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Zwischen Digitalität und Alltagsrealität: Jungsein auf dem Land

Eliza Trapp

/ 6 Minuten zu lesen

Wie nehmen junge Menschen das Leben in ländlichen Regionen wahr? Um das zu erfahren, hat werkstatt.bpb.de mit der Studentin Inga aus dem bayerischen Triesdorf, den zwei Schülern Luis und Ansgar sowie der Schülerin Emmi aus Grimma in Sachsen gesprochen.

Das Leben in ländlichen Regionen ist für viele Menschen ein Gegensatz zur Stadt. Wie sehen das die Jugendlichen? (Inga Mayer (privat / bearbeitet)) Lizenz: cc by-sa/4.0/deed.de

Wie erlebt ihr Jungsein auf dem Land?

Inga Mayer: Ich bin nicht auf dem Land geboren, sondern komme eigentlich aus Stuttgart. Da ich allerdings unbedingt Lebensmittelmanagement studieren wollte, zog es mich aufs Land: nach Triesdorf. Am Anfang war es schon ein kleiner Kulturschock. Mit dem normalen "Dorfleben“ kann man Triesdorf aber überhaupt nicht vergleichen. Wegen der hohen Zahl an Studierenden sind dort viele junge Leute und Gleichgesinnte unterwegs. In meiner Heimatstadt kommt der Bus alle fünf Minuten. Dann kommt man aufs Dorf, es ist Wochenende und man fragt sich: Was machen die Leute hier, wenn sie irgendwo hinkommen wollen? Der öffentliche Nahverkehr ist einer der größten Unterschiede. Trotzdem bietet das Landleben für mich eine gute Abwechslung zum Stadtleben. In der Stadt empfinde ich es anonymer als auf dem Dorf. Hier hat man diese Dorfgemeinschaft, von der immer alle sprechen.

Ansgar: Für mich ist das Leben auf dem Dorf nicht anders als in der Stadt. Zumindest bei uns hier. Ich fühle mich nicht komplett abgeschieden von der Außenwelt, man bekommt trotzdem viel mit. In der Stadt gibt es allerdings mehr Möglichkeiten, schnell von A nach B zu kommen. Wir brauchen hier oft einen fahrbaren Untersatz, sowas wie ein Moped oder so.

Luis: Auf dem Dorf oder in einer Kleinstadt kennt sich prinzipiell jeder und jede, der Zusammenhalt ist dadurch viel größer. Diese Anonymität einer Großstadt gefällt mir persönlich allerdings besser, da gibt es auch nicht diesen Klatsch und Tratsch.

Emmi: Ich wohne jetzt seit 17 Jahren auf dem Dorf und ich habe irgendwie Lust, mehr mittendrin zu sein. Ich will zukünftig nach einem Uni-Tag mal schnell zu einer Freundin gehen können, da ist man in der Stadt flexibler und muss nicht erst mit dem Rad drei Kilometer fahren. Aber dadurch, dass wir in der Nähe von Leipzig wohnen, gibt es für mich keinen großen Unterschied zwischen Stadt und Landleben. Das Leben meiner Freunde aus Leipzig gestaltet sich ähnlich zu unserem.

Wie digital gestaltet sich euer Lernen auf dem Land?

Inga: Die Netzabdeckung ist nicht immer gut. An unserer Hochschule gibt es allerdings überall freies WLAN, das funktioniert super. Triesdorf ist auch im Bayern-WLAN integriert, das ist ein öffentliches Netz von WLAN-Hotspots. Privat habe ich die typische digitale Grundausstattung einer Studierenden, also einen Laptop und ein Smartphone. Kommuniziert wird bei uns viel über die Website der Hochschule, Aufgaben können über Moodle bereitgestellt und bearbeitet werden. Die Professoren und Professorinnen haben die Vorlesungen während der Fernlehre häufig aufgenommen, was hilfreich zum Selbststudium war.

Wie empfindest du, Inga, die mediale Gestaltung deiner Uni, im Vergleich zu beispielsweise städtischen Unis?

Inga: Einen großen Unterschied zu städtischen Unis gibt es meiner Meinung nach nicht. Wir haben sehr spezifische Möglichkeiten digital zu arbeiten – einfach dadurch, dass unsere Fachhochschule ein landwirtschaftliches Bildungszentrum ist und wir einen hohen Praxisbezug haben. In unseren Laboren beispielsweise gibt es natürlich ganz andere digitale Anwendungen als an anderen Hochschulen.

Und wie ist es bei Euch in Grimma?

Luis: Bei uns fällt natürlich gerade die Internetverbindung auf. Die ist gerade im Umland manchmal echt schlecht. und in der Stadt deutlich besser. Privat benutzen wir die gängigen Social-Media-Plattformen und Medien. Ich gehe in einer Kleinstadt zur Schule, während die Schule oder Uni der anderen beiden schon mehr diesen "Dorfflair“ hat. Allerdings sind die trotzdem moderner. Was die Digitalisierung angeht, hängen wir auf jeden Fall hinterher. Wir haben während der Fernlehre Anfang des Jahres zwar ein Online-Portal verwendet und Mails geschrieben. Was aber auffällt: Die meisten Lehrenden wissen überhaupt nicht, wie sie damit umgehen sollen. Als Lösung würde ich vorschlagen, Seminare zum Umgang mit Medien für Lehrerinnen und Lehrer anzubieten. Auch um allgemein mal etwas den Fortschritt einzuläuten.

Ansgar: An unserer Schule hat man sich etwas mehr gekümmert, unser Umgang mit der Fernlehre war übersichtlicher. Das hat den Einstieg extrem erleichtert. Erst während der Fernlehre hatten wir die Möglichkeit, das Potenzial aller Medien der Schule richtig auszuschöpfen. Dabei stellte sich heraus: Das klappt richtig gut. Es gibt jetzt auch eine technische Aufrüstung an Laptops und Beamern. Die werden während des Präsenzunterrichts eingesetzt, zum Beispiel zur Präsentation von Hausaufgaben oder ähnlichem. Eigentlich finde ich es so viel besser als vorher. Der Unterricht kann kreativer gestaltet werden und macht uns viel mehr Spaß. Im Großen und Ganzen ist der Unterricht während der Schulschließungen bei uns schon gut gelaufen.

Welche Möglichkeiten zur Mitbestimmung habt ihr?

Inga: Wer sich an der Uni engagieren möchte, hat auf jeden Fall ein Mitbestimmungsrecht. Das wird auch nicht belächelt, sondern ernst genommen. Ich arbeite in der Studierendenvertretung und habe das Gefühl, damit wirklich etwas zu bewegen.

Ansgar: Bei uns wird auch Wert auf Mitbestimmung gelegt, vor allem, was die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler angeht. Deswegen hat der Schülerrat eine ziemlich hohe Stellung in der Schule und kann relativ viel mitbestimmen. Gerade bei Themen wie der Nutzung digitaler Geräte im Unterricht geht viel von den Schülerinnen und Schülern aus. Das heißt auch, dass wir selbst entscheiden können, beispielsweise unsere privaten Laptops oder Tablets mit in den Unterricht zu bringen. Das ist sehr praktisch, denn die ganzen Bücher, Hefte und Mäppchen ständig mitzuschleppen ist ganz schön anstrengend.

Emmi: Ich habe gemerkt, dass sich die Schülerinnen und Schüler meist viel besser mit den Medien auskennen und wir den Lehrenden die Anwendungen erklären müssen. Wir machen das gerne, aber es ist wichtig, dass man sein Mitbestimmungsrecht auch dafür nutzt über solche Themen zu reden. Damit in Zukunft daran gearbeitet werden kann.

Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf euer Umfeld?

Inga: Triesdorf ist eigentlich das Gegenbeispiel zum Stereotyp, dass Jugendliche vom Land wegziehen. Von meinen Kommilitonen oder Kommilitoninnen, die auf dem Land geboren sind, sagt kaum jemand: "Ich möchte in die Stadt!“ Wenn man nach Triesdorf geht, hat man eigentlich schon die Entscheidung gefällt, zukünftig auf dem Land bleiben zu wollen. Das Jungsein auf dem Land gefällt mir sehr gut, es ist so entschleunigend. Ich weiß allerdings nicht, ob es für mich auch so reizvoll wäre, wenn ich auf dem Land aufgewachsen wäre und dort "feststecken“ würde. Mir gefällt vor allem die Gemeinschaft in Triesdorf. Die meisten von uns wohnen im Umkreis von einem Kilometer zur Uni, viel weiter geht es auch nicht, da ist das Dorf gefühlt schon zu Ende. Dadurch, dass man so eng zusammen ist, hat man automatisch Kontakt zu den anderen Studierenden. Für mich gibt es keine Nachteile und ich empfinde das Studieren auf dem Land als sehr angenehm.

Luis: Mir ist aufgefallen, dass viele ihr soziales Umfeld auf dem Dorf nicht mögen. Das liegt hauptsächlich daran, dass hier viel mehr alte Menschen leben als junge. Das ist schon seit vielen Jahren so. Wir kennen das gar nicht anders. So lange sich in Sachen Lern- und Freizeitangeboten nichts ändert, wird es auch so bleiben und viele werden weiterhin in die Großstädte ziehen. Leipzig ist da sehr beliebt.

Emmi: Wir drei treffen uns immer an den gleichen Orten. In der Großstadt hat man mehr Möglichkeiten, sich kreativ auszuleben. Ich denke deshalb bleiben kaum Menschen, die ihr Abitur hier gemacht haben, auf dem Land.

Du siehst deine Zukunft also in der Stadt, Emmi?

Emmi: Ja, denn das ist etwas, worin es eine Kleinstadt niemals mit einer Großstadt aufnehmen kann: Dass sich vor Ort Gruppen von Menschen mit den gleichen Interessen bilden. Für Themen wie politische Gestaltung oder freies und kreatives Arbeiten, würde ich mir mehr Projekte und Lernangebote wünschen. Nicht nur irgendwelche Jugendclubs, wo alle nur hingehen, um Bier zu trinken. Auch die digitale Gestaltung des Unterrichts könnte auf dem Land weiter ausgebaut werden. Sonst zieht es viele engagierte Leute weiterhin in die Großstadt, weil sie dort einfach mehr Potenzial sehen.

Eliza Trapp studierte ihren Bachelor in Germanistik und Linguistik in Düsseldorf und macht jetzt den Master in Vergleichende Literatur- und Kunstwissenschaft an der Universität Potsdam. Die werkstatt.bpb unterstützt sie als Redaktionsassistenz seit September 2020.