Die Entwicklung des hormonellen Verhütungsmittels, das umgangssprachlich als „Pille“ bezeichnet wird, hat die Gesellschaft in den Interner Link: Industrieländern nach dem Interner Link: Zweiten Weltkrieg entscheidend geprägt: Erstmals konnten Frauen durch ein Hormonpräparat ungewollte Schwangerschaften mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit verhindern.
Bereits um 1920 entstand die Idee, Hormone als Mittel zur Empfängnisverhütung zu nutzen. Der österreichische Physiologe Ludwig Haberlandt hatte bei Versuchen mit Ratten festgestellt, dass eine bestehende Trächtigkeit der Tiere eine weitere Befruchtung verhindert. So entstand die Idee, dem Körper zur Verhütung hormonell eine Schwangerschaft vorzugaukeln und so den Eisprung zu verhindern. Die Entwicklung der Verhütungspille erfolgte jedoch letztlich in den USA. Eine wichtige Rolle dabei, aus der Idee tatsächlich eine Pille werden zu lassen, spielten die Krankenschwester Margaret Sanger und die vermögende Biologin Katharine McCormick.
Die Aktivistin Sanger hatte im Jahr 1921 die „American Birth Control League “(Amerikanische Liga für Geburtenkontrolle) gegründet. Ihr Ziel war es, Frauen in den USA über Möglichkeiten der Verhütung aufzuklären und die Gesetzeslage zu ändern. Durch den „Comstock Act“, war es 1873 verboten worden, u.a. Verhütungsmittel und Informationen zur sexuellen Aufklärung per Post zu verschicken.
Mit dem Geld McCormicks und aufgrund des Einsatzes von Sanger begann ein Team um den US-Endokrinologen Gregory Pincus Anfang der 1950er Jahre schließlich, die weltweit erste wirksame Verhütungspille zu entwickeln. Pincus und seinem Kollegen John Rock gelang es, auch dank der Vorarbeiten der Chemiker Carl Djerassi und Franc Colton, das Schwangerschaftshormon Progesteron und das weibliche Hormon Östrogen künstlich herzustellen. Während Progesteron den Eisprung unterbindet und damit eine Befruchtung verhindert, entdeckten die Wissenschaftler durch Zufall, dass Östrogen die Einnahme verträglicher macht.
Tests in Puerto Rico vor der Zulassung
In großem Stil getestet wurde das Hormonpräparat vor der Zulassung nicht in den USA selbst, sondern in dem US-Amerikanischen Außengebiet Puerto Rico. Dort standen die Behörden Geburtenkontrollen anders als in den USA positiv gegenüber. Die ethische Bewertung dieses Vorgehens wird von Historikerinnen und Historikern kritisch diskutiert, da eugenische Motive – also die gezielte Beeinflussung der Fortpflanzung von Menschen, mit dem Ziel, bestimmte körperliche, geistige oder soziale Merkmale in der Bevölkerung zu fördern oder zu verhindern – hinter der liberalen Verhütungspolitik Puerto Ricos stünden und die Frauen vor Ort nicht ausreichend über die medizinischen Risiken aufgeklärt worden seien. Trotz Berichten über Nebenwirkungen hielten Pincus und sein Team das Mittel für sicher und bewerteten die Testreihe aufgrund verhütenden Wirkung der Pille als Erfolg. Tests in Haiti und Mexiko folgten.
Anschließend wurde das von ihnen entwickelte Produkt „Enovid“ 1957 in den Interner Link: USA zugelassen – zuerst noch als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden und nur für verheiratete Frauen mit mehreren Kindern. Die empfängnisverhütende Wirkung tauchte nur in der Packungsbeilage als Nebenwirkung auf. Am 18. August 1960 kam es dann auch offiziell als Verhütungsmittel auf den Markt. Ab dem 1. Juni 1961 konnte man ein vergleichbares Hormonpräparat auch in der Bundesrepublik unter dem Markennamen „Anovlar“ kaufen. Das Magazin „Stern“ nannte die deutsche Markteinführung einen „historischen Tag“.
Proteste der Kirchen
Die Interner Link: Kirchen hingegen protestierten gegen die Einführung des Verhütungsmittels. Am 25. Juli 1968 verurteilte der damalige Papst Paul VI. in der Enzyklika „Humanae Vitae“ die Geburtenkontrolle durch künstliche Verhütungsmittel. Dies mit der Begründung, diese würden den außerehelichen Geschlechtsverkehr befördern und „zur allgemeinen Aufweichung der sittlichen Zucht beitragen“. Doch viele Katholikinnen setzten sich über das Verbot hinweg. „Der große Ungehorsam hat begonnen“ beschrieb „Der Spiegel“ die Reaktionen auf die Enzyklika damals, auch innerhalb des Klerus. Die Deutsche Bischofskonferenz äußerte in der „Königsteiner Erklärung“ Bedenken an der zwingenden Gültigkeit der Enzyklika. Während die evangelische Kirche der Familienplanung mit der Pille offen gegenüber steht, untersagt Rom deren Nutzung den Gläubigen bis heute.
Das Märchen vom „Pillenknick“
Für die Befürworterinnen und Befürworter war die Pille hingegen ein Befreiungsschlag. Sexualität und Fortpflanzung sollten fortan nicht länger direkt miteinander verknüpft, selbstbestimmte Familienplanung künftig möglich sein. Die Einführung der Pille führte dazu, dass Frauen auch auf anderen Gebieten unabhängiger wurden. Sie wurden später Mütter und so blieb mehr Zeit für Schule, Ausbildung und Beruf: Die Zahl der Abiturientinnen und Akademikerinnen stieg noch in den 1960er-Jahren sprunghaft an.
Der Rückgang der Geburtenzahlen in Westdeutschland nach dem sogenannten „Babyboom“ von Mitte der 1950er-Jahre bis Mitte der 1960er-Jahre wird umgangssprachlich als Pillenknick bezeichnet. Heute gehen Soziologinnen und Soziologen jedoch davon aus, dass die hormonelle Verhütung nicht die entscheidende Ursache für die sinkende Geburtenrate war. Wesentlicher für das Geburtenminus in Deutschland und anderen Industrieländern waren vielmehr die veränderten Lebensmodelle der Menschen durch den zunehmenden Wohlstand, damit einhergehend auch der Wunsch vieler Frauen nach Selbstverwirklichung und Erwerbstätigkeit. Beruf und Familie blieben angesichts fehlender Betreuungsangebote und weiterhin bestehender Rollenbilder, die die Verantwortung für die Kindererziehung vor allem den Müttern zuschrieben, nur schwer zu vereinen.
Kostenlose „Wunschkindpille“ im Osten
„Anovlar“ und seine Nachfolger wurden in der Bundesrepublik gemeinhin „Antibabypille“ genannt – aus Sicht von Kritikerinnen und Kritikern ein unpassender Begriff. Miterfinder Carl Djerassi betonte beispielsweise, dass die Pille kein Mittel gegen Kinder, sondern für die Selbstbestimmung von Frauen sei. Bundesinnenminister Hermann Höcherl bezeichnete die sprachliche Verbindung von „Anti“ und „Baby“ 1964 sogar als „grob anstößig“.
Das Gegenstück von „Anovlar“ wurde in der DDR ab 1965 als „Wunschkindpille“ bekannt gemacht. Ab 1972 wurde sie unter dem Markennamen „Ovosiston“ kostenlos an sozialversicherte Frauen ausgegeben. Zeitgleich wurde das Angebot an Krippen, Wohnungen für Familien, günstigen Krediten und an bezahlten Erziehungszeiten drastisch ausgebaut. Die Zahl der Geburten sank in der DDR in den 1970er-Jahren in deutlich geringerem Umfang als im Westen.
Beruf und Familie waren in Ostdeutschland leichter zu vereinbaren als in der Bundesrepublik. Aus politischen und planwirtschaftlichen Gründen spielte die berufstätige Frau in der sozialistischen Ideologie eine zentrale Rolle.
Sinkende Nutzerinnenzahlen
In Deutschland sind mittlerweile mehr als 50 verschiedene Pillen-Präparate zur Verhütung zugelassen. Trotzdem ist die Zahl der Nutzerinnen, besonders unter jungen Frauen, rückläufig. Der Techniker Krankenkasse zufolge verhüteten 2013 noch 60 Prozent der dort versicherten Frauen zwischen 16 und 19 Jahren mit der Pille, während es 2024 nur noch 26 Prozent der 13 bis 21-Jährigen waren. Eine repräsentative Wiederholungsbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kam im Jahr 2023 zu dem Ergebnis, dass das Kondom mittlerweile die Pille als meistgenutztes Verhütungsmittel abgelöst hat. Eine Ursache könnte sein, dass sich in den vergangenen Jahren eine intensive Debatte um potenzielle Nebenwirkungen von hormonellen Verhütungsmitteln entwickelt hat.
Häufige Nebenwirkungen sind etwa Schwindel, Übelkeit und Zwischenblutungen. Depressionen und depressive Verstimmungen können vor allem in den ersten Jahren der Einnahme auftreten. Ob es einen ursächlichen Zusammenhang zu Depressionserkrankungen gibt, ist noch nicht ausreichend erforscht. Ein erhöhtes Thromboserisiko geht insbesondere mit der Einnahme von Kombinationspräparaten aus den Sexualhormonen Östrogen und Gestagen einher: Laut Schätzungen der europäischen Arzneimittelbehörde treten jährlich zwei bis sieben Thrombosen pro 10.000 Nutzerinnen auf. Individuelle Faktoren, wie familiäre Veranlagungen oder Rauchen, gelten dabei als weitere Risikofaktoren.
Kostenfaktor Verhütung
Die Vereinten Nationen betrachten den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit als einen integralen Bestandteil des Menschenrechts auf Gesundheit. Die Möglichkeit, informierte Entscheidungen über die eigene Fortpflanzung zu treffen, ist ein wesentlicher Teil davon. Trotzdem hatten 2023 laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 257 Millionen Frauen keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln.
In den USA sorgte ein Urteil vom Obersten Gericht 2020 für Diskussionen: Demnach dürfen Arbeitgeber aus religiösen Gründen die Kostenübernahme für Verhütungsmittel durch die Krankenversicherung verweigern. Zuvor regelte der 2010 von Barack Obama eingeführte Patient Protection and Affordable Care Act („Obamacare“) den kostenlosen Zugang.
Im Juli 2025 wurde bekannt, dass die Trump-Regierung eingelagerte Verhütungsmittel für Konflikt- und Krisengebiete – darunter auch Pillen-Fabrikate – im großen Stil vernichten will. Hintergrund ist die kürzliche Schließung der US-Entwicklungsbehörde USAID, die die Verhütungsmittel verteilen sollte. Das Vorhaben sorgte international und bei Kongressabgeordneten der US-Demokraten für Kritik. Gleichzeitig ist in den USA – anders als etwa in Deutschland – seit dem Frühjahr 2024 mit „Opill“ auch ein rezeptfreies Präparat verfügbar.
In Deutschland bezahlen die Krankenkassen die Pille für Frauen bis zum 21. Lebensjahr. Ab 18 Jahren müssen Nutzerinnen eine gesetzliche Zuzahlung leisten. Frauen, die älter als 22 Jahre sind, müssen die Kosten für die Pille in der Regel selbst tragen.
Eine Studie im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wies nach, dass die Kosten insbesondere für Empfängerinnen von Sozialhilfe den Zugang zu Verhütungsmitteln erschweren. Bei dem Modellprojekt „biko“ von Pro Familia und dem Familienministerium konnten Frauen mit geringem Einkommen rezeptpflichtige Verhütungsmittel kostenfrei erhalten. Den größten Bedarf an kostenlosen Verhütungsmitteln zeigten dabei Frauen, die Sozialleistungen bezogen, Geringverdienerinnen und Empfängerinnen von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Dabei gab jede zweite der befragten Frauen an, ohne Kostenübernahme für das gewünschte Verhütungsmittel nicht oder weniger sicher zu verhüten. Aktuell übernehmen jedoch nur manche Landkreise und Städte bei Empfängerinnen von Sozialleistungen auf Antrag die Kosten für die Pille, einen Rechtsanspruch gibt es nicht.
„Pille für den Mann“
An der so genannten „Pille für den Mann“ wird seit Jahrzehnten geforscht. Um wirksam zu sein, müsste die dauerhaft laufende Spermienproduktion unterbrochen oder zumindest reduziert werden. Im Jahr 2008 gab es dazu eine von der WHO in Auftrag gegebene internationale Studie, bei der männlichen Probanden ein Implantat unter die Haut eingesetzt wurde, das die Hormonabgabe steuern sollte. Das Präparat erwies sich als wirksam, löste aber bei 10 bis 15 Prozent der Probanden u.a. Depressivität, Libidoverlust oder Gewichtszunahme aus. Die WHO befand, dass diese Quote zu hoch sei und brach den Versuch ab.
Die Industrie zeigte sich in jüngster Zeit zurückhaltender, was die Entwicklung eines Verhütungsmittels für Männer auf hormoneller Basis betrifft. Kürzlich bestand eine hormonfreie Pille eine erste klinische Prüfung, bei der es zu keinen besonderen Nebenwirkungen kam.
Hinweis der Redaktion: Dieser Text wurde am 14.08.2025 um aktuelle Entwicklungen und Zahlen aktualisiert.
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