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Atomausstieg – Deutschland verabschiedet sich endgültig von der Kernkraft | Hintergrund aktuell | bpb.de

Atomausstieg – Deutschland verabschiedet sich endgültig von der Kernkraft

Redaktion

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Der Kühlturm des Kernkraftwerks ISAR 2 umgeben von Wohnhäusern der bayerischen Gemeinde Essenbach. (© picture-alliance, SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON)

Am 15. April werden in Deutschland die letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet. Die Abschaltung der Reaktorblöcke in den Anlagen Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 besiegeln den seit mehr als zwanzig Jahren geplanten deutschen Ausstieg aus der Atomenergie.

Ursprünglich war dieser Schritt bereits für Ende 2022 geplant. Doch der Interner Link: russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ließ Interner Link: Zweifel an der Energiesicherheit in Deutschland aufkommen. Kernenergie machte im ersten Quartal 2022, also nach der Abschaltung von drei der sechs sich noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerken, laut statistischem Bundesamt etwa 6 Prozent des Strommixes in Deutschland aus. Wegen der durch die russische Invasion in der Ukraine Interner Link: ausgelösten Energiekrise gab es im vergangenen Herbst Zweifel an der Sicherheit der Energieversorgung für den Winter. Der Bundestag stimmte daher am 11. November 2022 dafür, die Laufzeiten der letzten drei sich im Betrieb befindenden Atomkraftwerke bis zum 15. April 2023 zu verlängern, statt diese wie geplant zum Jahresende 2022 abzuschalten.

Kontroverse um die Abschaltung

Die endgültige Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke ist umstritten. Die Unionsfraktion (CDU/CSU) im Bundestag kritisierte die Bundesregierung etwa Mitte März dafür, dass sie den Ausstieg aus der Kernenergie nun endgültig umsetzen will. Die drei Atomkraftwerke sollten aufgrund der aus Sicht der Union immer noch anhaltenden Energiekrise zumindest in Reserve gehalten werden, um im Notfall wieder ans Netz gehen zu können. Auch Vertreter der FDP sprachen sich im Vorfeld des Ausstiegs dafür aus, die drei Atomkraftwerke als Reserve beizubehalten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (GRÜNE) sprach sich hingegen Mitte April ein weiteres Mal für die endgültige Abschaltung aus. Habeck zufolge ist die Energieversorgung in Deutschland trotz des Ausstiegs aus der Kernenergie gewährleistet.

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Debatten hatte es auch immer wieder darüber gegeben, ob Kernkraftwerke einen Beitrag dazu leisten können, die Interner Link: Klimaziele in Deutschland zu erreichen, da sie niedrigere CO2-Emissionen verursachen als etwa die Kohleverstromung. Das heißt jedoch nicht, dass Atomkraft "umweltfreundlich" wäre. Die Endlagerfrage für den radioaktiven Atommüll ist bis heute ungelöst.

"12 Punkte zur Vollendung des Atomausstiegs"

Die Abschaltung der letzten drei Atomreaktoren in Deutschland ist aus Sicht des Bundesumweltministeriums Teil eines Gesamtprozesses zum Schutz vor „nuklearen Risiken“ aus dem In- und Ausland. So forderte das Ministerium im März 2021 die "Vollendung des Atomausstiegs", etwa durch die Stilllegung der Atomfabriken in Gronau und Lingen. Hier wird weiterhin Uran angereichert und Brennelemente für die Nutzung im Ausland gefertigt. Ferner solle die Bundesregierung den „Schulterschluss“ mit atomkraftkritischen Staaten suchen, gegen Laufzeitverlängerungen auf europäischer Ebene eintreten und der EU-Förderung von Atomkraftwerken entgegentreten. Wo Atomkraftwerke in der EU und weltweit noch in Betrieb sind, sollen höchste Sicherheitsstandards eingehalten werden.

Anti-Atom-Bewegung ab den 1970er-Jahren

Der Ausstieg aus der Atomenergie hat eine lange Vorgeschichte. Noch Anfang der 1970er-Jahre befürworteten alle im Bundestag vertretenen Parteien einen massiven Ausbau der Nutzung von Kernenergie, die preiswerter, moderner und ressourcenschonender schien als die Stromerzeugung durch die Verbrennung von Kohle oder Öl. Mit der Umsetzung der geplanten Projekte entstanden Diskussionen um die Nutzung der Atomenergie. Parallel dazu entwickelte sich ab den frühen Interner Link: 1970er-Jahren die Umweltbewegung.

Hinzu kam die ungelöste Frage nach der Entsorgung von Atommüll. Die Auseinandersetzungen etwa um die Lagerung von radioaktiven Abfallprodukten in Interner Link: Gorleben oder den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Interner Link: Wackersdorf beschäftigte die bundesdeutsche Öffentlichkeit jahrelang. Auch der Interner Link: Atomunfall von Harrisburg im Jahr 1979 und die Interner Link: Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 konfrontierten die Bevölkerung mit den negativen Folgen der Kernenergienutzung.

2002 – Bundestag beschließt Atomausstieg

Im Jahr 2000 handelte die damalige rot-grüne Bundesregierung (SPD/GRÜNE) unter Gerhard Schröder mit der Energiewirtschaft den so genannten "Atomkonsens" aus, in dem die Grundlagen eines Ausstiegs aus der Kernenergie vereinbart wurden. Im Juni 2001 wurde dieser Vertrag unterzeichnet. Ein Jahr später, im April 2002, beschloss der Bundestag das "Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität", in dem erstmals der Ausstieg aus der Atomenergie entschieden wurde.

Nach der Bundestagswahl 2009 bildeten Union und FDP die Bundesregierung. Ein zentrales energiepolitisches Projekt der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel war zunächst die Laufzeitverlängerung für die noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke. Die Regellaufzeit für Kernkraftwerke wurde im Jahr 2010 weiter verlängert, sodass die letzten Meiler wohl erst 2040 vom Netz gegangen wären. Im Frühjahr 2011 ereignete sich in Japan die Reaktorkatastrophe von Interner Link: Fukushima. Sie führte zu einer erneuten Wende in der deutschen Energiepolitik. Am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag, dass die letzten Reaktoren bis Ende 2022 abgeschaltet werden sollten. Acht Kernkraftwerke wurden vom Netz genommen. Bei diesem Zeitplan blieb es, mit Ausnahme der letzten drei Kraftwerke, deren Laufzeit 2022 um dreieinhalb Monate verlängert wurde. Parallel dazu wurden am 28. Juli 2011 Neuregelungen für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossen. Darin wurden unter anderem Mindestziele für den Anteil von erneuerbaren Energien im Strommix festgeschrieben. Mit dem 15. April 2023 endet die Nutzung der Atomkraft in Deutschland.

Elf EU-Staaten gründen "Nuklear-Allianz"

In anderen europäischen Ländern ist die zivile Nutzung der Kernenergie weniger umstritten als in Deutschland. Im Jahr 2021 wurde europaweit insgesamt sieben Prozent mehr Strom in Kernkraftwerken produziert als noch 2020. In 13 der 27 EU-Staaten werden Atomkraftanlagen betrieben. Knapp mehr als die Hälfte des Atomstroms in Europa wird in Frankreich produziert. Elf EU-Staaten – darunter Frankreich, die Niederlande, Polen, Finnland und Rumänien – haben sich im Februar 2023 zu einer "Nuklear-Allianz" zusammengeschlossen. Deren Ziel ist es, Europa unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu machen. Dafür sollen "neue gemeinsame Projekte" zusätzlich zu den bereits bestehenden Atomkraftwerken gefördert werden. Deutschland, Österreich oder Spanien lehnen diesen Kurs strikt ab. Polen hatte Anfang 2023 beschlossen, in die Atomenergie einzusteigen.

Die Europäische Kommission hat zudem 2022 in einem Antrag für eine neue Interner Link: Taxonomie-Verordnung zur Einstufung von Wirtschaftsaktivitäten die Nutzung von Kernenergie unter bestimmten Bedingungen als "nachhaltig" klassifiziert. Im Europaparlament erhielt der Vorschlag der Kommission zwar keine Mehrheit, dennoch reichten die Gegenstimmen nicht für ein Veto aus.

Endlagersuche für Atommüll

Beim Betrieb von Kernkraftwerken entsteht Atommüll mit einer extrem langen Halbwertzeit. Bisher gibt es in Deutschland lediglich zwei zentrale Zwischenlager für die Abfälle aus Kernkraftwerken: im westfälischen Ahaus und im niedersächsischen Gorleben. Darüber hinaus gibt es zwölf dezentrale Zwischenlager, die sich in der Nähe von ehemaligen Atomkraftwerken befinden.

Interner Link: Für eine Endlagerung müsste ein Ort gefunden werden, der langfristig stabile Bedingungen gewährleistet – und sowohl gegen schwankende Klimabedingungen als auch gegen Kriege oder Überschwemmungen sicher ist.

Ein solches Endlager gibt es bisher in Deutschland nicht. Zwar gab es entsprechende Versuche – etwa in der Schachtanlage Asse bei Wolfenbüttel, wo zwischen 1967 und 1978 schwach- bis mittelradioaktive Abfälle zur Erprobung eingelagert wurden. Doch immer wieder bilden sich Risse, durch die Wasser eintritt. Der Schacht muss nun für mehrere Milliarden Euro geräumt werden.

Die Bundesregierung wollte die Suche nach einem deutschen Endlager bis zum Jahr 2031 abschließen. Ende 2022 erklärte das Bundesumweltministerium, dass dieser Termin wahrscheinlich nicht eingehalten werden kann. Mit einer Inbetriebnahme eines Endlagers wird nicht vor 2050 gerechnet.

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