„Dieses NSU-Trio soll nur fünf Mittäter gehabt haben. Aber für mich ist klar, es gab an den Tatorten Helfershelfer. Gegen die wird aber nicht ermittelt. Man will nicht gegen sie ermitteln. Und solange man gegen dieses Netzwerk nicht angeht, kommen wir nicht weiter.“
(Semiya Şimşek, 2021)
„Die Bundeskanzlerin versprach: Wir tun alles, um aufzuklären, wir werden alles tun, um Helfershelfer zu finden. Ich habe ihr vertraut. Aber während Frau Merkel ihre Rede hielt, wurden landauf, landab Akten geschreddert.“
(Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler, 2021)
„Seit 2011 wurde mir und meiner Familie Aufklärung versprochen: von der damaligen Bundeskanzlerin, vom Bundespräsidenten, von den Parlamenten. Ich will immer noch wissen, warum mein Vater, Mehmet Kubaşık, von Neonazis ermordet wurde. Wie wurde er ausgewählt? Wer war noch beteiligt? Hätte dieser Mord verhindert werden können? Was wussten die Verfassungsschutzämter?“
(Gamze Kubaşık, 2022)
Kurz nach der Bundestagswahl 2021 bekundeten SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag ihre Unterstützung für die "Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU".
Gleichwohl stellt sich die Frage, welche grundsätzlichen Widersprüche mit einem staatlichen Gedenken an die Opfer des NSU verbunden sind – insbesondere vor dem Hintergrund der mittlerweile über zehn Jahre währenden Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und im Lichte der bereits vorhandenen Gedenkpraktiken, die vor allem durch Angehörige und Überlebende etabliert wurden. Im Wissen darum, dass sich viele der Angehörigen der Ermordeten ein solches Dokumentationszentrum wünschen und sich viele politisch Engagierte seit Langem dafür einsetzen, möchten wir in diesem Beitrag einige kritische Überlegungen dazu anstellen.
Folgende Fragen sind dabei unsere Ausgangspunkte: Wie kann ein offizieller Gedenkort für die Opfer des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) eingerichtet werden, solange dessen Taten nicht umfassend aufgeklärt sind? Wie kann ein offizieller Gedenkort für die Opfer des NSU aussehen, wenn die institutionelle Dimension des NSU-Komplexes immer noch verschleiert wird? Wie kann von offizieller Seite ein Gedenkort gestaltet werden, wenn die Angehörigen des rechten Terrors immer noch um Aufklärung kämpfen und jedes Detail der Wahrheit mühselig erringen müssen, und zwar gegen behördliche Versuche, die eigene Verstrickung in den Komplex zu verschleiern und einen Schlussstrich zu ziehen? Wie kann ein zentrales Gedenken an die Opfer des NSU aussehen, wenn die Erfahrung rassistischen Terrors und des unzureichenden gesellschaftlichen Umgangs damit von so vielen Angegriffenen an so vielen anderen Orten wie Hanau, Halle an der Saale, München, Lübeck, Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda geteilt wird? Wer gedenkt in einem solch offiziellen Raum wem und was? Wenn wir über ein Jahrzehnt nach der Selbstenttarnung des NSU und über zwei Jahrzehnte nach dem Beginn seines Terrors immer noch mitten in der Aufklärung der Taten sind – welches Ziel, welchen Zweck kann ein solches Gedenken haben?
Kein Schlussstrich-Gedenken, Schweigen durchbrechen
Gedenken steht in der Regel am Ende eines Prozesses. Es bedeutet zurückzublicken, aber auch einem Narrativ zu folgen, einer Erzählung über das, was geschehen ist. Wie die drei Eingangszitate zeigen, besteht diesbezüglich eine Diskrepanz: Die von Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutz genährte und vom Oberlandesgericht München im NSU-Prozess festgehaltene Erzählung eines "isolierten Terrortrios" ist für die Hinterbliebenen nicht hinnehmbar, da zu viele Fragen nach wie vor ungeklärt sind. Solange die Aufklärung der Mordtaten des NSU aber nicht abgeschlossen ist, besteht die Gefahr, dass an einem offiziellen Gedenkort auch das offizielle Narrativ der nur aus drei Personen bestehenden Terrorzelle festgeschrieben wird, die nun entweder tot oder verurteilt und im Gefängnis sind. Zum Gedenken an die Opfer gehört deshalb auch, dass ihr Tod bis heute weder strafrechtlich noch gesellschaftlich angemessen aufgearbeitet ist und eine Aufarbeitung von denen, die sie leisten könnten, aktiv be- oder gar verhindert wird: durch das Schreddern von Akten, den Schutz von V-Leuten, das unter Verschluss halten von Dokumenten oder die Verweigerung, Untersuchungsausschüsse einzurichten. Das ist die "offene Wunde, die nicht heilen will", wie Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler diese verweigerte Aufklärung nennt.
Diese Wunde wird sich nicht allein durch Gedenken schließen lassen. Die Angehörigen der Ermordeten formulieren seit Jahren nicht nur Fragen bezüglich der vergangenen Taten, sondern auch Forderungen, die auf eine Zukunft gerichtet sind, in der rassistische Diskriminierung und die Angst vor Terror nicht mehr zum Alltag vieler migrantischer Communities gehören. Um das zu verwirklichen und diese gegenwärtige "Normalität" zu durchbrechen, sind von Behörden und der Öffentlichkeit allerdings noch längst nicht ausreichend Konsequenzen aus dem NSU-Komplex gezogen worden. Ein Gedenken muss also immer auch den Abgrund der unaufgearbeiteten Dimension des NSU-Komplexes einschließen. Damit ist auch ein versöhnendes Gedenken unmöglich; vielmehr braucht es ein unversöhnliches Erinnern, um das Ziel – eine Gesellschaft ohne Rassismus – nicht aus den Augen zu verlieren. Es braucht vor allem ein Erinnern, in dem die Stimmen der Betroffenen Platz haben.
Als sich der NSU im November 2011 selbst enttarnte, herrschte unter den Überlebenden und Angehörigen der Ermordeten ein Schweigen über das Erlebte. Was Medien in den Monaten und Jahren zuvor abwertend als "Mauer des Schweigens" bezeichnet hatten,
Anfangs organisierten sich die Familien, forderten lautstark Aufklärung und eine Beendigung der Mordserie gegen Menschen aus ihren Communities. Sie demonstrierten, diskutierten und sagten laut und deutlich, was wir heute wissen, was aber keinerlei Echo erfuhr: Die Mörder müssen deutsche Neonazis sein, das Motiv für die Taten ist Rassismus. Dennoch wurde in all diesen Jahren kein Moment lang in die rechte Szene hinein ermittelt. Im Gegenteil: Die Sicherheitsbehörden beteuerten, es gebe keinen rechten Terror in diesem Land – und sendeten damit ein Signal an die Täter*innen, dass ihr Morden nicht nur keine Ermittlungen nach sich zog, sondern die rassistische Logik der Fremdmachung und Dämonisierung auch in Behörden verbreitet ist. Die Angriffe des NSU wurden dadurch noch verlängert und die betroffenen Familien in ihrer materiellen und gesellschaftlichen Existenz zusätzlich destabilisiert. Der anfängliche Kampfgeist der Menschen von der Keupstraße sowie der Familien Şimşek, Kubaşık, Yozgat und anderen erlosch; die Betroffenen wurden über Jahre zum Schweigen gebracht und gesellschaftlich isoliert.
Was wir heute über den NSU-Komplex wissen, ist Ergebnis einer mühseligen Wiedergewinnung der eigenen Stimme und der allmählichen Öffnung eines medialen und schließlich auch politischen Resonanzraums für das situierte Wissen
Institutioneller Rassismus und Gedächtnistheater
Neben dieser "offenen Wunde", die von der behördlichen Nicht-Aufklärung gerissen wurde, sollte ein Gedenken auch die gesellschaftliche Dimension von rechtem Terror thematisieren. Denn rechter Terror ist ein extremer Ausdruck eines strukturellen Rassismus, von Ausbeutung, von Ausgrenzung, von Entrechtung. Er ist Teil einer umfassenden Gewalt, die Migrant*innen auf ihren untergeordneten Plätzen halten will.
Extrem rechter Terror kann nur verstanden werden, wenn er gesellschaftlich verortet wird. Am Beispiel des NSU lässt sich das exemplarisch aufzeigen: Die Täter*innen erlebten als Jugendliche, wie sich mit rassistischem Terror politischer Einfluss gewinnen ließ, als die damalige Bundesregierung 1993 als Antwort auf Angriffe auf Geflüchtete und Migrant*innen das Grundrecht auf Asyl einschränkte. Die staatliche Jugendarbeit in Ostdeutschland sah die rechten jugendlichen Täter*innen als Opfer der Verhältnisse und ließ sie nicht nur häufig gewähren, sondern stärkte sie überdies mit einem Aktionsprogramm der "akzeptierenden Jugendarbeit". Im Ergebnis fielen zahllose Einrichtungen unter die Kontrolle rechter Strukturen, darunter auch der "Winzerclub" in Jena-Winzerla, in denen sich die späteren Mitglieder des NSU organisierten. Als Opfer wählte der NSU (Nachfahren der) Arbeitsmigrant*innen aus der Türkei und Griechenland aus, die durch die deutsche Migrationspolitik als "Migrationsandere" markiert und jahrzehntelang systematisch entrechtet waren.
Nur Tage nach der Selbstenttarnung des NSU ließ der Verfassungsschutz gezielt jene Akten schreddern, die seine Verstrickung in das Netzwerk des NSU dokumentierten, und erklärte bald, dass eine Aufklärung der Mordserie nicht so wichtig sei wie der Schutz seiner Quellen, die eventuell über die Mordserie Auskunft geben könnten.
Schon vor der Mordserie des NSU und auch danach hat es rassistische Anschläge gegeben, bei denen Menschen umgebracht wurden. Die Orte Mölln, Solingen, Lübeck, München, Halle an der Saale und Hanau stehen heute für die bekanntesten von ihnen.
Die Erfahrung zeigt allerdings, dass eine Auseinandersetzung mit dem institutionellen Rassismus in Formen des öffentlichen und offiziellen Gedenkens nur selten Platz findet. Es wird zwar der Opfer gedacht, aber die Dimensionen der rassistischen Gewalt, denen sie ausgesetzt waren und gegen die sich viele Angehörige immer noch – mal verzweifelt, mal entschlossen – zur Wehr setzen, werden ausgeblendet. So verkommt Gedenken zu einer distanzierten Draufschau, in der die Taten als furchtbare Einzelfälle, die Täter*innen als einsame Extremist*innen, die Betroffenen als passive Opfer und die Behörden, Institutionen und die Öffentlichkeit als hilflose Akteure in unbeteiligten Strukturen oder als fassungslose Zuschauer*innen dargestellt werden.
Das führt regelmäßig dazu, dass sich Angehörige und Überlebende durch das offizielle Gedenken nicht gesehen und anerkannt fühlen. Die Familie Arslan aus Mölln etwa hat sich endgültig aus den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten der Stadt zurückgezogen und organisiert seit 2013 ein eigenes Gedenken, die "Möllner Rede im Exil", um an den Brandanschlag auf ihre Familie zu erinnern, bei dem im November 1992 drei Menschen getötet wurden. Nach dem Brandanschlag wurden die Angehörigen zunächst selbst verdächtigt, auch erhielten sie keine psychologische Hilfe, mussten in das Haus zurückziehen, in dem ihre Familienmitglieder gestorben waren, und Hunderte Solidaritätsbriefe aus dem ganzen Bundesgebiet wurden ihnen nicht zugestellt. Bei den Gedenkfeierlichkeiten erhielten sie kaum Gehör. İbrahim Arslan, Überlebender des Anschlags, erklärte wiederholt, er und seine Familie seien nicht mehr bereit, als Statisten an den Gedenkfeierlichkeiten teilzunehmen, sie seien vielmehr die Hauptzeug*innen des Geschehens.
Die Überlebenden des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße 2004 mussten jahrelang mit der Stadt Köln um die Realisierung eines zugesagten Mahnmals ringen, das den Anschlag in angemessener Weise als Teil der Geschichte Köln-Mülheims repräsentieren soll – und bis zur tatsächlichen Umsetzung wird weitere Zeit vergehen. In Hanau kämpfen die Angehörigen der Ermordeten bis heute um einen würdigen Gedenkort. Am Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt, zu dem die Bundesregierung am 11. März 2023 einlud, kamen anwesende Betroffene rechter Gewalt nicht zu Wort – einige der Eingeladenen vermuten, dass sich die Bundesregierung damit unliebsame Kritik ersparen wollte.
Wie also kann institutioneller Rassismus, der überhaupt erst die Voraussetzung für extrem rechten Terror ist, in einem offiziellen Gedenken verortet werden? Wie kann darin zum Ausdruck gebracht werden, dass staatliche Einrichtungen in der Kritik stehen und nicht an der Seite der Betroffenen? Was kann aus den bisherigen Erfahrungen, aus der Spannung zwischen offiziellem Gedenken und Betroffenenwünschen gelernt werden? Die "Bombe nach der Bombe", wie ein Überlebender die behördlichen Ermittlungen gegen die Opfer des NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße nannte, die den Alltag von Überlebenden und Angehörigen der durch rechten Terror Ermordeten bis heute so sehr erschwert, muss Teil des Gedenkens werden – hier setzt das gesellschaftliche Lernen über rechten Terror an.
Die Aussparung des institutionellen Rassismus führt dazu, dass die Angehörigen und Überlebenden nur benutzt werden, um der deutschen Gesellschaft auf Gedenkveranstaltungen zu versichern, dass sie den Rassismus verurteilt. Hier lässt sich in Anlehnung an die Kritik an staatlichen Gedenkveranstaltungen zur Shoah von einem "Gedächtnistheater" sprechen. Diesen Begriff prägte der Soziologe Y. Michal Bodemann in den 1990er Jahren, aktuell werden diese Überlegungen von dem Publizisten Max Czollek unter dem Begriff des "Versöhnungstheaters" aktualisiert.
Postmigrantische Wissensproduktion und Solidarität
Wie das gehen kann, zeigen zahlreiche lokale Gedenkinitiativen, die sich an den Orten der Gewalttaten zumeist unter aktiver Mitwirkung Angehöriger und Überlebender gegründet haben. Hier werden die Opfer als Personen sichtbar, mit Biografien, Plänen und Träumen. Dabei spielt auch die Realität der Einwanderung eine Rolle, in deren Geschichte der Kampf um Rechte beziehungsweise gegen systematische Entrechtung und Ausbeutung zentral ist. Hier wird nicht nur der Schmerz unschuldiger Opfer sichtbar, sondern auch ihre Wut auf die rassistischen Verhältnisse und ihre Entschlossenheit, den von ihnen errungenen Platz in dieser Gesellschaft zu verteidigen.
Im Rahmen des Gedenkens ist in solidarischen Zusammenschlüssen viel Material zusammengetragen worden, das zur Sichtbarmachung rassistischer Strukturen und zur Aufklärung einzelner Aspekte des NSU-Komplex beigetragen hat. Dieses Material gehört den migrantischen Communities, die es über Jahre gegen die Beharrungskräfte staatlicher Behörden und der Politik entwickeln mussten. Aus der Forderung, dass der Staat dieses Wissen anerkennen soll, kann daher nicht folgen, dass er sich dieses abgetrotzte Wissen als Besitz aneignen darf. Insofern stellt sich die Frage: Was soll in einem offiziellen Begegnungs- und Dokumentationszentrum ausgestellt werden, jenseits von dem, was dezentrale Gedenkinitiativen, Künstler*innen und Recherchegruppen bereits erarbeitet haben? Und was rechtfertigt es, dieses solidarisch erarbeitete Wissen, dass dezidiert gegen das staatliche Verschweigen zusammengetragen wurde, in ein offizielles Gedenken zu überführen?
Dieselbe Frage stellt sich mit Blick auf das im Koalitionsvertrag angekündigte Bundesarchiv zum Rechtsterrorismus.
Der NSU-Komplex steht für eine umfassende strukturelle Gewalt gegen Migrant*innen. In der Auseinandersetzung damit kam es zu einer breiten zivilgesellschaftlichen Vernetzung, die in all ihren Aktivitäten die Perspektive der Betroffenen zum zentralen Bezugspunkt macht. Damit ist eine Diskursverschiebung gelungen: Während die Angehörigen der durch den NSU Ermordeten noch um die Wahrnehmung ihrer Erfahrungen und ihrer Toten ringen mussten, wurde die Praxis der Angehörigen in Hanau, die Namen und Gesichter ihrer ermordeten Angehörigen unter dem Hashtag #saytheirnames sichtbar zu machen, breit aufgegriffen. Hier zeigt sich eine neue Qualität des selbstbestimmten und kollektiven Gedenkens an die Opfer rassistischer Gewalt.
Im Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit im NSU-Komplex hat sich ein gesellschaftlicher Resonanzraum geöffnet, den viele Betroffene anderer rassistischer Anschläge und Angriffe der 1980er und 1990er Jahre genutzt haben, um sich erstmals zu äußern. Endlich wurde ihnen zugehört und ihrem Wissen Bedeutung beigemessen. Es gründeten sich zahlreiche neue Initiativen wie die "Initiative 12. August" in Merseburg, die "Initiative Amed Ahmad" in Nordrhein-Westfalen, die "Initiative Duisburg 1984", die Hamburger "Initiative zum Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân" und viele weitere. Gleichzeitig konnten schon bestehende Initiativen wie "Gedenken Mölln 1992" oder die "Initiative Hafenstraße 96" in Lübeck, aber auch "Diên Hông – Gemeinsam unter einem Dach" aus Rostock-Lichtenhagen neue Aufmerksamkeit erreichen. Diese Initiativen unterstützen sich gegenseitig und beziehen sich in ihren Aktivitäten aufeinander. Neben lokalen Begegnungs- und Gedenkorten sind auf diese Weise gemeinsame, plurilokale Gedenkpraktiken entstanden: die erwähnte "Möllner Rede im Exil", die jedes Jahr an einem anderen Ort von Betroffenen rassistischer Gewalt gehalten wird; die "NSU-Tribunale", die bereits in Köln, Mannheim, Chemnitz, Zwickau und Nürnberg stattgefunden haben und Räume eröffnen, insbesondere lokale Erfahrungen mit rassistischem Terror aufzuarbeiten; das "Festival of Resilience", das von jüdischen Überlebenden des Anschlags auf die Synagoge in Halle organisiert wird und rassistische und antisemitische Gewalt thematisiert. Diese und viele weitere Zusammenkünfte multidirektionalen Erinnerns setzen heute den Standard dafür, wie solidarisches Gedenken aussehen kann. Dabei geht es nicht nur um ein Gedenken an die Opfer des rassistischen Terrors, sondern auch darum, dass dieses Gedenken kollektiv von den Angehörigen und Überlebenden gestaltet wird. Diese Vernetzung ist zu einer starken Kraft im Kampf gegen den gesellschaftlichen Rassismus geworden.
Für das zukünftige Gedenken lässt sich daraus vor allem ableiten, dass diese Kraft nicht durch eine erneute Vereinzelung der Akteur*innen zerstört werden darf. Vielmehr gilt es, an diese wegweisenden überlokalen und multidirektionalen Praktiken anzuschließen, diese sichtbar zu machen und zu stärken. Damit geht auch ein Gedenken an das massive Ausmaß und die historische Kontinuität rassistischer und antisemitischer Gewalt in Deutschland einher.
Über das Gedenken hinaus
Es lässt sich somit resümieren, dass ein offizieller Gedenkort, der das Gedenken an die Toten und die Aufarbeitung der institutionellen Ermöglichungsbedingungen des NSU-Komplexes vereinbaren soll, unter staatlicher Regie schwer vorstellbar ist. Zu schwer wiegen die Erfahrungen verweigerter Aufarbeitung, verweigerter Mitsprache der Angehörigen und Überlebenden und verweigerter Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Rassismus. Tatsächlich stellt sich ohnehin die Frage, wie realistisch ein solches Dokumentationszentrum überhaupt ist – bisher sind im Haushaltsplan keine Gelder dafür eingestellt. Das angekündigte Archiv zum Rechtsterrorismus, das unter anderem Materialien für Forschung und Aufarbeitung bereitstellen sollte, wurde bereits zu einem Webportal zusammengekürzt, das eher Material für die politische Bildung als für Aufklärung und Forschung bereithalten und vor allem das durch antirassistische und antifaschistische Initiativen längst verfügbar gemachte Wissen versammeln wird.
Dennoch ist das in Aussicht gestellte Dokumentationszentrum eine wichtige Forderung der Betroffenen des NSU-Terrors, und es wäre in erster Linie ihrem beharrlichen Engagement zu verdanken, wenn es überhaupt zustande kommt. Wesentliche Bestandteile ihrer Forderung sind jedoch auch die Anerkennung des migrantisch situierten Wissens der Betroffenen rassistischer Gewalt, das die Grundlage für jegliche Dokumentation bildet, sowie die Aufforderung, dieses Wissen in die politische Bildung einzuspeisen und sichtbar werden zu lassen. Hieran muss sich jede Form der Archivierung, der Dokumentation, des Gedenkens und der Aufklärung orientieren.