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Einsatz digitaler Technologie im Wahlkampf

Andreas Jungherr

/ 12 Minuten zu lesen

Anhand einiger gut dokumentierter Beispiele aus verschiedenen Wahlkämpfen werden zentrale Muster in der Nutzung digitaler Technologie in Wahlkämpfen aufgezeigt und prinzipielle Funktionsweisen diskutiert. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Rolle digitaler Technologie in der Verbreitung und Nutzung politischer Informationen, der Wirkungsmessung politischer Kommunikation in Kampagnen und der Außendarstellung von Kandidatinnen und Kandidaten und Parteien. Zudem wird dargestellt, wie und in welcher Form diese Funktionsweisen bisher in Deutschland sichtbar wurden.

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Einleitung

Digitale Technologie ist zentraler Bestandteil politischer Kommunikation. Arbeitsabläufe, ökonomische Rahmenbedingungen und Berufsbilder von Politikerinnen und Politikern, ihren Stäben und Journalistinnen und Journalisten haben sich im Rahmen der Digitalisierung grundlegend verändert. Dieser Wandlungsprozess zeigt sich zum einen in der zentralen Bedeutung des Internets und digitaler Dienste für die Organisation und Kommunikation von Politik durch Parteien und Politikerinnen und Politiker. Zum anderen ist das Internet für eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern ein wichtiger Zugangsweg zu politischen Informationen. Darüber hinaus ist die politische Berichterstattung traditioneller Medien mehr und mehr mit Online-Kommunikation verzahnt. Das Verständnis der Funktionsweisen und Nutzungsmuster des Internets und digitaler Dienste wird daher immer wichtiger für das Verständnis und die Erklärung von politischer Kommunikation (Jungherr 2017a).

Besonders sichtbar wird der Einfluss digitaler Technologie auf politische Kommunikation in Wahlkämpfen. Vor allem Wahlkämpfe in den USA bieten immer wieder Beispiele, an denen Muster und Auswirkungen der Nutzung digitaler Technologie in der politischen Kommunikation besonders deutlich werden. Dies liegt an den vergleichsweise hohen Wahlkampfbudgets von Kampagnen, einer vergleichsweise umfangreichen, verlässlichen und öffentlich verfügbaren Datenbasis über Wahlberechtigte, einer ausgeprägten Tradition der Messung der Wirkung von Kommunikation in Kampagnen, schwachen zentralen Parteistrukturen und der hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung digitaler Innovationen. Dies erlaubt es den Kampagnenmanagerinnen und -managern, aus einem vergleichsweise breiten Pool technisch geschultes Personal zu rekrutieren, die Kampagnenstrukturen in jedem Wahlkampf neu dem aktuellen Umfeld und den jeweiligen Kandidaten bzw. Kandidatinnen anzupassen sowie selbst als Entwickler digitaler Werkzeuge aufzutreten (Kreiss 2016a).

Dies sind ausgezeichnete Ausgangsbedingungen für die innovative und effektive Nutzung digitaler Technologie, sie sind jedoch zugleich außergewöhnlich, weshalb in den USA beobachtete Phänomene und Nutzungsmuster nicht repräsentativ für die Rolle digitaler Technologie in Wahlkämpfen allgemein sind. Dennoch erlaubt die gezielte Untersuchung der Nutzung digitaler Technologie in US-Wahlkämpfen das Aufzeigen genereller Potenziale und Wirkungsmuster, die in abgeschwächter Form oder mit zeitlicher Verzögerung auch in anderen Wahlkampfkontexten auftreten können (Jungherr 2016).

Deshalb werden in diesem Beitrag anhand einiger gut dokumentierter Beispiele aus verschiedenen US-Wahlkämpfen einige zentrale Muster in der Nutzung digitaler Technologie in Wahlkämpfen aufgezeigt und prinzipielle Funktionsweisen diskutiert. Anschließend wird knapp dargestellt, wie und in welcher Form Letztere bisher auch in Deutschland sichtbar geworden sind.

Die Nutzung digitaler Werkzeuge zur Informationsverbreitung, Wirkungsmessung und Außendarstellung von Kampagnen

Informationsverbreitung

Digitale Technologie hat die Form von Information und den Zugang zur ihr grundlegend verändert. Digitalisierte Informationen lassen sich zu vernachlässigbaren Kosten speichern, ohne Qualitätsverlust vervielfältigen und ohne geografische oder zeitliche Einschränkung zugänglich machen (Shapiro/Varian 1998). Für die politische Kommunikation heißt das, dass alle Internetnutzerinnen und -nutzer theoretisch direkten Zugang zu Informationen zum politischen Geschehen aus unterschiedlichen und vielleicht widersprüchlichen Quellen haben. Berichte traditioneller Nachrichtenorganisationen stehen gleichberechtigt neben ungefiltert veröffentlichten Erklärungen von Eliten, Beiträgen alternativer Nachrichtenquellen und thematisch relevanten Beiträgen von Internetnutzerinnen und -nutzern (Bimber 2003). Diese Inhalte werden nicht mehr nur von traditionellen Medienanbietern, z. B. Redaktionen von Tageszeitungen oder Nachrichtensendungen, durch Auswahl, Sammlung und Einordnung strukturiert. Vielmehr werden auf Internetplattformen wie Google oder Facebook nun auch Informationen mit Hilfe von Algorithmen nach der vermuteten Relevanz für Nutzerinnen und Nutzer gewichtet. In der Frühphase des Internets wurde dies weitgehend als eine Stärkung demokratischer Prozesse und der Öffentlichkeit verstanden. Heute überwiegen deutlich kritischere Einschätzungen (Jungherr 2017a).

Optimistische Stimmen erwarteten in den 1990er Jahren eine durch das Internet ausgelöste demokratische Renaissance. Alternative Informationsangebote online würden das Nachrichtenmonopol klassischer Medien brechen und stattdessen die tatsächliche Meinungsvielfalt der Gesellschaft abbilden. Durch das drastische Sinken von Informationskosten und die direkte Verfügbarkeit relevanter Nachrichten werde die allgemeine politische Informiertheit der Bevölkerung steigen. Auch würde es für die politischen Eliten oder die Medien schwerer, die Bürgerinnen und Bürger zu manipulieren, da diese durch das Internet sofort Zugang zu Quellen und richtigstellenden Informationen erhielten. Die starke Vernetzung von Internetnutzerinnen und -nutzern untereinander würde die schnelle dezentrale Verbreitung von Informationen und sogar die politische Mobilisierung an traditionellen Organisationen und Hierarchien vorbei erlauben (z. B. Browning 1996, Grossman 1995, Rheingold 1993). Als typische Beispiele hierfür werden regelmäßig die Graswurzel-Mobilisierung der Kampagnen von Howard Dean und Barack Obama oder dezentral organisierte Protestbewegungen wie Occupy Wall Street angeführt (z. B. Castells 2012, Shirky 2008).

Andere Autoren dagegen zeigen sich skeptisch. Anstatt das politische System zu transformieren und neuen Kräften mehr Einfluss zu bieten, würden digitale Werkzeuge bestehende Machtverhältnisse reproduzieren und sogar potenziell zu einer größeren Spaltung zwischen politisch interessierten und uninteressierten Bürgern führen (Bimber 2001, Margolis/Resnick 2000, Schlozman u. a. 2010, Schmalz-Bruns 2000). Besonders in jüngerer Zeit sind die negativeren Erwartungen hinsichtlich des Effektes des Internets auf die Demokratie sehr prominent. Hier wirkte die Kampagne Donald Trumps im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf als Auslöser. Die große Menge gezielter Desinformationen — sogenannter Fake News — auf vorgeblichen Nachrichtenseiten im Internet und ihre weitreichende Verbreitung über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter verdeutlichten die Risiken politischer Kommunikation ohne mediale Gatekeeper mit breiter gesellschaftlicher Akzeptanz (Alcott/Gentzkow 2017).

Zudem zeigte Donald Trumps gezielt provozierende Nutzung des Microblogging-Dienstes Twitter und die darauf bezogene mediale Berichterstattung die starke Verzahnung von Nachrichtenberichterstattung mit Online-Kommunikation (Wells u. a. 2016). Diese gegenseitigen Abhängigkeiten im "Hybrid-Media-System" ermöglichen es politischen Akteuren und ihren Unterstützern, gezielt durch ihre Onlinekommentare die Berichterstattung von Massenmedien zu beeinflussen und dadurch ein deutlich größeres Publikum zu erreichen als über die direkte Reichweite ihrer Onlineprofile (Chadwick 2013).

Bei der Bewertung dieser Erwartungen – digitale Technologie als Stärkung oder Schwächung demokratischer Prozesse und Institutionen – gilt es jedoch, nicht vorschnell in Technik-Determinismus zu verfallen. Neue technische Möglichkeiten führen nicht automatisch zu spezifischen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Es hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass politisches Handeln auch im Kontext digitaler Technologie stark institutionell, sozial und individuell eingebettet ist. Genauso wie durch sinkende Kosten politischer Informationen nicht automatisch die politische Partizipation angestiegen ist (Boulianne 2009, 2015), ist nicht zu erwarten, dass die starke Präsenz politischer Fehlinformationen im Internet automatisch eine die Demokratie destabilisierende Wirkung entfalten wird.

Wirkungsmessung von Kampagnenaktivität

Ein weiterer Aspekt digitaler Technologie in der politischen Kommunikation ist die erweiterte Messbarkeit politischer Verhaltensweisen und Einstellungen. Datenbanken erlauben es Parteien und Kampagnen, gezielt Informationen über Unterstützerinnen und Unterstützer sowie mögliche Wählerinnen und Wähler zu sammeln. Dies sowie die Messung von Kampagnenaktivität und der Interessen der eigenen Unterstützerinnen und Unterstützer erlaubt Parteien und Kampagnenorganisationen eine sehr viel präzisere Feinsteuerung ihrer Aktivitäten als zu einer Zeit, als diese Informationen nicht vorlagen (Jungherr 2017b).

Am stärksten wird dies sichtbar in der datenbasierten Auswahl vielversprechender Ansprechpartner für Kampagnen ("Targeting"). Besonders die Demokratische Partei in den USA treibt seit 2005 die Entwicklung einer zentralen Datenbank voran, die Namen, Adressen und vielfältige Zusatzinformationen über Wahlberechtigte enthält. Auf Basis dieser Daten wird die Wahrscheinlichkeit, dass Wahlberechtigte demokratisch oder republikanisch wählen bzw. überhaupt zur Wahl gehen werden, berechnet. Darauf aufbauend wird die Kampagnenaktivität feingesteuert und entschieden, welche Wahlberechtigten auf welchem Weg durch die Kampagne angesprochen werden (Hersh 2015, Nickerson/Rogers 2014, Sides/Vavreck 2014). Die gezielte Ansprache von Wählerinnen und Wählern auch auf Basis statistischer Modelle gibt es zwar schon lange, die Digitalisierung mit ihrem Anstieg von Daten und Rechenleistung und den sinkenden Kosten für Datenspeicher hat diese Praxis in den USA jedoch deutlich verstärkt.

Die Präsidentschaftskampagnen von Barack Obama 2008 und 2012 bieten eindrucksvolle Beispiele für die Optimierung der Arbeit der eigenen Aktivistinnen und Aktivisten durch den Einsatz digitaler Werkzeuge. Über eigens entwickelte Plattformen konnte die Kampagne ihre Aktivitäten vor Ort messen, evaluieren und steuern. Zudem optimierte die Kampagne ihr Vorgehen im Sammeln von Spenden durch die Messung digitaler Kommunikation und das Testen unterschiedlicher Ansprachearten. Technologie verändert also auch klassische Tätigkeiten und Arbeitsabläufe von Kampagnenorganisationen (Hindman 2005, Kreiss 2012, Nielsen 2012).

Bei allen Hoffnungen von Kampagnenmachern, Versprechen von Beraterinnen, Begeisterung von Journalisten und Befürchtungen von Datenschützerinnen ist bei der Debatte zur Rolle von Daten im Wahlkampf immer zu bedenken, dass Daten auch in US-Wahlkämpfen den Kandidatinnen und Kandidaten und ihren Parteien keine Sicherheit in Bezug auf das tatsächliche Verhalten der Wahlberechtigten allgemein und der von ihnen angesprochenen Bürgerinnen und Bürgern im Besonderen geben. Selbst die vergleichsweise umfangreichen Targeting-Modelle der Obama-Kampagne 2012 verhalfen dem Kandidaten nur zu einem knappen Sieg, und vier Jahre später halfen Daten Hillary Clinton nicht, sich in der Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump durchzusetzen. Daten und statistische Modelle können dazu beitragen, Ressourcen im Wahlkampf gezielter einzusetzen, sie erlauben aber keinen Blick in den Kopf der Wahlberechtigten und machen Bürgerinnen und Bürger auch nicht zu Marionetten an den Fäden politischer Manipulatorinnen und Manipulatoren (Jungherr 2017b).

Plattformen wie Twitter oder Facebook werden von ihren Nutzerinnen und Nutzern verstärkt zur Kommentierung des tagesaktuellen Geschehens genutzt. Dies gilt ganz besonders für Wahlkämpfe und hat die Hoffnung geweckt, aus diesen öffentlich verfügbaren Kommentaren politische Meinungsbilder erstellen zu können. Auch traditionelle Massenmedien greifen verstärkt auf automatisierte Analysen politischer Beiträge auf diesen Plattformen zurück und binden sie in ihre Berichterstattung ein (Anstead/O’Loughlin 2015). Obwohl dieses Vorgehen bequem und kostengünstig ist, steht es immer mehr in der Kritik, da Studien wiederholt gezeigt haben, dass automatisch erstellte Meinungsbilder auf Online-Plattformen nicht zuverlässig mit auf traditionellem Weg ermittelter öffentlicher Meinung übereinstimmten (Jungherr u. a. 2017).

Außendarstellung von Kampagnen

Politikerinnen und Politiker versuchen gezielt, sich in die Nähe digitaler Pioniere zu rücken, indem sie medienwirksam neue digitale Dienste in ihren Kampagnen einsetzen und sich in ihrer Kommunikationsweise den Konventionen neuer digitaler Dienste anpassen (Kreiss 2016b). Hierbei geht es dann weniger um direkten Stimmgewinn, als um die symbolische Darstellung ihrer selbst als innovativ und zeitgemäß. Zusätzlich greifen Journalisten und Kampagnenmacher verstärkt auf öffentlich verfügbare Zahlen ihrer Onlineprofile zurück, wie z. B. die Zahl ihrer Facebook-Follower, Facebook-Interaktionen oder Twitter-Interaktionen. Auch wenn die tatsächliche Bedeutung dieser Zahlen umstritten ist, sind Berichte über das digitale "Horse-Race" inzwischen fester Bestandteil der Wahlkampfberichterstattung (Jungherr/Schoen 2013).

Was sehen wir hiervon in Deutschland?

Politische Kommunikation in Deutschland unterscheidet sich in ihren Rahmenbedingungen grundlegend von politischer Kommunikation in den USA (Pfetsch 2001). Dies hat auch Konsequenzen für die Nutzung digitaler Technologie in deutschen Wahlkämpfen. Die Parteien arbeiten mit deutlich niedrigeren Budgets als in den USA, verfügen über sehr viel weniger Daten über Wahlberechtigte, stützen sich auf langjährig bestehende und kontinuierlich entwickelnde Organisationsstrukturen und arbeiten in einer Kampagnenkultur, in der quantitative Methoden zur Evaluation von Kommunikation nur selten genutzt werden.

Eine Konsequenz stabiler Organisationsstrukturen ist, dass in Deutschland die graduelle Einbindung digitaler Technologie in bestehende Organisationen, ihre Arbeitsabläufe und Personalstrukturen, stärkere Bedeutung hat als in den USA. Schwache Parteistrukturen verlangen in den USA von Kandidatinnen und Kandidaten, Kampagnenteams gezielt für jeden Wahlkampf neu aufzubauen. Hierdurch können Kampagnen technische Innovationen verhältnismäßig reibungslos einbinden, da nicht erst bereits bestehende Prozesse oder Strukturen angepasst oder abgeschafft werden müssen. Dies führt dazu, dass etablierte deutsche Parteien in ihrer Einbindung digitaler Technologie oft schwerfälliger wirken als US-Kampagnenorganisationen.

Für neue politische Organisationen, wie die Alternative für Deutschland (AfD) oder die Piratenpartei, ist digitale Technologie in der Regel zentraler. Sie haben die Chance, Arbeitsabläufe und Prozesse vor dem Hintergrund des aktuellen Stands der technologischen Entwicklung neu aufzubauen. Für darauf ausgerichtete Organisationen kann digitale Technologie auch zur drastischen Senkung von Koordinationskosten führen und damit neuen politischen Organisationen eine entscheidende Starthilfe bieten.

Ein weiterer Unterschied liegt in der Bedeutung von online generierten Spenden, eine Funktion, die wesentlich zur zentralen Bedeutung digitaler Technologie in US-Kampagnen beigetragen hat (Kreiss 2012). In Deutschland experimentieren Parteien zwar mit der Generierung von Spenden durch direkte Ansprache online, z. B. durch E-Mails an ihre Unterstützer, jedoch spielen Onlinespenden für deutsche Parteien keine dominierende Rolle. Ausnahmen sind die Grünen und die AfD, für die Onlinespenden anteilig am Gesamtkampagnenbudget wichtiger sind (Jungherr 2016).

Die Bedeutung von digitaler Technologie in der Außendarstellung von Wahlkampagnen ist in Deutschland vergleichbar mit den USA. Deutsche Parteien versuchen sehr bewusst, ihre Kandidatinnen und Kandidaten im Kontext der Nutzung neuer digitaler Dienste darzustellen – sei dies durch Twitter- oder YouTube-Fragestunden, die Berufung von Digitalspezialisten in die Kampagnenteams oder durch Kampagneninhalte, die gezielt den Kommunikationskonventionen des Netzes angepasst sind (ebd.).

Digitale Technologie in Wahlkämpfen

In den vorangegangenen Abschnitten wurden unterschiedliche Arten aufgezeigt, in denen digitale Technologie Wahlkämpfe verändert hat. Hierbei hat sich gezeigt, dass Änderungen in unterschiedlichen Bereichen auftreten und abhängig von Kontexten unterschiedlich stark ausfallen und sichtbar werden. Das so entstandene Bild hat wenig gemein mit Erwartungen an die grundlegende Transformation von Politik durch digitale Technologie. Aber auch die gerade in Deutschland weit verbreitete Auffassung, dass die Digitalisierung schon nicht allzu große Auswirkungen haben werde und dadurch entspannt ausgesessen werden könne, deckt sich nicht mit den beschriebenen Befunden. Stattdessen sehen wir graduelle und kontextabhängige Änderungs- und Anpassungsprozesse.

Wichtig ist, in der Diskussion über die politische Rolle digitaler Technologie den immer neuen sensationalistischen Meldungen und Erwartungen mit Gelassenheit zu begegnen. Die deutsche Wahlkampfsaison 2017 war bislang geprägt von Diskussionen über die scheinbare Allwissenheit von Kampagnenorganisationen durch auf Basis von Facebook-Daten erstellte Wählerprofile, die vermuteten Gefahren automatisiert erstellter Beiträge auf sozialen Netzwerkseiten, angeblich politisch isolierende Filterblasen und die scheinbare Allgegenwart von täuschend echten Falschmeldungen. Beim genauen Hinsehen zeigte sich jedoch, dass der tatsächliche politische Einfluss dieser Phänomene nicht ihrem Neuigkeits- und Aufregungspotenzial in den Meinungsspalten von Tages- und Wochenzeitungen entsprach.

Daran zeigt sich: Die Dominanz solcher Extrempositionen in Medienberichten und Meinungsbeiträgen hat mehr mit den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie als mit tatsächlichen Wandlungsprozessen zu tun. Wollen wir diese verstehen, müssen wir lernen, besser hinzusehen, mehr Geduld für die Darstellung kontextabhängiger Befunde entwickeln und von digitalen Propheten und ihren Gegenrednern konsequenter empirische Grundlagen für ihre Prognosen einfordern. Vor allem aber muss der Einfluss unterschiedlicher politischer, ökonomischer und kultureller Rahmenbedingungen auf die Rolle digitaler Technologie in der Politik berücksichtigt werden. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass sich der öffentliche Diskurs zur Rolle digitaler Technologie in der Politik an sensationalistischen, aber weitgehend wirklichkeitsfernen Extrempositionen abarbeitet und gegenüber dem tatsächlichen Wandel blind bleibt.

Literatur

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Jungherr, Andreas, Dr., Juniorprofessor für Social Science Data Collection and Analysis an der Universität Konstanz; er forscht zur Nutzung digitaler Werkzeuge in der politischen Kommunikation und zu den Potenzialen und Grenzen der Nutzung digitaler Spurendaten in der Sozialwissenschaft.