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Kommentar: China und Russland: In Opposition vereint | Russland-Analysen | bpb.de

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Kommentar: China und Russland: In Opposition vereint Russland-Analysen Nr. 428

Roderick Kefferpütz Vincent Brussee

/ 6 Minuten zu lesen

Russland und China teilen zunehmend eine gemeinsame Bedrohungswahrnehmung, wie eine Analyse gemeinsamer Erklärungen zeigt.

Wladimir Putin spricht mit Xi Jinping auf einem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Samarkand, September 2022. (© picture-alliance, EPA | SERGEI BOBYLEV/SPUTNIK/KREMLIN POOL)

Pekings und Moskaus bilaterale Kommuniqués weisen in den vergangenen Jahren zunehmend eine gemeinsame Bedrohungswahrnehmung auf. Der Fokus dieser gemeinsamen Erklärungen hat sich in den letzten drei Jahrzehnten insbesondere unter Chinas Partei- und Staatsführer Xi Jinping von Annäherung und wirtschaftlicher Entwicklung hin zu einem globalisierten und revisionistischen Vokabular gewandelt. Unsere Analyse zeigt, dass sino-russische Kommuniqués seit 2013 globale Fragen in den Mittelpunkt stellen und zunehmend den westlich dominierten Status quo herausfordern. Dies gipfelte im Februar 2022 in der Erklärung über eine "grenzenlosen Freundschaft" als "neue Form der zwischenstaatlichen Beziehungen". Während Russland nun Krieg gegen die Ukraine führt, blickt die Welt auf Peking, um einschätzen zu können, ob China Russland weiterhin unterstützt. Das Ergebnis unserer Analyse legt nahe, dass dies der Fall sein wird.

Im Februar 1972 unterzeichneten die USA und China das Shanghai-Kommuniqué, welches die Abspaltung Pekings von Moskau bekräftigte und die Machtbalance des Kalten Krieges veränderte. Doch der 50. Jahrestag der Annäherung zwischen den USA und China wurde diesen Februar von einem anderen Ereignis überschattet. Am 4. Februar, dem Eröffnungstag der Olympischen Winterspiele in Peking, veröffentlichten China und Russland eine gemeinsame Erklärung, in der sie die bestehende Weltordnung in Frage stellten und den Beginn einer neuen Ära verkündeten. Die bilateralen Beziehungen seien in "einer neue historischen Periode" angekommen, verkündete Xi Jinping.

Mit Hilfe von Software zur Analyse von Texten und semantischen Netzwerken haben wir drei Phasen der jüngeren chinesischen Geschichte untersucht: die Regierungszeit von Jiang Zemin von 1993 bis 2003, die von Hu Jintao von 2003 bis 2013 und die von Xi Jinping seit 2013. Die Daten zeigen eine stetige Vertiefung der Beziehungen und unter Xi eine erhebliche Veränderung der Schlüsselbegriffe, mit denen das bilaterale Verhältnis beschrieben wird. Während in gemeinsamen Erklärungen unter Jiang gute Nachbarschaft und die Grenzgebiete im Vordergrund standen, betonten die Erklärungen unter Hu die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, wobei häufig Schlagwörter wie "Investitionen", "Handel" und "Energie" verwendet wurden. Doch unter Xi haben die chinesisch-russischen Beziehungen eine deutlich geopolitischere Sprache angenommen.

Erstens sind die USA zunehmend zu einem Hauptthema chinesisch-russischer Erklärungen geworden. Während die USA in gemeinsamen Erklärungen unter Jiang und Hu kaum erwähnt wurden, gewannen sie ab 2014 an Bedeutung. In der gemeinsamen Erklärung von 2022 wurde zum ersten Mal auch die NATO erwähnt (siehe Grafik 1 auf S. 13), und beide Seiten bezeichneten die USA als Sicherheitsbedrohung in Europa und im indopazifischen Raum.

Zweitens hat das Schlüsselwort "widersetzen" (反对) entscheidend an Zugkraft gewonnen. Dieser Schlüsselbegriff wurde 2012 mit sieben Erwähnungen erstmals vermehrt genutzt. In den Folgejahren wurde er immer häufiger verwendet. In der gemeinsamen Erklärung von 2022 ist mit 20 Erwähnungen eine Verdreifachung feststellbar. Interessanterweise erreichte die Verwendung des Wortes "Zusammenarbeit" unter Xi im Jahr 2019 ebenfalls einen Höchststand, bevor sie 2022 wieder auf ein durchschnittliches Niveau zurückkehrte (siehe Grafik 2 auf S. 13). Diese Worthäufigkeit spiegelt eine zunehmende chinesisch-russische Zusammenarbeit wider.

Aber was genau stellen China und Russland eigentlich infrage? Das semantische Netzwerk in Grafik 3 auf S. 14 zeigt Themenfelder auf, welche besonders mit einer Abwehrhaltung verknüpft sind: Terrorismus, Unilateralismus, Subversion, Einmischung in innere Angelegenheiten und Menschenrechte. Diese Wortwahl macht deutlich, dass China und Russland zunehmend die gleiche Bedrohungswahrnehmung haben. Die beiden Länder betrachten die Welt aus demselben Blickwinkel und teilen ein gemeinsames Verständnis, welchen Ordnungsprinzipien der globalen Governance zugrunde liegen sollten.

Drittens ist eine deutliche Zunahme von Begriffen zu verzeichnen, die auf geopolitisches Neuland verweisen. Dies betrifft zum Beispiel die Begriffe "Cyberspace" (+4100 Prozent), "Weltraum" (+194 Prozent) und die "Arktis". Auch die Verwendung des Begriffs "Menschenrechte" hat zugenommen (+325 Prozent; s. Grafik 4 auf S 15). China und Russland haben ihre Zusammenarbeit in diesen Fragen im Laufe der Jahre verstärkt. So haben sie Abkommen über den Cyberspace unterzeichnet (welche das Konzept der Cyber-Souveränität hervorheben), planen die Errichtung einer gemeinsamen Mondstation und verstärkten ihre Zusammenarbeit in der Arktis. Gleichzeitig wehrten sich beide gegen die internationale Kritik an der Menschenrechtslage.

Die Daten zeigen, dass sich die Beziehungen zwischen China und Russland vom ursprünglichen Fokus auf bilaterale politische und wirtschaftliche Beziehungen hin zu einer globalen Perspektive mit offensichtlichen geopolitischen Auswirkungen entwickelt haben. Der zunehmende Fokus der Erklärungen auf die USA, auf geopolitische Grenzen sowie die Ablehnung von Konzepten wie Unilateralismus und interner Einmischung führen zu zwei bedeutsamen Erkenntnissen:

Einerseits kann die Beziehung zwischen China und Russland als defensiv eingestuft werden. Beide Regime sind vor allem an Stabilität interessiert und sind bestrebt, ihre Regionen politisch zu dominieren. Sie betrachten jegliche Politik der USA und ihrer Verbündeten, die sich gezielt auf die Regionen richtet, die Russland und China als ihre Einflusssphäre betrachten, als Sicherheitsbedrohung. Forderungen des Westens nach Demokratie und der Achtung von Menschenrechten betrachten die beiden eurasischen Staaten als Versuche, sie zu diskreditieren, ihre Souveränität zu beeinträchtigen und ihre Regime zu destabilisieren.

Im chinesischen Diskurs wird die Beziehung zwischen China und Russland oft als eine strategische Zusammenarbeit "Rücken an Rücken" beschrieben, was heißen soll, dass beide Länder beabsichtigen, sich gegenseitig den Rücken freizuhalten. Dies soll die beiden Flächenländer von der Notwendigkeit militärischer Einsätze an ihrer gemeinsamen, 4.000 Kilometer langen Grenze bewahren. Außerdem stellen sich Russland und China somit gemeinsam gegen jene internationale Ordnung, die sie als von den USA und dem Westen dominiert sehen.

Gleichzeitig kann die Beziehung zwischen China und Russland als eine offensive Beziehung betrachtet werden. Beide Länder haben begonnen, sich dem Westen zu widersetzen und wollen die künftige Weltordnung nach ihren Vorstellungen gestalten. Sie haben ihre Zusammenarbeit in Gebieten verstärkt, welche politisch noch nicht abschließend geregelt sind (Cyberspace, Weltraum, Arktis), und fördern ihre eigenen Interpretation von Menschenrechten und Demokratie. Russland spricht dabei von "souveräner Demokratie", China von einer "Volksdemokratie in einem umfassenden Prozess". Beide Länder nähern sich immer mehr an, um ihre eigenen Botschaften zu verstärken, Desinformation zu verbreiten und den vom Westen dominierten strategischen Narrativen entgegenzuwirken.

Diese Veränderungen haben sich insbesondere unter Xis Führung vollzogen, was darauf hindeutet, dass das zentrale Ziel seiner Russlandpolitik darin besteht, sich mit vereinten Kräften den USA und ihren Verbündeten entgegenzustellen und die globale Ordnung gemäß den chinesisch-russischen Narrativen, Konzepten und Interessen zu gestalten. Dies zeigt, wie sehr die Beziehungen zwischen China und Russland von einzelnen Staatsführern geprägt sind. Xi und der russische Präsident Wladimir Putin sind beide autoritäre, "starke Männer", die im Laufe der Zeit einen immer größeren Appetit auf globale Machtansprüche entwickelt haben. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte für beide eine prägende Wirkung: Putin bezeichnete ihn als die "größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts" und Xi sieht ihn als Warnung.

1972 war Henry Kissinger, der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Richard Nixon, maßgeblich an der Annäherung zwischen den USA und China beteiligt. In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland und den USA Debatten über einen "umgekehrten Kissinger", um Russland gegen China auf ihre Seite zu ziehen. Jetzt hofft man auf einen "Kissinger-Salto", um China wieder für sich zu gewinnen und Russland unter Druck zu setzen, zumal das Land Krieg gegen die Ukraine führt. Beides sind sehr unwahrscheinliche Szenarien, wie unsere datenbasierte Textanalyse zeigt: China und Russland haben sich unter Xi angenähert, und ihre Beziehungen werden wohl auch weiterhin davon geprägt sein, den USA und dem Westen Widerstand zu leisten.

Anmerkung zum Kommentar: Der Text stammt von Roderick Kefferpütz, die Aufbereitung der Daten von Vincent Brussee und ist zuerst bei Merics auf Englisch erschienen: Externer Link: https://merics.org/de/kurzanalyse/china-and-russia-united-opposition .
Stand: 16.Juni 2022

Häufigkeit der Begriffe »Vereinigte Staaten« und »NATO« in den Jahren 2013 bis 2022

Häufigkeit der Begriffe »Kooperation« und »Opposition« in den Jahren 1994–2022

Darstellung von Begriffen der Themenkomplexe »Terrorismus«, »Menschenrechte«, »Einmischung in innere Angelegenheiten«, »Subversion« und »Unilateralismus als Netzwerk«

Die Verwendung der Begriffe »Nordpol«, »Cyberspace«, »Menschenrechte« und »Weltall« in den Amtszeiten von Hu Jintao und Xi Jinping

Fussnoten

Weitere Inhalte

Roderick Kefferpütz ist Senior Analyst am Mercator Institute for China Studies. Des Weiteren ist er Leiter des Think Tank Labs, welches sich für Weiterbildung und Vernetzung von Mitarbeitenden verschiedener Think Tanks einsetzt. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Geoökonomie und EU-China Beziehungen.

Vincent Brussee ist Analyst am Mercator Institute for China Studies. In seiner Forschung konzentriert er sich auf das chinesische Social Credit System und die Regulierung von digitalen Medien. Er ist auf datenanalytische Untersuchungen der chinesischen Regierung und Gesellschaft spezialisiert.