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Weniger Menschen, mehr Grün Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Umwelt

Fritz Habekuß

/ 8 Minuten zu lesen

Wälder und Wiesen, Wasser und Wohnen: Der Wandel der Bevölkerungsstruktur wird sich auch auf Umwelt und Naturschutz auswirken. Nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten.

Umwelt (© Martin Brombacher )

Der demografische Wandel wird Deutschland nachhaltig verändern. Die Lebenserwartung in Deutschland steigt seit Jahrzehnten und die Geburtenziffer ist seit den 1960er Jahren stark gesunken. Die Entwicklung wird in den kommenden Jahrzehnten an Dynamik gewinnen.

Dabei ist der Begriff "demografischer Wandel" etwas irreführend, denn den "einen" Wandel gibt es nicht. Vielmehr kommen viele Veränderungen aus verschiedensten Richtungen auf Deutschland zu: ökonomisch, sozial, infrastrukturell und gesellschaftlich. Die Gesellschaft wird schon in zwei Jahrzehnten völlig anders aussehen als wir sie heute kennen. Will man die verschiedensten Resultate dieser Veränderungen zusammenfassen, kommt man auf drei wesentliche Punkte. Erstens: Deutschland wird älter. Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre (die so genannten Babyboomer) gehen in Rente. Zweitens: Deutschland wird durch Zuwanderung vielfältiger. Und drittens: Deutschland wird Einwohnerinnen und Einwohner verlieren. Es sterben in Deutschland mehr alte Menschen, als Kinder geboren werden.

All das wird Einfluss auf die Umwelt haben. Besonders viel weiß man darüber heute allerdings noch nicht.

Das hängt zum einen damit zusammen, dass sich die Diskussion noch darauf konzentriert, wie in Zukunft die Rente bezahlt werden soll oder wie man sicherstellt, dass auch abgelegene Gebiete ausreichend mit Krankenhäusern und Kindergärten versorgt werden können. Zum anderen deshalb, weil es keine einfache Antwort gibt. Die Effekte sind in den meisten Fällen indirekt und lassen sich nur selten auf einzelne demografische Veränderungen zurückführen. Außerdem verlaufen die Entwicklungen regional höchst unterschiedlich.

Mehr Naturschutz?

Auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen, lässt sich sagen, dass Städte, in denen das Durchschnittsalter niedriger als in ländlichen Gebieten liegt, weniger stark Einwohnerinnen und Einwohner verlieren. Mehr Menschen als je zuvor werden in Städten leben, die noch dichter besiedelt sein werden als sie es heute schon sind. Zwei prägende Trends der Verstädterung sind die Ausbildung von suburbanen Gebieten und eine zunehmende Dekonzentration. Dass mit sinkenden Einwohnerzahlen ein geringerer Flächenverbrauch einhergeht, ist deshalb nicht zu erwarten, wie verschiedene Untersuchungen zeigen.

Der Erhalt und die Schaffung von Grünflächen wie Parks, Spielplätzen oder botanischen Gärten ist eine Frage der Lebensqualität. Sie helfen dabei, Lärm und Schadstoffe zu reduzieren, bieten Erholung, erhöhen die Artenvielfalt und sind Orte, an denen man etwas über die Natur lernen kann. Wollen nun aber immer mehr Menschen in den Ballungszentren leben, wird der Platz im Stadtzentrum knapp. Die Städte müssen also Sorge tragen, dass sie Freiflächen pflegen und erhalten.

Ein gutes Beispiel, wie gerade in einem dicht besiedelten Gebiet die Sensibilität gegenüber Natur, Umwelt und Lebensmitteln erhöht werden kann, findet man in Berlin. Im Stadtteil Wedding, der gerne als sozialer Problembezirk bezeichnet wird, gibt es die Initiative Gartenarbeitsschule. Das Ziel ist es, Teilnehmer aus verschiedenen sozialen Schichten und Generationen gemeinsam dazu zu bewegen, bei der Gartenarbeit zu lernen. Dabei geht es nicht nur darum, eine Möhre von einer Kartoffel zu unterscheiden. Die praktische Arbeit vermittelt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eine Menge Wissen über Pflanzen und Tiere, Nachhaltigkeit und Ernährung.

Doch auch in urbanen Räumen gibt es Stadtviertel, in denen die Bevölkerung eher abnehmen wird. Hier eröffnen sich Chancen für die Schaffung von Grünflächen: Durch sinnvollen Rückbau und eine strategische Planung können dort Parks oder Gärten entstehen, wo Industrie- oder Wohnbrachen bepflanzt und nicht bebaut werden.

Auf dem Land bietet der demografische Wandel ebenfalls neue Chancen für den Naturschutz. Bis 2050 wird die deutsche Bevölkerung nach aktueller Prognose auf 72,5 Millionen Menschen geschrumpft sein, vor allem ländliche Regionen werden Einwohnerinnen und Einwohner verlieren, allen voran strukturschwache Gegenden. Industrie- und Wohnanlagen, die heute niemand mehr braucht, könnten abgerissen werden, um so neue Flächen für die Natur zu schaffen. Dabei kann es zu Landnutzungskonflikten kommen, etwa in der Landwirtschaft.

Eine Chance für den Naturschutz ist die Ausweisung von geschützten Flächen. In Deutschland gibt es verschiedene Schutzkategorien. Den höchsten Schutz genießen Naturschutzgebiete, von denen es mehr als 8.500 mit einer Gesamtfläche von 960.000 Hektar gibt. Das größte unter ihnen ist das nordfriesische Wattenmeer mit einer Fläche von mehr als 136.000 Hektar. Gebiete mit weniger strengem Schutz sind in Deutschland die 15 Nationalparks, mehr als 8.100 Landschaftsschutzgebiete, 15 Biosphärenreservate und mehr als 100 Naturparks.

Solche geschützten Flächen geben Tier- und Pflanzenarten die Möglichkeit, ohne große Beeinflussung durch den Menschen zu leben. Besonders in den streng geschützten Naturschutzgebieten existieren verschiedene ökologische Nischen nebeneinander, weshalb die Artenvielfalt dort höher ist als in konventionell genutzten Räumen.

Viel Arbeit im Natur- und Umweltschutz wird durch Ehrenamtliche geleistet. Durch den zu erwartenden Bevölkerungsschwund kommen auf die gemeinnützigen Vereine Nachwuchsprobleme zu. Bei sinkenden Bevölkerungszahlen werden Bund, Land und Kommunen weniger Steuergelder zur Verfügung haben. Für die Arbeit in den Bereichen Natur- und Umweltschutz, die häufig zumindest zum Teil öffentliche Mittel bekommen, kann das zum Problem werden.

Um die Interessen des Naturschutzes auch in Zeiten des demografischen Wandels wahren zu können, wird es darauf ankommen, Umweltschutz mit den Interessen von Tourismus, Land- und Energiewirtschaft abzustimmen.

Erholung für Moore und das Grundwasser

Filterhalle des Wasserwerks Tolkewitz in Dresden: Deutschlands Abwassersystem ist aktuell nicht für einen Verbrauch von deutlich weniger Wasser - den eine schrumpfende Bevölkerung nach sich zieht - ausgelegt. (© picture alliance / ZB)

Deutschland hat ein sicheres und gut ausgebautes Trink- und Abwassersystem. Allerdings wurden die heute bestehenden Systeme nicht für eine schrumpfende Bevölkerung ausgelegt. Sinkt die Auslastung, weil Einwohnerzahl und -dichte zurückgehen oder die Menschen weniger verbrauchen, kommt es zu Problemen: Ablagerungen können sich an den Rohren bilden, steht das Wasser zu lange in der Leitung, entwickelt sich unangenehmer Geruch. Wasserwerke in ländlichen Regionen müssen ihre Netze daher regelmäßig mit frischem Trinkwasser spülen, das nicht anderweitig genutzt werden kann. Ein weiterer negativer Effekt, den der demografische Wandel mit sich bringen wird, ist der erhöhte Medikamenteneintrag ins Grundwasser, da die Gruppe der Menschen über 65 Jahren immer größer wird – und diese auch am meisten Medikamente verbraucht. Welche Effekte das haben wird, ist momentan Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte.

Im Vorteil sind Regionen, in denen das Wassernetz dezentral aufgebaut ist, wo also eine große Anzahl von kleinen Wasserwerken das Trinkwasser zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern bringt. Brandenburg ist dafür ein Beispiel. Insgesamt geht der Pro-Kopf-Verbrauch an Trinkwasser in Deutschland seit Jahren kontinuierlich zurück. 2012 lag er bei 121 Litern pro Tag.

Um auf die Probleme des demografischen Wandels zu reagieren, werden die Wasserversorger bestehende Kapazitäten verkleinern müssen und ihre Strukturen umbauen, werden Anlagen zusammenlegen müssen und die Preise anheben, um die Versorgungsstrukturen weiterhin aufrechterhalten zu können.

Die Umwelt profitiert aber auch vom sinkenden Wasserverbrauch: Durch das Ansteigen des Grundwasserspiegels werden in einigen Gebieten Feuchtbiotope und Moore entstehen. Beide sind artenreiche Habitate und bieten Pflanzen und Tieren Rückzugs- und Lebensräume, etwa seltenen Arten wie dem Birkhuhn, dem Goldregenpfeifer, dem Schmetterling Großer Moorbläuling oder dem Moorfrosch. Moore fungieren außerdem als effektiver Kohlenstoffdioxid-Speicher.

Gleichzeitig kann der Anstieg des Grundwassers wiederum zu großen Problemen führen: Wenn die Wurzelzone von Wäldern permanenter Feuchtigkeit ausgesetzt ist, könnten sie absterben. Ältere Gebäude, die nicht gegen Feuchtigkeit von unten geschützt sind, könnten Schaden nehmen.

Ein positiver Effekt des demografischen Wandels für den Artenschutz lässt sich seit einigen Jahren etwa in Sachsen und anderen östlichen Bundesländern beobachten: Die Wölfe kehren zurück, im Jahr 2000 zog ein aus Polen eingewandertes Paar zum ersten Mal wieder einen Welpen groß, das hatte es seit 150 Jahren in Deutschland nicht gegeben. Auch ehemals flächendeckend vorkommende Arten wie Luchs oder Wisent sind mittlerweile wieder in Deutschland heimisch. Neben Bemühungen des Artenschutzes ist vor allem die abnehmende Siedlungsdichte der Grund für die Rückkehr der großen Säugetiere.

Miteinander wohnen: Vorteile für Umwelt und Gesellschaft

Je weniger Menschen in einem Haushalt wohnen, desto höher ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie, Heizkosten oder Wasser. Die Energieagentur NRW hat in einer Erhebung ermittelt, dass ein Ein-Personen-Haushalt durchschnittlich 2.256 Kilowattstunden verbraucht, eine Person im Zwei-Personen-Haushalt 1.624 Kilowattstunden und eine Person im Drei-Personen-Haushalt nur 1.415 Kilowattstunden.

Haushalte auf dem Land haben gegenüber jenen in der Stadt Nachteile: Die Distanzen zwischen den einzelnen Abnehmern sind größer und die Fixkosten werden auf weniger Menschen umgelegt. Beispiel Heizung: Systeme, die Wärme über kurze Distanzen transportieren, sind nur dann sinnvoll, wenn viele Menschen dicht beieinander wohnen. Ansonsten geht zu viel Energie auf dem Weg verloren.

Für die Umwelt wäre es also besser, wenn sich mehr Menschen Wohnraum teilten. Dazu gibt es einige interessante Ansätze, die auch soziale und gesellschaftliche Vorteile bringen. In Köln wurde 2009 beispielsweise das Projekt "Wohnen für Hilfe" gestartet. Da in Köln 70.000 Studierende leben und es gleichzeitig Seniorinnen und Senioren gibt, die gerne zu Hause wohnen bleiben möchten, brachte man diese beiden Gruppen zusammen. Der Deal: Studierende helfen Senioren beim Einkaufen, Putzen oder leisten einfach nur Gesellschaft, im Gegenzug dürfen die jungen Menschen mietfrei wohnen. Das Projekt ist bis heute erfolgreich und wurde auch in andere deutsche Städte exportiert.

Freundschaften sind bei "Wohnen für Hilfe" entstanden, das Projekt brachte Generationen miteinander ins Gespräch, die einander sonst oft fremd sind. So profitiert die Gesellschaft von solchen Modellen. Einen Vorteil bringt "Wohnen für Hilfe" aber auch für die Umwelt: Ungenutzter Wohnraum wird genutzt und steht nicht leer, wodurch sich der in vielen Städten angespannte Wohnungsmarkt entspannt. So müssen weniger neue Wohnungen und Häuser gebaut werden, was Ressourcen schont und den Flächenverbrauch einschränkt.

Eine andere Idee hat der Landkreis Tübingen verfolgt und ein Projekt ins Leben gerufen, das ältere Menschen bei der Frage berät, wie sie ihr Haus alters- und klimagerecht umbauen können. Nach anfänglicher Skepsis ist das Projekt, das vom Landkreis, Krankenkassen, Banken und der Architektenkammer gefördert wurde, zum Erfolg geworden. Allein im ersten Jahr wurden mehr als 1.000 Beratungen durchgeführt, in der Hälfte aller Fälle wurden am Ende tatsächlich die Gebäude saniert.

Offen ist auch, wie sich die sinkende Förderung auf Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen auswirken wird: Sie sind in hohem Maße von staatlichen oder europäischen Geldern abhängig. Da infolge des demografischen Wandels eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums erwartet wird und Sozial- und Pflegesysteme teurer werden, könnte weniger Geld für Naturschutzmaßnahmen übrig sein, etwa für den Erhalt von Naturschutzgebieten, die Jugendarbeit von Umweltverbänden oder den naturverträglichen Straßenbau.

Die genannten Modellprojekte zeigen aber, dass es durchaus möglich ist, den demografischen Wandel so zu gestalten, dass nicht nur Natur, sondern auch Menschen, Gemeinden und die Gesellschaft profitieren können.

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Fritz Habekuß, Jahrgang 1990, ist Redakteur im Wissenschaftsressort der ZEIT. Er wurde in Brandenburg geboren und studierte Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin an der TU Dortmund.