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Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen: Modell für den Umgang mit Minderheiten? | Hintergrund aktuell | bpb.de

Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen: Modell für den Umgang mit Minderheiten?

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Lange stritten Deutschland und Dänemark um ihre Landesgrenze und die Interessen der jeweiligen Minderheit im anderen Land. Vor 65 Jahren sicherten die Bonn-Kopenhagener Erklärungen deren Rechte nachhaltig und ließen beide Völker enger zusammenwachsen.

Danebrog und Deutschlandflagge an einer Fassade in Flensburg. (© picture-alliance/dpa)

Am 29. März 1955 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Dänemarks Ministerpräsident Hans Christian Hansen auf dem Petersberg bei Bonn die Bonn-Kopenhagener Erklärungen. Sie bekräftigen die Gleichbehandlung der dänischen Minderheit in Deutschland und der deutschen Minderheit in Dänemark bei gleichzeitiger Anerkennung ihrer kulturellen und politischen Interessen. Bis heute gelten die Vereinbarungen als Erfolgsmodell für die Ausgestaltung von Minderheitenrechten. Wieso war ein solches Abkommen zwischen Deutschland und Dänemark notwendig?

Nach Volkabstimmungen wird Schleswig 1920 zweigeteilt

Als Folge des Deutsch-Dänischen Krieges im Jahr 1864 gelangte das Herzogtum Schleswig und später auch Holstein unter preußische Herrschaft. Damit lebte auf einmal eine große dänische Minderheit auf preußischem und mit der Interner Link: Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 auf deutschem Territorium. In den folgenden Jahren zeichnete sich in Schleswig eine deutliche Nationalisierung ab, in deren Folge etwa die deutsche Sprache den öffentlichen Raum dominierte. Im Norden blieb Dänisch die Alltagssprache.

Nach dem Ersten Weltkrieg legte der Interner Link: Versailler Vertrag von 1919 fest, dass die Bürger/-innen mehrerer Gebiete in Volksabstimmungen entscheiden sollten, ob sie auch künftig zum Interner Link: Deutschen Reich gehören wollten – darunter auch Schleswig. Abgestimmt wurde in zwei Wahlzonen. Während drei Viertel der Wähler/-innen in Nordschleswig am 10. Februar 1920 für einen Anschluss an das Dänische Königreich stimmten, votierte am 14. März 1920 eine große Mehrheit in Südschleswig für einen Verbleib im Deutschen Reich. Das Ergebnis: Am 15. Juni 1920 wurde Nordschleswig ein Teil Dänemarks. Bis heute verläuft die deutsch-dänische Grenze zwischen Flensburg und Tondern.

Im Interner Link: Zweiten Weltkrieg besetzte die Interner Link: Wehrmacht Dänemark. Das dänische kulturelle Leben auf deutscher Seite kam aus Angst vor Repressalien der Nationalsozialisten größtenteils zum Erliegen. Nach dem Krieg internierten die dänischen Behörden in Schleswig im Zuge der sogenannten Rechtsabrechnung rund 3.500 Männer aus der deutschen Minderheit und verurteilten rund 3.000 wegen ihrer Kollaboration mit den deutschen Besatzern.

Erstarkende dänische Bewegung in Südschleswig

Bereits kurz nach der Kapitulation der Wehrmacht bestätigte die dänische Regierung am 9. Mai 1945, am Grenzverlauf festhalten zu wollen. Die pro-dänische südschleswigsche Bewegung hingegen engagierte sich für einen Volksentscheid über den Anschluss des Landesteils an Dänemark und organisierte sich politisch, um für dieses Ziel zu kämpfen. Bei den ersten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein 1947 trat der Südschleswigsche Verein (SSV) zur Wahl an und erreichte 9,3 Prozent der Stimmen.

Am 25. Juni 1948 wurde der Interner Link: Südschleswigsche Wählerverband (SSW) als politische Interessenpartei der dänischen und der friesischen Minderheit gegründet. Inhaltlich und personell blieb er eng mit dem SSV verknüpft. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 1950 überwand die Partei nur knapp die Fünfprozenthürde. Auch der deutschen Minderheit in Nordschleswig gelang es 1953, einen Abgeordneten in das dänische Parlament zu entsenden. Der dänischen und friesischen Minderheit wurden von der Landesregierung Schleswig-Holsteins bereits im September 1949 in der Kieler Erklärung Grundrechte und das Recht zugesichert, sich einer Minderheit zu bekennen. Ziel war es auch, eine ähnliche Erklärung für die deutsche Minderheit in Nordschleswig zu erreichen.

Gleichstellung der Minderheiten

Südlich der Grenze hatte die CDU-geführte Landesregierung zwar eine 7,5-Prozenthürde für den Einzug in den Landtag beschlossen, diese wurde jedoch 1952 vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt. Dennoch gelang es dem SSW 1954 mit 3,5 Prozent der Stimmen aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde nicht, in den Landtag einzuziehen.

Nicht nur der verpasste Einzug in den Landtag, auch finanzielle Kürzungen für dänische Schulen in Südschleswig sorgten auf dänischer Seite für Unmut. Zeitgleich strebte die Bundesregierung den Interner Link: NATO-Beitritt an und suchte Unterstützung für die Aufnahme in das Militärbündnis. Dänemark begrüßte den Beitritt, wies aber zugleich auf die Situation der Minderheiten an der dänisch-deutschen Grenze hin. In der Folge gewann das Thema auf nationaler Ebene an Relevanz. Im Februar 1955 begannen die Verhandlungen in Kopenhagen.

Schließlich unterzeichneten die Regierungschefs beider Staaten, Konrad Adenauer und Hans Christian Hansen, am 29. März 1955 die Bonn-Kopenhagener Erklärungen. Wie bereits in der Kieler Erklärung von 1949 auf deutscher Seite geschehen, erklärte Dänemark, die deutsche Minderheit der dänischen Mehrheit im Land gleichzustellen. Beide Länder sprachen den Minderheiten das Recht zu, eigene Kindergärten zu eröffnen und Schulen einzurichten, deren Abschlüsse staatlich anerkannt werden sollten.

Minderheit wer will

Zentraler Bestandteil der Erklärungen ist das Prinzip der Bekenntnisfreiheit: „Das Bekenntnis zum deutschen/dänischen Volkstum und zur deutschen/dänischen Kultur ist frei und darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden“, heißt es in den Erklärungen. In der Praxis bedeutet das: deutsch ist, wer deutsch sein will – dänisch ist, wer dänisch sein will.

Außerdem verpflichteten sich beide Regierungen, Angehörigen der jeweiligen Minderheiten den Gebrauch der gewünschten Sprache in Wort und Schrift zu ermöglichen. Darüber hinaus wurde die SSW im Zusammenhang mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen von der Sperrklausel bei den Landtagswahlen ausgenommen. So war die SSW seit 1958 stets im Landtag vertreten und von 2012 bis 2017 sogar an der Regierung beteiligt. Eine ähnliche Regelung bestand für die Bundestagswahl schon seit Beginn der 1950er-Jahre. Der SSW musste nur so viele Stimmen bekommen, wie für einen Sitz im Bundestag notwendig. Seit 1965 ist der SSW allerdings zu keiner Bundestagswahl mehr angetreten.

Ein Erfolgsmodell?

Auch in der jüngeren Vergangenheit dienten die Bonn-Kopenhagener Erklärungen als Bezugspunkt. So scheiterte 2013 eine Wahlprüfbeschwerde gegen die Ausnahme des SSW von der Fünf-Prozent-Klausel vor dem Landesverfassungsgericht auch aufgrund der in den Bonn-Kopenhagener Erklärungen vereinbarten Grundsätze. Auseinandersetzungen hatte es in den vergangenen Jahren auch gegeben, als 2012 die Zuschüsse des Landes für dänische Schulen gekürzt werden sollten.

Oftmals werden die Bonn-Kopenhagener Erklärungen als Erfolgsmodell in Fragen der Minderheitenpolitik bezeichnet. Allerdings handelt sich um internationale Verträge zwischen zwei Staaten, die sich nur bedingt als Vorbild auf oftmals innerstaatlich verortete Minderheitenkonflikte in anderen Ländern übertragen lassen.

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