Sozialprofil und Einstellungen der Mitglieder von Parteien in Ostdeutschland am Beispiel Sachsen-Anhalts
Bernhard Boll/Kimberly Crow/Bernd Hofmann/Everhard Holtmann
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Zusammenfassung
Auf der Basis einer repräsentativen Befragung von Mitgliedern aller Parteien, die während der ersten Wahlperiode im Landtag von Sachsen-Anhalt vertreten waren, zeichnet der Beitrag ein differenziertes Bild der sozialen Zusammensetzung und der politischen Einstellungen der Parteimitgliedschaften im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Hierbei geht der Beitrag insbesondere der Frage nach, inwiefern sich verschiedene „Mitgliedergenerationen“ -hier unterschieden nach Alt-, Gründungs-und Neumitgliedern der Parteien in Ostdeutschland -in bezug auf wesentliche sozial-strukturelle und (partei-) politische Einstellungsmerkmale unterscheiden. Im Ergebnis läßt sich zeigen, daß die politische Selbstverortung der Gründungsmitglieder nur teilweise in den Orientierungen heutiger Parteimitglieder eine Fortführung findet. Zudem werden eine stärker politisch akzentuierte Beitrittsmotivation neuerer Mitglieder bei den Altparteien und eine größere Bereitschaft zur innerparteilichen Partizipation der Gründungsmitglieder bei den 1989/1990 gegründeten Parteien sichtbar. Während sich die Vermutung einer besonderen Loyalität der PDS-Mitglieder gegenüber ihrer Partei empirisch bestätigt, ist es andererseits bemerkenswert, daß sich die CDU als in weiten Teilen der Mitgliedschaft konfessionell gebunden erweist und zugleich sich in der Richtung einer nicht mehr ausschließlich christlich motivierten Grundorientierung zu entwickeln scheint. Weil sich insoweit erwartete Angleichungen an bekannte Muster, aber auch bemerkenswerte Unterschiede in der Parteimitgliederstruktur beobachten lassen, ist der Schluß gerechtfertigt: Ostdeutsche Parteien sind nicht völlig, aber eben doch ein wenig anders.
I. Einleitung: Parteien in Ostdeutsch-land -angepaßt oder eigenständig?
Die Frage, welche Folgen die Vereinigung für das deutsche Parteiensystem (gehabt) hat, bleibt auch am Ende des ersten Jahrzehnts seit dem Einigungsjahr 1990 aktuell. Während die Gemeinsamkeiten zwischen Ost-und Westparteien gewöhnlich als das Ergebnis einer geräuschlosen Assimilierung der 1989/90 aufkeimenden Parteikerne sowie der von der DDR (unterlassenen Blockparteien -der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD), der Christlich Demokratischen Union (CDU), der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) -an das westdeutsch geprägte Parteiengefüge gedeutet werden, sind andererseits fortdauernde Eigenheiten ostdeutscher Landesparteien erkennbar, wie zum Beispiel ihre überwiegend relativ schmalen Mitgliederbestände, aber auch latente Konflikte zwischen Alt-und Neumitgliedern. Andere Unterschiede, die etwa auf ein anderes Politikverständnis abheben, beruhen weithin auf Vermutungen.
Abbildung 6
Tabelle 5: Sozioökonomische Struktur der Parteimitglieder Sachsen-Anhalts und der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Befragung.4
Tabelle 5: Sozioökonomische Struktur der Parteimitglieder Sachsen-Anhalts und der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Befragung.4
Solche Eigenheiten spiegeln einesteils organisatorische Weichenstellungen und politische Erfahrungen der Situation der Wende wider. Anderenteils haben sie sich aber auch erst später ausgeformt. Wollte man diese Eigenheiten ostdeutscher Landesparteien (worunter wir im folgenden die PDS und die ostdeutschen Landesverbände der anderen bundesweit vertretenen Parteien rechnen) pauschal zu „Abweichungen“ erklären, würde man weder der Wirklichkeit des Parteiengefüges in den neuen Bundesländern noch der Entwicklungsdynamik des gesamtdeutschen Parteiensystems gerecht. Denn einesteils sind ostdeutsche Landesparteien, wie wir im folgenden zeigen können, nicht lediglich bloße Nachbildungen des westdeutschen Referenzmodells. Zum anderen wird häufig übersehen, daß eben dieses westdeutsche Parteiensystem seit längerem einem Strukturwandel unterliegt, der unter Stichworten wie „Erosion der Traditionsmilieus“ und „Krise der Volksparteien“ diskutiert wird und durch die Einigung keineswegs zum Stillstand gekommen ist. Es ist also nicht von vornherein auszuschließen, daß das westdeutsche Modell sich im Zuge seiner Erweiterung nach Ostdeutschland und in seiner neuen Gestalt als gesamtdeutsches Parteiensystem substantiell verändert hat.
Abbildung 7
Tabelle 6: Konfessionelle Bindung und Kirchgangshäufigkeit der Parteimitglieder Sachsen-Anhalts und der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quelle: Politbarometer 1996.
Tabelle 6: Konfessionelle Bindung und Kirchgangshäufigkeit der Parteimitglieder Sachsen-Anhalts und der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quelle: Politbarometer 1996.
Diese Annahme einer „Differenz in der Einheit“ wird sowohl durch Analysen des Wählerverhaltens als auch durch vergleichende Auswertungen der Wahlprogramme der Bundestagsparteien gestützt.
Abbildung 8
Tabelle 7: Gewerkschaftlich gedundene Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt und in der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Befragung.
Tabelle 7: Gewerkschaftlich gedundene Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt und in der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Befragung.
So zeigt ein Blick auf die zahlenmäßigen Stärkeverhältnisse im Zeitverlauf seit 1990, daß die ostdeutschen Zweigorganisationen den Trend einer insgesamt rückläufigen bzw. neuerdings stagnierenden Mitgliederbewegung mit entweder über-oder unterdurchschnittlichen Abweichungen mitvollzogen haben (Tabellen 1 bis 3). Hinlänglich bekannt ist auch, daß die ostdeutschen Parteien, mit Ausnahme der PDS, aufgrund ihres sehr viel geringeren Mitgliederaufkommens gesellschaftlich nur schwach verankert sind. Dies wird gemeinhin zu Recht als Einschränkung des politischen Aktionsradius gedeutet. Doch könnte sich ja gerade die „schlanke“ Parteiorganisation im Osten Deutsch-lands aus Mitgliedern mit speziellen sozialen Merkmalen und speziellen Einstellungen rekrutieren. Die Annahme eines eigenständigen Entwicklungspfads ostdeutscher Parteien wird auch durch die nachfolgend vorgestellten, ausgewählten empirischen Daten einer repräsentativen Befragung der Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt vom Sommer 1998 bestätigt Dabei interessierten, neben vielem anderem, folgende Fragen: Welche sozialen Merk-male weisen ostdeutsche Parteimitglieder auf? Weicht ihr Sozialprofil deutlich ab von der Bevölkerung Ostdeutschlands wie auch von der sozialen Zusammensetzung der Bundesparteien? Sind die sozialen und mentalen Bruchlinien, die in den Nachfolgeorganisationen von SED und Blockparteien Altmitglieder und Neumitglieder trennen und teilweise entzweien, nach wie vor strukturprägend? Treten in den Einstellungen, welche die Parteigenerationen der vor und nach der Wende Beigetretenen kennzeichnen, Brüche auf? Wie bestimmen Ost-Parteimitglieder im neuen System auf der Links-Rechts-Skala ihren eigenen politi-sehen Standort? Wie politisch aktiv sind sie in ihren heutigen Parteien?
Abbildung 9
Tabelle 8: Politisches Interesse bei Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Tabelle 8: Politisches Interesse bei Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Ostdeutsche Parteien sind, in diese Richtung wei-sen die bisher vorliegenden empirischen Befunde, in ihrem Mitgliederprofil jünger, „säkularer“, d. h. weniger konfessionszugehörig und kirchlich geprägt, und deutlich weniger als im Westen in den Sozialgruppen historisch gewachsener Traditions-milieus verankert (die PDS ist auch hier die Ausnahme) Immerhin gibt es Hinweise darauf, daß sich in den Mitgliederprofilen ostdeutscher Landesparteien auch Ähnlichkeiten mit den aus westlicher Sicht gewohnten Strukturmustern auszubilden beginnen Hier lauten die Fragen: Inwieweit sind die ostdeutschen Parteien dabei, eine Angleichung an sozialstrukturelle Mitgliederverteilungen nachzuholen, die sich in Westdeutschland seit längerem auflockern bzw. aufzulösen beginnen? Und wenn andererseits jene in der Gesellschaft stabil verankerten Werthaltungen, die in Westdeutschland -wenngleich mit schwindender Prägekraft -immer noch feste Parteiloyalitäten reproduzieren, in Ostdeutschland nicht vorhanden sind: Welche Beitrittsmotive äußern ostdeutsche Parteimitglieder? Bildet sich eine Bindung aus, die wir altertümlich Parteitreue nennen? Über solche und andere von ostdeutschen Parteimitgliedern gehegten Einstellungen, die sich ja nicht aus der sozialen Komposition der Mitgliederschaften einfach ableiten lassen, wußten wir bislang relativ wenig
II. Sozialstrukturelle Merkmale der Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt
Abbildung 3
Tabelle 2: Parteimitglieder in Ostdeutschland (1990-1998) Quelle: Alle Angaben: Bundesgeschäftsstellen der Parteien, Dezember 1998.
Tabelle 2: Parteimitglieder in Ostdeutschland (1990-1998) Quelle: Alle Angaben: Bundesgeschäftsstellen der Parteien, Dezember 1998.
Alter: In allen Parteien des Landes Sachsen-Anhalt, die PDS ausgenommen, dominieren die mittleren Altersklassen. Jeweils über 70 Prozent der Mitglieder der Bündnisgrünen, der CDU, der FDP und der SPD gehören der Altersgruppe der 30-bis 60jährigen an (Tabelle 4). Damit wird der gesamtdeutsche Vergleichswert (78 Prozent) leicht unterschritten Bezieht man die PDS mit ein, geht der Anteil der 30-bis 60jährigen Parteimitglieder auf etwas mehr als die Hälfte zurück. Außer der immer noch relativ hohen Mitgliederzahl macht deren Altersverteilung das besondere sozialstrukturelle Profil der PDS aus. Auch in Sachsen-Anhalt ist sie eine stark überalterte Partei: Knapp drei Viertel ihrer Mitglieder sind über 60 Jahre alt, alle anderen Jahrgänge sind im Vergleich sowohl zu den anderen Parteien als auch zur wahlberechtigten Bevölkerung des Landes deutlich unterrepräsentiert. Die Bündnisgrünen hingegen haben die mit Abstand jüngste Mitgliederschaft. Mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder ist jünger als 40 Jahre. Auch bei den 40-bis 50jährigen sind sie, verglichen mit der wahlberechtigten Bevölkerung, überrepräsentiert (28, 61 Prozent : 18, 10 Prozent). Die Altersstruktur der drei übrigen Parteien ist relativ ähnlich und entspricht in etwa der altersmäßigen Zusammensetzung der Bundesparteien.
Abbildung 10
Tabelle 9: Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfrage.
Tabelle 9: Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfrage.
Geschlecht: Die PDS weist klar den höchsten Frauenanteil unter allen Parteien auf. Aber auch hier liegt in fast allen Altersgruppen der Mitglieder der Frauenanteil zum Teil weit unter dem der Männer. Nur bei den bis zu 40jährigen überwiegen weibliche Mitglieder mit zwei Dritteln. Allerdings muß hier der geringe Anteil (knapp fünf Prozent) bedacht werden. Da die Mitglieder der PDS bekanntlich überwiegend aus der ehemaligen SED stammen schreiben sich, analog zur Altersstruktur, auch bei der Geschlechterverteilung übernommene SED-Strukturmerkmale erkennbar fort. Die übrigen Parteien des Landes sind in der Mitgliederschaft in besonders hohem Ausmaß männlich geprägt: Frauen stellen lediglich ein knappes Drittel aller Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt, womit die jeweiligen Bundesanteile unterschritten werden Bemerkenswerterweise liegt sowohl bei der SPD als auch bei Bündnis 90/Die Grünen der Frauenanteil rund 10 Prozent unter den Bundeswerten. In Sachsen-Anhalts SPD ist nur jedes vierte Mitglied eine Frau. Damit bilden die Sozialdemokraten zusammen mit den Liberalen das regionale Schlußlicht.
Abbildung 11
Tabelle 10: Links-Rechts-Selbsteinstufung und Demokratiezufriedenheit bei Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt (in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Tabelle 10: Links-Rechts-Selbsteinstufung und Demokratiezufriedenheit bei Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt (in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Bildung: Eine gängige partizipationstheoretische Annahme lautet, daß sich Parteimitglieder von Nichtmitgliedern unter anderem durch die ihnen verfügbaren Bildungsressourcen unterscheiden Bei den Angaben zum höchsten erworbenen Bil-dungsabschluß ist das auffälligste Merkmal, daß -alle Parteien zusammengenommen -bei Mitgliedern der Anteil der (Fach-) Hochschulabsolventen über 60 Prozent ausmacht. In jeder Partei hat mindestens jedes zweite Mitglied ein abgeschlossenes Universitäts-oder Fachschulstudium, bei Bündnis 90/Die Grünen haben sogar mehr als zwei Drittel der Mitglieder einen entsprechenden Abschluß. Gemessen an der Bevölkerung des Landes sind die höchsten Bildungsabschlüsse bei Parteimitgliedern klar überrepräsentiert, denn landesweit weisen nur knapp 40 Prozent der Bewohner einen solchen Bildungsgrad auf Folgerichtig sind unter den Parteimitgliedern Sachsen-Anhalts die niedrigen und mittleren Bildungsabschlüsse unterdurchschnittlich vertreten. Während zwei Drittel der Bevölkerung die Schullaufbahn auf der Polytechnischen Oberschule (POS) nach der 8. oder 9. Klasse (bzw.früher, d. h. vergleichbar mit dem Hauptschulabschluß) oder nach der 10. Klasse (vergleichbar mit der mittleren Reife) beendete, hat nur jedes vierte Parteimitglied einen dieser Schulabschlüsse. Lediglich in der stark überalterten PDS ist die Zahl derjenigen Mitglieder, die den untersten Schulabschluß haben, größer. In der SPD (23, 6 Prozent) und CDU (19, 4 Prozent) fällt andererseits der Anteil der Absolventen der 10. Klasse der POS (mittlere Reife) höher aus als in den anderen Parteien (Tabelle 5).
Abbildung 12
Tabelle 11: Demokratiezufriedenheit in Sachsen-Anhalt und Gesamtdeutschland (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfrage.
Tabelle 11: Demokratiezufriedenheit in Sachsen-Anhalt und Gesamtdeutschland (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfrage.
Status im Erwerbsleben: Die Altersstruktur der Parteien spiegelt sich in der Verteilung des Beschäftigtenstatus wider, ln Ausbildung stehende bzw. Wehr-oder Zivildienst leistende Parteimitglieder sind relativ häufig bei den Bündnisgrünen anzutreffen. Rentner hingegen machen dort nur fünf Prozent aus. Ganz anders das Bild bei der PDS: Hier stellen vor allem Rentner mit über 70 Prozent der Befragten das Gros der Parteimit-glieder. Bei den drei anderen Parteien ist der Anteil der Rentner mit Raten zwischen rd. 23 Prozent und rd. 29 Prozent etwa gleich groß. Betrachtet man die Anteile der Beschäftigten unter den Mitgliedern von Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und SPD, dann ändert sich das einheitliche Bild: Gegen 80 Prozent der Bündnisgrünen sind in einem Beschäftigungsverhältnis; bei der FDP sind es 70 Prozent, gefolgt von den Mitgliedern der SPD (64, 5 Prozent) und der CDU (60, 8 Prozent). Teilzeitbeschäftigte sind, ebenso wie im zweiten Arbeitsmarkt Tätige, kaum vertreten (Tabelle 5).
Abbildung 13
Tabelle 12: Anteile von Altmitgliedern und Erneuerern in Altparteien Sachsen-Anhalts (in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Tabelle 12: Anteile von Altmitgliedern und Erneuerern in Altparteien Sachsen-Anhalts (in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Anders als in der Bevölkerung Sachsen-Anhalts, wo zum Zeitpunkt der Befragung rund 21 Prozent aller abhängigen zivilen Erwerbspersonen (d. h. ohne Bundeswehr) arbeitslos waren ist Arbeitslosigkeit kein prägendes Strukturmerkmal der Parteimitglieder. Insgesamt nur knapp sieben Prozent aller Befragten gaben an, arbeitslos zu sein. Am häufigsten waren dies Mitglieder von SPD und CDU, am seltensten FDP-Mitglieder (3, 5 Prozent). Verglichen mit den Daten des Arbeitsmarkt-Monitors, ist auch die Beschäftigtenquote unter Parteimitgliedern höher als in der Bevölkerung des Landes.
Abbildung 14
Quelle: Eigene Umfragedaten. Tabelle 13: Anteile von Gründungsmitgliedern und Neumitgliedern in Neuparteien Sachsen-Anhalts (in Prozent)
Quelle: Eigene Umfragedaten. Tabelle 13: Anteile von Gründungsmitgliedern und Neumitgliedern in Neuparteien Sachsen-Anhalts (in Prozent)
Berufsgruppenzugehörigkeit: In der Berufsgruppenstruktur zeigen sich für Sachsen-Anhalts Parteimitglieder deutliche Parallelen zu Westdeutschland. Rund ein Viertel der FDP-Mitglieder sind selbständig bzw.freiberuflich tätig. Landwirte stellen mit weniger als zwei Prozent insgesamt die kleinste Berufsgruppe unter den Parteimitgliedern, aber jeder zweite davon besitzt das Mitgliedsbuch der CDU. Alle Parteien haben ihre Mitgliederschwerpunkte in den Dienstleistungsberufen. An-und ungelernte Arbeiter sind im Vergleich zur Bevölkerung ausnahmslos klar unterrepräsentiert (1, 8 Prozent). PDS und SPD haben zwar noch die stärksten Kontingente an Arbeitern, aber auch hier erreichen diese nur Anteile von 19, 6 Prozent bzw. 18, 1 Prozent. Auch die traditionellen Linksparteien sind im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt also keine Arbeiterparteien mehr. Dies erklärt sich zum einen aus nachwirkenden Strukturen der SED-Staatlichkeit: Ein Arbeiter-Traditionsmilieu hat die DDR-Zeit nicht überdauern können, weil einerseits die Abgrenzung gegenüber anderen „Werktätigen“ fehlte und andererseits jedwede freie gewerkschaftliche Interessenvertretung unterdrückt worden war Gleichwohl ordnet sich rund ein Drittel der Sachsen-Anhalter selbst in die Gruppe der Arbeiter ein Die starke Unterrepräsentation der Arbeiter bei Parteimitgliedern weist folglich zum anderen auf eine spezifische Rekrutiemngsschwäche ostdeutscher Parteien, insbesondere der SPD, hin. ln allen Parteien stellt der neue Mittelstand (Angestellte in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst sowie Beamte) mit insgesamt gut 65 Prozent einen etwas höheren Anteil als in der Erwerbsbevölkerung des Landes (Tabelle 5). Dem öffentlichen Dienst gehört etwa jedes dritte befragte Parteimitglied an. Das übersteigt den Anteil, den diese Statusgruppe an der Erwerbsbevölkerung des Landes hat, um mehr als das Doppelte Bündnisgrüne, CDU, FDP und SPD sind überdurchschnittlich, die PDS unterdurchschnittlich hoch vertreten. In der (zahlenmäßig sehr kleinen) Gruppe der Beamten mit Parteibuch spielt überraschenderweise die PDS, die bei Wahlen hier an sich relativ hohen Zuspruch erfährt, nur eine marginale Rolle; die anderen vier Parteien sind gleich stark vertreten. Knapp jedes fünfte Parteimitglied ist selbständig bzw.freiberuflich tätig. Dies hinwiederum übersteigt den Anteil in der erwerbstätigen Bevölkerung (knapp sechs Prozent) deutlich.
Abbildung 15
Tabelle 14: Art bzw. Anstöße des Parteibeitritts zu Parteien Sachsen-Anhalts, unterschieden nach Alt-, Gründungs-und Neumitgliedern (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Tabelle 14: Art bzw. Anstöße des Parteibeitritts zu Parteien Sachsen-Anhalts, unterschieden nach Alt-, Gründungs-und Neumitgliedern (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Konfession: Der Osten Deutschlands ist gekennzeichnet durch einen bedeutend geringeren Anteil von konfessionell Gebundenen. Die in Industrie-gesellschaften generell zu beobachtenden Säkularisierungstendenzen wurden durch die zu DDR-Zeiten betriebene, ideologisch begründete Entkonfessionalisierungspolitik verstärkt. Während bundesweit insgesamt drei Viertel der Bevölkerung einer Kirche angehören, ist dies in Sachsen-Anhalt nur knapp jede(r) dritte. Auffallend ist nun, daß der Anteil der konfessionell Gebundenen bei allen Parteien Sachsen-Anhalts höher liegt als im Bevölkerungsdurchschnitt. Zwischen den Par-feien zeigen sich erwartete Unterschiede: So gehören 85 Prozent der CDU-Mitglieder einer Konfession an. Dabei überwiegt im Land der Reformation der Anteil der Protestanten, denen sich jedes zweite CDU-Mitglied zurechnet. Bemerkenswert ist auch der überaus hohe Anteil von Katholiken in der CDU (33, 3 Prozent), die in der Landesbevölkerung nur rund 6 Prozent ausmachen. 59 Prozent aller katholischen Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt sind in der CDU konzentriert. Deutlicher als bei anderen sozialstrukturellen Indikatoren ausgewiesen, knüpft die CDU dieses ostdeutschen Landes hier an eine klassische Traditionslinie im bundesdeutschen Parteiensystem an, nämlich an eine christlich geprägte Kerngefolgschaft der Unionsparteien (Tabelle 6).
Abbildung 16
Tabelle 15: Beitrittsmotive von Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Tabelle 15: Beitrittsmotive von Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Den Gegenpol zur konfessionell geprägten CDU-Mitgliedschaft bildet die PDS des Landes. Ihre Mitglieder sind fast ausschließlich konfessionslos. Auch dieses „säkulare“ Profil entspricht unseren Erwartungen. Überraschender ist schon, daß sowohl die Mitglieder der gelegentlich als Pastorenpartei klassifizierten SPD als auch der Bündnis-grünen Sachsen-Anhalts mehrheitlich konfessionslos sind. Offenbar setzt sich beide Male das kirchlich-oppositionell geprägte Profil der Biographien maßgebender Parteigründer nicht in eine vergleichbare Kirchenbindung der Gesamtmitgliederschaft um. Insoweit haben beide neugegründeten Parteien das Merkmal einer mehrheitlich konfessionsfernen Landesbevölkerung in ihre Mitgliederstruktur übernommen. Aufgeschlüsselt nach Kirchgangshäufigkeit, verschiebt sich das Bild indes. Unter den konfessionell gebundenen Mitgliedern von Bündnis 90/Die Grünen und SPD ist der Anteil regelmäßiger Kirchgänger deutlich höher als bei der FDP und erreicht fast das Niveau der CDU-Mitglieder. Allerdings bestätigt sich vor allem bei der CDU, daß die Intensität der Kirchen-bindung zwischen den Konfessionen erheblich differiert: 67 Prozent der katholischen CDU-Mitglieder gehen regelmäßig zur Kirche, während nur 19, 4 Prozent der evangelischen CDU-Mitglieder dies tun.
Abbildung 17
Tabelle 16: Bereitschaft zur Übernahme von politischer Verantwortung bei Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt, unterteilt nach Parteitypen und Parteigenerationen (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Tabelle 16: Bereitschaft zur Übernahme von politischer Verantwortung bei Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt, unterteilt nach Parteitypen und Parteigenerationen (Angaben in Prozent) Quelle: Eigene Umfragedaten.
Gewerkschaftsmitgliedschaft: Unter SPD-Mitgliedern ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad am höchsten (Tabelle 7). Ein knappes Drittel der Sozialdemokraten ist gewerkschaftlich organisiert. Diese Quote liegt jedoch erheblich unter jener der westdeutschen SPD-Landesverbände (über 43 Prozent) Ansatzweise schält sich mithin auch in Ostdeutschland die traditionelle parteipolitische Koalition zwischen gewerkschaftlich gebundener Arbeiterschaft und Sozialdemokratie heraus. Dennoch läßt sich daraus nicht auf das Wiederentstehen des sozialdemokratischen Traditionsmilieus schließen. Bereits jetzt ist die ostdeutsche SPD-Mitgliedschaft im Angestelltenbereich sozialstrukturell stärker verankert. Bei Bündnis 90/Die Grünen besitzt jedes vierte Mitglied das Mitgliedsbuch einer Gewerkschaft, gefolgt von der PDS (23 Prozent). Mit Abstand folgen FDP und die CDU, die bei Wahlen bis 1998 bei Arbeitern die SPD überflügelte. Die Parteien Sachsen-Anhalts, so lassen sich die Daten zur Sozialstruktur der Mitglieder zusammenfassen, sind, mit Ausnahme der PDS, jünger als in Westdeutschland -das gilt vor allem für die Neugründungen SPD und Bündnisgrüne aber auch noch stärker von Männern dominiert. Verglichen mit der Bevölkerung, sind Parteimitglieder dieses ostdeutschen Bundeslandes formal höher gebildet und gehören häufiger den mittleren Altersgruppen an. Sie verfügen über größere Einkommen, sind seltener arbeitslos, sind öfters im öffentlichen Dienst beschäftigt und nehmen beruflich höhere Positionen ein. PDS-Mitglieder wei-sen, aufgrund der anderen Altersstruktur, von diesem Profil durchweg abweichende Merkmale auf. Die Mitglieder aller übrigen Parteien des Landes zeigen damit mit denen der Bundesparteien übereinstimmende soziale Rekrutierungsmuster Darüber hinaus deutet sich in Schwerpunktbildungen der Mitgliederschaft beider großer Parteien in bestimmten sozialen Gruppen -gewerkschaftlich organisierter Arbeiter in der SPD, Katholiken mit hoher Kirchenbindung in der CDU -an, daß trotz nicht existierender Traditionsmilieus die klassischen Konfhktlinien (cleavages) deutscher Parteipolitik, nämlich nach Klassenlage und Konfession, auch in Ostdeutschland ein prägender Faktor geworden sind. Zumindest die CDU ist hier, gemessen am Konfessionalitätsgrad ihrer Mitglieder, keineswegs „säkularer“ als im Westen einzustufen.
III. Ausgewählte Einstellungen von Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt
Abbildung 4
Tabelle 3: Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt (1990-1998) Quelle: Alle Angaben: Bundesgeschäftsstellen der Parteien, Dezember 1998.
Tabelle 3: Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt (1990-1998) Quelle: Alle Angaben: Bundesgeschäftsstellen der Parteien, Dezember 1998.
Politisches Interesse: Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt bezeichnen sich als hochgradig politisch interessiert. Mitglieder der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen zeigen sich überdurchschnittlich, Mitglieder der FDP und der CDU relativ weniger politisch interessiert. Die PDS-Mitgliederschaft nimmt hier eine Mittelstellung ein (Tabelle 8).
Abbildung 18
Quelle: Eigene Umfragedaten. Tabelle 17: Demokratiezufriedenheit und Links-Rechts-Einordnung bei unterteilt nach Alt-/Neuparteien und Parteigenerationen (Angaben in Prozent)
Quelle: Eigene Umfragedaten. Tabelle 17: Demokratiezufriedenheit und Links-Rechts-Einordnung bei unterteilt nach Alt-/Neuparteien und Parteigenerationen (Angaben in Prozent)
Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala: Ein gebräuchliches Instrument zur Positionsbestimmung im politischen Spektrum ist die Links-Rechts-Skala. Im Ost-West-Vergleich ergaben sich bislang in Bevölkerungsumfragen signifikante Unterschiede. So ordneten sich Ostdeutsche im Schnitt regelmäßig weiter links ein als Westdeutsche. Die Politbarometer-Daten 1996 weisen für Sachsen-Anhalt (40, 7 Prozent) im Vergleich zu den ostdeutschen Durchschnittswerten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften -ALLBUS -(33, 4 Prozent) sogar einen noch höheren Anteil von Personen aus, die sich links der Mitte einstufen (Tabelle 9). Diese Positionsentscheidung wird von den Parteimitgliedern in Sachsen-Anhalt noch stärker mitvollzogen (64, 1 Prozent). Der rechte Bereich der Skala wird von ihnen kaum besetzt (13, 1 Prozent). Fraglich ist, inwieweit diese Daten für den Osten einen Linksrutsch bestätigen. Denn Parteimitglieder und übrige Bevölkerung unterscheiden sich in diesem Punkt deutlich. Überdies ist in unsere Parteienstichproben mit der PDS eine zusätzliche, sich eindeutig links verortende Größe mit eingegangen, die in westdeutschen Studien so nicht vorkommt.
Im einzelnen betrachtet, verorten sich lediglich die Liberalen und die Christdemokraten mehrheitlich nicht im linken Spektrum, sondern mittig. Dabei positioniert sich aber eine größere Zahl von CDU-Mitgliedern im gemäßigt rechten Bereich, so daß die Union in Sachsen-Anhalt in der Selbstangabe ihrer Mitglieder rechts von der FDP steht. SPD-Mitglieder stufen sich mehrheitlich als gemäßigt links ein, rechte Skalenränge werden kaum besetzt. Auch bündnisgrüne Mitglieder beziehen einen ähnlichen Standort, stehen im Schnitt aber links von den Sozialdemokraten. Die homogenste Mitglieder-Selbsteinschätzung zeigt die PDS: Mehr als drei Viertel ihrer Mitglieder stufen sich äußerst links ein. Bei der PDS scheint der Begriff links eine positive, einheitsstiftende Wirkung zu haben. Jedenfalls haben die meisten PDS-Mitglieder keine Bedenken, sich selbst auf extremen Positionen einzuordnen (Tabelle 10). Demokratiezufriedenheit: Bei der Frage, ob man mit der Art und Weise, wie die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert, zufrieden ist, ergeben sich im Bevölkerungsvergleich ähnliche Ergebnisse wie bei der Links-Rechts-Selbsteinschätzung. Sachsen-Anhalts Bürgerinnen und Bürger äußern sich unzufriedener als der gesamtdeutsche Durchschnitt, und die Parteimitglieder sind noch kritischer als die Bevölkerung (Tabelle 11). Nur fünf Prozent der PDS-Mitglieder des Landes sind mit dem aktuellen Zustand der deutschen Demokratie zufrieden. Insofern scheint sich die programmatische Selbstdeutung der Partei als Gesellschafts-bzw. Systemopposition in den Einstellungen ihrer Mitglieder abzubilden. Aber auch Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen beurteilen das Funktionieren der Demokratie erkennbar kritisch, wenngleich immerhin ein Drittel Zufriedene unter ihnen sind. Bei SPD und FDP halten sich Zufriedene und Unzufriedene etwa die Waage. Mehrheitlich positiv äußern sich CDU-Mitglieder, die zu zwei Dritteln zufrieden mit dem Zustand der Demokratie im Lande sind (Tabelle 10).
IV. Innerparteiliche Proportionen zwischen Alt-, Gründungs-und Neumitgliedern
Abbildung 5
Tabelle 4: Alterstruktur der Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt und der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quellen: Auskunft der Landesparteien und Angaben des Statistisches Landesamtes des Landes Sachsen-Anhalt.
Tabelle 4: Alterstruktur der Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt und der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes (Angaben in Prozent) Quellen: Auskunft der Landesparteien und Angaben des Statistisches Landesamtes des Landes Sachsen-Anhalt.
In der ostdeutschen Parteienlandschaft kann man zwischen zwei Parteientypen hinsichtlich ihres Entstehungszeitpunkts unterscheiden: zum einen jenen, die bereits zu DDR-Zeiten bestanden (Altparteien), und zum anderen jenen, die während der Wendezeit gegründet wurden (Neuparteien). Im folgenden wird daher zwischen CDU, FDP und PDS (Altparteien) und den aus ostdeutschen Gründungskernen hervorgegangenen Landesverbänden von SPD und Bündnis 90/Die Grünen (Neuparteien) unterschieden. Entsprechend dieser Aufteilung unterteilen wir die Mitglieder in den Altparteien in Altmitglieder und Erneuerer, die Mitglieder der Neuparteien in Gründungsmitglieder und Neumitglieder. Indem wir diese Differenz aufnehmen, läßt sich zeigen, daß die einzelnen Mitgliedergenerationen in unterschiedlichem Maß das aktuelle Parteileben prägen bzw. die Partei politisch repräsentieren.
Einen einheitlichen Zeitpunkt für die Zuordnung zu den Mitglieder-Untergruppen festzulegen ist problematisch. Bei den Altparteien rechnen wir zu Altmitgliedern jene, die bis zum Fall der Mauer (9. November 1989) beigetreten oder im Laufe des Jahres 1990 aus den vier Blockparteien oder der SED hinzugestoßen sind. Jene, die seit 1990 beigetreten sind und zu DDR-Zeiten parteilos waren, rechnen wir, einem in der Parteienforschung inzwischen akzeptierten Sprachgebrauch folgend, den „Erneuerern“ zu wobei wir uns des wertbezogenen Gehalts dieser Klassifizierung bewußt sind. Bei den Neuparteien trennen wir zwischen Gründungsgeneration und später eintretenden Neumitgliedern, wobei die zeitliche Trennung durch die Volkskammerwahlen (18. März 1990) markiert wird.
Eine Besonderheit ist der hohe Anteil von Gründungsmitgliedern in den Neuparteien sowie der hohe Anteil verbliebener Altmitglieder in den Alt-parteien -mit Ausnahme der CDU. Unter den Altparteien Sachsen-Anhalts hat die CDU die mit Abstand höchste Rate von Erneuerern in ihren Reihen. In der FDP sind rund ein Viertel Erneuerer. Bei der PDS fällt der Anteil der Erneuerer kaum ins Gewicht. Alle Altparteien zehren noch vom Mitgliedervorrat aus DDR-Zeiten: Vier von fünf Mitgliedern sind noch vom „alten Stamm“ (Tabelle 12), obgleich alle Altparteien seit 1990 einem enormen Mitgliederschwund ausgesetzt sind. In der Gruppe der Neuparteien, deren Mitgliederzahlen im Lande seit Jahren auf niedrigem Sockel stagnieren, liegt der Anteil der Gründungsmitglieder bei der mitgliederstärkeren SPD deutlich höher als bei Bündnis 90/Die Grünen (Tabelle 13).
Die soziale Zusammensetzung der Parteigenerationen kann erste Hinweise auf das Ausmaß eines eventuellen Strukturwandels in den Parteien liefern. Allerdings zeigen die verschiedenen Subgruppen kein einheitliches Bild sozialstruktureller Variation; teilweise unterscheiden sie sich gar nicht. Lediglich beim Alter ist die Differenz eindeutig: Neumitglieder sind im Schnitt jünger. Dies trifft auch auf die PDS zu, allerdings mit dem Unterschied, daß deren Neuzugänge zu über 40 Prozent schon die 60-Jahres-Grenze überschritten haben. Weitere meßbare Unterschiede zwischen den parteiinternen Fallgruppen deuten darauf hin, daß sich die Tendenzen bundesweiter Angleichung und regionaler Differenzierung in den Mitgliederschaften teilweise überlappen. So ist der Frauenanteil in der CDU bei Neumitgliedern (24, 1 Prozent) niedriger als bei Altmitgliedern (31, 6 Prozent), jedoch ebenso hoch wie in der Bundespartei. Bei allen anderen Parteien treten prozentual mehr weibliche Mitglieder neu ein, als unter den Alt-oder Gründungsmitgliedern anteilig vertreten sind. Für die CDU zeichnet sich unter Umständen, im Zuge ihrer Angleichung an ostdeutsche Gesellschaftsformationen, auf der Mitgliederebene langfristig eine Tendenz zu stärkerer Verweltlichung ab, im Sinne einer nichtchristlichen konservativen Orientierung: Unter Erneuerern (20 Prozent) ist der Anteil der Konfessionslosen doppelt so hoch wie unter Altmitgliedern (10, 7 Prozent). Unterscheiden sich die Parteigenerationen in ihren Einstellungen stärker? Ein Indikator hierfür sind die Anstöße für den Parteibeitritt (Tabelle 14). Vorausgeschickt sei, daß in Ostdeutschland häufiger als im Westen Beitrittswillige selbst bei den Parteien anklopfen („Selbstrekrutierer“). Ihr Anteil ist in den neugegündeten Parteien Sachsen-Anhalts etwa doppelt so hoch wie in den Altparteien, auch wenn er im Vergleich zu Befunden von 1990 rückläufig zu sein scheint. Bedenkt man, daß die Art und Weise des Beitritts auch Rückschlüsse auf die Intensität parteibezogener Bindungsmotive und Beteiligungsbereitschaft zuläßt, dann ist anzunehmen, daß sich eine häufige Selbstrekrutierung des Parteinachwuchses auf die innerparteiliche Partizipation positiv auswirkt. Langfristige, d. h. über Generationen hinweg weitergereichte und durch Milieueinflüsse gestützte Parteibindungen haben sich in Ostdeutschland vor 1990 bekanntlich nicht entwickeln können. Allenfalls kann von einer „Quasi-Identifikation“ der Wähler gesprochen werden die sich vornehmlich über die Nutzung westdeutscher Massenmedien vermittelte. Ob jedoch der förmliche Beitritt zu einer ostdeutschen Partei seither aus einer eher zufälligen Motivlage oder einer eindeutigen Richtungsentscheidung heraus erfolgt (ist), blieb bislang im dunkeln. Unsere Daten zeigen, daß für jedes zehnte Mitglied, das nach 1989 einer Partei beigetreten ist bzw. sie mitgegründet hat, eine parteipolitische Alternativentscheidung durchaus denkbar war. Bemerkenswerterweise nimmt, mit Ausnahme der neuen PDS-Mitglieder, die Zahl solcher „lose angekoppelter“ Neumitglieder seither tendenziell zu.
Fragt man nach Beitrittsmotiven, so steht der Wunsch, politisch aktiv zu werden -ähnlich wie im Westen -im Vordergrund. Dies gilt vor allem für die Gründungsmitglieder, bei denen gesellige bzw. materielle Motive von ausgesprochen nachrangiger Bedeutung sind. Quer durch die unterschiedlichen Fallgruppen wird, anders als im Westen und mit Ausnahme der Gründergeneration in Neuparteien, die Parteibindung auch durch den Wunsch nach Geselligkeit geleitet (Tabelle 15). Mitglieder, die sich selbst rekrutierten, sind mehrheitlich politisch interessierter und häufiger deswegen in die Partei eingetreten, weil sie den politischen Prozeß aktiv mittragen und gestalten wollten. Daß ein „Erwartungsdruck von außen“ bzw. ein „persönlicher und beruflicher Nutzen“ auch von Altmitgliedern nur in geringem Maß bejaht werden, kontrastiert ersichtlich mit den zu DDR Zeiten real gegebenen Zwangslagen und Vorteilsstrukturen. Denkbar ist jedoch auch, daß gerade bei den bereits ausgetretenen Altmitgliedern derartige Beitrittsmotive überwogen haben mögen. Immerhin gibt jedes vierte FDP-Altmitglied an, aus persönlichen und beruflichen Nutzenüberlegungen in die Partei eingetreten zu sein. Bei den Neupar-teien ist eine leichte Zunahme dieses Motivs zu beobachten. Für Gründungsmitglieder war das persönliche Nutzenkalkül nachrangig (Tabelle 15). Übernahme politischer Verantwortung: Deutliche Unterschiede zeigen sich bei dem Motiv, mit dem Parteibeitritt politische Verantwortung, d. h. ein Parteiamt bzw. ein Wahlmandat, zu übernehmen. Vornehmlich die neuen Parteimitglieder sind es, die nach ihrem Eintritt aktiv mitarbeiten wollen. Bei der tatsächlichen Übernahme von Verantwortung bleiben die neuen Mitglieder in ihrem Engagement hinter dem der Gründungsmitglieder jedoch zurück. Zwar haben letztere früher häufiger als heute Parteifunktionen bzw. öffentliche Wahlämter und Mandate bekleidet, aber ihr parteiinternes Engagement ist nach wie vor deutlich größer als das der neuen Mitglieder. Ähnlich sind auch Altmitglieder in Altparteien vormals aktiver gewesen. Der Rückzug aus dem aktiven Partei-leben ist einerseits altersbedingt, andererseits möglicherweise auch Ausdruck eines politisch motivierten Rücktritts in Nichtbeteiligung. Künftig Verantwortung zu übernehmen, dazu sind wiederum ehestens die Gründungsmitglieder in Neu-parteien und am wenigsten die Altmitglieder in Altparteien bereit (Tabelle 16).
Einstellungen und Meinungen Alt-und Neumitglieder unterscheiden sich im Gesamtbild aller Landesparteien im Hinblick auf Demokratiezufriedenheit und die Verortung auf der Links-Rechts-Achse nicht sonderlich auffällig (Tabelle 17). Doch im einzelnen schälen sich interessante Positions-Verschiebungen heraus. Im Unterschied zu den weiter links angesiedelten Gründungsmitgliedern von Bündnis 90/Die Grünen etwa plazieren sich neu Eingetretene häufiger in der Mitte. Deutliche Distanzen liegen zwischen den Partei-Generationen in den bürgerlichen Alt-parteien: Während FDP-Altmitglieder exakt die Mittelposition einnehmen, stehen Erneuerer häufiger links oder rechts der Mitte. Jedes zehnte CDU-Altmitglied sieht sich links der Mitte, Neu-mitglieder hingegen positionieren sich häufiger gemäßigt rechts. Letztere sind damit weitaus näher am Standort der westdeutschen Mitgliederschaft Perspektivisch deutet dies auf eine Angleichung hin.
Fazit: Die Trennungslinie zwischen alten und neuen Parteigenerationen ist weniger deutlich, als wir erwartet haben. Bei den neuen Parteien (SPD, Bündnis 90/Grüne) prägen -noch -die Gründungsmitglieder das Erscheinungsbild. Umgekehrt wird das interne Profil der ostdeutschen, CDU mehr und mehr durch die Neumitglieder bestimmt. Diese innerparteilichen Umschichtungsprozesse, die auf ein Einschmelzen der politischen Generationen-Unterschiede hinauszulaufen scheinen, sind im Fall der Altparteien durch den bisherigen Massenaustritt „alter“ Mitglieder gewiß beschleunigt worden. Insgesamt zeigen unsere Daten für die soziale Zusammensetzung und für die Einstellungen von Parteimitgliedern im Ost-West-Vergleich deutliche Übereinstimmungen und ebenso deutliche Differenzen. Der besondere Status der PDS als eine spezifisch ostdeutsche Regional-und Milieupartei wird auf der Mitgliederebene erhärtet. Andererseits gehören auch in Ostdeutschland gewerkschaftlich organisierte Arbeiter sowie Katholiken mit hoher Kirchenbindung zur jeweiligen Kernmitgliedschaft der großen Parteien. Insoweit knüpfen CDU wie SPD an traditionelle Parteibindungen wieder an. Indes scheinen die Faktoren „Klasse“ und „Konfession“ in ihrer die Binnenstruktur der Parteien prägenden Kraft bereits wieder nachzulassen, bevor sie sich noch in einer Westdeutschland vergleichbaren Weise haben aufbauen können. Ostdeutschlands Parteien sind also nicht völlig, aber eben doch ein wenig anders.
Bernhard Boll, Dr. phil., Master of Arts, geb. 1962; Studium der Anglistik und der Politikwissenschaft in Mannheim und Amherst/Massachusetts; seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Veröffentlichungen zu politischen Parteien, politischen Eliten, intermediären Organisationen und zum politischen Marketing. Kimberly Crow, Dipl. -Soz., geb. 1963; 1994-1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern (KSPW), 1996 am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH); seit 1997 am Institut für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Veröffentlichungen zur Regionalökonomie und Arbeitsmarktpolitik. Bernd Hofmann, M. A., geb. 1969; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Neueren Geschichte in Erlangen und Münster; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle. Everhard Holtmann, Dr. phil., geb. 1946; Professur für Systemanalyse und vergleichende Politik im Institut für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Veröffentlichungen zum politischen System, zur politischen Kultur, zur Kommunal-und Wohnungspolitik.
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