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Vor 80 Jahren: Die NS-Propagandaausstellung "Der ewige Jude" wird eröffnet | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 80 Jahren: Die NS-Propagandaausstellung "Der ewige Jude" wird eröffnet

Redaktion

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Am 8. November 1937 wurde in München die Ausstellung "Der ewige Jude" eröffnet. Hunderttausende Menschen kamen in den darauffolgenden Wochen, um die antisemitische "Schandausstellung" im Deutschen Museum zu besuchen.

Bild einer Schautafel der NS-Propaganda Ausstellung 'Der ewige Jude' im Jahr 1937. Bild entstand am 04.Novmeber 1937 während des Aufbaus der Ausstellung. (© picture-alliance, akg)

Bereits am Münchner Hauptbahnhof warb ein großes Banner für die "politische Schau", die täglich zwischen 10 und 21 Uhr im Deutschen Museum zu sehen war: "Der ewige Jude". Der Titel der Ausstellung war in Buchstaben zu lesen, die von den nationalsozialistischen Machern der Ausstellung verzerrt wurden und an die Hebräische Schrift erinnern sollten. Am Isarufer hatten die Verantwortlichen zudem eine meterhohe Plakatwand mit einer stigmatisierenden und diffamierenden Karikatur aufstellen lassen, die abends mit Scheinwerfern angestrahlt wurde.

Die antisemitische Ausstellung "Der ewige Jude“ war Teil einer ganzen Reihe sogenannter "Schandausstellungen“, die das NS-Regime zu propagandistischen Zwecken in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg initiierte. In der "Antibolschewistischen Schau“ etwa, die im Jahr 1936 zum ersten Mal gezeigt wurde, sollte das angebliche Zusammenwirken des "Interner Link: Judentums“ und der "Interner Link: Freimaurerei“ mit dem "Interner Link: Bolschewismus“ präsentiert werden. Bereits in dieser Ausstellung wurden Künstler der Moderne als "zersetzend“ und "undeutsch“ verleumdet.

Die unvorteilhafte Hängung und die stigmatisierende Inszenierung der Bilder ähnelte jener "Schandausstellung“, die heute wohl am bekanntesten ist: In Interner Link: "Entartete Kunst“ wurden ab Juli 1937 Werke des Kubismus, des Expressionismus, des Dadaismus und der Neuen Sachlichkeit ausgestellt. Mit der Ausstellung sollte ein Teil der modernen Kunst in Deutschland aus dem sozialen und kulturellen Leben ausgeschlossen werden. Parallel dazu fand die "Interner Link: Erste Große Deutsche Kunstausstellung“ statt, in der die politisch erwünschte, so genannte "Deutsche Kunst“ gezeigt wurde.

Eine Ausstellung mit dem Ziel der Volksverhetzung

"Der ewige Jude“, am 8. November 1937 von Joseph Goebbels und Julius Streicher in München eröffnet, sollte an diese Argumentationskette anschließen.

Victor Klemperer, zu dieser Zeit bereits in den Zwangsruhestand versetzter Professor für Romanistik an der TH Dresden, schrieb in seinem 1947 erschienenen Buch "LTI – Notizbuch eines Philologen“, dass Wörter wie "Jude“ und ganz besonders "jüdisch“ (im Sinne von "jüdisch-bolschewistisch“ oder "jüdisch-amerikanisch“) für die Nazis eine Klammerfunktion hatten: "So führt von 1933 an buchstäblich jede Gegnerschaft, woher sie auch komme, immer wieder auf denselben Feind, auf die verborgene Interner Link: Hitlersche Made zu, auf den Juden, den man in gesteigerten Momenten auch 'Juda' nennt, und in ganz pathetischen Momenten 'Alljuda.“

Auch der "Bolschewismus" als Kampfbegriff für einen expansiven sowjetischen Kommunismus wurde auf diese Weise mit dem Attribut "jüdisch" versehen und fest in der NS-Propaganda verankert: "Die Nationalsozialisten sprachen dann vom "jüdischen Bolschewismus", um damit nach der russischen Oktoberrevolution, die in der deutschen Bevölkerung verbreitete Furcht vor einem kommunistischen Umsturz für ihren Antisemitismus zu instrumentalisieren", schrieb der Interner Link: Antisemitismusforscher Werner Bergmann 2006.

Diese Strategie galt auch für die Ausstellung "der ewige Jude": Nachdem der "Bolschewismus" gebrandmarkt und die zersetzende Kraft von vermeintlich undeutscher Kunst hervorgehoben worden war, sollte nun die "Herrschaft des Bolschewismus“ als "Herrschaft des Judentums“ dargestellt werden, wie es damals in einem Artikel der "Münchner Neuesten Nachrichten“ hieß. Die Kunsthistorikerin Brigitte Zuber kommt 2009 in einem Text über die in München gezeigten Propagandaschauen der Nazi-Zeit zu dem Fazit: "Mithilfe der konstituierenden Rassenkonstante konnten nun alle 'Entarteten' und 'Untermenschen' in einem 'absoluten Bösen' zusammengefasst werden“.

Jugendliche hatten keinen Zutritt – und wurden doch hinein gelassen

Die Ausstellung hatte in München über 412.000 Besucher. Nicht alle von ihnen kamen freiwillig: Offiziell war Kindern und Jugendlichen der Eintritt verboten. Tatsächlich aber wurden ganze Schulklassen durch die Propagandaschau geführt. Die Altersbeschränkung war als Werbemaßnahme gedacht: Besucher sollten durch die dahinter vermutete Drastik angezogen werden.

Zu sehen bekamen sie – fast genau ein Jahr vor den Ausschreitungen der sogenannten Reichspogromnacht – einen offen und aggressiv vorgeführten Antisemitismus. Dieser fing bei der Zusammenstellung der Propagandaschau an. Die Propagandazeitung der NSDAP, der "Interner Link: Völkische Beobachter“, lobte die Inszenierung seinerzeit als ein "Musterbeispiel“ für die Gestaltung eines "neuen Ausstellungstyps“. Die Besucher wurden durch mehr als ein Dutzend Räume geführt, in denen sowohl biologistische Grundlagen des nationalsozialistischen Judenhasses konstruiert als auch Juden als "Weltverschwörer“ verleumdet wurden.

Zum Teil bedienten sich die Kuratoren dabei zu dieser Zeit moderner Mittel: Zum Beispiel wurde mit Text-Bild-Montagen gegen Juden gehetzt. Auch technischer Aufwand wurde betrieben. In einem der Säle brachte man zwei große Weltkarten an, auf denen mit elektrischen Neonröhren die Schritte der vermeintlichen "jüdischen Weltverschwörung“ nachgezeichnet wurden. An anderen Stellen wurden Gänge und Räume verengt. Antisemitische Karikaturen mit zu lachenden Fratzen verzerrten Gesichtern fielen in das Blickfeld all jener, die sich durch die Ausstellung bewegten.

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Drei Jahre später folgte ein Propagandafilm

Der letzte Saal vor dem Ausgang war den 1935 in Kraft getretenen "Interner Link: Nürnberger Gesetzen" gewidmet, mit denen Menschen jüdischen Glaubens und andere, die von den Nationalsozialisten als Juden stigmatisiert wurden, in Deutschland weiter marginalisiert und diskriminiert wurden. Als "Juden" definierte eines der Gesetze, wer drei jüdische Großeltern hatte, der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörte oder mit einem sogenannten "Volljuden" verheiratet war. Das "Reichsbürgergesetz" legte fest, dass nur Angehörige "deutschen und artverwandten Blutes" einen Anspruch auf volle Bürgerrechte hatten, während "Juden" ihre politischen Rechte verloren. Das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" stellte etwa Eheschließungen oder Geschlechtsverkehr zwischen "jüdischen" und "nicht-jüdischen" Deutschen unter Strafe. In der Lesart der Ausstellungsmacher diente die Exposition des rassistischen und antisemitischen Gesetzeswerks als "Erlösung“ von dem vorher gezeigten "Grauen“.

Auf Basis der Ausstellung entstand auch der 1940 veröffentlichte gleichnamige Propagandafilm "Der ewige Jude“. Teile der Aufnahmen fanden im Herbst 1939 in den kurz zuvor errichteten Interner Link: Ghettos im besetzten Polen statt. Berüchtigt ist unter anderem eine Szene, in der das Schächten einer Kuh minutenlang bis ins kleinste Detail gezeigt wird. Die Pseudo-Dokumentation gilt auch wegen der bildlichen Vergleiche von Juden mit Ungeziefer und der Verächtlichmachung von Opfern der rassistischen NS-Besatzungspolitik als einer der menschenverachtendsten Propagandafilme, die im nationalsozialistischen Deutschland produziert wurden.

Der Historiker Wolfgang Benz, ehemals Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, kam 2010 zu dem Schluss, dass der Film kein Publikumserfolg war. Benz zitiert in seinem Buch zu Ausstellung und Film aus einem Bericht, den der US-amerikanische Konsul in München, Roy Bower, in die USA schickte. Dieser bewertet die Ausstellung aus Sicht der Nazis als "ziemlich misslungen“, weil sie unabsichtlich immer wieder Belege für die kulturelle und intellektuelle Schaffenskraft der jüdischen Bevölkerung liefere. Von Begeisterung für die Ausstellung will Bower nichts gemerkt, "jedoch einige Anzeichen für das Gegenteil“ registriert haben.

Die Ausstellung wurde bis Ende Januar 1938 in München gezeigt, später auch in Wien, Berlin, Bremen, Dresden und schließlich bis zum 11. Juni 1939 in Magdeburg. Im Jahr 1940 wurde eine ähnliche Ausstellung auch im besetzten Frankreich gezeigt: "Le Juif et la France“.

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