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Kino made in Hongkong – Zwischen China und der Welt Stadt, Kino, Welt. Angst vor 1997 Film Censorship in Hong Kong Filmzensur in Hongkong „Es muss nur eine Geschichte von Hongkonger:innen sein, dann ist es ein Hongkong-Film“ Redaktion

Stadt, Kino, Welt. Das Kino Hongkongs im globalen Zusammenhang

Fabian Tietke

/ 13 Minuten zu lesen

Aufgrund seiner Historie und geografischen Lage war Hongkong seit Anfang der britischen Kolonialherrschaft Schnittstelle zwischen China und der restlichen Welt. Entsprechend fußte auch der globale Erfolg des Hongkongkinos zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren auf Einflüssen aus aller Welt und einer überregionalen wirtschaftlichen Vernetzung, die ihm zum Verhängnis werden sollte.

Gangsterromanze: Filmstill aus A MOMENT OF ROMANCE (© courtesy of Media Asia Film Distribution (HK) Limited)

Septet – The Story of Hong Kong

Filmplakat von SEPTET – THE STORY OF HONG KONG (© courtesy of Media Asia Film Distribution (HK) Limited)

Hongkong Anfang der 1960er-Jahre: mit der Basthandtasche in der Hand schlendert Miss Wong durch die nächtlichen Straßen. An einem Stand am Straßenrand sitzt einer ihrer Schüler und verkauft Essen. Er bietet ihr eine süße Suppe an. Der Junge organisiert seiner Lehrerin einen Sitzplatz und stellt eine Tafel zum Sichtschutz gegen Gaffer auf. Miss Wong, zurückhaltend und aufmerksam wie ihr Schüler, ist beliebt. Vor dem Ende springt Ann Huis Kurzfilm Headmaster zu einem Klassentreffen 40 Jahre später. Einer der Schüler erzählt, dass Miss Wong Anfang der 1980er-Jahre an Nierenversagen gestorben sei. Der Film ist ein Beitrag zum Omnibusfilm Septet – The Story of Hong Kong (Qi ren yue dui, R: Ann Hui/„Sammo“ Hung Kam-Bo/Ringo Lam/Patrick Tam/Johnnie To/Tsui Hark/Yuen Woo-Ping, HK/CHN 2020), in dem sieben etablierte Filmschaffende auf die Historie jener Stadt zurückblicken, deren Filmgeschichte sie mitgeprägt haben. Dabei setzt Hui einer jungen Frau ein Denkmal, die Spuren im Leben der Menschen um sie herum hinterlassen hat. Miss Wong ist in ihrer stillen Alltäglichkeit eine Figur, die es so im Hongkonger Kino der 1960er-Jahre nie gegeben hätte. Geschlechterfragen wurden damals wie in vielen Kinematographien der Welt, in Hollywood ebenso wie im Wirtschaftswunderitalien vor allem in Melodramen und Komödien ausgehandelt, aber nur selten in einem zurückgenommenen, beobachtenden Modus. Dieser trat erst Ende der 1970er-Jahre im Kino der Neuen Welle, zu der auch Ann Hui gehört, in die Bildwelten des Hongkongkinos.

Die Anfänge eines Exportschlagers

Bereits Anfang der 1970er-Jahre vollzieht sich ein Wandel im wohl bekanntesten Genre des Hongkongkinos, der „wu xia pian“ oder Martial-Arts-Film: Die Handlungszeiten rücken näher an die Gegenwart heran und der Schwertkampf tritt zugunsten des Kampfes mit bloßen Händen zurück. Überdies greifen die Martial-Arts-Filme jener Jahre neben den diversen Operntraditionen Chinas zunehmend westliche Einflüsse auf. Dabei waren zwei Filme für die Wahrnehmung des Martial-Arts-Films weltweit zentral, die im asiatischen Ausland ebenso erfolgreich liefen wie in Europa und den USA.

Im Oktober 1971 feierte Lo Weis und Wu Chia-Hsiangs The Big Boss (Tong san dai hing, HK) im Hongkonger Queen's Theatre Premiere. The Big Boss markiert den Wechsel des in den USA geborenen Martial-Arts-Lehrers und Schauspielers Bruce Lee ins Hongkongkino und gleichzeitig den internationalen Durchbruch des späteren Weltstars. Der Film erzählt die Geschichte Cheng Chiu Ons, ein junger Mann aus Nordchina, der bei seiner Adoptivfamilie in Thailand lebt. Während seiner Arbeit in einer Eisfabrik stößt er darauf, dass die Fabrik nur der Deckmantel für Drogenhandel ist. Als die Drogenhändler seine Familie ermorden lassen, schwört er Rache. The Big Boss stellt den Kontrast zwischen der Arbeits- und Lebenswelt von Cheng Chiu On den Verheißungen auf ein luxuriöses Leben im organisierten Verbrechen gegenüber und nutzt wirkungsvoll das Nebeneinander von urbanen Räumen und Natur. Cheng Chiu On zögert angesichts der unübersehbaren Herrschaft der Gewalt lange, bevor er zurückschlägt.

Stilsicher: Lo Lieh in KING BOXER (© picture alliance / Everett Collection)

King Boxer (Tian xia di yi quan, HK 1972) des aus Südkorea stammenden Regisseurs Jeong Chang-Hwa feierte zwar erst ein halbes Jahr später Premiere, schaffte den Wechsel über den Pazifik jedoch zügiger als The Big Boss, der erst nach Erfolgen in Singapur, Südostasien und dem Libanon einen US-Verleiher fand. Der in Indonesien geborene Schauspieler Lo Lieh spielt den Kampfkunstschüler Chao Chih-Hao. Als ein angesehener Kampfkunstmeister ihn zum Nachfolger wählt, zieht er die Eifersucht eines ehemaligen Meisterschülers auf sich. Während The Big Boss visuell nüchterner gehalten ist, auf opulente Kostüme und Ausstattungen verzichtet und der gradlinigen Dramaturgie eines Actionfilms folgt, ist King Boxer deutlich stärker stilisiert.

Der Film behält etablierte Gestaltungselemente des Martial-Arts-Genres wie die bunten Kostüme vor den gedämpft farbigen Hintergründen der Sets und die stark choreographierten Kampfszenen bei und ergänzt diese mit Elementen westlicher Filme. Das beginnt ähnlich wie bei The Big Boss bei der Gestaltung der Eröffnungscredits und der unterlegten Musik, geht jedoch anders als in Lo Weis und Wu Chia-Hsiangs Film darüber hinaus. Nicht zuletzt im Setdesign, bei dem man nicht sicher ist, ob es von den italienischen Western der Zeit inspiriert ist oder andersherum. Besonders auffällig ist dies in einer Reihe von Szenen in einem Gasthaus, das im Aufbau des Sets eher einem Saloon ähnelt und auch in der Dramaturgie – Männer sitzen an Tischen, Mann betritt den Raum und zieht die Reaktionen der Sitzenden auf sich – der Logik etablierter Western-Topoi folgt. Die Musik des Films wiederum kombiniert einen Soundtrack, der westlich orchestriert ist und in seiner symphonischen Komposition eine Nähe zu Hollywood-Soundtracks aufweist, mit einigen On-screen-Auftritten der taiwanesischen Schauspielerin Wong Gam-Fung als Sängerin, die Elemente chinesischer Musik präsent hält.

Lokale Produktionslandschaft

King Boxer wurde von Shaw Brothers produziert. Das Studio war zentral für die Fortführung einer Filmtradition, die sich vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Shanghai und einigen anderen Städten Südchinas entwickelt hatte. Im Zuge der japanischen Aggression gegen China ab 1937 und der Gründung der Volksrepublik 1949 flohen viele der Protagonist_innen dieser Filmindustrie nach Hongkong und fanden bei Studios wie den Shaw Brothers ein neues Tätigkeitsfeld. The Big Boss hingegen stammt von der Produktionsfirma Golden Harvest, die die beiden ehemaligen Shaw-Brothers-Produzenten Raymond Chow und Leonard Ho 1970 gegründet hatten. Die Konkurrenz unter diesen beiden Studios war prägend für das Kino in Hongkong.

Als Run Run Shaw und Runme Shaw Ende der 1950er-Jahre ihr Studio Shaw Brothers gründeten, war die Motion Picture & General Investment Company (kurz MP&GI) das dominierende Studio. Letzteres hatte als Tochterfirma des in Singapur ansässigen Mutterkonzerns Cathay Organisation begonnen. Sowohl die Shaw Brothers als auch MP&GI (nach dem Mutterkonzern auch kurz Cathay genannt) betrieben neben der Produktion von Filmen eigene Kinoketten, Vergnügungsparks und andere Unterhaltungsbetriebe. Als MP&GI sich Anfang der 1970er-Jahre aus der Filmproduktion zurückzog, übernahm Golden Harvest deren Studios. Die Orte, an denen das Kino in Hongkong produziert und präsentiert wurde, sollten sich auch in den kommenden Jahrzehnten nicht selten als beständiger erweisen als die Organisationen, die sie betrieben.

Von Peking-Oper-Performern zu Stuntmännern, Filmstars, Action-Choreographen und Regisseuren: Jackie Chan (l.), "Sammo" Hung (m.) und Yuen Biao (r.) in DRAGONS FOREVER (FEI LUNG MANG JEUNG, HK 1988). (© picture alliance/United Archives/TBM)

Auf die Erfolge von The Big Boss und King Boxer folgte ein regelrechter Martial-Arts-Boom, an den die großen Hongkonger Studios ab Mitte der 1970er-Jahre mit einer Welle von Martial-Arts-Komödien anknüpften. Diese verhalf Schauspielern wie „Sammo“ Hung und Jackie Chan, die auf eine langjährige Ausbildung in der Peking-Oper zurückgreifen konnten und sich nun von US-Slapstick-Komödien eines Charlie Chaplins oder Buster Keatons inspirierten, zum Durchbruch. Die Martial-Arts-Filme der 1970er-Jahre bestätigten innerhalb der Kinoökonomie Hongkongs eine Produktionslogik, bei der eine Welle an Filmen eines einzigen Genres phasenweise den Markt überschwemmte, bis sich das nächste Erfolgsgenre abzeichnete: So folgten auf Martial-Arts-Filme, Martial-Arts-Komödien, Sexfilme, Gangsterfilme und so weiter.

Nach einem Höhepunkt mit 220 Filmen im Jahr 1972 sank die Zahl der jährlich produzierten Filme kontinuierlich bis auf 130 im Jahr 1979. Parallel dazu entstand eine kulturelle Infrastruktur: 1975 gründete die Regisseurin Cecile Tang Shu-Shuen die Filmzeitschrift Close-Up, später folgte Film Biweekly. 1976 wurde der Phoenix Club gegründet, der unabhängiges Kino aus dem Westen zeigte und schließlich fand im Sommer 1977 die erste Ausgabe des Hong Kong Film Festivals statt, das dem Kino der Stadt eine internationale Bühne schuf und seither einen künstlerischen Austausch mit der internationalen Filmwelt ermöglicht.

Zwischen Fluchtbewegungen und Wirtschaftsmigration, Vietnam und den USA

Richtet den Blick auf Vietnam nach dem Krieg: Regisseurin Ann Hui am Set von BOAT PEOPLE, 1982. (© International Spectrafilm/Courtesy Everett Collection/picture alliance)

Anfang der 1980er-Jahre öffnete sich das Kino Hongkongs noch einmal mit Nachdruck zur Welt, während zeitgleich ein ungebrochener Strom von Genrefilmen für das lokale Publikum entstand. Im Anschluss an ihre Fernsehproduktion From Vietnam (eine Episode der TV-Serie Below the Lion Rock / Si ji san ha, HK 1972-2020) von 1978 griff die Regisseurin Ann Hui in zwei weiteren Filmen Lebenswege nach dem Ende des Vietnamkriegs auf. Die drei Politdramen der sogenannten Vietnam-Trilogie markieren gleichermaßen Ann Huis Wechsel vom Fernsehen zum Kino (auch wenn dieser sich bereits mit dem Mysterythriller The Secret / Fung gip, HK 1979 vollzieht) und ihren internationalen Durchbruch.

Filmplakat von Ann Huis BOAT PEOPLE (© International Spectrafilm/Courtesy Everett Collection/picture alliance)

The Story of Woo Viet (Woo Yuet dik goo si, HK) von 1981 erzählt die Geschichte von Woo Viet, der Vietnam verlassen möchte, um in den USA ein neues Leben anzufangen. Aber zuerst führt ihn sein Weg als Teil der sogenannten „boat people“ nach Hongkong. Als sein Leben auch dort in Gefahr gerät, flieht er weiter Richtung USA. Boat People (Tau ban no hoi, HK 1982), der ein Jahr später Premiere feierte und Huis erster Film war, der auf dem Filmfestival in Cannes lief, zeigt aus der Perspektive eines japanischen Fotojournalisten das Leben in Vietnam in den Jahren nach dem Ende des Vietnamkrieges. Es dauert nicht lange bis Shiomi Akutagawa nur knapp der ersten Prügel vietnamesischer Polizisten entkommt. Am Ende des Films erscheint die Flucht nach Hongkong für die Nachwuchsgeneration als einziger Ausweg vor der Verfolgung durch das Regime.

Vor allem die letzten beiden Filme der Trilogie sind sowohl mit der Etablierung des Politdramas als Form, um Fragen der Gegenwart zu behandeln, als auch in der Produktion Wegbereiter. Die späteren Superstars des Hongkongkinos Chow Yun-Fat (in The Story of Woo Viet) und Andy Lau (in Boat People) sind in frühen tragenden Rollen zu sehen. Für Boat People bekam Ann Hui die Erlaubnis, auf der Insel Hainan zu drehen, die zur Volksrepublik China gehört. Der Film gilt als der erste Hongkong-Film, der in der Volksrepublik gedreht wurde.

Kurz nach Ann Huis Vietnam-Trilogie begann Mabel Cheung eine Trilogie über Migrationswege zwischen New York und Hongkong. The Illegal Immigrant (Fei fat yi man, HK 1985) entstand als Abschlussfilm von Cheungs Filmstudium an der New York University, produziert mit Geldern der Shaw Brothers. Ein junger Mann versucht in New York mit Gelegenheitsjobs das Geld für die Schlepper aufzutreiben, die ihn aus Hongkong dorthin gebracht haben. Der folgende Film, An Autumn’s Tale (Chau tin dik tung wa, HK 1987), kreist um eine junge Frau, die zum Studium nach New York kommt. Eight Taels of Gold (Bat leung gam, HK 1989) schließlich ist die Geschichte einer Rückkehr: Nach Jahren als Taxifahrer in New York kehrt „Slim“ Cheng als gemachter Mann zu seiner Familie nach China zurück.

Während Huis Filme Hongkong auf der globalen Landkarte verorten und als Schnittstelle zwischen regionalem Geschehen in Südostasien und „dem Westen“ zeigen, kreisen Cheungs Filme eher um die Frage, inwiefern unterschiedliche Lebensrealitäten verschiedene Perspektiven auf die Welt bedingen. Eine Frage, die angesichts der bevorstehenden Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik China und der einhergehenden Massenauswanderung mit jedem Film mehr Dringlichkeit zu bekommen scheint. Dass Cheungs Filme überdies das Leben chinesischer Gemeinschaften im Ausland zeigen, dürfte sich für die Vermarktung ihrer Filme außerhalb Hongkongs als hilfreich erwiesen haben.

Das Kino Hongkongs und seine Institutionen

Es ist kein Zufall, dass Mabel Cheung in New York und Ann Hui in London Film studiert haben. Bis zur Gründung der Hong Kong Academy for Performing Arts 1984 und ihrer Film- und Fernsehschule gab es nur begrenzte Möglichkeiten zur Filmausbildung in Hongkong. Im gleichen Jahr wurden auch die Hong Kong Film Awards eingeführt. Es war eine ökonomische Notwendigkeit, die Ausbildung von Filmnachwuchs in Hongkong zu ermöglichen: Die Nachfrage nach Arbeitskräften war enorm, 1983 arbeiteten 30.000 Menschen in der lokalen Filmindustrie, doppelt so viele wie in der Lebensmittelindustrie. Zugleich war in absoluten Zahlen wenig Geld im Umlauf und die Löhne niedrig. In seiner Studie zur Hongkonger Unterhaltungsindustrie schreibt der Filmwissenschaftler David Bordwell: „Im düsteren Sommer 1998 hätte das Budget einer einzigen großen Hollywoodproduktion die gesamte Produktion Hongkongs finanzieren können.“ Andererseits führten die niedrigen Produktionskosten dazu, dass auch Highbrow-Filme wie Cheungs Migrationstrilogie an den Kinokassen ausreichend Umsatz generierten, damit sie ihre Regiekarriere in einem komplett kommerziellen Umfeld fortsetzen konnte.

Angesichts der Tatsache, dass Hongkongs wirtschaftlicher Aufschwung nicht zuletzt auf einem unregulierten freien Markt, Niedriglöhnen und fehlendem Arbeitsschutz fußte, war auch die lokale Filmindustrie ein weitgehend ungeregeltes Geschäftsfeld: Keine Gewerkschaften, kein System von Altersfreigaben. Das änderte sich 1988, als das „Hong Kong motion picture rating system“ eingeführt wurde. Jeder Film, der in Hongkong in Umlauf gebracht werden sollte, musste nun dem „Office for Film, Newspaper and Article Administration“ zur Bewertung vorgelegt werden. Es wurden Kategorien der Altersfreigabe eingeführt. Die Kategorie III für über Achtzehnjährige wurde gerade für Horrorfilme und Softpornos zu einer Art Gütesiegel, das vor allem für den Export in die Länder Südostasiens ein Verkaufsargument war.

Superstars aus Hongkong: Chow Yun-Fat (l.) und Andy Lau (r.) in GOD OF GAMBLERS (© 88 Films 2023)

Neben dem gezielten Bedienen beliebter Genres, einer schnellen und günstigen Produktionskette und dem verlässlichen Export insbesondere in den Südostasiatischen Raum, umfasste die kommerzielle Logik des Hongkongkinos noch weitere Mechanismen. So zog ein Erfolgsfilm, wenn der Gewinn nur groß genug war, unweigerlich eine Serie von Fortsetzungen, Nachahmungen und Parodien nach sich. Ende der 1980er-Jahre beispielsweise erfand Wong Jing für seinen Film God of Gamblers (Dou san, HK 1989) die Figur des Superzockers Ko Chun (Chow Yun-Fat). Der Regisseur schlachtet das Konzept bis heute in Filmen mit immer glänzenderen Oberflächen aus. Bislang sind neun Fortsetzungen und eine Handvoll Spin-offs und Parodien entstanden.

Im Schatten der Zukunft, Hongkongs Kino vor der Übergabe 1997

Zugleich griff das Kino Hongkongs gerne andere Medienerfolge auf. Das passiert schon in Ann Huis The Story of Woo Viet mit der Musik von Teddy Robin, der den Film auch produziert hat. Noch markanter geschieht dies in Benny Chans Kinodebüt A Moment of Romance (Tin joek jau ching, HK) von 1990. Chans Gangsterromanze greift auf dem Soundtrack den Erfolg der Cantopop-Band „Beyond“ auf, die Teil einer neuen Welle von Popbands in Hongkong war. Diese sogenannte zweite Welle des Cantopop fiel zusammen mit der in der Sino-British Joint Declaration 1984 verkündeten Entscheidung, dass Interner Link: Hongkong 1997 wieder Teil von China werden würde.

Gangsterromanze: Filmstill aus A MOMENT OF ROMANCE (© courtesy of Media Asia Film Distribution (HK) Limited)

„Das Leben ist so kurz, ich drehe mich um und gehe durch diesen trostlosen Raum“, singen Beyond im Titelsong von Chans Film. Der Cantopop von Bands wie Beyond wurde zu einem zentralen Element der Identität der Stadt. Anders als früher sangen die meisten der Bands auf Kantonesisch, Beyond wiederum hob sich durch explizit soziale und politische Themen ab. Die Vermarktung der Band in Hongkonger Filmproduktionen hatte 1987 mit David Lais Actionfilm Sworn Brothers (Gan dan xiang zhao) begonnen und dauerte bis Anfang der 1990er Jahre an.

Chans A Moment of Romance wendet die Gangsterfilme der 1980er-Jahre ins Romantische und fand mit Andy Lau und Jacklyn Wu ein Traumpaar des Hongkongkinos. Eine ganze Reihe von Nebenrollen sind mit Personen der Film- und Musikgeschichte besetzt. Der Film wirkt wie ein Abgesang auf die goldene Zeit des Hongkongkinos mitten auf dem Höhepunkt anziehender Produktions- und Einnahmezahlen Anfang der 1990er-Jahre. Zugleich ist er Teil einer Reihe von Filmen, in denen das Kino Hongkongs sich in den verbleibenden Jahren vor der Übergabe noch einmal auf die in den Jahrzehnten als Exklave gewachsene Identität besinnt.

1995 war Hongkong in der Anzahl der produzierten Filme noch an dritter Stelle weltweit, in der Zahl an Filmexporten sogar Zweiter (hinter den USA). Parallel wurden auf institutioneller Seite Vorkehrungen getroffen, um die Eigenständigkeit der Hongkonger Filmtradition und -industrie auch nach 1997 zu bewahren. 1993 wurde das „Hong Kong Film Archive“ gegründet, um das filmische Erbe der Stadt dauerhaft zu sichern. 1994 schaffte das Hongkonger Parlament ein Gesetz ab, das Zensureingriffe erlaubte, wenn ein Film in der Lage schien „die guten Beziehungen zu anderen Territorien ernsthaft zu beschädigen“. Ein Jahr später wurde die Kulturförderung im „Hong Kong Arts Development Council“ zusammengeführt, um auch nach 1997 Anreize für eine Filmproduktion in Hongkong zu schaffen.

Vorbei

Auf die Höhepunkte Anfang der 1990er-Jahre folgten rapide sinkende Produktions- und Zuschauer_innenzahlen. Ein Grund war die Attraktion des Hollywoodkinos sowohl für das Publikum in Hongkong als auch bei den (für den Vertrieb der hongkonger Produktionen so wichtigen) asiatischen Nachbarstaaten. Parallel wuchsen die politischen Unsicherheiten im Vorfeld der Übergabe. Noch im November 1994 versicherte der Leiter des Büros für die Angelegenheiten Hongkongs und Macaus der Volksrepublik, dass die Hongkonger Filmproduktion nach 1997 erhalten bleiben könne und betonte sogar, dass wirtschaftlich relevante Filme der Kategorie III weiter entstehen könnten.

Doch kaum jemand traute solchen Versicherungen. So wie Filmschaffende sich spätestens zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus Südchina vor der Diktatur der Kommunistischen Partei Chinas nach Hongkong in Sicherheit gebracht hatten, zogen viele es ab Mitte der 1990er-Jahre angesichts der bevorstehenden Übergabe vor, die Stadt zu verlassen. Möglich war dies nicht zuletzt auf der Grundlage der erfolgreichen internationalen Vernetzung der Hongkonger Filmschaffenden in den 1980er-Jahren. Viele Filmschaffende hatten längst in Koproduktionen und Produktionen für ausländische Märkte Erfahrungen, auf die sie nun zurückgriffen, zumal die erfolgreiche Vermarktung von Filmen per Video auch die Bindung an die Kinoketten der Stadt weniger relevant gemacht hatte. So waren Regiegrößen wie John Woo, Tsui Hark und Ringo Lam in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren in zahlreichen US-Produktionen und -Koproduktionen involviert. Auch Schauspielstars Chow Yun-Fat, Jackie Chan, Jet Li und Michelle Yeoh versuchten in dieser Zeit – mit unterschiedlichem Erfolg – den Sprung nach Hollywood.

Die Übergabe an die Volksrepublik erfolgte am 1. Juli 1997. Einen Tag später stürzte der thailändische Baht ab und löste eine einschneidende Interner Link: Wirtschaftskrise in Ost- und Südostasien aus, die auch Hongkong erfasste. Wirtschaftlich sollte sich die Stadt ab den frühen 2000er-Jahren leidlich erholen, die verbliebene Filmbranche versuchte sich zu diesem Zeitpunkt längst durch Koproduktionen mit der Volksrepublik über Wasser zu halten. Die wachsende Einflussnahme der chinesischen Zensurbehörde verkompliziert den Umgang mit vielen Themenfeldern und jeder Form von politischer Anspielung, die das Hongkonger Kino lange geprägt haben. All das führt zunehmend zur Aushöhlung der gleichsam lokalen wie globalen Identität des Hongkongkinos, die dessen weltweite Strahlkraft von den frühen 1970er- bis in die späten 1990er-Jahre ausgemacht hat und bis heute seinen bleibenden Einfluss (nicht zuletzt auf Hollywood) begründet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Rehling, Petra: „Schöner Schmerz - Das Hongkong-Kino zwischen Traditionen, Identitätssuche und 1997-Syndrom“ (2. Aufl.), Bender Verlag/Ventil Verlag KG, Mainz 2005, S. 18.

  2. „By the bleak summer of 1998, the budget of one major Hollywood release could have financed the territory’s entire output.“ In Bordwell, David: „Planet Hong Kong - Popular Cinema and the Art of Entertainment“ (2. Aufl.), Irvington Way Institute Press, Madison (Wisconsin) 2011, S. 51.

  3. Odham Stokes, Lisa & Hoover, Michael: „City on Fire - Hong Kong Cinema“, Verso, New York/London 1999, S. 17.

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Fabian Tietke ist Filmkritiker, Filmhistoriker und Programmgestalter. Sein filmisches Interesse gilt dokumentarischen Formen, dem Animationsfilm, Film und sozialen Bewegungen, der italienischen und chinesischen Filmproduktion und -geschichte und dem Film der Mena-Region. Für eine Reihe von Print- und Onlinemedien schreibt er über Film und Filmpolitik.