Zusammenfassung
Interethnische Beziehungen und Konflikte gewinnen im heutigen Russland zunehmend an Bedeutung. Dies trifft im besonderen auf den Nordkaukasus zu, wo anhaltende Unsicherheit kombiniert mit einer stagnierenden Wirtschaft zu wachsendem russischen Nationalismus, Xenophobie und der Angst vor Einwanderung führen. Im Bezirk Stawropol, dem einzigen Gebiet im Föderalbezirk Nordkaukasus, in dem ethnische Russen die Mehrheit stellen, ist die Lage besonders bedrohlich. Die Zunahme von interethnischen Spannungen und interethnischer Gewalt zeigt, dass die Durchschnittsbürger ihr eigenes Verständnis von interethnischen Beziehungen haben, das in scharfem Kontrast zum offiziell propagierten "ewigen interethnischen Frieden« steht.
Spannungen in den interethnischen Beziehungen
Am 10. September 2010 wurde eine 220 Wörter umfassende Petition ins Internet gestellt, in der Russlands Präsident Dmitrij Medwedew aufgefordert wurde, die Grenzen des Föderalbezirks Nordkaukasus zu verändern. Die Forderung lautete, den Bezirk Stawropol aus dem Föderalbezirk Nordkaukasus aus- und in den Südlichen Föderalbezirk einzugliedern. Kaum eine Woche nach Veröffentlichung der Petition, am 15. September 2010, kam es in der Stadt Stawropol zu Gewalttätigkeiten zwischen 80 Jugendlichen (30 ethnischen Russen und 50 ethnischen Kaukasiern). Diesen folgten kleinere Schlägereien am 19. und 26. September in Stawropol.
Obwohl diese zwei Ereignisse, die Online-Petition und die Zusammenstöße, auf den ersten Blick nicht miteinander in Verbindung stehen, sind sie beide für die Zunahme von russischem Ethnonationalismus im Bezirk Stawropol bezeichnend, einem Gebiet, das seit langem als letzte Bastion des Einflusses Russlands im "barbarischen« Nordkaukasus gilt. Wenngleich das Ausmaß interethnischer Gewalt im Bezirk Stawropol gegenwärtig unter dem von 2007 liegt, bedeutet die Verminderung der Gewalt in den letzten vier Jahren keineswegs eine Stabilisierung der Lage.
Nach Angaben der Moskauer Nichtregierungsorganisation »SOVA-Zentrum« sind ethnonationale Übergriffe auf ethnische Kaukasier im Bezirk Stawropol seit 2004 gestiegen. Die jüngsten Ereignisse, darunter die Online-Petition und die Ausschreitungen im September 2010, deuten nicht darauf hin, dass interethnische Gewalt abflaut. Inmitten der sich ausweitenden islamischen Aufstandsbewegung und der wirtschaftlichen Unsicherheiten im Nordkaukasus beginnt die Stawropoler Bevölkerung, die Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, was mit Sicherheit zu weiteren interethnischen Spannungen führen wird.
Instabilität im Föderalbezirk Nordkaukasus
Die Republiken im Nordkaukasus zeichnen sich durch einen nahezu ununterbrochenen Kreislauf von Gewalt, Aufständen und Unterdrückung aus. Die Gewalt, die anfangs auf Tschetschenien beschränkt war, breitete sich auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan (wo ein latenter Bürgerkrieg schwelt) und weiter in die Republiken Kabardino-Balkarien, Karatschai-Tscherkessien und Adygeja aus, welche sich Experten zufolge allmählich in ein einziges großes Schlachtfeld verwandeln. Bisweilen ist die Gewalt auch bis in den Bezirk Stawropol vorgedrungen, am deutlichsten im Jahr 1995 bei der Geiselnahme im Krankenhaus von Budjonnowsk und 2003 beim Anschlag auf einen Zug in Jessentuki. In jüngster Zeit sind Einsätze russischer Sicherheitskräfte und Militäreinheiten zur Bekämpfung von Aufständischen im Bezirk Stawropol ein Indiz, aus dem manche politische Analytiker auf die Ausweitung der Aufstände schließen.
Im Gefolge der Destabilisierung des Nordkaukasus werden die ethnischen Beziehungen im Bezirk Stawropol zunehmend gewalttätiger. Dies spiegelt die Situation in ganz Russland wider, wo das Niveau an russischem Ethnonationalismus, parallel zur Verschlechterung der Lage im Nordkaukasus, angestiegen ist. In der Tat ist die Diskriminierung von ethnischen Minderheiten in Russland weit verbreitet - trotz der Verpflichtung zu allgemeinen Menschenrechten in Artikel 19 der russischen Verfassung. Besonders betroffen sind ethnische Gruppierungen aus dem Nordkaukasus, da Kawkasofobija (Kaukasier-Feindlichkeit) nahezu alle Gesellschaftsbereiche durchdrungen hat. Ludmilla Aleksejewa, Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, bezeichnete Kawkasofobija im Oktober 2002 als "definitiv größtes Problem, mit dem Russland heutzutage konfrontiert ist. Sie ist in allen Bereichen der Bevölkerung sehr verbreitet.«
Demographische Ängste im Bezirk Stawropol
Entscheidend für den wachsenden Nationalismus, die Xenophobie und die Angst vor Einwanderung im Bezirk Stawropol ist die demographische Situation. Nach Angaben der Volkszählung von 2002 ist der Bezirk Stawropol das einzige Gebiet im Föderalbezirk Nordkaukasus mit einer ethnisch russischen Mehrheitsbevölkerung (81,6%) im Vergleich zu 3,7% in Tschetschenien und 1,2% in Inguschetien. Dies stellt einen Rückgang des ethnisch russischen Bevölkerungsanteils im Bezirk Stawropol dar: von 91,3% (1959) über 87,8% (1979) auf 84% (1989). Diese »De-Russifizierung« spiegelt die Einwanderung von ethnischen Kaukasiern und die Abwanderung ethnischer Russen (kombiniert mit einer geringeren natürlichen Wachstumsrate) wider. Diese Situation wird vom Kreml und der russischen Gesellschaft als politisch sensibel angesehen, da der Rückzug ethnischer Russen aus dem Bezirk Stawropol seit langem mit Kontrollverlust im Nordkaukasus gleichgesetzt wird.
Mit dem schnellen Wachstum nichtrussischer Ethnien in den Nordkaukasus-Republiken setzte eine Migration in Regionen außerhalb der Republiken ein, die traditionell von ethnischen Russen bewohnt waren. Dies führte dazu, dass sich die ethnischen Russen zunehmend als eine gefährdete Minderheitsgruppe sehen. Im Rayon Neftekumsk zum Beispiel, der im Südosten des Bezirks Stawropol an Dagestan grenzt, machte die ethnisch russische Bevölkerung im Jahr 2002 gerade einmal 37,6% der Bevölkerung aus, im Jahr 1970 lag ihr Anteil noch bei 52,7%. In den Rayons entlang der südlichen und östlichen Grenze des Bezirks, darunter der Rayon Neftekumsk, kommt es zur räumlichen Segregation der ethnischen Gruppen, die sich anscheinend im gesamten Bezirk Stawropol ausbreitet.
Ethnische Konflikte im Bezirk Stawropol bis 2007
Nach Angaben von Amnesty International aus dem Jahr 2006 haben die russischen Behörden einen Zustand der »Straflosigkeit« gegenüber ethnischer Diskriminierung und gewaltsamen ethnischen Übergriffen geschaffen. Berichte des Moskauer SOVA-Zentrums geben an, dass rassistisch motivierte Angriffe im Bezirk Stawropol zurückgegangen sind (von 21 Angriffen im Jahr 2005 auf 8 im Jahr 2009), ethnische Gewalt dagegen zugenommen hat. (Genaue Angaben über Fälle ethnischer Gewalt sind auf Grund chronisch dürftiger Berichterstattung, vor allem in ländlichen Gebieten, schwer aufzutreiben.)
Die interethnischen Beziehungen wandelten sich seit dem Ende der Sowjetunion ständig, das Gewaltpotential war stets vorhanden. Als Reaktion auf den ersten Tschetschenienkrieg und die starke Zuwanderung ethnischer Kaukasier in den Bezirk Stawropol verabschiedete die politische Führung des Bezirks in den 1990er Jahren streng überwachte Migrationsregeln. Anders als im benachbarten Bezirk Krasnodar wurden die Migrationsregeln in Stawropol aber vom russischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Die Bezirksbehörden postierten daraufhin Kosakeneinheiten an den Grenzen zu Tschetschenien und Dagestan. Gleichzeitig gewannen russische nationalistische Bewegungen im Bezirk deutlich an Zulauf; besonders aktiv war die Bewegung »Russische Nationale Einheit« in den späten 1990er Jahren.
Ethnische Auseinandersetzungen breiteten sich seit dem Jahr 2000 in Folge der Instabilität in Tschetschenien (das im Südosten an den Bezirk Stawropol grenzt) und anderen Regionen immer weiter aus. Konflikte mit ethnisch kaukasischen Gruppen über gleichen Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen, Wohnungen und Land sind in den südlichen und östlichen Rayons des Bezirks an der Tagesordnung. Vereinzelt erreichen solche Konflikte die Hauptstadt Stawropol selbst. So im November 2010, also eine Massenschlägerei zwischen 60 ethnischen Turkmenen und ethnischen Armeniern auf einer Baustelle ausbrach. In jüngster Zeit ist die Union Slawischer Gemeinschaften (die aus einer Spaltung der Russischen Nationalen Einheit hervorgegangen ist) in Stawropol bei der Koordinierung russischer ethno-nationalistischer Initiativen, der Unterstützung von Aktionen militanter Kosaken und dem gewaltsamen Widerstand gegen eine ethnisch kaukasische Einwanderung in den Bezirk besonders aktiv.
Nach einem Bombenanschlag vor dem Kultur- und Sportpalast in Stawropol im Mai 2010 durch russische Nationalisten teilte Wladimir Nesterow, Vorsitzender der Union Slawischer Gemeinschaften in Stawropol, mit, dass die in großem Umfang erfolgende Einwanderung ethnischer Kaukasier in den Bezirk von der ethnisch russischen Mehrheit für inakzeptabel befunden wird. Auch wenn man die Meinung mancher Kommentatoren, dass russische Nationalisten und islamische Extremisten voneinander profitieren, bezweifeln kann, so ist richtig, dass viele russische nationalistische Gruppen die wahrgenommene "Gesetzlosigkeit« in den Republiken als Grund für ihre Aktivitäten im Bezirk Stawropol angeben.
Ethnische Unruhen im Jahr 2007
Die starken ethnische Spannungen - die seit etlichen Jahren erkennbar waren - führten zwischen Ende Mai und Juni 2007 in der Hauptstadt Stawropol zu Krawallen und zum Tod von drei Jugendlichen (zwei ethnischen Russen und einem ethnischen Tschetschenen). Spezialeinheiten der Polizei (OMON) und lokale Polizeikräfte griffen während der Ausschreitungen gemeinsam mit Nationalisten, darunter Mitgliedern der heute verbotenen »Bewegung gegen Illegale Einwanderung« (DPNI) ethnische Kaukasier an. Anscheinend schlossen sich auch Kosaken der Forderung von Nationalisten an, ethnische Kaukasier aus Stawropol hinauszuwerfen. Diese Ausschreitungen - die weniger als ein Jahr nach den ethnischen Auseinandersetzungen in Kondopoga (Karelien) ausbrachen - waren Ausgangspunkt für Versuche der regionalen Behörden, die interethnischen Beziehungen zu regeln, da die Behörden die bestehenden Strategien und Programme unter dem Eindruck der Ausschreitungen analysierten und überarbeiteten. Dennoch kam es weiterhin zu ethnischen Konflikten in diesem Bezirk. Im Rahmen einer größeren Kampagne russischer Nationalisten, vorgetäuschte Angriffe kaukasischer oder muslimischer Gruppen zum Anheizen xenophober Stimmungen und Aktionen zu nutzen, wurde Anfang 2008 eine Bombenattrappe in der Abteilung des Föderalen Sicherheitsdienstes in Newinnomyssk abgelegt. 2009 kam es zu interethnischen Zusammenstößen in Pelagiade, Rayon Isobilnensk (August 2009); Irgakly, Rayon Stepnowsk (Juni 2009); Georgiewskij, Rayon Predgornij (Mai und Juni 2009) sowie in der Stadt Stawropol (April 2009). Obwohl diese Zusammenstöße viel beachtet wurden, erreichte das Ausmaß der Unruhen nicht das des Jahres 2007.
Ereignisse seit 2010
Die Online-Petition von September 2010, die Präsident Medwedew aufforderte, Russlands Föderale Bezirksstruktur so zu verändern, dass der Bezirk Stawropol aus dem Föderalbezirk Nordkaukasus aus- und in den Südlichen Föderalbezirk eingegliedert wird, zeigt eine Unzufriedenheit, die seit einigen Monaten in Stawropol schwelt. Die 220 Wörter umfassende Petition, die am 10. September 2010 ins Internet gestellt wurde, erhielt innerhalb weniger Tage mehr als 10.000 Unterschriften. Die Petition unterstellte, dass die Zusammenlegung des Bezirks Stawropol mit den Nordkaukasus-Republiken bei der Bildung des Föderalbezirks Nordkaukasus für die Bewohner des Bezirks Stawropol zu einer Vielzahl von Problemen geführt hatte. Die Migration ethnischer Kaukasier sei ebenso gestiegen wie die Zahl der Gewalt- und Straftaten. Obwohl sich zwischen Januar und September 2010 drei Terroranschläge im Bezirk Stawropol ereigneten, ist unklar, ob diese auf die Integration des Bezirks in den Föderalbezirk Nordkaukasus zurückzuführen sind.
Jurij Schepelin, Erster Stellvertreter der Stawropoler Stadtverwaltung, teilte am 20. September 2010 mit, dass es seit der Veröffentlichung der Internet-Petition einen starken Anstieg der Konfliktbereitschaft bei ethnisch russischen und ethnisch kaukasischen Jugendlichen in Stawropol gegeben habe. In einem radikalisierten Umfeld führen ethnische Spannungen dazu, dass banale Konflikte rasch in Unruhen und Massenschlägereien enden, so geschehen am 15. September, als ein Streit zwischen zwei Studenten in Massenunruhen zu eskalieren drohte. 80 Jugendliche (30 ethnische Kaukasier und 50 ethnische Russen) wurden festgenommen. Aus Angst vor einer erneuten Eskalation der Gewalt wie im Jahr 2007 erhöhten die lokalen Sicherheitskräfte ihre Präsenz und richteten bewaffnete Eingreifgruppen ein, u. a. mit Kosaken, in Stawropol patrouillierten und Versammlungen von Jugendlichen verhindern sollten. Am 19. September wurden trotz dieser Anstrengungen acht ethnische Kaukasier von ethnisch slawischen Jugendlichen im Park des Sieges zusammengeschlagen. Am darauf folgenden Tag versammelte sich im Park des Sieges eine Gruppe größtenteils ethnisch kaukasischer Jugendlicher, die im Stadtzentrum willkürlich Personen attackierten. Der Sicherheitsrat der Stadt Stawropol verabschiedete daraufhin Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sowie des Unterhaltungsangebots. Sämtliche Erholungseinrichtungen standen unter dem Verdacht, Schauplätze krimineller Übergriffe zu sein. Am 26. September ereignete sich dennoch eine Massenschlägerei zwischen 55 Jugendlichen in der Nähe des Prospekts der Oktoberrevolution.
Ohne die ethnisch russischen Jugendlichen von jeglicher Verantwortung freizusprechen, ist das Problem des Verhaltens ethnisch kaukasischer Jugendlicher in Russland nichts Neues. Wladimir Schwetsow, Stellvertreter des »bevollmächtigten Vertreters des Präsidenten« im Föderalbezirk Nordkaukasus, empfahl im Juli 2010 nach Zusammenstößen in Tuapsew, Bezirk Krasnodar, dass die Behörden der Nordkaukasus-Republiken ihre Jugendlichen aufklären sollten, wie diese sich bei Reisen in russischsprachige Regionen verhalten sollten. Shewtsow zufolge berücksichtigen die Jugendlichen aus den Nordkaukasus-Republiken nicht die Gefühle und Ansichten anderer Personen, wenn sie in Regionen wie den Bezirk Stawropol reisen. Dabei würden sie keine Gesetze, jedoch »Verhaltensnormen« brechen.
Obwohl interethnische Spannungen seit Anfang des Jahres 2011 halbwegs unter Kontrolle gehalten wurden - Mitteilungen zufolge kam es allerdings zu einer Reihe kleinerer Schlägereien zwischen ethnischen Armeniern und Tschetschenen im Rayon Kurskij -, deuten die jüngsten Ereignisse nicht darauf hin, dass es dabei bleiben wird. Vor allem der Bombenanschlag vom 24. Januar 2011 auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo, Angaben zufolge von einem Mitglied des »Nogai Jamaats« durchgeführt (das seinen Sitz im Rayon Neftekumsk im Osten des Bezirks Stawropol hat), führte Anfang Februar im Rayon Kotschubejewsk (im Südwesten des Bezirks) zu Zusammenstößen zwischen russischen Sicherheitskräften und mutmaßlichen militanten Islamisten, bei denen fünf Islamisten und drei Sicherheitskräfte getötet wurden. Verschiedenen Angaben zufolge kam es im Vorfeld der Beerdigung der drei Sicherheitskräfte am 17. Februar in der Stadt Stawropol zu einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen russischen Nationalisten und ethnischen Kaukasiern.
Ausblick: Rhetorik und Realität des interethnischen Friedens
Die Zunahme von russischem Nationalismus und die Ausbreitung der Aufstandsbewegung und des Terrorismus in den Nordkaukasus-Republiken stellen ein gefährliches Potential für eine weitere Eskalation xenophober Gewalt und ethnischer Konflikte im Bezirk Stawropol dar. Die ethnisch motivierten Gewalttaten zeigen, dass die einfache Bevölkerung ihr eigenes Verständnis von interethnischen Beziehungen hat. Verbunden mit dem aktuellen Ausmaß an Kaukasier-Feindlichkeit trägt dieses Verständnis mit Sicherheit zu weiterer Gewalt in diesem Bezirk bei, da sich Einzelne auf Grund der aktuellen sozialen, ökonomischen und politischen Lage zunehmend radikalisieren.
Die Ereignisse in Moskau, vor allem die russisch-nationalistische Ausschreitungen im Dezember 2010 - die größten im heutigen Russland - sowie weitere Proteste in ganz Russland - darunter in Rostow am Don, wo einige Hundert ethnische Slawen gegen Kaukasier in der Stadt protestierten - verdeutlichen, dass kaukasierfeindliche Einstellungen (Kawkasofobija) im heutigen Russland weit verbreitet sind. Die verhaltene Reaktion von Präsident Medwedew auf die Ausschreitungen im Dezember deutet darauf hin, dass der Kreml in Bezug auf die wachsenden interethnischen Spannungen weiterhin nichts unternehmen wird. Die jüngsten Ereignisse im Bezirk Stawropol weisen jedoch darauf hin, dass solch eine Strategie nicht länger aufrechtzuerhalten ist und die Anwendbarkeit des Sowjet-Slogans vom »ewigen interethnischen Frieden« von den Behörden auf Bezirks- und Föderalebene nun endgültig ausgeschlossen ist. Angesichts der Unterentwicklung der Zivilgesellschaft in Russland könnte der Kreml sich gezwungen fühlen, zunehmend russisch-nationalistische Rhetorik in seine Politik aufzunehmen.
Über den Autor:
Andrew Foxall ist Doktorand an der Fakultät für Geographie und Umwelt der Universität Oxford. Er promoviert zu ethnischen Beziehungen im Bezirk Stawropol.
Lesetipps
Foxall, Andrew (2010): Discourses of Demonisation: Chechens, Russians, and the Stavropol' riots of 2007', Geopolitics, 15(4), S. 684-704.
Tsvetkov, Oleg (2006): Ethnic Russians Flee the North Caucasus', Russian Analytical Digest, 7: Migration, S. 9-13.