Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Dokument 2.3 Ein Appell und offener Brief an die sowjetischen Wissenschaftler. Gewidmet der Wiedergeburt der deutschen Nation in der UdSSR, 1982 | Russlanddeutsche | bpb.de

Russlanddeutsche Geschichte Von der Anwerbung unter Katharina II. bis 1917 Nationalitätenpolitik gegenüber der deutschen Minderheit in der Sowjetunion von 1917 bis zur Perestrojka Die "Deutsche Operation" Geschichte der Russlanddeutschen ab Mitte der 1980er Jahre Vom Kolonisten in Russland zum Bundesbürger Ankunft in Friedland Vor 100 Jahren: Gründung der Arbeitskommune der Wolgadeutschen Leben und Kultur der Deutschen im Ural und Sibirien nach der Deportation Leben und Kultur der Deutschen in der Kasachischen SSR nach der Deportation Kultur und Gesellschaft Spätaussiedler, Heimkehrer, Vertriebene Identität und Ethnizität Russlanddeutsche Migrationsgeschichte in kulturhistorischer Perspektive Russlanddeutsche in den bundesdeutschen Medien Russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler in russischen Medien Russlanddeutsche Literatur Postsowjetische Migranten in Sozialen Netzwerken Russlanddeutsche Alltagsgeschichte Der "Fall Lisa" Russlanddeutscher Samisdat Abschnitt I: Einführung A. Deutsche Dissidenten, Oppositionelle und Nonkonformisten im sowjetischen Unrechtsstaat (1950er–1980er Jahre) B. Russlanddeutscher Samisdat und das Umfeld seiner Entstehung C. Anmerkungen zu den Quellen Abschnitt II: Quellenteil Teil 1: Der Kampf um die Autonomie und für nationale und bürgerliche Gleichberechtigung Teil 2: Intellektueller Samisdat Teil 3: Kampf um die Ausreise aus der UdSSR nach Deutschland (BRD und DDR) Teil 4: Künstlerische und volkskundliche unzensierte Werke Abschnitt III: Lebensläufe einiger nonkonformer Aktivisten und Dissidenten Erich (Erhard) Abel Therese Chromowa Eduard Deibert Wjatscheslaw Maier Andreas (Andrej) Maser Ludmilla Oldenburger Friedrich Ruppel Friedrich Schössler Konstantin Wuckert Abkürzungsverzeichnis Redaktion

Dokument 2.3 Ein Appell und offener Brief an die sowjetischen Wissenschaftler. Gewidmet der Wiedergeburt der deutschen Nation in der UdSSR, 1982

/ 22 Minuten zu lesen

Flugblatt Nowosibirsker Dissidenten1983. (© Privatsammlung Andreas Maser (München))

Sehr geehrte Wissenschaftler der Sowjetunion!

Wir appellieren an Sie, an die Erben von Laurentius Blumentrost, Leonhard Euler, Gerhard Müller, Denis Fonwisin, Adam Krusenstern, die Brüder Kiuchelbekkerov, Vladimir Dal, Alexander Herzen, Eduard Toll, Alexander Block!

Wir bitten Sie, unser Ersuchen für die Einrichtung eines Forschungsinstituts für Geschichte, Ethnographie, Kultur, Sprache und Literatur der Deutschen der UdSSR zu unterstützen. Das betreffende Institut wird dazu dienen, unsere nationale Gleichberechtigung wiederherzustellen und die Freundschaft und das gegenseitige Verständnis zwischen den Völkern unseres Landes zu festigen. Ähnlich wie in den fernen Zeiten von Peter [des Großen], in denen die deutschen Wissenschaftler die Russländische Akademie der Wissenschaften zu gründen verhalfen, so hegen wir die Hoffnung, dass Sie, Wissenschaftler unseres Landes, uns eine helfende Hand bei der Schaffung des Instituts reichen würden. Die Entscheidung über deren Einrichtung wäre ein großer Tag für unser Volk am Vorabend des 60. Jahrestages der UdSSR!

Wir können dazu mitteilen, dass ein Teil der Mittel für die Einrichtung des Instituts sowohl durch Spenden der Deutschen der UdSSR als auch durch Appelle an die aus Russland und der Sowjetunion stammenden Deutschen erworben werden können, die in Westeuropa, den USA, Kanada, Argentinien, Uruguay, Australien und in anderen Ländern der Welt leben und schon jetzt die deutsche Bevölkerung unseres Landes zahlenmäßig übertreffen. In der Vergangenheit haben sie bei der Entstehung der deutschen Autonomie in der UdSSR tatkräftig mitgeholfen.

Kopien unseres offenen Briefes sind auch an die Nationen, Völkerschaften und ethnischen Gruppen der Russischen [Russländischen] Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik verschickt worden, in deren einträchtigen Völkerfamilie sich bis zum 28. August 1941 die ASSR der Wolgadeutschen befand.

[Verfasser: Konstantin Asmus, Viktor Axt,
Wjatscheslaw Maier, Christian Ramchen,
Nowosibirsk 1982]

Der Wiedergeburt der deutschen Nation in der UdSSR gewidmet

OFFENER BRIEF AN DIE WISSENSCHAFTLER DER SOWJETUNION

An den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften (AdW) der UdSSR,
Akademiemitglied ALEKSANDROW A. P.
An den Präsidenten der AdW der Kasachischen SSR
An den Präsidenten der AdW der Kirgisischen SSR
An den Vorsitzender der Sibirischen Abteilung der AdW der UdSSR, Akademiemitglied KOPTJUG W. A.
An den Generalsekretär des ZK der KPdSU, den Vorsitzenden des Präsidiums
des Obersten Sowjets der UdSSR, BRESCHNEW L. I.
An den ersten Sekretär des Nowosibirsker Gebietskomitees der KPdSU,
FILATOW A. P.
An den Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Gebiets Nowosibirsk,
FILATOW V. A.

Wir, deutsche Sowjetbürger, appelliere an Sie, Wissenschaftler der Sowjetunion, mit der Bitte um aktive Unterstützung bei der Errichtung eines Forschungsinstituts für Geschichte, Ethnographie, Kultur, Sprache und Literatur der Deutschen der UdSSR an der Sibirischen Abteilung der AdW der UdSSR.

Die deutsche Nation unseres Landes nimmt mit 1 Million 936 Tausend Menschen unter den Völkern der UdSSR den 14. Platz ein. Sie belegt [nach ihrer Größe] den dritten Platz in der Kasachischen SSR, den fünften in der Kirgisischen SSR, und in vielen Gebieten, Rayons und Städten Sibiriens den zweiten-vierten Platz. Aber sie befindet sich immer noch in einer nicht gleichberechtigten Situation. Die Deutschen der UdSSR haben übrigens kein einziges Forschungsinstitut, keine einzige wissenschaftliche Abteilung für das Studium der Sprache, Kultur und Geschichte, während bei den anderen Völkern der UdSSR solche vorhanden sind. Für die 353 Tsd. Burjaten, die in der UdSSR lebten [nach der Volkszählung 1979] wurde zum Beispiel das Burjatische Institut für Gesellschaftswissenschaften gegründet; an der Orientabteilung [beim Präsidium] der AdW der Kirgisischen SSR existiert eine Unterabteilung für Dunganen-Studien (in der UdSSR leben 52 Tsd. Dunganen ); in Ulan-Ude [Hauptstadt der Burjatischen ASSR] existiert ein Museum für orientalische Kultur usw. Die Geschichte der Deutschen auf dem Territorium der UdSSR sollte erforscht und nicht totgeschwiegen werden. Sie ist voller Tragik und ist organisch[d.h. eng verbunden oder eine Einheit bildend] mit der Geschichte des russischen Volkes verbunden. Seit mehr als zwei Jahrhunderten trugen die Deutschen zusammen mit anderen Völkern alle Prüfungen und Nöte mit, die Russland heimsuchten. Aber sie hatten auch ihren eigenen bitteren Kelch des historischen Leidens nicht nur einmal bis zur Neige geleert.

Verehrte Genossen, wir weisen noch einmal darauf hin, dass die Deutschen, die im vorrevolutionären Russland jahrhundertelange Erfahrung der Selbstverwaltung hatten und in den ersten Jahrzehnten der Sowjetmacht ihre nationale Staatlichkeit [d.h. eine autonome Republik] bekamen, die die Leibeigenschaft nie kannten, paradoxerweise zu Sonderübersiedlern und Sondersiedlern geworden sind! Und wir, die Söhne des Volkes, das jahrhundertelang in vorbehaltloser Achtung vor Recht [und Gesetz] und vor staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen erzogen wurde, bekamen erst ab 1972 die Berechtigung, im europäischen Teil der UdSSR zu leben.

Zugegebenermaßen verbessert sich momentan [sehr] langsam die Lage der Deutschen in der UdSSR. Nicht zuletzt liegt das an der persönlichen Zivilcourage sowohl der einzelnen Deutschen als auch Personen anderer Nationalitäten, die das Wesen des deutschen Problems in der UdSSR erkennen und ausdrücken konnten. Fortschritte in dieser Hinsicht könnten und sollten jedoch sichtbar werden, deshalb sehen wir uns verpflichtet, nicht nur einzelne Mängel festzustellen, sondern die ganze Wahrheit [über die Lage der Deutschen] zu sagen, um konstruktive Entscheidungen zu treffen.

Den Deutschen wurde der Status eines sowjetischen Volkes noch immer nicht wiederhergestellt. Wir fehlen in den meisten Verzeichnissen der Nationen, Nationalitäten und ethnischen Gruppen, die in der UdSSR leben. Als Beweis dafür kann die fünfbändige Ausgabe "Sprachen der Völker der UdSSR" dienen, herausgegeben zum 50. Jahrestag der Sowjetmacht. […] In den publizierten Ergebnissen der letzten Volkszählung im Jahr 1979 ("Bevölkerung der UdSSR", 1980), ist zwar die Gesamtzahl der Deutschen [in der UdSSR] mit 1 Mio. 936 Tsd. angegeben (S. 24), aber sie fehlen bei der Aufschlüsselung auf der Ebene der [Unions- und autonomen] Republiken, Regionen und Gebieten (S. 27-30). Zum Beispiel in der Kasachischen SSR leben ungefähr eine Million Deutsche, aber man "vergaß" es zu erwähnen. Diese Situation macht vergleichende Untersuchungen praktisch unmöglich, behindert das Monitoring der sozio-demographischen Entwicklung der deutschen Nation in der UdSSR.

Nach wie vor wird gegen die Deutschen eine sprachlich-kulturelle Diskriminierung praktiziert. Seit 1764, dem Jahr der Ankunft der deutschen Kolonisten in Russland, und bis 1941 erschienen nur in unserem Land [d.h. im Russischen Reich und in der UdSSR] mehr als 1 500 Titel aller Arten von Literatur: Monographien, Studien, Aufsätze und Zeitschriftenartikel auf Russisch und Deutsch. Von 1941 bis 1955 wurde kein einziges Buch und keinen Aufsatz über die Deutschen der UdSSR veröffentlicht. Seit 1956 und bis zum heutigen Tag erschienen vier Bücher zu einigen Teilbereichen der Geschichte der Deutschen in Russland und in der UdSSR. Das sind zwei Bücher über Deutschbalten und zwei Broschüren über Deutsch-Mennoniten.

[…]
Wenn es vor dem Krieg 38 deutsche Zeitungen gab (allein in Sibirien erschienen drei Zeitungen in deutscher Sprache), so gibt es heute nur noch drei Zeitungen […] 1980 begann das Deutsche Theater [richtig: Dramatheater] in Temir-Tau (60 km von Karaganda) zu arbeiten. Es ist jämmerlich, dass seit mehreren Jahren in keinem Gebietszentrum in der RSFSR, in Kasachstan und Kirgisien einen Platz [d.h. Bühnenhaus] für das deutsche Theater gefunden werden konnte. […] In der UdSSR gibt es außer einem kurzen Filmstreifen über die Neuland-Traktoristin N[atalie] Gellert keinen einzigen Spiel- oder Dokumentarfilm über das Zwei-Millionen-Volk, es gibt kein einziges Kinderbuch über die Deutschen der UdSSR.

[…]
Das Fehlen an zuverlässigen und detaillierten Statistiken macht es unmöglich zu erfahren, wie viele Wissenschaftler, Ingenieure, Studenten unter den Deutschen sind, wie viele deutsche Schulen [d.h. Schulen mit dem Unterricht der Muttersprache einige Stunden in der Woche] existieren. Über die Deutschen der UdSSR werden keine bibliographischen und namentlichen Verzeichnisse oder Nachschlagewerke zusammengestellt. In keiner Bibliothek in den Städten und Rayonszentren, in denen die deutsche Bevölkerung kompakt lebt, gibt es Vorkriegs- und vorrevolutionäre Literatur über die Geschichte und Kultur der Deutschen im Land [d.h. im Russischen Reich und in der UdSSR]. Sogar in Bibliotheken in Moskau, Leningrad, Saratow und Odessa wird der größte Teil dieser Literatur in Sondermagazinen verwahrt, für deren Nutzung besondere Genehmigungen und Zugangsberechtigungen erforderlich sind.

[…]
Über die Geschichte der Deutschen in Russland und in der UdSSR ist seit 1938 kein einziges Buch in deutscher oder russischer Sprache veröffentlicht. Zur gleichen Zeit erschienen gründliche Monographien über armenische und estnische Kolonisten [in russischer Sprache] (siehe V.A Maamjagi: "Estnische Ansiedler in der UdSSR 1917-1940"; V.R Grigorjan: "Geschichte der armenischen Kolonien in der Ukraine und in Polen (Armenier in Podolien)" 1980). Zwar gibt es in den sowjetdeutschen Zeitungen manchmal einige verstümmelte historische Notizen, die jedoch die letzten fünfzig Jahre zu beleuchten vermeiden. Die Bezeichnung "ASSR der Wolgadeutschen" ist aus den historischen und ethnographischen Studien, aus der schöngeistigen Literatur und Publizistik verbannt worden. Auch über die vor dem Krieg existierten deutschen [nationalen] Rayons und über 741 nationale deutsche Dorfräte verliert man kein einziges Wort. […]

Direkt oder indirekt wird das Ziel verfolgt, aus der Geschichte jeglichen Hinweis auf die Deutschen zu entfernen; zu ihnen wird nichts in historisch-geografischen und landeskundlichen Darstellungen solcher Republiken, Gebiete und Regionen geschrieben, wo sie einst gelebt haben oder jetzt wohnhaft sind. Über mehrere hunderttausend Menschen zählende deutsche Bevölkerung gibt es keine Angaben in der fünfbändigen [akademischen] "Geschichte Sibiriens" (1968-1969), in der "Geschichte der Ukrainischen SSR" (2 Bände 1969), der "Geschichte der Kirgisischen SSR" (2 Bände, 1968). In der fünfbändigen Ausgabe "Geschichte der Kasachischen SSR" (Alma-Ata 1977-1980) ist kein einziger Deutscher, Held der Sozialistischen Arbeit, keinen einzigen Namen eines deutschen Arbeiters, Schriftstellers oder Wissenschaftlers erwähnt. Nur im fünften Band auf der Seite 625 hieß es, dass "im Jahr 1971 beim Schriftstellerverband Kasachstans ein Rat für die sowjetdeutsche Literatur gegründet wurde, dem bereits 1976 30 deutsche Schriftsteller der Republik gehörten."

[…] Die in 22 Bänden vor kurzem erschienene Ausgabe "Sowjetunion" ("Sovetskij Sojuz". Moskau: Mysl, 1967-1972) schenkt den Deutschen nur drei Sätze, die auf der Seite 118 des Bandes "Sowjetunion. Kasachstan" stehen. Wir geben sie vollständig wieder:

Es gibt viele Deutsche im Norden und Süden der Republik sowie im Gebiet Karaganda. Sie tauchten in Kasachstan vorerst Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auf, aber der größte Teil hat sich hier in den 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts und während des Vaterländischen Krieges [1941–1945] niedergelassen. Die Deutschen sind bekannt für hohe Kultur des Ackerbaus, der Milchwirtschaft und der Butterherstellung.

Und in anderen Bänden dieser Reihe gibt es nicht einmal solche Informationen.

Bisher ist die Heldentat der deutschen Trudarmisten während des Vaterländischen Krieges noch nicht beschrieben worden. Davon, dass auf den Schultern der Deutschen Sibiriens und Kasachstans die Schwierigkeiten der Erschließung der Neu- und brachliegenden Ländereien – lange bevor der unionsweite Appell ausging – lagen, kann der sowjetische Leser nur "erahnen". Und das erst beim vorhandenen Wunsch und einer gewissen Geübtheit im Lesen [d.h. zwischen den Zeilen lesen können], wenn er "plötzlich" auf Seiten der Großerzählung von Wladimir Tschiwilichin "Über dem Meeresspiegel" unter den Neuland-Ansiedlern auf zwei deutsche Nachnamen stößt.

[…]
Was könnte man beim Lesen der modernen Prosa über uns, Deutsche der UdSSR, "erfahren"? Der angehende Schriftsteller Juri Geiko hat in seinem spannenden, auf authentische psychologische und Alltagsbeobachtungen aufgebauten Roman "Saiga-Antilope" im Vorbeigehen einen Stammbaum der fast eine Million Menschen zählende deutsche Bevölkerung in Kasachstan und Zentralasien "rekonstruiert". Sie sind, so stellt sich heraus, "die Nachkommen der im letzten Krieg gefangenen und hier sich niedergelassenen Deutschen..." Was ist das: eine dem jungen Debütanten verzeihliche Naivität oder Unwissenheit oder ist es die Rücksichtnahme auf die Zensur?! In jedem Fall eine bemerkenswerte Tatsache. […]

Wir haben keine historischen und ethnographischen Museen und keine Abteilungen in den regionalen Museen, die der Geschichte, Kultur und Kunst der Deutschen gewidmet sind. Es werden keine historischen Karten, Alben und Postkarten mit Ansichten von katholischen und protestantischen Kirchen herausgegeben, während die Abbilder von orthodoxen Kathedralen in fast jedem Kiosk "Sojuspetschat" [Verkaufsstand zum Vertrieb v.a. der Periodika u.a. Druckerzeugnisse] erworben werden konnten. Außer an den Wänden einzelner lutherischer und baptistischer Bethäuser in Sibirien und Kasachstan findet man sonst keine Inschriften in deutscher Sprache. Die fehlt auch an Siegeln und Vordrucken in den deutschen Kolchosen und Sowchosen, auf den Aushängetafeln der Institutionen. Selbst wenn über die Deutschen geschrieben wird, wird nicht erwähnt, dass sie Deutsche sind. So wird zum Beispiel im Beitrag [der Journalistin Nadeshda] Prochorowa "Hier bin ich geboren und hier lebe ich" der Held der sozialistischen Arbeit, Abgeordneter des Obersten Sowjets der UdSSR und Vorsitzender der deutschen Kolchose im Dorf Podsosnowo Friedrich Friedrichowitsch Schneider als Mensch ohne nationale Eigenschaften dargestellt. In der UdSSR stößt die Formierung der deutschen schöpferischen Intelligenz auf starke Hindernisse. Da sie einen der letzten Plätze nach der Zahl der Menschen mit akademischer Bildung pro 1 000 Personen ihrer Nationalität belegen, nehmen die Deutschen an vielen Bereichen des geistigen und kulturellen Lebens des Landes nicht teil. […] Außer seinen direkten, für die Wiederbelebung unserer Nation extrem wichtigen Funktionen kann und soll das von uns vorgeschlagene Forschungsinstitut für Geschichte, Ethnographie, Kultur, Sprache und Literatur der Deutschen der Sowjetunion die Grundlage zur Bündelung und Aufbau des nationalen wissenschaftlich-kulturellen Potenzials bilden.

Die Deutschen der UdSSR haben keine einzige politische, kulturelle und religiöse Vertretung. Dies führt dazu, dass niemand die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen artikuliert. Sie finden keine Unterstützung in Präsidien des Obersten Sowjets der UdSSR, der RSFSR, der Kasachischen SSR, der Kirgisischen SSR, in Gebietskomitees [der Partei] und in -exekutivkomitees. Dutzende von Delegationen in [dem Zeitraum von] einem Vierteljahrhundert kehrten faktisch mit leeren Händen zurück.

[…]
In der UdSSR gibt es keine deutschen Vereine, Kongresse, Landsmannschaften, Versorgungskassen und andere gesellschaftliche Organisationen. In dem Land, in dem zwei Millionen Menschen zählende deutsche Bevölkerung zu Hause ist, werden keine deutschen nationalen Feiertage begangen, keine Festivals deutscher Volkslieder und keine Karnevalsumzüge durchgeführt. Es finden keine Umfragen und Referenden über nationale Probleme statt. Derartige Forderungen seitens der Vertreter des deutschen Volkes der UdSSR, die der Verfassung der UdSSR und den Prinzipien der Leninschen Nationalitätenpolitik nicht widersprechen, werden als Ausdruck des Nationalismus angesehen und [strikt] unterbunden. Die Bestrebungen der Deutschen, die Autonomie als Voraussetzung der Gleichheit und der nationalen Entwicklung wiederherzustellen, werden seit einem Vierteljahrhundert von dem Präsidium des Obersten Sowjets [der UdSSR] und dem Zentralkomitee der KPdSU nicht unterstützt. Man kommt nicht umhin, sich in diesem Zusammenhang an die Worte von W. I. [Wladimir Iljitsch] Lenin zu erinnern, die er noch im Jahr 1916 sagte: "...dass es Verrat am Sozialismus wäre, auf die Verwirklichung der Selbstbestimmung der Nationen im Sozialismus zu verzichten." (Lenin, Werke, Bd. 22, S. 327). Zur gleichen Zeit gibt es Fakten über antideutsche Aufmärsche und Demonstrationen: im Sommer 1979 wurden antideutsche Massenaktionen der Kasachen im Norden Kasachstans organisiert. In Zelinograd marschierten die Demonstranten durch die Stadt mit den Slogans: "Kasachstan ist unteilbar!", "Nieder mit der Deutschen Republik!"

Die Deutschen sind nicht auf den Ebenen der höchsten Staatsgewalt im Land vertreten. Sie sind nicht unter den Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Zentralkomitees der KPdSU, unter den Sekretären der Gebietskomitees der Kommunistischen Partei und der Gebietsexekutivkomitees, unter den Unionsministern, Diplomaten, Rektoren der Hochschulen und Universitäten, Kosmonauten usw. anzutreffen. Das Tragen eines deutschen Familiennamens ist in der Regel hinderlich für eine Karriere im Staatsdienst.

[…]
Die Deutschen der UdSSR haben kein Vertrauen in die [eigene] Zukunft, in die Zukunft ihrer Kinder. Die Ukase des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR aus dem Jahr 1964 und 1972 in Bezug auf die Deutschen sind bislang noch nicht in der Öffentlichkeit bekannt gemacht, und die vorherigen, uns verleumdenden Erlasse sind nicht annulliert. Die ungerechte Strafe ist nicht aufgehoben, die Republik nicht wiederhergestellt, und die [deutsche] Nation selbst befindet sich auf dem Weg der fortschreitenden Assimilation. Wiederholte Treffen der Abordnungen der deutschen Bevölkerung mit den Vertretern des Nowosibirsker Gebietsexekutivkomitees – dem stellvertretenden Vorsitzenden des Gebietsexekutivkomitees, F. Gluschkow, dem stellvertretenden Leiter der Instrukteurabteilung, V. Sawinych, und dem Instrukteur A. Belous haben deutlich gezeigt, dass für den Tod von 20 Millionen sowjetischen Menschen im Großen Vaterländischen Krieg [1941-1945] nach wie vor die Deutschen der UdSSR verantwortlich gemacht werden. Eine völlige Unkenntnis unserer Geschichte, unseres politischen und staatsbürgerlichen Selbstverständnisses!

Hoffentlich werden solche Vorurteile in den Köpfen der Menschen und insbesondere in denen der Funktionsträger bald überwunden sein. Man möchte diesen Abschnitt unseres Briefes mit den Worten von L[eonid] I[ljitsch] Breschnews schließen: "Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Probleme im Bereich der nationalen Beziehungen schon gelöst sind. Die Entwicklungsdynamik eines solchen großen multinationalen Staates wie des unsrigen schafft eine Menge Probleme, die eine feinfühlige Aufmerksamkeit von der Partei abverlangen."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der maschinengeschriebene Appell und der offene Brief befinden sich in den Ermittlungsunterlagen des politischen Prozesses gegen Wjatscheslaw Maier aus dem Jahr 1985: Gosudarstvennyj Archiv Novosibirskoj oblasti (GANO – Staatsarchiv des Gebiets Nowosibirsk), f. R-1027, op. 4, d. 1995, ll. 67-81 (Strafsache gegen W. Maier wegen des Verbrechens gegen die Verwaltungsordnung nach Artikel 190-1 des StGB der RSFSR). Dieser Brief war einer der Anklagepunkte gegen die vier Verfasser dieses Appels im Gerichtsverfahren, das 1982–1983 ebenfalls in Nowosibirsk stattfand. Der damalige Prozess und einige anderen mit ihm verbundenen Strafangelegenheiten, so gegen Alexander Till, der seit Ende der 1970ern in der Stadt studierte und im Kontakt mit Nowosibirsker Dissidenten stand, rief eine Solidaritätsbekundung in Westdeutschland hervor. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM mit Sitz in Frankfurt/M) etwa berichte regelmäßig darüber, u.a. in einem auflagestarken Flugblatt (siehe Bilder). Zu Wjatscheslaw Maiers ausführlicherem Vita siehe den Interner Link: Abschnitt III "Lebensläufe der nonkonformen Aktivisten".

  2. Laurentius Blumentrost (1692–1755), Leibarzt des Zaren Peter der Große und erster Präsident der Petersburger Akademie der Wissenschaft und Künste (heute Russländische Akademie der Wissenschaften) in den Jahren 1725 bis 1733.

  3. Leonhard Euler (1707–1783), bekannter Schweizer Mathematiker und Mechaniker, Mitglied der Petersburger AdW. In den Jahren 1726 bis 1741 und ab 1766 bis zu seinem Tod lebte er in Russland.

  4. Gerhard Friedrich Müller (1705–1783), deutscher Historiker und russländischer Historiograph, seit 1725 bis zu seinem Tod lebte er in Russland, Mitglied der Petersburger AdW.

  5. Denis Iwanowitsch Fonwisin (1745–1792), bekannter russischer Schriftsteller und Literat deutscher Herkunft aus dem deutschbaltischen Adelsgeschlecht von Wiesen.

  6. Adam Johann von Krusenstern (russisch: Iwan Fjodorowitsch Krusenschtern, 1770–1846), war berühmter russischer Seefahrer, Flottenadmiral und führte die erste russische Weltumseglung durch. Entstammte einem deutschbaltischen Adelsgeschlecht.

  7. Wilhelm Küchelbecker (Wilgelm Karlowitsch Kjuchelbeker, 1797–1846), russischer Poet, Person des gesellschaftlichen Lebens und enger Freund des Nationaldichters Alexander Puschkin, geboren in einer deutschen Familie in St. Petersburg. Sein Bruder, Michael Küchelbecker (1798–1859) war Marineoffizier. Beide nahmen an der Oppositionsbewegung gegen die Autokratie teil, die in einem Aufstand am 14 (26) Dezember 1825 gipfelte, daher der Name der Teilnehmer "Dekabristen" (nach der russischen Bezeichnung dieses Wintermonats: dekabr). Nach dem Scheitern wurden Brüder verhaftet, verurteilt und nach Sibirien verbannt. In der Sowjetunion hat man die Ideologie der Dekabristen und der Aufstand 1825 als Vorboten der zukünftigen revolutionären Umwälzungen ideologisch vereinnahmt. Die Teilnehmer galten als positive, fortschrittliche historische Personen.

  8. Wladimir Iwanowitsch Dal (auch Dahl, 1801–1872), russischer Schriftsteller, Ethnograph und Lexikograf, Autor des mehrbändigen "Bedeutungswörterbuchs der lebendigen, großrussischen Sprache", das sich bis heute nicht nur unter Linguisten großer Beliebtheit erfreut. Obwohl sein Vater ein Däne war, hielten ihn viele für einen "russischen" Deutschen.

  9. Alexander Iwanowitsch Herzen (1812–1870), russischer Publizist, Schriftsteller und Philosoph, Anhänger radikal-republikanischen Ideen. Er stand in der Opposition zu der russischen Autokratie. Sein leiblicher Vater war ein russischer Gutsbesitzer, aber er wurde von der deutschen Mutter erzogen, verhielt sich aber zu den "einheimischen" Deutschen, v.a. zu dem deutschbaltischen Adel als "Stütze des Regimes" sehr kritisch. Aufgrund seiner revolutionären Ansichten und Tätigkeit, v.a. in der Emigration, wurde er in der UdSSR hoch geschätzt.

  10. Eduard Gustav von Toll (russisch: Eduard Wassiljewitsch Toll, 1858–1902), russischer Geologe und Polarforscher deutschbaltischer Herkunft.

  11. Alexander Alexandrowitsch Block (1880–1921), berühmter russischer Poet, Schriftsteller, Übersetzer, Literaturkritiker, einer der führenden Vertreter des russischen Symbolismus. Väterlicherseits ist Block einer deutschen Abstammung, die auf den 1755 eingewanderten Arzt namens Johann Friedrich Block zurückgeht. Da er die bolschewistische Revolution 1917 grundsätzlich begrüßte, wurde er in der Sowjetunion viel verlegt und seine Gedichte gehörten in der Schule zur Pflichtlektüre.

  12. Am 30. Dezember 1922 wurden die Deklaration und der Vertrag über die Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unterzeichnet. Erstunterzeichner waren Russländische SFSR, Ukrainische SSR, Weißrussische SSR und Transkaukasische SFSR (bestehend aus Georgien, Armenien und Aserbeidschan), siehe dazu Faksimile (auf Russisch), Online: Externer Link: http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_ru&dokument=0004_uni&object=facsimile&st=&l=de

  13. Dabei handelte es sich vordergründlich um die Hilfe während der schrecklichen Hungerkatastrophen der Jahre 1921–22 und 1932–33, die die Wolgadeutschen – neben den anderen sowjetischen Völkern – erleiden mussten.

  14. Konstantin Asmus (1936), geboren im Dorf Oberdorf, ASSR der Wolgadeutschen, bis zu seiner Verhaftung am 17. Dezember 1982 Chef-Ingenieur am Institut für Organische Chemie der Sibirischen Abteilung (SO) der Akademie der Wissenschaften (AdW) der UdSSR im Nowosibirsker Akademiestädtchen (Akademgorodok). Er wurde zusammen mit drei weiteren "Komplizen" (Axt, Maier, Ramchen) als "nationalistisch Gesinnte" wegen der "Verleumdung des sowjetischen Staats- und Gesellschaftsordnung" am 10. Februar 1983 vom Volksgericht des Gebiets Nowosibirsk nach dem politischen Artikel 190, Teil 1 des Strafgesetzbuches der RSFSR zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. 1987 Übersiedelung nach Deutschland.

  15. Viktor Axt (1940), geboren in Moskau, wohin seine Eltern während der Hungersnot Anfang der 1930er Jahre aus der Wolgarepublik flüchteten. Bis zu seiner Verhaftung am 20 Dezember 1982 Ingenieur am Institut für Geologie und Geophysik der SA der AdW der UdSSR im Nowosibirsker Akademiestädtchen. Verurteil zu zwei Jahren Zwangsarbeit in der gleichen Strafsache mit Asmus u.a. 1988 Übersiedlung in die BRD.

  16. Christian Ramchen (manchmal: Reimchen, 1932), geboren in der Ortschaft Gorodok, Gebiet Tschernigow, Ukrainische SSR, bis zu seiner Verurteilung zu einem Jahr Zwangsarbeit in der gleichen Strafsache mit Asmus u.a. Unterabteilungsleiter eines Forschungsinstituts für Elektromechanik in der Stadt Nowosibirsk. Nach der Abbüßung der Strafe wieder in Nowosibirsk wohnhaft bis zur Übersiedlung 1988 in die BRD.

  17. Unterstrichen im Original. Steht an erster Stelle noch vor der Überschrift.

  18. Dunganen werden die in zentralasiatischen Staaten lebenden Chinesen muslimischen Glaubens genannt.

  19. Es ist die Rede vom Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 3. November 1972: "Über die Aufhebung der Einschränkungen in der Wahl des Wohnsitzes, die früher für einzelne Kategorien von Bürgern vorgesehen waren", darunter auch die der Deutschen, siehe den Text: Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee: Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956. Hgg. von Alfred Eisfeld, Victor Herdt. Köln 1996, S. 462–463, [Dok. 4.1], Online: Externer Link: http://www.russlanddeutschegeschichte.de/kulturarchiv/quellen/aufhebung.htm

  20. Jazyki narodov SSSR. V 5-ti tomach. Moskva: Nauka 1966–1968. Von der germanischen Sprachfamilie wurde lediglich das Jiddische als Sprache der Völker der UdSSR in diese akademische Edition aufgenommen.

  21. Naselenie SSSR: Po dannym vsesojuznoj perepisi naselenija 1979 goda [Bevölkerung der UdSSR. Nach Angaben der Allsowjetischen Volkszählung im Jahr 1979]. Moskva: Politizdat 1980. Online anzusehen (auf Russisch): Externer Link: http://www.sovetika.ru/sssr/nas79.htm Diese populäre Broschüre erschien in einer Auflage von 150 000 Expl. Erwähnungswert ist immerhin auch der Umstand, dass vier Jahre später die Ergebnisse dieses Zensus in einem wesentlich umfangreicheren statistischen Sammelband veröffentlicht wurden, in dem die Deutschen diesmal durchgehend in allen relevanten Republiken und administrativen Territorien zu finden waren. Allerdings hat man diesen Band in einer wesentlich geringeren Auflage – 20 000 Expl. – in einem Fachverlag herausgegeben: Čislennost‘ i sostav naselenija SSSR. Po dannym vsesojuznoj perepisi naselenija 1979 goda [Anzahl und Zusammensetzung der Bevölkerung der UdSSR. Nach Angaben der Allsowjetischen Volkszählung 1979]. Moskva: Finansy i statistika 1984, Online (russisch): Externer Link: http://istmat.info/files/uploads/17649/chislennost_i_sostav_naseleniya_sssr_1984.pdf

  22. Die Volkszählung 1979 registrierte in Kasachstan 900 207 Deutsche.

  23. Die Autoren meinten wohl folgende Titel:
    Duchanov M.: Ostzejcy. Politika ostzejskogo dvorjanstva v 50-70-ch gg. XIX v. i kritika ee apologetičeskoj istoriografii/2-e, pererab. izd. [Deutschbalten. Die Politik des deutschbaltischen Adels in den fünfziger bis siebziger Jahren des 19. Jh. und die Kritik ihrer apologetischen Geschichtsschreibung. 2., überarb. Aufl.].
    Riga 1978; Rajd Ja.: Pribaltijskie nemcy v buržuaznoj Estonii (1920–1940) [Deutschbalten im unabhängigen Estland. 1920–1940]. Tallin 1978.

  24. Es handelt sich um folgende Publikationen (in der Summe sind es vier Ausgaben). Die Verfasser haben wohl nur die Erscheinungen der zentralen, Moskauer Verlage berücksichtigt:
    Viktor Krestjaninov: Mennonity [Mennoniten]. Moskva 1967;
    Aleksej Ipatov: Mennonity. Moskva 1978;
    Aleksej Ipatov: Kto takie mennonity. Alma-Ata 1977.
    Das letzte Buch ist auch in deutscher Übersetzung erschienen:
    Alexei Ipatov: Wer sind die Mennoniten? Alma-Ata 1977.

  25. Natalie Gellert (1953), sowjetische und kasachische Politikerin deutscher Herkunft. Sie arbeitete bis Ende der 1980er Jahre als Traktoristin im Gebiet Zelinograd, Kasachstan. Schon früh wurde sie durch ihre Siege bei internationalen Wettkämpfen im Pflügen mit schweren Traktoren bekannt. Sie gehörte zu den wenigen "Vorzeigedeutschen" in der einstigen UdSSR, die auch wegen ihrer Ehe mit einem gebürtigen Kasachen öffentlich gelobt und gefördert wurde: sie war Deputierte des Obersten Sowjet der UdSSR (1979-89) und Kandidatin bzw. Mitglied des ZK der KPdSU (1986-1990), bekam Lenin-Orden, einige Ehren-Titel und zahlreiche weitere Auszeichnungen. Von 2007 bis 2012 war sie Mitglied des Parlaments im unabhängigen Kasachstan.

  26. Wenn man von einigen atheistischen Propagandasendungen über deutsche Gläubige bzw. von den sog. konterpropagandistischen Filmen gegen die Ausreisewilligen absieht, die etwa in Kasachstan in den 1960ern, 1970ern und frühen achtziger gedreht und ausgestrahlt wurden.

  27. Bezug wird hier wohl auf die Broschüre genommen, die anlässlich des 20. Jahrestages der Ausrufung der wolgadeutschen Autonomie in Engels auf Russisch und Deutsch erschien und einen politisch-historischen Teil enthielt: Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Politisch-ökonomischer Abriss. Engels: Deutscher Staatsverlag 1938.

  28. Viktor Maamjagi: Estonskie poselency v SSSR. 1917-1940 gg. Tallin 1976, 236 S.; Vartan Grigorjan: Istorija armjanskich kolonij Ukrainy i Pol’ši (Armjane v Podolii). Erevan 1980, 293 S.

  29. Istorija Sibiri. S drevnejšich vremen do našich dnej. V pjati tomach [Geschichte Sibiriens. Von den ältesten Zeiten bis heute. In fünf Bänden.] / Gl. red. [Hauptredakteur] Aleksej Okladnikov. Leningrad 1968–1969; Istorija Ukrainskoj SSR. V dvuch tomach [Geschichte der Ukrainischen SSR. In zwei Bänden] / Red. Kuz’ma Dubina. Kiev 1969; Istorija Kirgizskoj SSR. V dvuch tomach. / Gl. red. Begamaaly Džamgerčinov. Frunze 1968.

    Eine der wenigen Ausnahmen stellt hier eine mehrbändige Ausgabe dar:
    Istorija gorodov i sel Ukrainskoj SSR [Geschichte der Städte und ländlichen Siedlungen der Ukrainischen SSR].
    In den Jahren 1967–1974 wurden 26 Bände in ukrainischer (für jedes administratives Gebiet ein Band) und 1974–1983 15 Bände in russischer Sprache – ausgewählte Gebiete – herausgegeben. In der Beschreibung der Geschichte einzelner Dörfer oder Städte, die von den deutschen Siedler seit Ende des 18. gegründet und in denen sie die Mehrheit der Bevölkerung bis Anfang der 1940er Jahre stellten, wurde diese Tatsache in der Regel erwähnt und beschrieben, aber oft in entstellter oder einseitiger Art und Weise. Deutsche Siedler kamen hier oft als eine einheitliche ausbeuterische Gruppe gegenüber den umliegenden ukrainischen oder russischen Bauern vor, die dazu noch der "Oktoberrevolution", d.h. der bolschewistischen Machtübernahme im Jahr 1917, feindlich gegenüberstanden. Vgl. hierzu einige Bände in russischer Sprache zu ukrainischen Gebieten mit einst beträchtlicher deutscher Bevölkerung:
    Istorija gorodov i sel Ukrainskoj SSR. Tom 8. Odesskaja oblast‘ [Geschichte der Städte und ländlichen Siedlungen der Ukrainischen SSR. Band 8. Gebiet Odessa]. Kiew 1978, S. 195-198, 715-718, 737-740 u.a.;
    Externer Link: https://web.archive.org/web/20110404001056/http://www.igsu.org.ua:80/Odesskaja.obl/
    ibid.: Tom 20. Chersonskaja oblast’ [Band 20. Gebiet Cherson]. Kiew 1983, S. 280-286, 597-605 u.a.
    ibid.: Tom 25. Zaporožskaja oblast’ [Band 25. Gebiet Saporoshje]. Kiew 1981, S. 71-75, 632-637 u.a.;
    Externer Link: https://web.archive.org/web/20110302083057/http://www.igsu.org.ua:80/Zaporozhskaja.obl/

  30. Istorija Kasachskoj SSR (s drevnejšich vremen do našich dnej). V 5-ti tomach [Geschichte der Kasachischen SSR (von den ältesten Zeiten bis heute). In 5 Bänden]. Alma-Ata 1977–1980. Siehe Online die Bände (auf Russisch):
    Band 1, 1977: Externer Link: http://meeting.nlrk.kz/result/ebook_360/index.html
    Band 2, 1979: Externer Link: http://meeting.nlrk.kz/result/ebook_363/index.html
    Band 3, 1979: Externer Link: http://meeting.nlrk.kz/result/ebook_364/index.html
    Band 4, 1977: Externer Link: http://meeting.nlrk.kz/result/ebook_365/index.html
    Band 5, 1980: Externer Link: http://meeting.nlrk.kz/result/ebook_366/index.html
    Das vollständige Zitat auf der S. 625 des fünften Bandes ist etwas länger:
    Im Jahr 1971 wurde beim Schriftstellerverband Kasachstans ein Rat für die sowjetdeutsche Literatur gegründet, dem bereits 1976 30 deutsche Schriftsteller der Republik gehörten. Im Verlag "Kasachstan" und auf Seiten der in der Republik herausgegebenen Zeitung "Freundschaft" erschienen Dutzende Werke, kollektive Sammelbände und Almanache. 1977 gab der Verlag "Kasachstan" eine Reihe von Büchern heraus, darunter ein Sammelband "Rhythmen der Steppe" mit Gedichten von 30 kasachischen Poeten in deutscher Übersetzung.
    Beim letztgenannten Sammelband handelte es sich um folgende Ausgabe:
    Rhythmen der Steppe: Eine Blütenlese kasachischer Poesie / Red.: Nora Pfeffer und Hugo Kern. Alma-Ata: Kasachstan 1976.

  31. Anm. der Verfasser: Für diesen heuchlerischen Euphemismus [Niederlassung] als Bezeichnung der Deportation sollten sich die Autoren solch einer soliden Ausgabe doch schämen!

  32. Auf dem Plenum des ZK der KPdSU, das vom 23. Februar bis zum 2. März 1954 tagte, initiierte der Parteichef Nikita Chruschtschow die sogenannte Neuland-Kampagne. Das Plenum rief unter anderem die Jugend auf, sich an der Erschließung der neuen Ländereien v.a. in Westsibirien und Nordkasachstan aktiv zu beteiligen. Beschluss des Plenums vom 2. März, Online (russisch): Externer Link: http://elib.altlib.ru/files_elib/ch016.pdf
    Siehe ferner: Externer Link: https://de.rbth.com/kultur/geschichte/2017/08/20/neuland-kampagne-wie-chruschtschow-die-sowjetunion-abspeisen-wollte_824750

  33. Vladimir Čivilichin: Nad urovnem morja. Moskau 1967 (weiter Auflagen 1970 etc.), Online (russisch): Externer Link: http://lib.ru/PROZA/CHIWILIHIN/more.txt

  34. Jurij Geiko: Saiga, in: Novyj mir (Moskva) 10/1980, S. 7–57.

  35. Friedrich Schneider (1926–1995), sowjetischer Wirtschaftsleiter, langjähriger Vorsitzender (1960–89) einer der profitabelsten, sowjetischen Landwirtschaftsbetriebe, der Kirow-Kolchose im deutschen Dorf Podsosnowo in der Region Altai/Sibirien. Abgeordneter des Obersten Sowjets der UdSSR (1974–1979, 1984–1989), Held der sozialistischen Arbeit.

  36. Zdes‘ ja rodilsja i živu, in: Celina prodolžaetsja [Neuland-Erschließung setzt sich fort] / Sost. [zusammengestellt von] Boris Prochorov. Barnaul 1981, S. 254–268. Im Beitrag wird er als "Fedor Fedorowitsch" tituliert, Online (russisch): Externer Link: http://irbis.akunb.altlib.ru/cgi/irbis64r_12/cgiirbis_64.exe?LNG=&C21COM=2&I21DBN=ELIB&P21DBN=ELIB&Z21ID=&Image_file_name=D:%2Fbo%2Fbo000821.pdf

  37. Zitiert nach dem Aufsatz: "Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung": Externer Link: http://www.red-channel.de/LeninWerke/LW22.pdf

  38. Die Moskauer Zentrale versuchte, die weit verbreitete Unzufriedenheit und vor allem die wachsende Ausreisebereitschaft durch die Gründung eines Autonomen Deutschen Gebiets in Kasachstan einzudämmen. Die von dem damaligen KGB-Chef Juri Andropow geleitete Kommission vorbereitete im August 1978 eine diesbezügliche Denkschrift. Ziel war es, die "ungesunden Emigrations- und nationalistischen Stimmungen zu bekämpfen." Der Ausschuss stellte darin fest, dass zu dem damaligen Zeitpunkt die Hälfte der Deutschen auf dem Territorium Kasachstans lebe, es dort mehr als 230 Dorfsiedlungen gäbe, in denen die Deutschen die Bevölkerungsmehrheit stellen und unter ihnen auch ausreichend Führungskader vorhanden seien. Anschließend wurde vorgeschlagen, in Kasachstan eine Deutsche Autonomie aus fünf aneinandergrenzenden Rayons der Gebiete Karaganda, Koktschetaw, Pawlodar und Zelinograd auf einer Fläche von 46.000 km² und mit der Stadt Jermentau als Zentrum zu gründen. Am 31. Mai 1979 hat das Politbüros des ZK der KPdSU den Entschluss "Über die Bildung des deutschen autonomen Gebiets" gefasst und anschließend konkrete Maßnahmen zur Durchführung des Beschlusses angeordnet.
    Daraufhin brachen im Juni 1979 schwerpunkmäßig in der Stadt Zelinograd ethnische Unruhen aus: Tausende Kasachen gingen auf die Straßen und protestierten gegen die Schaffung eines autonomen Gebiets auf ihrem Territorium. Während die Sowjetführung sonst außerordentlich heftig auf öffentliche Unmutsäußerungen reagierte, blieben die Sanktionen in diesem Fall aus. Mehr noch, dieses Aufbegehren führte zu einer sofortigen Aufgabe des Vorhabens. Das zeigte einmal mehr, dass sich die Staatsmacht nie ernsthaft um eine wirkliche Gleichstellung der deutschen Minderheit bemühte. Hierzu meine Analyse (auf Russisch):
    Raspad SSSR načalsja ne v dekabre 1986, a v ijune 1979 godu [Zerfall der UdSSR begann nicht im Dezember 1986, sondern im Juni 1979], 2005, Online: Externer Link: http://www.viktor-krieger.de/html/zelinograd.html

  39. Natalie Gellert wurde 1986 als erste Deutsche in der Nachkriegszeit in dieses Gremium – zunächst als Kandidatin und 1988 als Vollmitglied – gewählt.

  40. Ebenfalls 1986 durfte Andrej (Andreas) Braun zum Ersten Gebietsparteisekretär von Zelinograd gewählt werden. Seit 1938 bekleidete kein deutscher Funktionär derart wichtige Position in der sowjetischen Parteihierarchie.

  41. In Kasachstan war bis zu dem Machtantritt von Michail Gorbatschow (1985) tatsächlich über keinen einzigen Deutschen auf dem Posten eines Hochschulrektors (von 58 Hochschulen in der Republik, Stand 1984) bekannt. In der Russländischen Unionsrepublik (RSFSR) gab es einige Ausnahmen, darunter im Gebiet Perm im Ural: Dort fungierte der 1942 dorthin zur Zwangsarbeit ausgehobene und später habilitierte Chirurg Ewgeni (Eugen) Wagner seit 1970 ununterbrochen 25 Jahre als Rektor des Permsker medizinischen Instituts, vgl. seine offizielle Beurteilung (Charakteristik) und Erinnerungen über ihn:
    Nemcy v Prikam’e. XX vek. Sbornik dokumentov i materialov v 2-ch tomach. Tom 1. Archivnye dokumenty. Kniga 1 [Deutsche in der Kama-Region. Sammelband von Dokumenten und Materialien. Bd. 1. Archivdokumente. Buch 1.]. Perm 2006, S. 416–420.

  42. Zu dem Wortlaut dieser Erlasse siehe u.a. Interner Link: Dok. 1.2 (Anm. 11, 13, 15) und Interner Link: Dok. 1.6 (Anm. 4).

  43. Leonid Brežnev: Izbrannye proizvedenija: V 3-ch tomach. Tom 3: 1976 – mart 1981 [Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3: 1976 – März 1981]. Moskva: Politizdat 1981, S. 536.