Kommissionspräsidenten
Walter Hallstein (Mitte): 1958 - 1967
Walter Hallstein, geboren 1901 in Mainz, war ein deutscher Jurist, Hochschullehrer und Diplomat. Als erster Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft setzte er von Beginn an auf die Stärkung der supranationalen Institutionen. Unter seiner Führung wurden wichtige Grundlagen für den Gemeinsamen Markt gelegt, darunter die schrittweise Abschaffung von Zöllen zwischen den Mitgliedstaaten. Hallstein galt als brillanter Redner und unermüdlicher Verfechter der europäischen Integration, oft im Spannungsfeld zu nationalstaatlichen Interessen, besonders dem französischen Gaullismus. Er verstand die EWG als politischen wie wirtschaftlichen Integrationsprozess. Seine Amtszeit endete 1967 nach Differenzen mit dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle.
Jean Rey (Mitte): 1967 - 1970
Jean Rey, belgischer Jurist und liberaler Politiker aus Lüttich, übernahm das Amt nach der Fusion der Exekutivorgane von EWG, EURATOM und EGKS. In seiner Amtszeit wurde 1968 die Zollunion zwischen den sechs Mitgliedstaaten vollendet – ein entscheidender Schritt für den Binnenhandel. Rey setzte sich stark für eine Stärkung des Europäischen Parlaments ein und förderte die Idee einer engeren politischen Union. Er war bekannt für seine klare Sprache und seine Fähigkeit, komplexe Sachverhalte einfach darzustellen. Unter ihm nahm die EWG erstmals eine gemeinsame Haltung in internationalen Handelsfragen ein. Nach 1970 blieb er der europäischen Idee als Redner und Befürworter erhalten.
Franco Maria Malfatti: 1970 - 1972
Franco Maria Malfatti, italienischer Christdemokrat aus Rom, hatte zuvor hohe Ämter in der italienischen Bildungs- und Forschungspolitik inne. Als Kommissionspräsident bereitete er die erste Erweiterungsrunde der Gemeinschaft vor. Malfatti stand für eine Öffnung der EWG und eine stärkere Betonung der sozialen Dimension europäischer Politik. 1972 verließ er die Kommission vorzeitig, um erneut in der italienischen Innenpolitik Verantwortung zu übernehmen. Seine kurze Amtszeit war dennoch wichtig, um den Weg für die Aufnahme neuer Mitglieder zu ebnen. Politisch galt er als Konsensstifter, der die Interessen kleinerer und größerer Mitgliedstaaten auszugleichen wusste.
Sicco Mansholt (links): 1972 - 1973
Der Niederländer Sicco Mansholt, Sozialdemokrat und ausgebildeter Landwirt, prägte die europäische Landwirtschaftspolitik wie kaum ein anderer. Bereits als Landwirtschaftskommissar war er treibende Kraft hinter der Gemeinsamen Agrarpolitik. Während seiner kurzen Präsidentschaft warnte er früh vor ökologischen Grenzen des Wachstums und plädierte für eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik – Ideen, die damals visionär und teils umstritten waren. Mansholt galt als pragmatischer Idealist, der ökonomische und ökologische Ziele miteinander verbinden wollte. Sein „Mansholt-Plan“ zur Modernisierung der Landwirtschaft wurde später in Teilen umgesetzt. Er verließ das Amt 1973, blieb jedoch bis zu seinem Tod ein engagierter Europäer.
François-Xavier Ortoli: 1973 - 1977
François-Xavier Ortoli, französischer Gaullist und früherer Wirtschafts- und Finanzminister, übernahm die Kommission in einer Zeit wirtschaftlicher Turbulenzen. Die Ölkrise von 1973 stellte die Gemeinschaft vor enorme Herausforderungen, insbesondere in Energie- und Wirtschaftspolitik. Ortoli setzte sich für eine koordinierte europäische Energiepolitik ein und versuchte, wirtschaftliche Stabilität in der Region zu sichern. Er war bekannt für seinen nüchternen, sachorientierten Führungsstil und seine Fähigkeit, Krisen mit Ruhe zu begegnen. Unter seiner Führung wurde der Europäische Rat als regelmäßiges Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs etabliert. Seine Amtszeit trug dazu bei, die Gemeinschaft widerstandsfähiger gegenüber globalen Schocks zu machen.
Roy Jenkins: 1977 - 1981
Roy Jenkins, britischer Sozialdemokrat aus Wales, war zuvor Finanzminister und Innenminister seines Landes. Als erster britischer Kommissionspräsident setzte er ein deutliches Signal für das Engagement des Vereinigten Königreichs in der europäischen Integration. Jenkins trieb die Einführung des Europäischen Währungssystems 1979 maßgeblich voran, das als Vorläufer des Euro gilt. Er förderte die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments im selben Jahr – ein Meilenstein für die demokratische Legitimation der Gemeinschaft. Jenkins war bekannt für seinen eleganten Redestil und sein politisches Geschick. Nach seiner Amtszeit gründete er die Social Democratic Party im Vereinigten Königreich mit.
Gaston Thorn (rechts): 1981 - 1985
Der Luxemburger Gaston Thorn, Liberaler und ehemaliger Premierminister, leitete die Kommission während einer Phase wirtschaftlicher Stagnation, die später als „Eurosklerose“ bezeichnet wurde. Er war ein geschickter Diplomat, der zwischen unterschiedlichen nationalen Interessen vermittelte. Unter seiner Führung wurden die Grundlagen für die spätere Vollendung des Binnenmarkts gelegt. Thorn setzte sich für stärkere außenpolitische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ein. Trotz begrenzter politischer Durchbrüche hielt er die Gemeinschaft in einer schwierigen Zeit zusammen.
Jacques Delors: 1985 - 1995
Jacques Delors, französischer Sozialist und früherer Finanzminister, gilt als Architekt der modernen EU. Unter seiner Führung wurde der Binnenmarkt vollendet, das Erasmus-Programm eingeführt und die Grundlagen für die Währungsunion im Vertrag von Maastricht gelegt. Delors verband wirtschaftliche Integration mit sozialen Programmen und setzte auf institutionelle Vertiefung. Seine Vision eines „föderalen Europas“ machte ihn zu einer prägenden Figur und oft auch zur Reizfigur für Euroskeptiker. Er war ein Meister des politischen Ausgleichs und verstand es, komplexe Mehrheiten zu organisieren. Viele Historiker sehen in seinen drei Amtszeiten die dynamischste Phase der europäischen Integration.
Jacques Santer: 1995 - 1999
Jacques Santer, Luxemburger Christdemokrat und langjähriger Premierminister, folgte Delors in einer Zeit des Umbruchs. Er setzte auf Verwaltungsreformen und bereitete die Osterweiterung der EU vor. Unter seiner Führung wurde der Euro 1999 als Buchgeld eingeführt. Die Santer-Kommission trat jedoch 1999 geschlossen zurück, nachdem ein Bericht des Europäischen Parlaments Missmanagement und Vetternwirtschaft kritisiert hatte. Der Rücktritt war ein wichtiger Moment für die parlamentarische Kontrolle in der EU. Trotz des abrupten Endes seiner Amtszeit gilt Santer als Brückenbauer zwischen Ost und West.
Romano Prodi: 1999 - 2004
Romano Prodi, italienischer Mitte-Links-Politiker und früherer Premierminister, übernahm die Kommission in einer Phase der Vorbereitung auf die größte Erweiterung in der EU-Geschichte. Unter seiner Führung traten 2004 zehn neue Mitgliedstaaten bei, vor allem aus Mittel- und Osteuropa. Prodi stärkte die internationale Rolle der EU und setzte auf institutionelle Reformen, um die größere Union handlungsfähig zu halten. Er förderte den Vertrag von Nizza und legte Grundsteine für den späteren Verfassungsvertrag. Seine Amtszeit gilt als Phase des Wachstums, aber auch als Beginn neuer Herausforderungen für die Kohärenz der EU.
José Manuel Barroso: 2004 - 2014
José Manuel Barroso, Portugiese und früherer Premierminister, führte die Kommission durch eine turbulente Dekade. Die globale Finanzkrise 2008 und die Eurokrise dominierten seine beiden Amtszeiten. Barroso setzte auf Haushaltsdisziplin, Strukturreformen und eine verstärkte Wirtschaftssteuerung, was vor allem in Südeuropa auf Kritik stieß. Unter seiner Führung trat der Vertrag von Lissabon in Kraft, und die EU spielte eine aktivere Rolle in Klimapolitik und internationalen Verhandlungen. Er war ein pragmatischer Stratege, der in schwierigen Zeiten den Zusammenhalt der Union zu sichern suchte.
Jean-Claude Juncker: 2014 - 2019
Jean-Claude Juncker, Luxemburger Christdemokrat, war vor seiner Präsidentschaft der dienstälteste Premierminister der EU und Präsident der Eurogruppe. In seiner Amtszeit standen die Brexit-Verhandlungen, die Flüchtlingskrise und geopolitische Spannungen im Vordergrund. Er initiierte den „Juncker-Plan“ zur Förderung von Investitionen in Europa. Juncker war bekannt für seine direkte, teils unkonventionelle Art und seine Fähigkeit, hinter verschlossenen Türen Kompromisse zu schmieden. Er setzte sich für ein „Europa, das schützt“ ein, mit Schwerpunkten in Sicherheits-, Verteidigungs- und Digitalpolitik.
Ursula von der Leyen: seit 2019
Ursula von der Leyen, deutsche Christdemokratin, wurde 1958 in Brüssel geboren, wo ihr Vater als hoher EWG-Beamter tätig war. Sie ist die erste Frau an der Spitze der Europäischen Kommission und war zuvor langjährige Bundesministerin in verschiedenen Ressorts, zuletzt Verteidigungsministerin. Ihre Amtszeit begann mit der Präsentation des „Europäischen Green Deal“ und wurde bald von der COVID-19-Pandemie geprägt, in der sie die gemeinsame Impfstoffbeschaffung koordinierte. Sie führte die EU durch die geopolitischen Herausforderungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und stärkte die sicherheits- und energiepolitische Zusammenarbeit. Digitalisierung, Klimaschutz und eine stärkere globale Rolle der EU gehören zu ihren Kernzielen. 2024 wurde sie vom Europäischen Parlament für eine zweite Amtszeit bestätigt.