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Dresdner Ärzteprozess zu „Euthanasie“-Morden | Hintergrund aktuell | bpb.de

Dresdner Ärzteprozess zu „Euthanasie“-Morden

Redaktion

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Am 16. Juni 1947 begann der Dresdner Ärzteprozess. Angeklagt waren 15 Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern der Anstalten Großschweidnitz und Pirna-Sonnenstein, die an den „Euthanasie“-Massenmorden beteiligt waren.

Aufnahme aus dem Dresdener Ärzteprozess (© Bundesarchiv)

Insgesamt wurden unter dem Interner Link: NS-Regime hunderttausende kranke und behinderte Menschen ermordet. In der völkischen Ideologie des NS-Regimes galten sie als „unwertes Leben“. Allein in der sächsischen Anstalt Interner Link: Pirna-Sonnenstein wurden fast 15.000 Menschen ermordet. 1947 kam es zum Dresdner Ärzteprozess, bei dem die Fälle aus den Anstalten Großschweidnitz und Pirna-Sonnenstein verhandelt wurden. Der Prozess gilt als einer der frühesten Versuche, die Täter der Interner Link: „Euthanasie-Morde“ zu verfolgen und ist bis heute der bedeutendste seiner Art in Ostdeutschland.

„Euthanasie“-Morde und Zwangssterilisationen

Menschen mit Behinderungen, Erberkrankungen und psychischen Erkrankungen wurden im Nationalsozialismus schon sehr früh Ziel von Verfolgungsmaßnahmen. Auch von den Nationalsozialisten als „asozial“ oder „minderwertig“ eingestufte Menschen wie Alkoholikerinnen und Alkoholiker wurden aus dem Grund verfolgt.

Die Nationalsozialisten beriefen sich auf Ideen der Eugenik, der „Rassenhygiene“, die seit Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr an Zulauf gewonnen hatten. Die „Rasse“ sollte demnach vor der „Degeneration“ geschützt werden: Die Eugeniker schworen einen evolutionären Verfall der Gesellschaft herbei, dem man mit ihrer „Reinhaltung“ von „minderwertigem“ Erbgut beizukommen suchte.

Entsprechende Regeln verabschiedeten die Nationalsozialisten bereits im Juli 1933 mit dem Externer Link: „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Richter konnten von nun an die Zwangssterilisierung von Kindern und Erwachsenen veranlassen, die aus Sicht der Nationalsozialisten nicht fortpflanzungswürdig waren. Etwa 350.000 bis 400.000 Menschen wurden von 1934 bis 1945 zwangssterilisiert, mindestens 5.000 von ihnen überlebten den Eingriff nicht.

Die gezielte „Euthanasie“-Mordaktion begann kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit einem vertraulichen Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 18. August 1939. Ärzte und Hebammen wurden verpflichtet, Kinder mit „schweren, angeborenen Leiden“ zu melden. Diese wurden dann in „Kinderfachabteilungen“ von Heilkliniken gebracht und dort ermordet. Zwei Monate später gab Adolf Hitler die Erlaubnis, auch Erwachsene mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermorden zu lassen.

Beginn der „T4-Aktion“

Ende 1939 wurde zur Koordinierung der „Euthanasie“-Morde eine geheime Organisation eingerichtet, die ihren Sitz in der Tiergartenstraße 4 in Berlin hatte. In Anlehnung an die Adresse firmierte der Massenmord an kranken und behinderten Menschen fortan als „T4-Aktion“. Im ganzen Reich wurden sechs zentrale Vernichtungsstätten errichtet: in Interner Link: Hadamar bei Limburg, Interner Link: Grafeneck (heute: Landkreis Reutlingen), Interner Link: Brandenburg an der Havel, Interner Link: Bernburg (Saale), Schloss Hartheim bei Linz und in Pirna-Sonnenstein. An den Opfern wurden Tötungsmethoden ausprobiert, die später auch in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern zur Anwendung kamen. Nach dem Überfall auf Polen wurden im Vernichtungslager Fort VII in Poznań (bis 1918: Posen) Ende 1939 mehrere Hundert Patienten aus einer örtlichen Heilanstalt durch Einleitung von Kohlenmonoxid vergast. Ab Anfang 1940 wurde auch in Brandenburg an der Havel mit ähnlichen Methoden gemordet. In Pirna-Sonnenstein setzte der Massenmord im Juni 1940 ein, auch hier wurde zur Ermordung eine Gaskammer errichtet.

Leiter der Vernichtungsanstalt Pirna-Sonnenstein war der frühere Amtsarzt Horst Schumann. Ihm unterstanden vier weitere Ärzte, die mit den Tötungen befasst waren: Kurt Borm, Klaus Endruweit, Curt Schmalenbach und Ewald Worthmann. Auch Pflegerinnen und Pfleger, Fahrer und Bürokräfte waren Teil des Vernichtungsapparates. Die Gaskammer befand sich im Keller der Anstalt. Zwei Öfen dienten als Krematorium. Ähnlich wie später auch in den Vernichtungslagern wurden auch in Pirna die Leichen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten verwertet: Man brach den Ermordeten beispielsweise die Goldzähne heraus.

Fast 15.000 Morde in Pirna-Sonnenstein

In den Jahren der zentral in den sechs Vernichtungsanstalten durchgeführten „Euthanasie“-Mordaktionen wurden allein in Pirna-Sonnenstein fast 15.000 Menschen ermordet, darunter waren auch mehr als tausend Häftlinge aus Konzentrationslagern, beispielsweise aus Auschwitz und Buchenwald. Die meisten der getöteten Patientinnen und Patienten kamen aus Sachsen, aber auch aus Thüringen, Franken, dem Sudetenland, Schlesien sowie aus Ost- und Westpreußen. Zwischenstation war mitunter die sächsische Landesanstalt Großschweidnitz. Dort wurden später auch Patientinnen und Patienten ermordet: Insgesamt kamen in Großschweidnitz über 5.500 Frauen, Männer und Kinder ums Leben.

Die „Euthanasie“-Morde wurden nie offen vom Regime legalisiert. Es gab dafür keine Gesetzesgrundlage, die Taten wurden geheim gehalten. Widerstand kam vor allem aus kirchlichen Kreisen. Im Sommer 1941 wuchs der Protest so sehr, dass sich die NS-Führung zum Stopp der zentralen „Euthanasie“-Aktionen in den sechs Vernichtungsanstalten veranlasst sah. Ein Jahr später begann die „dezentrale“ Phase der „Euthanasie“-Morde, die nicht mehr von Berlin aus gelenkt wurden.

Schätzungen zufolge fielen bis 1945 etwa 200.000 bis 300.000 Menschen auf dem Gebiet des Deutschen Reiches und in den besetzten Gebieten den „Euthanasie“-Morden zum Opfer.

Dresdner Ärzteprozess

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden verschiedene Täterinnen und Täter in Prozessen zur Verantwortung gezogen. Auf dem Gebiet der Interner Link: sowjetischen Besatzungszone (SBZ) waren die Sowjetischen Militärtribunale für die Verfolgung von NS- und Kriegsverbrechen zuständig. Deutsche Gerichte spielten eine untergeordnete Rolle, bis Ende 1947 wurden nur 744 Personen von ihnen verurteilt.

Die Sowjets zeigten Interesse an einer zügigen Verfolgung der „Euthanasie“-Täter von Pirna und Großschweidnitz – möglicherweise auch, weil ein ähnlicher „Euthanasie“-Prozess in Nürnberg geplant war. Das Verfahren wurde einem deutschen Gericht überlassen. Ab dem 16. Juni 1947 wurden am Landgericht Dresden insgesamt 15 Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern der Anstalten Großschweidnitz und Pirna-Sonnenstein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, darunter auch die Ärzte Paul Nitsche und Ernst Leonhardt sowie zwei Pfleger aus Pirna, Hermann Felfe und Erhard Gäbler. Am 7. Juli 1947 endete das Verfahren am Landgericht Dresden: Nitsche, Leonhardt, Felfe und Gäbler wurden zum Tode verurteilt. Andere Angeklagte bekamen teils langjährige Freiheitsstrafen. Eine Ärztin, ein Arzt und eine Schwester wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Leonhardt und Felfe entzogen sich der Vollstreckung durch Suizid. Nitsche und Gäbler wurden 1948 hingerichtet.

Bedeutender Prozess

Das Verfahren war der bedeutendste „Euthanasie“-Prozess in Ostdeutschland und neben dem Dresdner Juristenprozess einer der bekanntesten in der SBZ geführten Verfahren gegen NS-Täterinnen und Täter. Historikerinnen und Historiker gehen davon aus, dass der Prozess – anders als spätere Verfahren in der DDR – noch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar war. Die individuelle Schuld der Angeklagten stand im Mittelpunkt, und nicht die mögliche propagandistische Aufarbeitung des Verfahrens, wie etwa bei späteren Schauprozessen. Zwar stand das Verfahren unter Beobachtung der sowjetischen Besatzungsmacht und die Interner Link: SED versuchte über Parteizeitungen, auf die Richter einzuwirken. Doch dem Gericht gelang es, seine Unabhängigkeit zu wahren.

Rechtsgrundlage war das Externer Link: Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945, das von allen vier Siegermächten im Alliierten Kontrollrat gemeinsam beschlossen wurde. Das Gesetz machte es beispielsweise möglich, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen, die während der NS-Herrschaft begangen wurden. Für die in dem Gesetz benannten Verbrechen waren Freiheitsstrafen und auch die Todesstrafe vorgesehen. Zum anderen sollte durch den Kontrollratsbeschluss auch erreicht werden, dass deutsche Justizbehörden stärker in die Aufarbeitung von NS-Unrecht eingebunden wurden.

Bemerkenswert ist, dass die „Euthanasie“-Morde auch zwei Jahre nach Ende des NS-Regimes in Teilen der Bevölkerung als gerechtfertigt betrachtet wurde. Einen solchen Resonanzraum lässt nicht nur der Versuch der Verteidigung vermuten, die Tötungen als legitim darzustellen. Das Gericht erreichte auch viele anonyme Briefe, in denen die Absender die Taten der Beschuldigten verteidigten.

Prozesse in Ost und West

Auch in Westdeutschland gab es vorher und nachher Prozesse gegen Beteiligte an den „Euthanasie“-Morden (siehe Kasten). Hier fielen die Urteile oft milder aus. In Ostdeutschland empfand die Sowjetische Besatzungsmacht (SMAD) die dezentralen Verfahren zur Kriegsverbrecherverfolgung als zu umständlich und erließ am 18. August 1947 den SMAD-Befehl Nr. 201, der eine Vereinheitlichung der Prozesse vorsah und die Bedeutung deutscher Behörden und Gerichte bei der Verfolgung von NS-Verbrechen deutlich steigerte. Ziel des Befehls war es, ein rasches Ende der Entnazifizierung durch schnelle Verurteilung der Haupttäterinnen und -täter sowie die gesellschaftliche Wiedereingliederung nomineller NSDAP-Mitglieder zu erreichen. Die SED versuchte mit dem Befehl, die Kontrolle über die Justiz zu gewinnen. Dies gelang ihr erst im Laufe des Jahres 1948. Im Zuge der stärkeren Kontrolle des Justizwesens wurde der Befehl zunehmend zur Verfolgung und Enteignung politischer Gegnerinnen und Gegner genutzt.

Prozesse gegen Hauptschuldige und Mittäter der „Euthanasie“-Morde in Deutschland

Wiesbadener Prozess (erster Hadamar-Prozess): Bereits im August 1945 wurden mehrere Beteiligte an den „Euthanasie“-Morden in der Tötungsanstalt Hadamar vor einem US-amerikanischen Militärgericht angeklagt. Dem Anstaltsleiter Adolf Wahlmann, dem Verwaltungsleiter Alfons Klein sowie vier anderen Angestellten warf die Anklage vor, an der Ermordung von Zwangsarbeitern beteiligt gewesen zu sein. Klein und zwei weitere Angeklagte wurden zum Tode verurteilt. Wahlmann, der zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung fast 70 Jahre alt war, musste eine lebenslange Haftstrafe antreten. Er wurde jedoch 1953 vorzeitig entlassen.

Frankfurter Prozesse (zweiter Hadamar-Prozess): Zwischen 1946 und 1987 fanden in Frankfurt eine ganze Reihe von Prozessen wegen der „Euthanasie“-Morde in der NS-Zeit statt. Treibende Kraft war in den ersten beiden Jahrzehnten der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Eines der bekanntesten Verfahren ist der zweite Hadamar-Prozess von 1947. Das Verfahren fand vor dem Landgericht Frankfurt statt. Über 20 Personen mit Bezug zur Anstalt Hadamar wurden angeklagt. Zwei der Angeklagten wurden zum Tode verteilt. Nach Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 wurden die Urteile in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Nürnberger Ärzteprozess: Zwischen Dezember 1946 und August 1947 fand vor einem US-amerikanischen Militärgericht der Nürnberger Ärzteprozess statt. Unter den 23 Angeklagten waren vor allem KZ-Ärzte, aber auch Karl Brandt, Begleitarzt von Adolf Hitler, „Euthanasie“-Bevollmächtigter und Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen. Er wurde zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet, genauso wie sechs weitere Angeklagte. Weitere neun Angeklagte erhielten Haftstrafen, sieben wurden freigesprochen.

Grafeneck-Prozesse: Im Zusammenhang mit den Morden in der Tötungsanstalt Grafeneck verurteilte das Schwurgericht Freiburg den Ministerialbeamten Ludwig Sprauner im Jahr 1948 zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe. Ebenfalls angeklagt war Arthur Schreck, Direktor der Pflegeanstalten Rastatt, Wiesloch und Illenau. Er erhielt eine lebenslängliche Haftstrafe. Nach langen Vorbereitungen fand ab Sommer 1949 der Tübinger Grafeneck-Prozess statt, der die Ermordung von über 10.000 „geisteskranken“ Männern, Frauen und Kindern in der Tötungsanstalt zum Gegenstand hatte. Fünf Angeklagte wurden freigesprochen, drei wurden zu Haftstrafen von insgesamt achteinhalb Jahren verurteilt. Diese mussten sie jedoch wegen Verrechnung mit der Untersuchungshaft, Aussetzung auf Bewährung und gesundheitlichen Gründen nie antreten.

Düsseldorfer „Euthanasie“-Prozesse: In Düsseldorf fanden mehrere Verfahren statt, die im Kontext mit der „T4-Aktion“ standen. Friedrich Panse und Kurt Pohlisch waren 1948 angeklagt, weil sie als Gutachter bei der „T4-Aktion“ tätig waren. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass sie sich der Beihilfe zum Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hätten, folgten aber der Argumentation der Angeklagten, die sich auf einen übergesetzlichen Notstand beriefen. Panse und Pohlisch wurden freigesprochen. Im selben Prozess wurde Hermann Wesse, der Leiter der „Kinderfachabteilung“ in der Psychiatrie Waldniel-Hostert, angeklagt. Ihm wurde vorgeworfen, an Kindermorden beteiligt gewesen zu sein. Er wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, seine Haftstrafe wurde jedoch später reduziert.

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