Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Souveräner Sicherheitsakteur? | Europa | bpb.de

Europa Editorial Europawahlen – und keinen interessiert’s? Furchtlosigkeit und Überzeugungskraft. Historische Europakonzepte in den Krisen der Gegenwart Europa der Regionen? Wahlbeteiligung und Euroskepsis bei den Europawahlen Souveräner Sicherheitsakteur? Die US-Wahlen als Herausforderung für Europa Vom Bremser zum Antreiber. Polens Rückkehr nach Europa Am Scheideweg? Europa und die Niederlande Wie soll die Union wachsen? Zur aktuellen Erweiterungspolitik

Souveräner Sicherheitsakteur? Die US-Wahlen als Herausforderung für Europa

Majda Ruge

/ 15 Minuten zu lesen

Der Mangel an militärischen Fähigkeiten ist nach wie vor die größte Schwäche Europas. Diese Lücke muss geschlossen werden, um die Ukraine zu verteidigen und um zu verhindern, dass eine weitere Präsidentschaft Donald Trumps Europa auch in anderen Politikbereichen spaltet.

Der nächste US-Präsident, ob Joe Biden oder Donald Trump, wird eine zweite Amtszeit antreten. Die Außenpolitik jedes neuen Präsidenten wird zwangsläufig auf dem Erbe der ersten Amtszeit aufbauen, aber auch auf neue politische Ereignisse reagieren. Für die Europäerinnen und Europäer ist es eine existenzielle Frage, wie diese Kombination aus Alt und Neu in den jeweiligen Regierungen – Biden 2.0 oder Trump 2.0 – aussehen könnte und was dies für die europäischen Interessen bedeuten würde.

Während die Angst vor einer möglichen Rückkehr Trumps groß ist, hinterlassen in Europa die US-amerikanischen Tendenzen zum Rückzug bereits heute ihre Spuren. Die Folgen der Blockade der US-Hilfe für die Ukraine im US-Kongress sind bereits im Kriegsgebiet sichtbar: Der Ukraine geht die Munition aus, die Russen haben Awdijiwka eingenommen und sind auf dem Schlachtfeld militärisch im Vorteil. Das Ausmaß der europäischen Lähmung angesichts eines nach innen gerichteten Amerikas, das sich nicht um die europäische Sicherheit kümmert, ist bereits spürbar – und Trump ist noch nicht einmal im Weißen Haus.

Wie kann sich Europa besser auf Umbrüche in der US-Außenpolitik vorbereiten? Und welche Elemente von Kontinuität und Wandel werden nach den US-Präsidentschaftswahlen vorherrschen?

Trump 2.0

In seiner ersten Amtszeit zeigte Trump eine generelle Geringschätzung gegenüber Verbündeten und eine besondere Abneigung gegenüber der Nato und der Ukraine. Das ist für die meisten europäischen Staaten beunruhigend, da sie fast alle die USA als Grundlage ihrer Sicherheitspolitik betrachten und die Rolle der USA in Europa erhalten oder sogar ausbauen wollen. Gleichzeitig hat Trump als Präsident seine Ankündigung, die Rolle der USA in Europa grundlegend zu ändern, vielfach nicht eingelöst. Viele Europäer hoffen daher, dass Trumps Außenpolitik im Falle seiner Wiederwahl dem gleichen Drehbuch folgen wird wie in seiner ersten Amtszeit. Es gibt jedoch gute Gründe für die Annahme, dass vieles anders sein wird und dass Europa sich deshalb strategischer als bisher auf die US-Wahlen vorbereiten muss.

Zwei wichtige Dinge haben sich seit der ersten Amtszeit verändert. Erstens wird Trumps Beraterkreis diesmal ganz anders aussehen als während seiner ersten Amtszeit. Die Generäle und Diplomaten, die das alte Weltbild einer strategischen Partnerschaft mit Europa als Sprungbrett für Amerikas Interessen in der Welt verinnerlicht hatten, werden nicht zurückkehren. An ihre Stelle tritt eine neue Generation von rechtsgerichteten republikanischen Aktivisten und Denkfabriken. Dominieren wird eine von zwei Gruppen, die beide die Unterstützung der republikanischen Basis genießen: zum einen die Restrainers, die der Südgrenze der USA politische und finanzielle Priorität einräumen wollen und eine radikale Reduzierung der sicherheitspolitischen Kooperationen der USA im Ausland fordern. Sie haben die Unterstützung großer Veteranen- und Militärverbände, die dem militärischen Engagement der USA in Europa und im Nahen Osten sehr skeptisch gegenüberstehen. Zum anderen geht es um die Prioritisers, die eine starke Ausrichtung der US-Außenpolitik auf Asien und China fordern. Sie sind der Ansicht, dass die USA ihre gesamte politische und finanzielle Aufmerksamkeit auf die Abschreckung einer chinesischen Invasion Taiwans richten sollten, die sie für das Jahr 2027 für wahrscheinlich halten.

Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte sind sich beide Lager einig, dass die Sicherheit Europas nicht die oberste Priorität Amerikas sein sollte. Sie meinen, dass die wohlhabenden europäischen Staaten selbst die volle Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen müssten. Dieses Ziel müsse durch einen „Big Bang“ erreicht werden, das heißt durch den raschen Abzug von Hilfsgütern und Streitkräften aus dem europäischen Raum, da Europa sonst niemals zu einem souveränen Verteidigungs- und Sicherheitsakteur heranwachsen könne.

Zweitens hat sich die internationale und europäische Sicherheitslandschaft seit der ersten Amtszeit Trumps erheblich verändert. Mit dem russischen Angriff auf die gesamte Ukraine ist auf dem europäischen Kontinent ein Krieg enormen Ausmaßes ausgelöst worden. Und die Eskalation zwischen Israel und den Palästinensern in Gaza hat die USA erneut in den Konflikt im Nahen Osten hineingezogen. „Die Welt steht in Flammen, und wir müssen trotzdem Prioritäten setzen“ – das hört man oft in Gesprächen mit amerikanischen Außenpolitikerinnen und Außenpolitikern.

Diese Prioritätensetzung ist für Europa mit hohen Kosten verbunden. Verschiedene Kreise in Trumps Umfeld haben eine Reihe außenpolitischer Optionen für eine mögliche zweite Amtszeit ins Spiel gebracht, die vom Austritt der USA aus der Nato bis hin zu direkten Friedensbemühungen mit Russland reichen. Es ist wichtig festzuhalten, dass niemand, nicht einmal Trump selbst, genau weiß, was er im Falle seiner Wahl tun wird. Folgende Szenarien sind jedoch möglich und werden in den neuen rechten Denkfabriken vorbereitet.

Ukraine

Trumps Ideen zur Beendigung des Krieges lassen eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der territorialen Integrität der Ukraine erkennen. Trump und seine Beraterinnen und Berater teilen die Überzeugung, dass die USA nicht die moralische Polizei der Welt sein sollten, und wollen keine Mittel mehr für die Ukraine bereitstellen. Trump hat versprochen, den Krieg rasch zu beenden und zügig einen Friedensvertrag auszuhandeln. In der Praxis würde das bedeuten, dass er einen Deal mit Russland aushandelt, der die Konfliktlinien dort einfriert, wo sie sind. Der ehemalige US-Präsident beklagt sich ständig über die Erschöpfung der US-Waffenvorräte, die durch die Priorisierung der Ukraine durch die Biden-Administration verursacht worden sei. Ebenso beunruhigend ist, dass die Ukraine Teil von Trumps innenpolitischem Antagonismus geworden ist. So hat er Präsident Biden vorgeworfen, die USA aus persönlichen finanziellen Gründen in einen globalen Krieg zu ziehen.

Nato

Trump behauptet, dass die USA zu viele Sicherheitsverpflichtungen im Ausland hätten und von ihren Verbündeten ausgenutzt würden. Für die Befürworter eines amerikanischen Rückzugs aus Europa ist dies eine einmalige Gelegenheit, ihre Pläne wie „Dormant Nato“ (ruhende Nato) zu verwirklichen. Den Initiatoren der Idee einer Dormant Nato reicht es nicht aus, von den Nato-Verbündeten die Einhaltung der Zwei-Prozent-Verpflichtung bei den Militärausgaben zu verlangen. Sie fordern eine vollständige Übertragung der Verantwortung für die Nato auf die Europäer und wollen die Rolle der USA in der Nato minimieren, um die Europäer zu zwingen, die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen.

Die Schöpfer des Plans lehnen jede weitere Erweiterung der Nato ab. Sie sind der Ansicht, dass die Europäer nie die notwendigen Anreize haben werden, ihre Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen, wenn die USA ihre Präsenz in Europa nicht rasch reduzieren. Und sie werfen der Biden-Administration vor, die strategische Autonomie Europas zu untergraben, indem sie 2022 zusätzliche 20.000 US-Soldaten in Europa stationiert hat und die US-Luftverteidigungsunterstützung erhöhen will.

Ihre alternative Agenda besteht darin, eine neue, nicht US-zentrierte Sicherheitsarchitektur in Europa zu schaffen. Dies würde bedeuten, dass die meisten US-Truppen aus Europa abgezogen und die Nato-Regeln überarbeitet werden, um eine Nato unter europäischer Führung zu schaffen, in der die Amerikaner nur eine unterstützende Rolle spielen.

Rückzug von Truppen aus Nahost

Beide Parteien – Demokraten und Republikaner – sind fest davon überzeugt, dass die Ära der Intervention und des Aufbaus von Staaten im Nahen Osten vorbei ist und die Region nicht mehr zu den obersten Prioritäten Amerikas gehören sollte. Mit den Terroranschlägen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wurde Präsident Biden jedoch in die Region zurückgezogen. Die Republikanische Partei ist sich darin einig, Israel sowohl durch militärische Hilfe als auch durch politische Rückendeckung zu unterstützen. Gleichzeitig wollen die meisten republikanischen Restrainers und Prioritisers ein direktes militärisches Engagement der USA in der Region vermeiden.

In beiden Lagern gibt es den Wunsch, die 3.500 US-Soldaten aus dem Irak und Syrien abzuziehen, die dort den Angriffen des Iran und seiner Stellvertreter ausgesetzt sind. Es wird argumentiert, dass diese Bedrohung es dem Iran ermöglicht, das Tempo und die Intensität der Krisen im Nahen Osten zu beeinflussen. Seit der Ermordung der drei US-Soldaten in den jordanischen Außenposten ist der Wunsch nach einem Rückzug noch stärker geworden. Politikberater Dan Caldwell dazu: „Der Verbleib amerikanischer Truppen im Irak und in Syrien ohne klaren militärischen Auftrag macht Amerika nicht sicherer, sondern riskiert einen katastrophalen Verlust amerikanischer Menschenleben, der sich zu einem großen Krieg ausweiten könnte. Wenn die USA sich aus dem Irak und aus Syrien zurückziehen würden, müssten sie sich keine Sorgen mehr über Vergeltungsschläge gegen gefährdete US-Truppen machen, die Israel in seinem Krieg gegen die Hamas unterstützen.“

Internationale Allianz zwischen den rechten Bewegungen

Die Tendenz liberaler europäischer Regierungen, Identitätspolitik in ihre Außenpolitik zu integrieren – sichtbar zum Beispiel in den Leitlinien zur feministischen Außenpolitik der Bundesrepublik –, und die generelle Bereitschaft der EU zu einer liberaleren Bildungs- und Einwanderungspolitik stellen die EU auf die „falsche“ Seite des amerikanischen Kulturkampfes. Die Republikaner definieren ihre Partei zunehmend in Opposition zur liberalen Identitätsagenda. Umfragen zeigen, dass Identitätsfragen und politische Korrektheit im Zentrum der parteipolitischen Spaltung in den USA stehen. Politikerinnen und Politiker aus allen Teilen der Republikanischen Partei werfen den Demokraten immer wieder vor, von Identitätspolitik besessen zu sein und sich nicht für amerikanische Interessen in der Welt einzusetzen.

Während seiner Amtszeit zeigte Trump eine Affinität zu einwanderungsfeindlichen Persönlichkeiten wie dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán. Diese Affinität hat inzwischen weite Teile der Republikanischen Partei erfasst, was zum Teil auf den innenpolitischen Kulturkampf in den USA zurückzuführen ist. Dies bedeutet, dass künftige republikanische Präsidenten zunehmend EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn – und nicht traditionelle Verbündete wie Frankreich und Deutschland – als ideologische Partner betrachten werden.

Gemeinsamkeit: aktive Industriepolitik

Auch wenn eine zweite Amtszeit Bidens weniger Unsicherheit und mehr Kontinuität bieten wird, steht Europa auch mit dem amtierenden Präsidenten vor mehreren sich abzeichnenden Umbrüchen. Dies gilt insbesondere für die Handelspolitik, die strategische Industriepolitik und die Rivalität mit China.

Republikaner und Demokraten finden zunehmend zu einer neuen, weniger neoliberalen Vision der Weltwirtschaft. Angesichts der sich verschärfenden Rivalität zwischen den USA und China sowie der wachsenden Bedeutung von Wählerschichten aus der Arbeiterklasse in den Swing States sind sich die Parteien in der Frage des Wirtschaftsprotektionismus mittlerweile einig. Trump und Biden spüren die innenpolitische Notwendigkeit, Arbeitsplätze in den USA zu fördern. Beide betrachten bestimmte Industrien und Technologien zunehmend als zu strategisch wichtig, um sie ins Ausland abwandern zu lassen.

Trump ist in dieser Frage direkter und dazu besessen von Amerikas Handelsdefiziten. Für ihn hat die Handelspolitik die USA in eine Falle unfairer Handelsabkommen geführt, in der die europäischen Verbündeten die Sicherheitsgarantien der USA bekommen, während sie gleichzeitig einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber den USA erlangen. Das Versprechen, die Handelsdefizite zu reduzieren, war eines der Hauptthemen während Trumps erster Amtszeit und bleibt es auch in seiner aktuellen Kampagne, in der er die Erhöhung der Zölle auf alle US-Importe auf zehn Prozent in Aussicht stellt – für US-Importe aus China plant Trump sogar mit einer Erhöhung um 40 Prozentpunkte auf 60 Prozent.

Die Biden-Administration hat den Fokus der ersten Trump-Administration auf die Neuausrichtung und den Wiederaufbau der amerikanischen Produktionskapazitäten beibehalten. Unter Biden wurden die Zölle auf Aluminium- und Stahlimporte aus Europa durch Quoten und freiwillige Exportbeschränkungen ersetzt. Die USA sind nicht wieder in das Nachfolgeabkommen der von Trump aufgekündigten Transpazifischen Partnerschaft (TPP) eingetreten und haben kein Interesse an der Vermittlung eines Freihandelsabkommens mit der EU gezeigt. Stattdessen verfolgte die Biden-Administration eine gezielte strategische Industriepolitik und subventionierte heimische Industrien, bei denen die USA einen Vorsprung behalten wollen. Einige der wichtigsten Maßnahmen, die in Bidens erster Amtszeit verabschiedet wurden, verdeutlichen diese Bemühungen, darunter der Infrastructure Investment and Jobs Act, der CHIPS and Science Act und der Inflation Reduction Act. In seiner zweiten Amtszeit wird Biden auch darauf abzielen, die Abhängigkeit von ausländischen Quellen, insbesondere von China, zu verringern.

Veränderte Bedrohungswahrnehmung in der EU

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat das Ausmaß der Sicherheitsbedrohungen für Europa und damit auch die Grundlagen für die künftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU grundlegend verändert. Vor dem 24. Februar 2022 konzentrierte sich die EU-Debatte über die europäische Sicherheits- und Verteidigungshoheit hauptsächlich auf die Entwicklung von Fähigkeiten der Europäischen Union zur Krisenbewältigung in ihrer Nachbarschaft, da größere Konfliktszenarien innerhalb der EU nicht erwartet wurden. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien lagen zwar geografisch direkt vor der Haustür der EU, allerdings ging man seinerzeit davon aus, dass die dortige Instabilität ohne größere Auswirkungen auf die eigene Sicherheit bleiben würde.

Infolgedessen konzentrierten sich die Bemühungen um eine Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eher auf Aspekte des Krisenmanagements als auf die Notwendigkeit, sich auf eine kollektive Verteidigung vorzubereiten. Jenseits des Balkans wurden alle weiteren sicherheitspolitischen Herausforderungen – sei es im Nahen Osten und Nordafrika, in den östlichen Nachbarstaaten oder in Subsahara-Afrika – als lediglich indirekte Bedrohung für die EU angesehen, die daher mit den gleichen Krisenbewältigungsmechanismen angegangen werden konnten.

Die russische Invasion der gesamten Ukraine 2022 hat diese Bedrohungswahrnehmung in der EU dramatisch verändert. Das Bild russischer Streitkräfte, die in großer Zahl die ukrainische Grenze überqueren, die eklatanten Kriegsverbrechen des russischen Regimes und vor allem die Gefahr einer nuklearen und chemischen Eskalation haben fast alle politischen Entscheidungsträger in der EU davon überzeugt, dass Russland eine direkte Sicherheitsbedrohung für die EU ist.

Dieser Umbruch in der europäischen Sicherheitslandschaft wird erhebliche Auswirkungen auf die Bemühungen Europas haben, ein souveräner außen- und sicherheitspolitischer Akteur zu werden, der in Sicherheitsfragen unabhängig handeln kann. Einerseits hat die russische Invasion die sicherheitspolitischen Ambitionen Europas gestärkt, wie der einhellige Ruf nach höheren Verteidigungsausgaben zeigt. Andererseits hat die Krise den schrittweisen Rückzug der USA aus Europa zumindest vorübergehend rückgängig gemacht und eine Tendenz zur Wiederaufnahme alter Gewohnheiten aus der Zeit des Kalten Krieges ausgelöst, wonach die Vereinigten Staaten die Verteidigung Europas gestalten und ihre europäischen Partner um Unterstützung für ihre Bemühungen bitten.

Das sollte nicht überraschen. Europa ist derzeit nicht in der Lage, seine kollektive Verteidigung gegen Russland außerhalb des Nato-Rahmens zu organisieren, insbesondere, was die nukleare Abschreckung betrifft. Die Tatsache, dass der russische Angriff auf die Ukraine sowohl Schweden als auch Finnland zu Nato-Mitgliedern gemacht hat, zeigt, dass nicht nur die Mittel- und Osteuropäer und die baltischen Staaten dem Willen und der Fähigkeit der EU, Russland abzuschrecken oder sich zu verteidigen, misstrauen. Sie setzen ihr Vertrauen allein in die Vereinigten Staaten. Die Beistandsklausel der EU (Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union) schafft eine politische Verpflichtung, die jedoch nicht durch militärische Kapazitäten untermauert wird.

Die EU ist außerstande, sich selbst gegen eine russische Aggression zu verteidigen, ganz zu schweigen von der Fähigkeit zur Krisenbewältigung in ihrer Nachbarschaft. Nach dem katastrophalen Versagen auf dem Balkan in den 1990er Jahren verpflichteten sich die EU-Mitgliedstaaten 1999 in Helsinki, bis 2003 in der Lage zu sein, innerhalb von 60 Tagen Streitkräfte im Umfang von 50.000 bis 60.000 Soldaten zu verlegen und für mindestens ein Jahr im Einsatz zu halten. Im Strategiekompass vom März 2022 – veröffentlicht nach dem Angriff auf die Ukraine – wird diese Zahl mit 5000 Soldaten angegeben.

Drohende Spaltung

Die EU ist sich der Risiken bewusst, die eine zweite Amtszeit Donald Trumps für Europa mit sich bringen könnte. Die Ukraine und die Zukunft der Nato sind zwei der größten Sorgen Europas. Trumps wiederholte Drohungen, die Nato zu verlassen, russische Angriffe auf „säumige“ Nato-Mitglieder zuzulassen und den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu beenden, haben die Aufmerksamkeit Europas geweckt. Leider ist Aufmerksamkeit nicht gleich Vorbereitung. Bisher wurden keine ausreichenden gemeinsamen politischen Maßnahmen ergriffen, um sich auf Trumps zweite Amtszeit einzustellen.

Einzelinitiativen reichen nicht aus: Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Geber von Militärhilfe für die Ukraine und hat einen bemerkenswerten Beitrag in Bezug auf Ausrüstungslieferungen und Hilfsleistungen erbracht. Dänemark und Polen sind ebenfalls eindrucksvolle Beispiele für Einzelinitiativen, die der ungewissen Zukunft Rechnung tragen. Dänemark will der Ukraine seine gesamte Artillerie zur Verfügung zu stellen – und Polen hat noch unter der PiS-Regierung angekündigt, seine Militärausgaben auf vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.

Diese individuellen Bemühungen sind jedoch weder ein Ausgleich für den möglichen Wegfall der US-Unterstützung für die Ukraine, noch sind sie eine gemeinsame Anstrengung, um sich auf mögliche politische Initiativen Trumps mit einer gemeinsamen politischen Strategie vorzubereiten.

Ohne eine EU-Planung für eine gemeinsame politische Haltung (und auch gemeinsame Investitionen in militärische Fähigkeiten zur Umsetzung europäischer Politik) würde es der Trump-Administration ermöglicht, die EU zu spalten und ins Chaos zu stürzen. Das Ergebnis von Trumps Außenpolitik wäre nicht nur eine geschwächte Ukraine, sondern auch eine gespaltene und geschwächte EU und Nato.

Eine US-Politik, die darauf abzielt, die Ukraine dazu zu drängen, ein Friedensabkommen zu akzeptieren und Teile ihres Territoriums an Russland abzutreten, würde möglicherweise zur Spaltung zwischen den Verbündeten in der EU und der Nato führen, wobei einige, wie Ungarn und die Türkei, wahrscheinlich ein Abkommen unterstützen würden, während andere, wie Großbritannien, Frankreich und die Länder an der Ostflanke, sich dagegen aussprechen würden. Auch hier wird Deutschland eine sehr wichtige Rolle spielen. In dem von Bundeskanzler Olaf Scholz und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Februar 2024 unterzeichneten bilateralen Abkommen über Sicherheitszusammenarbeit verpflichtet sich Deutschland zwar zur Wiederherstellung der territorialen Souveränität der Ukraine innerhalb der ukrainischen Grenzen von 1991, doch handelt es sich dabei eher um eine Absichtserklärung als um ein rechtsverbindliches Dokument. Einige der von Deutschland eingegangenen Verpflichtungen müssen sich noch als umsetzbar erweisen, insbesondere im Hinblick auf Artikel 4 des Abkommens, in dem es heißt: „Deutschland weist darauf hin, dass nationale Haushaltsbestimmungen gelten und einer ausdrücklichen Genehmigung des Deutschen Bundestages bedürfen.“

Und natürlich geht die Fähigkeit der Trump-Administration, das Bündnis zu erschüttern und die Europäer zu spalten, weit über die Ukraine und die europäische Sicherheit hinaus und erstreckt sich auch auf schwierige Themen wie Klima, Handel, China und den Nahen Osten, insbesondere das Thema Israel-Palästina.

Neue Hierarchie

Es liegt auf der Hand, dass eine sinnvolle Vorbereitung auf eine möglicherweise europafeindliche US-Regierung teuer ist – finanziell, politisch und auch psychologisch. Viele Europäer hoffen lieber, dass es nicht so weit kommt, oder glauben, dass die schlimmsten Szenarien nicht eintreten werden. Während die Aufgabe, sich auf Trump 2.0 vorzubereiten, komplex und kompliziert ist, ist eines klar: Europa braucht einen Plan, um für seine eigene Sicherheit zu sorgen. In erster Linie bedeutet dies, die europäischen militärischen Fähigkeiten zu verbessern, um einen möglichen Rückzug der USA auszugleichen und handlungsfähig zu bleiben. Dies ist auch wichtig, um die europäischen außen- und sicherheitspolitischen Ziele zu verwirklichen, die entweder gemeinsam in Brüssel vereinbart oder in verschiedenen bilateralen Abkommen festgelegt wurden.

Auf der Hauptbühne der Münchner Sicherheitskonferenz argumentierte der US-Senator J.D. Vance im Februar 2024, dass der „Westen“ nicht genügend Waffen produzieren könne, um vor Ort in der Ukraine etwas zu bewirken, selbst wenn das US-Zusatzprogramm für die Ukraine im Repräsentantenhaus verabschiedet würde. In einem späteren Artikel in der „Financial Times“ wurde er noch deutlicher: „Die Amerikaner wollen Verbündete in Europa, keine Vasallenstaaten (…). Die Europäer (…) müssen ihre industriellen und militärischen Fähigkeiten weiterentwickeln.“

Dies ist eine völlig neue Sprache in Bezug auf die Hierarchie der transatlantischen Beziehungen seitens der USA, sowohl in ihrer offenen Beschreibung der Verhältnisse als auch in der Unterstützung des Aufbaus europäischer militärisch-industrieller Kapazitäten. Was jetzt gebraucht wird, ist, dass mehr europäische Staats- und Regierungschefs die Haltung des finnischen Präsidenten Alexander Stubb übernehmen, der auf Trumps jüngste Aussagen reagierte: „Wir müssen dafür sorgen, dass wir in Europa unseren eigenen Part in der Nato erfüllen (…). Wir sind ein Sicherheitsanbieter, kein Sicherheitskonsument.“

Die Europäer müssen diesen Worten Taten folgen lassen – umso mehr, als Europa diesmal durch einen schweren Krieg mit Russland auf seinem Kontinent verwundbar ist. Der Mangel an militärischen Fähigkeiten ist nach wie vor die größte Schwachstelle Europas. Diese Lücke muss geschlossen werden, nicht nur, um die Ukraine zu verteidigen, sondern auch, um zu verhindern, dass Trump Europa auch in anderen Politikbereichen spaltet.

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations in Berlin. Sie arbeitet vor allem zu den transatlantischen Beziehungen.