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"Angemessen" oder "vorrangig"? | Kinder und Politik | bpb.de

Kinder und Politik Editorial "Ich finde, man sollte eine Lösung für alle finden, nicht nur für die Mehrheit". Ein Gespräch Globale Kinderpolitik "Angemessen" oder "vorrangig"? Zur Diskussion um "Kinderrechte ins Grundgesetz" aus kinderrechtlicher Perspektive Demokratie mit Kindern in der Kita Kinderpolitik(wissenschaft) – eine Einführung Wie geht es den Kindern in Zeiten von Corona? Leitbilder "guter Kindheit" "Ein bisschen Licht in diese Dunkelheit". Gesellschaftliche Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder in Erziehungsverhältnissen

"Angemessen" oder "vorrangig"? Zur Diskussion um "Kinderrechte ins Grundgesetz" aus kinderrechtlicher Perspektive

Claudia Kittel Sophie Funke

/ 14 Minuten zu lesen

2021 scheiterte die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Bei einem erneuten Anlauf muss eine Formulierung erarbeitet werden, die den Ansprüchen der UN-Kinderrechtskonvention genügt, damit sie die Position von Kindern und Jugendlichen stärkt.

Vor zwölf Jahren stellte der Kinderrechtsexperte Jörg Maywald die Frage, ob es der Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz bedürfe – etwas mehr als ein Jahrzehnt später hat sich "der rechtspolitische Diskurs (…) aus guten Gründen deutlich von der Frage des ‚Ob‘ der ausdrücklichen Aufnahme von Kindergrundrechten ins Grundgesetz hin zu der des ‚Wie‘ der passenden Einfügung verschoben". Mittlerweile sind Kinderrechte in unterschiedlichen Versionen in 15 Landesverfassungen verankert. 2018 vereinbarten CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag, die Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Doch der 2021 eingebrachte Regierungsentwurf scheiterte. Im politischen Diskurs kam der Frage des "Ob" wieder mehr und mehr Bedeutung zu. Aus kinderrechtlicher Perspektive wirkte die Debatte zeitweise so, als ob die Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention grundsätzlich infrage gestellt würden. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierungsparteien ist das Vorhaben "Kinderrechte ins Grundgesetz" aber wieder aufgerufen. Im Folgenden zeigen wir Grundlagen und Problemfelder in der Diskussion auf und bewerten diese aus kinderrechtlicher Perspektive.

Kinderrechtliche Grundlagen

Die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz ist seit Jahrzehnten eine zentrale kinderpolitische Forderung: Seit 1994 setzt sich allen voran das Aktionsbündnis Kinderrechte – Deutsches Kinderhilfswerk, Deutscher Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland gemeinsam mit der Deutschen Liga für das Kind – für die vollständige Umsetzung der Kinderrechte ein und veröffentlichte 2012 einen eigenen Formulierungsvorschlag für die explizite Aufnahme der Kinderrechte mittels eines neu zu schaffenden Artikels 2a des Grundgesetzes. Die Forderungen des Aktionsbündnisses fanden vielerorts bei Verbänden, (Kinderrechts-)Organisationen und schließlich auch in der Politik Zuspruch. Verknüpft mit der Forderung war die Erwartung, dass mit der expliziten Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz die Rechte von Kindern und Jugendlichen schneller verwirklicht und viele Problemlagen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland stärker berücksichtigt würden, insbesondere bei politischen Verantwortungsträger*innen.

Grundlage dieser Forderungen sind die in der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) vom 20. November 1989 verbrieften Rechte von Kindern und Jugendlichen. Auch wenn in der Konvention selbst keine völkerrechtliche Pflicht zur Verfassungsänderung vorgesehen ist, gehört es nach Auffassung des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes zu den Pflichten der Vertragsstaaten, der UN-KRK Vorrang vor dem einfachen Recht zu verschaffen. Nach Artikel 4 UN-KRK haben sich die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, "alle geeigneten Maßnahmen" zu ergreifen, um die in der UN-KRK enthaltenen Rechte zu verwirklichen. Dementsprechend hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Deutschland im periodischen Staatenberichtsverfahren zur UN-KRK wiederholt aufgefordert, die Kinderrechte mit Verfassungsrang auszustatten. In seinen Abschließenden Bemerkungen aus dem letzten Staatenberichtsverfahren 2014 benutzte er eine – diplomatische – Formulierung "höherer Dringlichkeit".

Auch in der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) sind Kinderrechte explizit verankert. Nach Artikel 24 Absatz 1 GRC haben Kinder "Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt." In Absatz 2 wird die vorrangige Erwägung des Kindeswohls "bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen" festgehalten.

Symbolpolitik mit durchschlagendem Effekt?

Sowohl die grundgesetzlich garantierten Rechte als auch die universellen Menschenrechte gelten für Kinder und Jugendliche – daher fragen manche Rechtswissenschaftler*innen, warum eine Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz überhaupt notwendig sein sollte, und sehen darin vor allem Symbolpolitik. Auch ist die UN-KRK in Deutschland 1992 in Kraft getreten und seitdem geltendes Recht, das mittels Zustimmungsgesetz gemäß Artikel 59 Absatz 2 GG normhierarchisch auf gleicher Ebene wie einfache Bundesgesetze steht. Das Problem ist somit nicht in erster Linie die geltende Rechtslage, sondern besteht in der Rechtsanwendung. "Der Umsetzungsmangel hinsichtlich der Kernbestimmungen der Kinderrechtskonvention zeigt sich unter anderem an der Auslegung des einfachen Rechts in verschiedenen Rechtsgebieten", hielt ein im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerks erstelltes Gutachten 2017 fest.

Hinter der Forderung nach einer Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz steckt also die gleiche Erkenntnis, die letztendlich auch schon zur Entstehung der UN-Kinderrechtskonvention selbst geführt hat: Die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen werden bei vielen wichtigen Entscheidungen von Politik, Verwaltung und Justiz immer noch nicht hinreichend beachtet. Kinder und Jugendliche werden kaum als Träger*innen eigener Rechte verstanden, und "wenn sie ihre Rechte gegen staatliche Eingriffe in Stellung bringen wollen, dann werden ihnen von den erwachsenen Entscheidungsträger*innen häufig keine Individualrechte zugesprochen". Ihnen wird zudem oftmals die Fähigkeit abgesprochen, ihre Rechte selbst wahrzunehmen, da sie die Folgen der damit verbundenen Entscheidungen nicht überschauen könnten. Die Folge ist, dass sie gar nicht erst "nach ihrer Meinung befragt [werden], so dass ihre Perspektive außen vor bleibt". Daher war es auch schon Anliegen der UN-KRK selbst, die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu präzisieren, um diesen sozusagen "naturgegebenen" Effekt für Kinder und Jugendliche auszugleichen.

Viele Befürworter*innen einer Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz versprechen sich also von einer expliziten Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz den Effekt, dass Kinder und Jugendliche als Träger*innen eigener Rechte in allen Rechtsbereichen stärker Beachtung finden, sei es im Sozialrecht, im Schulrecht oder im Baurecht. Kinder und Jugendliche sind nicht nur Familienmitglieder, sondern auch Verkehrsteilnehmer*innen oder Schüler*innen, wenn es darum geht, dass der Staat ihre spezifischen Rechte zu berücksichtigen hat, wie es Sebastian Sedlmayr vom deutschen Komitee von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in der Anhörung des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf im Mai 2021 formuliert hat.

Darüber hinaus versprechen sich Befürworter*innen auch eine gesamtgesellschaftliche Wirkung durch eine Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz, das eben auch dazu dient, die Werte einer Gesellschaft widerzuspiegeln. Diese Zielformulierung fand sich auch im Regierungsentwurf 2021: "Um zu verdeutlichen, welch hohe Bedeutung Kindern und ihren Rechten in unserer Gesellschaft zukommt, müssen ihre Rechte als wesentliche staatliche Wertentscheidung ausdrücklich in der Verfassung verankert werden."

Debatte im Bundestag

Um das Vorhaben der damaligen Bundesregierung umzusetzen, wurde gleich zu Beginn der 19. Legislaturperiode eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die in ihrem Abschlussbericht im Oktober 2019 erste Formulierungsvorschläge für das "Wie" und "Wo" der Kinderrechte im Grundgesetz veröffentlichte. Ende November 2019 wurde dann ein Entwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in der Presse bekannt, der die Einführung eines neuen Absatzes 1a in Artikel 6 Grundgesetz vorsah. Nach einigen Zwischenschritten wurde schließlich im Januar 2021 der viel diskutierte und später gescheiterte Regierungsentwurf vorgelegt. Die Oppositionsparteien Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die FDP beteiligten sich mit eigenen Vorschlägen an der Debatte; zum Teil lagen entsprechende Gesetzesentwürfe bereits 2019 vor.

Der Entwurf aus den Reihen der Grünen-Fraktion sah eine Nennung von Kindern neben Ehe und Familie in Artikel 6 Absatz 1 GG vor ("Kinder, Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung"), eine Ergänzung in Artikel 6 Absatz 2 GG ("Pflege und Erziehung der Kinder, unter Achtung ihrer Persönlichkeit und ihrer wachsenden Selbständigkeit, sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht") und einen neuen Absatz 4a, der lauten sollte: "Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner Entwicklung. Bei allen Angelegenheiten, die das Kind betreffen, ist es entsprechend Alter und Reife zu beteiligen; Wille und zuvörderst Wohl des Kindes sind maßgeblich zu berücksichtigen."

In der Gesetzesvorlage der Linken-Fraktion wurde ein neuer Absatz 1 des Artikel 6 GG vorgeschlagen: "Alle Kinder und Jugendlichen haben das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung einschließlich des Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Ihr Wohl ist bei allem staatlichen Handeln, das sie betrifft, zu berücksichtigen. Die staatliche Gemeinschaft trägt Sorge für altersgerechte Lebensbedingungen, beteiligt Kinder und Jugendliche bei allen staatlichen Entscheidungen, die sie betreffen und berücksichtigt ihre Ansichten angemessen."

Auch der Entwurf der FDP-Fraktion sah einen neuen Absatz 1a in Artikel 6 GG vor: "Jedes Kind hat das Recht auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, besonders zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, entsprechend seinem Alter und seiner Reife einen Anspruch auf rechtliches Gehör."

Die Regierungsparteien sprachen sich für eine Erweiterung von Artikel 6 Absatz 2 GG wie folgt aus: "Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt".

Über diesen Entwurf wurde von Januar bis Juni 2021 viel diskutiert, die Meinungen gingen weit auseinander: Für die einen scheint die explizite Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz immer noch überflüssig zu sein, für die anderen stellt die Verankerung einen längst überfälligen Schritt dar, nochmal andere waren unglücklich über die gewählte systematische Stellung des vorgeschlagenen Absatzes 2 in Artikel 6 GG oder aber beruhigt, dass die Elternrechte und -pflichten im Entwurf hervorgehoben wurden. Schlussendlich konnte die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit, die für die Änderung des Grundgesetzes erforderlich ist, nicht erreicht werden.

Bewertung des Regierungsentwurfs

Aus kinderrechtlicher Perspektive konnte angesichts des Scheiterns des Regierungsentwurfes in gewisser Weise aufgeatmet werden: Grundsätzlich ist die Aufnahme der Kinderrechte im Grundgesetz zu begrüßen, aber der vorgelegte Entwurf enthielt eklatante Fehlstellen, die die Sorge nährten, die Stellung von Kindern und Jugendlichen würde eher verschlechtert denn verbessert werden. Der Regierungsentwurf blieb signifikant hinter dem bestehenden Gewährleistungsgehalt der UN-KRK sowie dem Artikel 24 GRC zurück und das, obwohl der Wortlaut dieser Normen und die Entstehungsgeschichte um sie herum als großer Erfolg wahrgenommen wurden. Von dieser Euphorie und einem zukunftsorientierten Gedanken war bei dem vorgelegten Entwurf nicht mehr viel zu erkennen. Mit diesem hätte sich der Verfassungsgesetzgeber regelrecht in Widerspruch zu von der Bundesrepublik bereits eingegangenen völker- und europarechtlichen Verpflichtungen gesetzt. Sowohl das "Leitmotiv" der UN-KRK – das vorrangige Kindeswohl – als auch die "raison d’être", die Schlüsselnorm der UN-KRK aus Artikel 12 mit dem Recht des Kindes auf Gehör und Berücksichtigung seiner Meinung (Beteiligung), fanden sich im vorgelegten Entwurf nicht wieder.

Keine vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls

Der Entwurf sah nur die "angemessene" und nicht die "vorrangige" Berücksichtigung des Kindeswohls vor, wie sie Artikel 3 UN-KRK vorgibt. Absatz 1 des Artikels lautet: "Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleich viel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist." Der Mehrwert einer "vorrangigen" Berücksichtigung liegt in ihrem besonderen Gewicht, um das Machtgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen auszutarieren. Daraus folgt nicht, dass keine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern mehr stattfindet; denn das Kindeswohl stellt lediglich einen vorrangigen Berücksichtigungspunkt unter mehreren dar, ist aber nicht der vorrangige Berücksichtigungspunkt. Die Veränderung läge also darin, dass im Rahmen der Abwägung das Kindeswohl im Sinne der UN-KRK nicht vergessen würde.

Der Begriff des "Kindeswohls", wie er in der UN-KRK verwendet wird, wird von dem Gedanken getragen, dass Kinder Subjekte mit eigenen Meinungen und Handlungszielen sind und von Anfang an auch Träger*innen von Menschenrechten, die als solche ständig "zur eigenen Rechtsausübung" ermächtigt werden sollen. Der UN-Ausschuss definiert den Begriff "best interest of the child" konsequent vom Kind als Rechtsträger her, der sich auf die gesamten Lebensumstände von Kindern bezieht. Es ist wohl der deutschen amtlichen Übersetzung als "Kindeswohl" geschuldet, dass man erläutern muss, dass damit nicht die bloße Abwesenheit der Kindesgefährdung gemeint ist.

Kein umfassendes Recht auf Gehör und Berücksichtigung der Meinung

Artikel 12 Absatz 1 UN-KRK mit dem Recht des Kindes auf Gehör und Berücksichtigung seiner Meinung (Beteiligung), bildet das moderne kinderrechtliche Verständnis ab und umfasst die gesamte Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen – eine Grundgesetzänderung ohne den Inhalt dieses Artikels ist aus einer kinderrechtlichen Perspektive insofern nicht denkbar. Der Regierungsentwurf sah aber nur den Anspruch von Kindern "auf rechtliches Gehör" aus Artikel 12 Absatz 2 UN-KRK vor. Der Absatz, in dem es darum geht, Kindern und Jugendlichen in einem kindgerechten Rahmen die Möglichkeit zu geben, ihre Ansichten vorzutragen, und der Staat dazu verpflichtet ist, sich mit diesen Ansichten auseinanderzusetzen, blieb unbeachtet.

Dabei ist es wichtiger als je zuvor, Kinderrechte sichtbar zu machen und Kinder und Jugendliche in all den sie betreffenden Angelegenheiten anzuhören und mitzudenken. Das hat uns der Umgang mit Kindern und Jugendlichen im Zuge der Maßnahmen rund um die Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt. Bei Schulschließungen, digitalen Lernprogrammen, Beschränkungen der Spiel- und Freizeitmöglichkeiten wurden Kinder und Jugendliche kaum oder nur spät gehört, und ihre Rechte wurden bei den Abwägungen der Maßnahmen keineswegs "vorrangig" beachtet. Dabei war es die große Errungenschaft der UN-KRK-Entscheidungsträger*innen, den Grundsatz "Nichts für oder über Kinder, ohne Kinder" näher zu bringen. Aus kinderrechtlicher Perspektive haben die Debatten rund um die Corona-Maßnahmen erneut gezeigt, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland noch immer nicht ausreichend als eigene Rechtsträger*innen von staatlicher Seite respektiert und wahrgenommen werden – es wurde über sie statt mit ihnen geredet.

Fehlerhafte Darstellung einer Neujustierung des "Eltern-Kind-Verhältnisses"

Und schließlich stieß die im Entwurf vorgesehene systematische Stellung des neuen Absatzes in Artikel 6 Absatz 2 GG – regelrecht eingebettet in die Elternrechte – unter Kinderrechtler*innen auf großes Unverständnis. Diese Stellung machte allenfalls deutlich, dass innerhalb der Regierung einigen Verantwortungsträger*innen die Betonung von Kindern als eigenständige Träger*innen von Rechten offensichtlich noch immer zu weit ging. Rechtssystematisch hätte sie zu dem (Miss-)Verständnis führen können, dass es zwischen Elternrechten und Kinderrechten ein Spannungsverhältnis gibt. Dabei geht es bei einer Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz eben gerade nicht darum, das "Eltern-Kind-Verhältnis" neu zu justieren – vielmehr geht es um das Verhältnis zwischen Kind und Staat. Auch die UN-KRK räumt dem elterlichen Sorge- und Erziehungsrecht Vorrang ein. Die Rechte der Eltern stehen der Zuerkennung eigenständiger Rechte von Kindern und Jugendlichen nicht entgegen. Für das Eltern-Kind-Verhältnis gilt – korrespondierend zu §1626 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches – die Berücksichtigung der sich entwickelnden Fähigkeiten des Kindes ("evolving capacities"). Sprich, mit zunehmenden Fähigkeiten des Kindes beziehungsweise des*der Jugendlichen soll die Leitung und Führung ("appropriate direction and guidance", Artikel 5 UN-KRK) der Eltern immer weiter in den Hintergrund treten.

Fortschritt wagen?

Anders als in der vorherigen Legislaturperiode heißt es nun im mit "Mehr Fortschritt wagen" überschriebenen Koalitionsvertrag der 20. Legislaturperiode "Wir wollen die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz verankern und orientieren uns dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention." Darum sollte es auch bei einer Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz gehen, denn nur eine solche, die kongruent mit den internationalen Verpflichtungen ist, wird die Rechtsposition von Kindern und Jugendlichen signifikant stärken. Der Wortlaut des Artikels 3 UN-KRK beziehungsweise Artikel 24 GRC sollte als Lern- und Erfolgsgeschichte verstanden werden und als Orientierung für die Formulierung eines neuen Vorschlages dienen. Es bleibt abzuwarten, ob die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für einen entsprechenden Regierungsentwurf erreicht werden kann. Bedenken hinsichtlich einer Schwächung von Elternrechten gilt es auszuräumen; diejenigen, die den Kindern und Jugendlichen – oftmals aus einem wohlgemeinten Schutzgedanken heraus – weiterhin absprechen, mit ihrer Meinung und ihren Ansichten umfassendes Gehör und Berücksichtigung in allen sie betreffenden Belangen zu erfahren, müssen noch überzeugt werden. Offen bleibt auch die Frage, ob die neue Regierung gerade hinsichtlich der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen noch mehr "Fortschritt wagt" und Kinder und Jugendliche bereits im Prozess der Grundgesetzänderung mitdenkt und beteiligen wird, damit dieser aus kinderrechtlicher Perspektive nachhaltig und glaubwürdig wird. Es stünde einer erneuten Anhörung im Bundestag zu einem Formulierungsvorschlag für die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz sicherlich gut zu Gesicht, wenn die Runde der Expert*innen diverser auch hinsichtlich des Alters zusammengesetzt wäre.

ist Diplompädagogin und leitet die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin.
E-Mail Link: kittel@institut-fuer-menschenrechte.de

ist Volljuristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin.
E-Mail Link: funke@institut-fuer-menschenrechte.de