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Demokratie mit Kindern in der Kita | Kinder und Politik | bpb.de

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Demokratie mit Kindern in der Kita

Leonhard Birnbacher Judith Durand

/ 12 Minuten zu lesen

Bereits die Jüngsten sollen möglichst früh mit demokratischen Werten in Berührung kommen. Fester Bestandteil der Arbeit von Kindertageseinrichtungen sollte daher Demokratiebildung sein. Welche Rahmenbedingungen und Konzepte stehen dahinter, wie sieht die Praxis aus?

Frühe Bildung und Erziehung soll, das hat der 16. Kinder- und Jugendbericht 2020 herausgearbeitet, die "Fundamente demokratischen Verhaltens" legen. Bildungspolitisch wird gefordert, in Kindertageseinrichtungen als erster außerfamiliärer Bildungseinrichtung Kinder auf ein Leben in Vielfalt, gegenseitiger Anerkennung und Selbstbestimmung vorzubereiten. Mit der Forderung danach, bereits die Jüngsten mit grundlegenden demokratischen Werten und Umgangsweisen in Kontakt zu bringen, wird eine wesentliche Voraussetzung von Demokratie aufgegriffen: die Aufgabe von Demokratien selbst, die sie tragenden Werte, Normen und Prinzipien im Alltag fest zu verankern. Anerkennung, Teilhabe, Toleranz, Engagementbereitschaft und die Fähigkeit zum Kompromiss nach Konflikten sind in der Folge keine nachgeordneten Seinskriterien, sondern wesentlich für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft. Sie müssen immer wieder aufs Neue im Sinne nicht-erzwingbarer Voraussetzungen der Demokratie sowohl erlernt als auch gelebt werden.

Politiktheorie und praktische Politik heben gleichermaßen hervor, dass Bildung und Wertevermittlung für die Demokratie unerlässlich sind, was sich hierzulande auch in der rechtlichen Verankerung frühkindlicher Demokratiebildung widerspiegelt. Dabei wird der nationale rechtliche Rahmen frühkindlicher Demokratiebildung global durch die allgemeinen Menschenrechte und die UN-Kinderrechtskonvention gestützt. Die Menschen- und Kinderrechtsabkommen auf europäischer Ebene – die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union – bringen primär den politischen Willen wesentlicher europäischer Einrichtungen zum Ausdruck, Menschen- und Kinderrechte zu stärken und dabei insbesondere Bildung und Beteiligung von Kindern zu verankern. Über die UN-Kinderrechtskonvention ist die Bundesrepublik auch rechtlich dazu verpflichtet, alle "geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstige[n] Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte" (Artikel 2 Absatz 2) in die Wege zu leiten.

Ausschlaggebend für die rechtliche Verankerung frühkindlicher Demokratiebildung bleibt demnach der nationale Rechtsrahmen. So ist es zuvorderst der Bund, der mithilfe des Kinder- und Jugendhilferechts regelt, dass Kinder in Kindertageseinrichtungen nicht nur betreut und erzogen, sondern auch auf ein Leben in der Demokratie vorbereitet werden sollen. Der Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsauftrag der Einrichtungen ist demnach an die Ausbildung von grundlegenden Sozialkompetenzen und die Beteiligung von Kindern an allen sie betreffenden Angelegenheiten gebunden. Das Achte Sozialgesetzbuch gibt vor, dass der Förderauftrag sich eben nicht nur auf die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes bezieht, sondern auch auf dessen soziale und emotionale Entwicklung. Die "Vermittlung orientierender Werte und Regeln" ist wesentlicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit (SGB VIII, §22 Abs. 3). Damit verknüpft sind ferner unveräußerliche Beteiligungsrechte. Kinder sind entsprechend ihrem jeweiligen Entwicklungsstand in alle sie betreffenden Entscheidungen miteinzubeziehen, was seitens der Träger von Kindertageseinrichtungen sichergestellt werden muss (SGB VIII §22 a; SGB VIII §45 Abs. 2).

Die genaue Ausgestaltung dieses Auftrags obliegt qua Zuständigkeit für das Bildungswesen den Ländern. Sie greifen den Auftrag in ihren Bildungsprogrammen für Einrichtungen der frühen Bildung auf und differenzieren ihn nach jeweils eigenen Schwerpunkten weiter aus. Es gibt daher 16 verschiedene Bildungsprogramme, die zwar durch einen gemeinsamen "Orientierungsrahmen" der Kultus- und Jugendministerkonferenz miteinander verbunden sind, trotzdem aber eigenständige pädagogische Inhalte referieren. Wie von Studien verdeutlicht, variiert in der Folge die Präzisierung dessen, was die Bundesländer unter frühkindlicher Demokratiebildung verstehen, ebenso die Ausgestaltung konzeptioneller Vorgaben.

Demokratie als Lebensform begreifen

Wie die Demokratiebildung in Schule und Erwachsenenbildung ist auch die in Kindertageseinrichtungen für das Funktionieren unserer demokratischen Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung. Sie ist den tragenden "Bauelementen der Demokratie" zu zurechnen und lässt sich nicht auf ein Instrumentarium reduzieren, das immer erst dann zum Tragen kommt, wenn die demokratische Gesellschaft sich in der Krise befindet, sich in ihr Demokratieverdrossenheit breitmacht oder antidemokratische Haltungen auf dem Vormarsch sind. In diesem Sinne warnt beispielsweise Klaus Holz, Mitglied im Vorstand des Bundesausschusses Politische Bildung, davor, Demokratiebildung auf Extremismusprävention zu verkürzen: "‚Demokratieförderung‘ kann gerade nicht heißen: Das Schlimmste bekämpfen. Vielmehr geht es um die Beförderung demokratischer Haltungen, gleichviel durch was unsere zivilgesellschaftlich vielfältige Demokratie in Frage gestellt wird." Ähnliche Bedenken äußert auch der Erziehungswissenschaftler Benedikt Sturzenhecker, der mit dezidiertem Blick auf Kinder und Jugendliche konstatiert, dass eine primär auf Prävention ausgerichtete Demokratiebildung zwar mögliche negative Entwicklungsverläufe von Kindern und Jugendlichen bearbeite, so aber die Förderung einer positiven Entwicklung ins Hintertreffen gerate. Letzteres markiere aber die zentrale Aufgabe im Bereich der Kinder- und Jugendbildung.

Was Holz wie Sturzenhecker hier als generelle "Stoßrichtung" von Demokratiebildung hervorheben, erweist sich auch für die frühe Bildung als relevant. Gerade sie, die mit den Jüngsten, also mit Menschen ohne bereits festgelegte und organisierte politische Agenda zu tun hat, hat nicht vordergründig die Aufgabe, gegenzusteuern oder zu verhindern, sondern soll vielmehr einem positiven Narrativ folgen. Ihr geht es nicht um eine Verhinderungspädagogik, sondern um eine Gestaltungspädagogik. Daher erscheint für Kindertageseinrichtungen eine Konzeption von Demokratiebildung weiterführend, die auf das erfahrungsbasierte Lernen grundlegender demokratischer Prinzipien, Haltungen und Werte setzt. Fluchtpunkt ist damit ein Demokratieverständnis, das in der Demokratie nicht allein eine auf dem Prinzip der kollektiven Selbstbestimmung und Gleichheit basierende Herrschaftsform sieht, sondern gleichfalls eine Lebensform.

Das bedeutet: Erst wenn grundlegende demokratische Werte und Umgangsformen fest im alltäglichen Gesellschaftsleben verwurzelt sind und dort erfahren werden, lässt sich, wie der US-amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey und die auf seinen Arbeiten aufbauende pragmatistische Demokratietheorie betonen, überhaupt von einer Demokratie sprechen. "Die Demokratie", so Dewey, "ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung". Werte und (Sozial-)Kompetenzen werden in diesem Sinne als mindestens ebenso essenziell für die demokratisch verfasste Gesellschaft gewichtet wie die institutionelle Umsetzung des Selbstregierungs- und Gleichheitsprinzips und müssen erlernt und verinnerlicht werden. Welchen Stellenwert Dewey und das auf ihn zurückgehende Konzept der Demokratie als Lebensform für die frühkindliche Demokratiebildung haben, offenbart sich folglich genau an diesem Punkt. Denn während in anderen demokratietheoretischen Entwürfen Kinder höchstens indirekt mitgedacht werden, berücksichtigt Dewey mit seinem ganzheitlichen Ansatz explizit Kinder – und zwar dergestalt, dass bereits ihnen die Möglichkeit gegeben sein muss, Demokratieerfahrungen zu machen. Gerade die von ihnen besuchten Bildungseinrichtungen müssen ein Ort sein, an dem sie im Sinne einer "embryonic society" die Gelegenheit haben, die Grammatik des demokratischen Zusammenlebens zu erfahren.

Muster und Umgangsweise durch Erfahrungen verinnerlichen

Vor allem Selbstwirksamkeitserfahrungen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Denn Kinder lernen in jungen Jahren insbesondere über körperliche und soziale Erfahrungen in ihrem alltäglichen Leben. Frühkindliche Demokratiebildung ist demnach als ein Prozess zu verstehen, bei dem sich das Subjekt in einer an demokratischen Werten geprägten Kultur ausbildet und durch Erfahrungslernen soziale und kulturelle Muster verinnerlicht. Die Kindheitsforschung zeigt, dass die ersten Jahre in der Entwicklung von Kindern prägend sind. In dieser Zeit werden wesentliche Grundlagen der Identität und Persönlichkeit gelegt. Kinder übernehmen durch die Erfahrungen im Alltag als nachwachsende Generation mimetisch das bereits existierende bewusste wie unbewusste Regelwerk sozialer und kultureller Codes. Dabei wird bestehendes Handlungswissen nicht nur erlernt und von den älteren Generationen übernommen, sondern gleichsam weiterentwickelt und sich dadurch zu eigen gemacht. Dieser Prozess beginnt nicht erst bei älteren Kindern, sondern bereits mit der Geburt, beispielsweise die Entwicklung eines Werte- und Normsystems.

Maßgeblich für diese Bildungs- und Kompetenzerwerbsprozesse sind die Erlebnisse, die junge Kinder in ihrer familiären und außerfamiliären Lebenswelt machen. In der Interaktion mit erwachsenen Bindungspersonen entwickeln sie Emotions- und Stressregulationskompetenzen, die Sicherheit bieten und Exploration, Lernen und Partizipation ermöglichen. Im Kontakt mit Gleichaltrigen können Kinder sich im sozialen Miteinander erproben, Sozialkompetenzen und Ambiguitätstoleranz ausbilden. Dabei entwickeln sie ein Bild von sich selbst als Teil des sozialen Gefüges. Und gerade darin liegt eine große Chance: Als erste "wertebildende pädagogische Instanz" bieten frühkindliche Betreuungsinstitutionen für die Entwicklung von demokratisch ausgerichteten Normen, Werten und moralischen Überzeugungen von Kindern ein großes Potenzial – vorausgesetzt, die Institutionen orientieren und organisieren sich selbst nach demokratischen Prinzipien.

Demokratiebildung in der Frühpädagogik

Der Blick zurück in die Ideengeschichte der Frühpädagogik zeigt, dass die Auseinandersetzung um die Erziehung und Bildung von Kindern immer schon eingebettet in historisch-gesellschaftliche Bezüge geführt wurde. Die Frühpädagogik war und ist damit verknüpft, zu überlegen, wie Kinder eine Identität und Persönlichkeit, wie sie Kompetenzen entwickeln, die auf ein Leben in der jeweiligen Gesellschaft vorbereiten. Spätestens seit Friedrich Fröbels (1782–1852) "Die Menscherziehung" (1826) liegt eine erste umfassende Anthropologie der frühen Kindheit vor, die nicht nur der Disziplin den Weg bereitet hat, sondern mit seinen erziehungstheoretischen und -praktischen Überlegungen auch die "Menschwerdung" des Kindes als Teil der Gesellschaft thematisiert. Die Aufgabe der Erwachsenen, so Fröbel, ist es, für die Entwicklung des Kindes zu sorgen – und das nicht nur im Hinblick auf die Vermeidung von "Schlechtem", sondern über spielerische Praktiken den Weg zum "Guten" zu ermöglichen. Denn wenn Kindern die Möglichkeit zum Spiel gegeben wird, so Fröbel, ist die Chance, dass sich ein Kind zu einem engagierten und sozial verantwortlichen Menschen entwickelt, besonders ausgeprägt. Auch das "Prinzip der Selbsttätigkeit des Kindes", das Maria Montessoris (1870–1952) Pädagogik prägte, Célestine Freinets (1896–1966) konsequente Ausrichtung von pädagogischen Settings an demokratischen Grundprinzipien wie Anerkennung, Individualität, Meinungsfreiheit, Dialog und Partizipation oder Janusz Korczaks (1878–1942) visionärer Einsatz für Kinderrechte, sind bedeutsame Wegbereiter für das, was heute unter einer Bildung für Demokratie diskutiert wird. In aktuellen frühpädagogischen Konzepten, wie beispielsweise dem Situationsansatz oder der Reggio-Pädagogik, sind konzeptionelle Überlegungen zu demokratierelevanten Prinzipien bereits Kern der Pädagogik.

Aktuell wird Demokratiebildung nicht nur konzeptionell, sondern auch über Initiativen, Netzwerke und Projekte, die sich mit der Umsetzung von Vorhaben rund um Demokratiebildung befassen, praktisch bearbeitet. Auffällig ist dabei, dass Bund, Länder und Kommunen mit initiierten Programmen und der finanziellen Förderung von Vorhaben zu wichtigen Akteuren der Weiterentwicklung dieses Themenfeldes geworden sind. Ohne die intensive Förderung von staatlicher Seite wären die Aktivitäten zur Demokratiebildung in der frühpädagogischen Landschaft vermutlich weniger agil. Aber auch Stiftungen und Netzwerke tragen zu einer vielfältigen Bearbeitung des Themas bei. Eine umfassende inhaltliche Analyse der Initiativen, Konzepte und Projekte sowie deren Wirkungen steht noch aus.

Demokratiebildung in der Praxis

Was bedeutet das für die pädagogische Praxis? Demokratie kann in Kindertageseinrichtungen – anders als in der Schule oder der Erwachsenenbildung – nicht gelehrt werden, sondern muss im Alltag für alle Beteiligten durch die Erfahrung von Zugehörigkeit in Vielfalt und die Möglichkeit von kindgerechter Beteiligung an den Prozessen in ihrer Lebenswelt erfahrbar sein. Kinder müssen demokratische Werte wie Anerkennung, Wertschätzung und Beteiligung auf unterschiedliche Weise erleben und sich selbst darin erproben können. Das erfordert von Leitungen und pädagogischen Fachkräften ein Bewusstsein und eine Verständigung über die Ziele der pädagogischen Arbeit und die leitenden Werte und Normen, nach denen sie die pädagogischen Angebote, die Raumgestaltung in- und außerhalb der Kita sowie die zwischenmenschlichen Begegnungen richten. Dazu gehört auch die Verständigung, wo Grenzen der Beteiligung gesetzt und welche Entscheidungen von Fachkräften zum Wohle der Kinder getroffen werden.

In Anlehnung an demokratietheoretische und demokratiepädagogische Überlegungen können im Wesentlichen drei zentrale Ebenen für die pädagogische Arbeit im Kontext von frühkindlicher Demokratiebildung unterschieden werden: So können auf formalpartizipatorischer Ebene Beteiligungsformate strukturell verankert sein, wie zum Beispiel über einen Kita-Rat, Kinderkonferenzen, Beschwerdeverfahren oder eine Kita-Verfassung. Dies ist Voraussetzung dafür, Kindern zu ermöglichen, eigene Sichtweisen und Anliegen zu artikulieren. Schon junge Kinder können beispielsweise in regelmäßig stattfindenden Kinderkonferenzen über Erlebnisse oder Konflikte reden und gemeinsam Regeln zum Umgang miteinander diskutieren und beschließen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann besprochen werden, wie die Umsetzung der Entscheidung gelingt und ob diese gegebenenfalls angepasst werden muss. Kinder üben sich auf diesem Wege darin, ihre eigene Position und Bedürfnisse zu artikulieren und andere Perspektiven zu akzeptieren. Sie erleben, dass sie auf Entscheidungen in ihrem Umfeld Einfluss haben.

Die alltagspartizipatorische Ebene wiederum richtet den Blick auf die Gestaltung der Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern im Alltag, die auf Wahrnehmung und Berücksichtigung von kindlichen Bedürfnissen abzielen, wie zum Beispiel beim Essen, Schlafen, der Auswahl von Spielorten oder Bildungsthemen. Wenn Kinder beispielsweise früh in die Gestaltung der Essenssituationen eingebunden werden, sei es über Verantwortlichkeiten bei Tischdiensten, das Selbstschöpfen des Essens oder das Recht, nicht alles essen zu müssen, was der Speiseplan anbietet, erfahren sie, dass ihre Bedürfnisse ernstgenommen werden und können sich in der Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft üben. Herausfordernd dabei ist, eine angemessene Balance zwischen Beteiligung und Struktur zu geben. Denn einerseits ist das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern durch unterschiedliche Aspekte wie Alter, Lebenserfahrung, Kompetenzvorsprung oder physische Überlegenheit durch Asymmetrie gekennzeichnet. Pädagogische Fachkräfte tragen dadurch die Verantwortung, ihre eigene Gestaltungsmacht zu reflektieren und sicherzustellen, dass sie Kindern selbstbestimmte Erfahrungsräume ermöglichen. Andererseits müssen Fachkräfte dabei die individuellen Voraussetzungen und den Entwicklungsstand der Kinder mitberücksichtigen. Denn selbstverständlich dürfen Kinder durch Beteiligungsformen nicht überfordert werden.

Weiter ist querliegend die Wertebene bedeutend. Es muss in den Bildungseinrichtungen ein offener Diskurs geführt werden, welche Normen und Werte den Umgang miteinander und das professionelle Selbstverständnis der Leitungen und Fachkräfte leiten. Denn die Interaktionen im Team und mit den Kindern, die Interaktionen der Kinder untereinander ebenso wie die alltäglich wiederkehrenden Situationen und Rituale wie ein Morgenkreis, die Begrüßung oder Verabschiedung von Kindern und Familien transportieren bereits Werte und Normen. Dazu gehört auch, dass Fachkräfte dafür sensibel sind, wie die Kinder untereinander agieren und sie proaktiv Vorurteile der Kinder untereinander oder auch Ausgrenzungen thematisieren.

Eine Aufgabe für die gesamte Institution

Entscheidend ist auch, dass sich nicht nur die pädagogische Praxis, sondern die gesamte Institution an demokratischen Grundwerten orientiert. Denn auch in der Zusammenarbeit der Leitung mit dem Team, der Teamkolleginnen und -kollegen untereinander oder dem Träger mit der Einrichtungsleitung zeigt sich, ob das Miteinander demokratisch ausgerichtet ist. Wenn pädagogische Fachkräfte selbst wenig Gestaltungsspielraum in der Kita haben, wird es wiederum schwierig, Kindern diesen authentisch zu ermöglichen.

Aber wenn Kinder lernen sollen, ihr Handeln an demokratischen Grundwerten auszurichten, bleibt keine andere Alternative, als die Bedingungen hierfür in der gesamten Institution zu schaffen. Dafür ist eine entsprechende Unterstützung aus Fachpolitik und den Stützsystemen der Kinder- und Jugendhilfe notwendig. Kitas sind durch ihre strukturelle Verankerung in der Gesellschaft und ihr pädagogisches Potenzial prädestiniert dazu, einen bedeutsamen Beitrag zur Verfestigung und beständigen Erneuerung der Demokratie zu leisten. Die Verantwortung dafür, dass dies glückt, können sie allerdings nicht alleine tragen. Dies kann nur im Zusammenspiel mit anderen gesellschaftlichen Schlüsselakteuren gelingen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 16. Kinder- und Jugendbericht, Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter, Bundestagsdrucksache 19/24200, 11.11.2000, S. 7.

  2. Vgl. Veith Selk/Dirk Jörke, Der Vorrang der Demokratie. Die pragmatistische Demokratietheorie von John Dewey und Richard Rorty, in: Oliver W. Lembcke/Claudia Ritzi/Gary S. Schaal (Hrsg.), Zeitgenössische Demokratietheorie, Bd. 1, Wiesbaden 2012, S. 255–284.

  3. Der vorliegende Beitrag entstand aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019–2022 finanzierten Projekt "Bildung und Demokratie mit den Jüngsten (BilDe)" des DJI und bezieht sich teils auf die daraus entstandenen Veröffentlichungen: vgl. Noemi Eberlein/Judith Durand/Leonhard Birnbacher, Bildung und Demokratie mit den Jüngsten. Bezugstheorien, Diskurse und Konzepte zur Demokratiebildung in der Kindertagesbetreuung, Weinheim 2021; Leonhard Birnbacher/Judith Durand, Bildung und Demokratie mit den Jüngsten, in: Impulse 1/2021, S. 14–18.

  4. Vgl. Till van Rahden, Demokratie. Eine gefährdete Lebensform, Frankfurt/M. 2019.

  5. Vgl. Kultusministerkonferenz, Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 3./4.6.2004, Externer Link: http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_06_04-Fruehe-Bildung-Kitas.pdf.

  6. Vgl. Eberlein/Durand/Birnbacher (Anm. 3); Berit Wolter/Hannah-Louisa Schmidt, Demokratiebildung in den Bildungsprogrammen der Bundesländer, Dezember 2020, Externer Link: http://www.kompetenznetzwerk-deki.de/fileadmin/user_upload/Recherche_Demokratiebildung_Bundeslaender_Zusammenfassung.pdf.

  7. Vgl. Thomas Olk/Roland Roth, Mehr Partizipation wagen. Argumente für eine verstärkte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, Gütersloh 2010.

  8. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Heidelberg 2004, S. 429–496, hier S. 434.

  9. Bundesausschuss Politische Bildung e.V. (Hrsg.), Forderung des Deutschen Bundestags nach Einrichtung eines Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung. Einschätzungen durch das Bap-Vorstandsmitglied Dr. Klaus Holz im Interview, 15.2.2018, Externer Link: http://www.bap-politischebildung.de/bap-vorstandsmitglied-dr-klaus-holz-kommentiert-mit-skepsis-die-berufung-eines-beauftragten-der-bundesregierung-gegen-antisemitismus.

  10. Vgl. Benedikt Sturzenhecker, Prävention ist keine Jugendarbeit. Thesen zu Risiken und Nebenwirkungen der Präventionsorientierung, in: Sozialmagazin 1/2006, S. 14–21.

  11. Vgl. Benno Hafeneger, Begriffsvielfalt, Entgrenzung, Aufmerksamkeitskultur. Kommentare zur neuen Unübersichtlichkeit auf dem Arbeitsfeld der politischen Bildung, in: Journal für Politische Bildung 2/2019, S. 10–15.

  12. John Dewey, Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik, Weinheim 1993, S. 121.

  13. Ders., The School and Society, Chicago 1915, S. 15.

  14. Vgl. Eberlein/Durand/Birnbacher (Anm. 3).

  15. Vgl. Christoph Wulf, Zur Genese des Sozialen. Mimesis, Performativität, Ritual, Bielefeld 2005.

  16. Vgl. Monika Keller, Moralentwicklung und moralische Sozialisation, in: Detlef Horster (Hrsg.), Moralentwicklung von Kindern und Jugendlichen, Heidelberg 2007, S. 17–50.

  17. Vgl. Karin Grossmann/Klaus E. Grossmann, Bindung – Das Gefüge psychischer Sicherheit, Stuttgart 2017.

  18. Vgl. Angela Ittel/Diana Raufelder/Herbert Scheithauer, Soziale Lerntheorien, in: Lieselotte Ahnert (Hrsg.), Theorien in der Entwicklungspsychologie, Berlin–Heidelberg 2014, S. 330–353.

  19. Wilfried Schubarth/Julia Tegeler, Anregungen und Empfehlungen für eine offensive Wertebildung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Werte lernen und leben. Theorie und Praxis der Wertebildung in Deutschland, Gütersloh 2016, S. 263–274, hier S. 266.

  20. Vgl. Dietrich Benner, Bildung, in: ders./Jürgen Oelkers (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Weinheim 2004, S. 174–216.

  21. Vgl. Friedrich Fröbel, Die Menschenerziehung. Erster Band. Bis zum begonnenen Knabenalter, 1826, Externer Link: http://www.froebelweb.de/images/pdf/ME_www.pdf.

  22. Vgl. Eberlein/Durand/Birnbacher (Anm. 3).

  23. Vgl. ebd.

  24. Vgl. Elisabeth Richter/Teresa Lehmann/Benedikt Sturzenhecker, So machen Kitas Demokratiebildung. Empirische Erkenntnisse zur Umsetzung des Konzepts "Die Kinderstube der Demokratie", Weinheim 2017; Evelyne Höhme-Serke/Sabine Beyersdorff, Mit Kindern Demokratie leben, Aachen 2011.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Leonhard Birnbacher, Judith Durand für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Sozialwissenschaftler und Wissenschaftlicher Referent im Projekt "Bildung und Demokratie mit den Jüngsten" (BilDE) am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in der Abteilung "Kinder und Kinderbetreuung".
E-Mail Link: birnbacher@dji.de

ist Diplom-Erziehungswissenschaftlerin und Grundsatzreferentin in der Fachgruppe "Pädagogische Konzepte für die Kindheit" der Abteilung "Kinder und Kinderbetreuung" am Deutschen Jugendinstitut (DJI).
E-Mail Link: durand@dji.de