuwanderung nach Deutschland werden die Arbeitsmarktperspektiven von Geflüchteten kontrovers diskutiert. Die Standpunkte reichen von optimistischen Ansätzen, die Möglichkeiten zum Ausgleich des Fachkräftemangels sehen, bis hin zu Vermutungen, dass die Mehrheit der Geflüchteten funktionale Analphabeten seien, deren Integration in den Arbeitsmarkt kaum gelingen könne. Vor diesem Hintergrund gehen wir in diesem Beitrag der Frage nach, wie es den seit 2013 nach Deutschland Geflüchteten in Bezug auf ihre Arbeitsmarktintegration bislang ergangen ist. Dabei stehen drei Faktoren im Fokus des Beitrags: Die rechtlichen Bedingungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt, die Qualifikationen der Geflüchteten sowie die Rolle der ArbeitgeberInnen.[1] Dabei beziehen wir uns vor allem auf Ergebnisse einer Befragung von Geflüchteten, die vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) durchgeführt wurde und erstmals umfassende und repräsentative Daten zu volljährige Personen liefert, die zwischen 2013 und 2016 in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt haben. Befragt wurden Mitte 2016 etwa 4.600 Erwachsene, die 2013 oder später in Deutschland angekommen sind.[2]
Rechtliche Zugangsbedingungen
In der Vergangenheit dauerte der Arbeitsmarkteintritt von Geflüchteten im Durchschnitt länger als bei anderen Zuwanderergruppen.[3] Die rechtlichen Zugangsmöglichkeiten Geflüchteter zum deutschen Arbeitsmarkt waren begrenzt und standen bei Arbeitsmarktexperten unter Verdacht, den Arbeitsmarkteintritt zu verlangsamen oder gänzlich zu verhindern. Daher wurden in den letzten Jahren unter anderem im Zuge des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes 2015 und des Integrationsgesetzes 2016 rechtliche Grundlagen geschaffen, um die Arbeitsmarkteinbindung von Geflüchteten zu erleichtern. In der Vergangenheit bestanden längere Wartefristen und phasenweise Arbeitsverbote für Geflüchtete.[4] Nach den aktuellen Reformen entscheiden insbesondere der Aufenthaltsstatus und das Herkunftsland über die Möglichkeiten von Geflüchteten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Geflüchtete, denen im Asylverfahren eine Schutzform (Asylberechtigung, Flüchtlingsstatus, subsidiärer Schutz) zugesprochen wurde, haben eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis. Auch Menschen, die aufgrund eines Abschiebungsverbots vorübergehend in Deutschland bleiben dürfen, und Menschen aus nicht sicheren Herkunftsländern, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, können von der Ausländerbehörde eine Genehmigung zur Ausübung einer Beschäftigung erhalten. Bei Geflüchteten aus sicheren Herkunftsländern, die ihren Asylantrag nach dem 31. August 2015 gestellt haben, besteht ein Beschäftigungsverbot, auch wenn sie eine Duldung erhalten. Somit haben sich seit 2015/16 die rechtlichen Möglichkeiten des Zugangs zum Arbeitsmarkt für den Großteil der Geflüchteten verbessert. Dies gilt auch für Personen, die zwar weder eine Asylberechtigung noch den Flüchtlingsstatus erhalten, jedoch in absehbarer Zeit nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können.Qualifikationen von Geflüchteten aus dem Herkunftsland
Die Mehrheit der erwachsenen Geflüchteten hat ihre Bildungs- und Berufsqualifikationen im jeweiligen Herkunftsland erworben. Bei solchen im Ausland erworbenen Qualifikationen besteht das Risiko, dass sie mit der Einreise nach Deutschland entwertet werden. Ob ausländische Abschlüsse und Zertifikate in Deutschland eingesetzt werden können, hängt davon ab, ob sie anerkannt und somit als gleichwertig mit deutschen Abschlüssen betrachtet werden.[5]Die IAB-BAMF-SOEP-Daten zeigen ein kontrastreiches Bild vom Bildungs- und Ausbildungsniveau erwachsener Geflüchteter (siehe Tabelle): Einem vergleichsweise hohen Anteil an Personen, die gar keine Schule (13 Prozent) oder höchstens die Grundschule (12 Prozent) besucht haben, stehen 40 Prozent gegenüber, die eine weiterführende Schule besucht haben. Während sich der Abschluss von vier Prozent nicht zuordnen lässt, haben 31 Prozent eine Mittelschule abgeschlossen, was in etwa einem Haupt- oder Realschulabschluss entspricht.[6] Teilweise bestehen sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Herkunftsgruppen: Geflüchtete aus Syrien, Iran und der ehemaligen Sowjetunion stechen durch ein besonders hohes durchschnittliches Bildungsniveau hervor, während das Gegenteil auf Geflüchtete insbesondere aus Afghanistan, Somalia und Eritrea zutrifft.[7]
Verteilung Schulabschlüsse
Höchster Bildungsabschluss | Anteil in Prozent |
---|---|
Kein Schulabschluss | 13 |
Grundschule | 12 |
Mittelschule | 31 |
Weiterführende Schule | 40 |
Sonstiges | 4 |
Gesamt | 100 |
- Anmerkung: Die Erfassung von ausländischen Bildungsabschlüssen gestaltet sich generell sehr schwierig, da sich die Bildungssysteme der Herkunftsländer voneinander unterscheiden und die Bildungsabschlüsse sich nicht ohne Weiteres auf das deutsche Bildungssystem übertragen lassen. Die Kategorie "Mittelschule" umfasst im Durchschnitt neun bis zehn Bildungsjahre, während mit der Kategorie "weiterführende Schule" Bildungsgänge gemeint sind, die über die Mittelschule hinausgehen und im Durchschnitt 12 Jahre dauern. Vier Prozent der Befragten konnten ihren Abschluss keiner der aufgeführten Kategorien zuordnen und werden in der Tabelle als "Sonstiges" aufgeführt.[8]
In den meisten Ländern werden berufliche Qualifikationen vor allem über praktische Erfahrungen im Beruf erworben und nicht, wie in Deutschland üblich, im Rahmen beruflicher Ausbildungen. Es ist daher wenig überraschend, dass nur ein geringer Anteil der Befragten in der IAB-BAMF-SOEP-Erhebung angibt, im Herkunftsland eine betriebliche Ausbildung beziehungsweise berufliche Schule abgeschlossen zu haben. Eine mit Deutschland vergleichbare Form der beruflichen Ausbildung findet in vielen Ländern an (Fach-)Hochschulen statt, die etwa von einem Fünftel der Befragten in ihrem Herkunftsland besucht wurden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Mehrheit der Geflüchteten keine formale berufliche Ausbildung im Herkunftsland abgeschlossen hat. Allerdings stellen informell erworbene Qualifikationen bei Zugewanderten durchaus Potenziale für den deutschen Arbeitsmarkt dar. So verfügt die Mehrheit der erwachsenen Geflüchteten über Berufserfahrung und damit Fertigkeiten, die sie sich über On-the-job-Training angeeignet hat. Rund 70 Prozent aller Befragten waren bereits im Herkunftsland berufstätig. Hier ist jedoch ein starkes Geschlechtergefälle zu beobachten: Waren nur rund 45 Prozent der Frauen vor ihrer Ankunft in Deutschland erwerbstätig, sind es bei den Männern 80 Prozent.[9]
(Weiter-)Qualifizierungsmöglichkeiten in Deutschland
Neben dem Nachholen von Bildungs- und Berufsqualifikationen können allgemeine Weiterqualifizierungsmaßnahmen in Form von Sprachkursen oder spezifischen berufsbezogenen Kursen die Chancen auf eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration erhöhen. Um die Integration von Geflüchteten in Deutschland zu fördern, wurden mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (2015) und dem Integrationsgesetz (2016) Möglichkeiten für einen schnelleren Zugang zu Sprachkursen geschaffen. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass ein gewisses Sprachniveau als Voraussetzung für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Niedererlassungserlaubnis), die anerkannte Flüchtlinge in der Regel nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland erhalten können, gilt. Demnach können AsylbewerberInnen und Geduldete mit guter Bleibeperspektive [10] sowie aufenthaltsberechtigte Geflüchtete ohne den Ablauf einer Frist abwarten zu müssen direkt an einem Integrations- und Sprachkurs teilnehmen, sofern entsprechende Kapazitäten in diesen Kursen vorhanden sind. Den Ergebnissen der IAB-BAMF-SOEP-Befragung zufolge besaß der Großteil der zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland eingereisten Geflüchteten bei der Ankunft keine Deutschkenntnisse. Da Sprache als Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Integration gilt, sind positive Effekte des Kursbesuchs auf die Arbeitsmarktperspektiven von Geflüchteten zu erwarten.Perspektive der ArbeitgeberInnen
Laut einer Studie der Sächsischen Industrie- und Handelskammer, für die im Jahr 2015 2.582 IHK-Unternehmen befragt wurden, schätzen größere Unternehmen die Fluchtzuwanderung eher als eine Chance für ihren Wirtschaftszweig ein als kleinere Unternehmen.[11] Dabei wurden Geflüchtete in der Vergangenheit vor allem in kleinen Unternehmen beschäftigt.[12] Den Zugang zu den Unternehmen erhalten sie eher über Brückentätigkeiten wie Praktika und Ausbildungen als über ein unmittelbares Arbeitsplatzangebot.[13] ArbeitgeberInnen in Westdeutschland können sich eher vorstellen, Geflüchtete zu beschäftigen, als UnternehmerInnen in Ostdeutschland. [14] Auch zeichnen sich zwischen den Wirtschaftszweigen deutliche Unterschiede in der Bereitschaft, Geflüchtete einzustellen, ab. So geben ArbeitgeberInnen aus dem Gastgewerbe häufiger als solche aus anderen Branchen an, Geflüchtete in ihrem Unternehmen einzustellen und schätzen die Möglichkeit, dass Geflüchtete den Fachkräftemangel in ihrer Region ausgleichen könnten, mit Abstand am höchsten ein.[15]Als Hürden für die Beschäftigung von Geflüchteten stehen für ArbeitgeberInnen an erster Stelle sprachliche Barrieren sowie fehlende Qualifikationen. Die rechtlichen Bedingungen, die bei der Einstellung von Geflüchteten beachtet werden müssen, schaffen auf Seiten der ArbeitgeberInnen zusätzlich Unsicherheiten und erhöhen den administrativen Aufwand bei Einstellungen.[16]
Empirischer Blick auf die Erwerbsbeteiligung und die Erwerbschancen von Geflüchteten
Unter den Befragten der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten in Deutschland im Alter von 18 bis 65 Jahren waren etwa fünf Prozent der weiblichen und 15 Prozent der männlichen Geflüchteten in irgendeiner Form in den deutschen Arbeitsmarkt eingebunden, z.B. über Vollzeitbeschäftigungen, Praktika oder Ausbildungen.[17] Welche Faktoren fördern die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir auf Basis der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten eine eigene Auswertung vorgenommen. Die im folgenden berichteten Zahlen beziehen sich auf Personen zwischen 18 und 65 Jahren, die einen Aufenthaltstitel besitzen, der den Eintritt in den Arbeitsmarkt erlaubt und die zwischen 2013 und Januar 2016 in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt haben.Zum einen hat das Geschlecht Auswirkungen auf die durchschnittliche Erwerbswahrscheinlichkeit.[18] Werden Männer und Frauen mit ähnlichen Merkmalen verglichen, wie z.B. ein ähnliches Qualifikationsniveau, Alter und vergleichbare Deutschkenntnisse, so zeigt sich, dass männliche Geflüchtete statistisch betrachtet im Durchschnitt eine um sieben Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit als weibliche Geflüchtete haben, erwerbstätig zu sein.