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"Für den ländlichen Raum bietet die Digitalisierung besonderes Potenzial“

Nina Roßmann

/ 5 Minuten zu lesen

Speziell Schulen auf dem Land können vom digitalen Wandel profitieren. Wir haben mit Dr. Ramona Lorenz vom Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund über Webinare, digitale Hospitationen und Vernetzungsmöglichkeiten gesprochen.

(© Foto: michael.berlin Externer Link: flickr.com)

werkstatt.bpb.de: Wie lässt sich der aktuelle Stand der Digitalisierung in Deutschlands Schulen beschreiben und welche regionalen Unterschiede gibt es dabei?

Dr. Ramona Lorenz: Für die Studie "Externer Link: Schule digital – der Länderindikator“ (Anm. d. Red.: herausgegeben von der Deutsche Telekom Stiftung) haben wir von 2015 bis 2017 jährlich mehr als 1200 Lehrkräfte der Sekundarstufe I aus allen Bundesländern unter anderem zu ihrer Zufriedenheit mit der digitalen Ausstattung ihrer Schulen befragt. Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz hatten die Nase vorn. Unter den schlechter aufgestellten Ländern waren Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen. Neben der Ausstattung haben wir die Nutzung von Lernplattformen als weiteren wichtigen Indikator für den Grad der Digitalisierung an Schulen untersucht. Die bessere Ausstattung schlägt sich teilweise im Nutzungsverhalten der Lernplattformen nieder, zumindest sind auch hier Bayern und Rheinland-Pfalz Spitzenreiter, zusammen mit Bremen und Berlin. Im Jahr 2017 gaben im Durchschnitt 52,3 Prozent der befragten Lehrkräfte in diesen vier Ländern an, digitale Lernplattformen zu nutzen. Im Bundesdurchschnitt waren es 40,1 Prozent, wobei die aktuellen Zahlen höher liegen dürften. Im Jahr 2016 lag der bundesweite Durchschnitt hier noch bei 34,4 Prozent, das heißt von 2016 bis 2017 war bereits ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Es gibt also Unterschiede zwischen den Bundesländern, eine Ost-West-Kluft zum Beispiel ergab unsere Erhebung jedoch nicht.

Im öffentlichen Diskurs geht man gemeinhin von einem digitalen Gefälle zwischen Stadt und Land aus, gerade auch mit Blick auf die Bildung. Das IFS der TU Dortmund, an dem Sie tätig sind, hat an der Studie "Region und Bildung. Mythos Stadt – Land“ mitgearbeitet. Was ist dabei herausgekommen?

Die Studie "Externer Link: Region und Bildung. Mythos Stadt – Land“ hat gezeigt, dass es in Bezug auf die Nutzung digitaler Geräte und die häusliche Ausstattung der Schülerinnen und Schüler keine nennenswerten Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. Die harte Differenzierung "Stadt – Land“ ist beim Thema Digitalisierung zu grob gedacht. Was den Breitbandausbau angeht, sieht es in den Städten zwar grundsätzlich besser aus, doch auch hier ist nicht gewährleistet, dass alle Schulen funktionierendes WLAN haben. Andersherum gibt es auch im ländlichen Raum, vor allem in Kommunen und Gemeinden mit höherem Einkommen, digital sehr gut aufgestellte Schulen.

Worin genau unterscheiden sich Schulen in der Stadt und auf dem Land?

Ramona Lorenz (© privat, Ramona Lorenz)

Ausschlaggebender Faktor für die Qualität der Bildung ist nicht die Tatsache, ob man auf dem Land oder in der Stadt lebt. Das Bild ist viel kleinteiliger. Gerade in Städten ergibt sich zum Beispiel mit Blick auf die Zusammensetzung der Lernenden ein sehr heterogenes Bild. Auch die Möglichkeiten und Herausforderungen von sogenannten Brennpunktschulen sind völlig andere als die in Schulen in privilegierten Lagen. Diese Merkmale in der Zusammensetzung der Schülerschaft sind in ländlichen Regionen deutlich weniger stark ausgeprägt. Hier sind vielmehr der Rückgang der Schülerzahlen und eventuelle Schulschließungen Thema. Mit einem adaptiven Unterricht, der durch die Digitalisierung möglich wird, können solche Diskrepanzen zum Teil ausgeglichen werden. Die Lernmaterialien können an den Stand der einzelnen Schülerinnen und Schüler angepasst und so die Besonderheiten des jeweiligen Standortes berücksichtigt werden.

Ein Nachteil ländlicher Schulen können fehlende Vernetzungsmöglichkeiten sein: Kooperationen mit anderen Bildungseinrichtungen, aber auch Bibliotheken, Jugendzentren oder Unternehmen – alles, was Interesse und Motivation bei den Schülerinnen und Schülern weckt. Hier haben es Schulen in der Stadt durch die höhere Dichte und Vielfalt von Angeboten und die kürzeren Wege schlicht einfacher.

Wie profitiert der ländliche Raum von digitalen Lösungen im Klassenzimmer?

Heutzutage kommt keiner mehr darum herum, die Digitalisierung ins Klassenzimmer zu lassen. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie Schulen sich digitalisieren. Die Digitalisierung bietet in meinen Augen für den ländlichen Raum besonderes Potenzial. Altersübergreifende Klassen können eine Lösung bei drohenden Schulschließungen sein – und Lernplattformen können gerade hier auch die Lehrenden entlasten. Eine Gruppe kann persönlich betreut werden und die andere löst Aufgaben über die Lernplattform. In einer Plattform kann die Lehrkraft Entwicklung und Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler verfolgen und sieht schnell, wer möglicherweise noch Unterstützungsbedarf hat.

Auch die erwähnten fehlenden Vernetzungsmöglichkeiten können Schulen auf dem Land durch die Digitalisierung ausgleichen. Im digitalen Raum können zum Beispiel ortsungebunden gemeinsame Projekte entstehen: Eine Zusammenarbeit im MINT-Bereich mit einem weit entfernten Unternehmen, eine Programmier-AG in Kooperation mehrerer Schulen, wenn eine kleine Schule auf dem Land ein solches Angebot nicht selbst leisten kann.

Bei der Professionalisierung des Kollegiums ergeben sich ebenfalls spannende Perspektiven für kleine Schulen auf dem Land, denen es oft gar nicht möglich ist, viele Angebote auf die Beine zu stellen: Lehrende könnten digital im Unterricht anderer Lehrkräfte hospitieren. Theoretisch wäre es auch möglich, Unterricht aufzuzeichnen und gemeinsam zu diskutieren. Ich kenne zum Beispiel ein Schulzentrum, das keinen eigenen Medienberater hat, und sich mit einer Partnerschule zusammengetan hat, deren Informatiklehrer da sehr firm war. Im Sinne eines Lern-Karussells treffen sich Lehrende beider Schulen einmal pro Monat und diskutieren ein bestimmtes Thema.

Kann Digitalisierung auch eine Antwort auf den Lehrermangel auf dem Land sein?

Die Präsenz des Lehrers oder der Lehrerin ist mit digitalen Hilfsmitteln auf keinen Fall zu ersetzen. Aber wenn eine Lehrkraft zwei verschiedene Lerngruppen betreuen muss, können Lernplattformen eine große Entlastung sein. Sie können den Unterricht verbessern, indem mehr Zeit und Raum frei wird, um auf Kleingruppen beziehungsweise individuelle Rückfragen einzugehen. Im Sinne von Flipped Classroom kann das Lernen neuer Inhalte außerdem ausgelagert werden.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit Schulen sich flächendeckend digitalisieren?

Die Digitalisierung der Schulen scheitert an der Umsetzung – in der Stadt und auf dem Land. Was die Ausstattung mit WLAN und digitalen Geräten anbelangt, haben die Länder und mittlerweile auch der Bund bereits einige Gelder zur Verfügung gestellt. Eine gute Ausstattung heißt aber nicht, dass diese auch sinnvoll genutzt wird. Das sind Dinge, die man von den Lehrenden auch nicht von heute auf morgen erwarten kann. Hier bedarf es Veränderungen in der Aus- und -Fortbildung. Einerseits stellen wir qualitative Unterschiede in den Fortbildungen fest, andererseits hängt es auch von den einzelnen Schulen ab, wie das erworbene Wissen angewandt und innerhalb des Kollegiums weitergegeben wird.

Auch hier kann Vernetzung helfen: Schulen, die digitaler werden wollen, könnten diesen Weg gemeinsam beschreiten. Oder sie arbeiten mit einer Schule zusammen, die diesen Entwicklungsprozess schon durchlaufen hat und aus Erfahrung sprechen kann. Um Prozesse dieser Art in Gang zu setzen, ist oft ein Initialfunke von außen nötig, eine flächendeckende Systematisierung und Begleitung der Schulen. Es bräuchte zentrale Stellen und Ansprechpersonen, die Lehrende unterstützen und zeitlich entlasten. Gleichzeitig müssen wir uns auch in der Forschung noch ein besseres und klareres Bild davon machen, welche Maßnahmen unter welchen Bedingungen wirksam sind.

Zudem sollten Schulen – egal ob, in der Stadt oder auf dem Land – über genügend Autonomie verfügen, um die Digitalisierung nach ihren speziellen lokalen Anforderungen und Bedürfnissen voranzutreiben.

Über unsere Interviewpartnerin:

Ramona Lorenz, PD Dr. phil., ist Akademische Rätin am Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der Technischen Universität Dortmund. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte umfassen die Digitalisierung in Schule und Unterricht, Schul- Unterrichtsentwicklung, Lehrerprofessionalisierung, Neue Steuerung und zentrale Prüfungsformate in der Schule.

Nina Roßmann ist freie Journalistin in Berlin. Neben dem Thema digitale Bildung beschäftigt sie sich vor allem mit kulturellen und gesellschaftlichen Fragestellungen und berichtet über Berlinerinnen und Berliner, die ihre Stadt durch ihr Engagement lebenswerter machen. Sie ist seit 2013 im Redaktionsbereich tätig und studierte Übersetzungswissenschaft und British Studies in Heidelberg, Berlin, Paris und Dublin.