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Nahrungsmittelpreise und ihre Bedeutung für Ernährungssicherheit

Joachim von Braun

/ 8 Minuten zu lesen

Aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ergibt sich, wie teuer Nahrungsmittel sind – und damit auch, wer auf der Welt satt wird und wer hungern muss. Ein besonderes Problem bei Nahrung ist, dass die Märkte schon auf kleine Änderungen des Angebots stark reagieren.

An der Warenterminbörse in Chicago wird auch mit Nahrungsprodukten gehandelt. (© picture alliance / landov )

Der Preis von Nahrungsmitteln als Ergebnis des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage ist ein Ausdruck dafür, wie knapp sie sind. Dabei ist nicht allein die schon eingetretene Knappheit auf dem Markt entscheidend, sondern die Erwartung, wie sich die Marktlage entwickeln wird, wird ebenfalls "eingepreist". Diese Preiserwartungen beeinflussen auf der Angebotsseite die Investitionen in Produktion und Lagerung der Agrargüter, auf der Nachfrageseite beeinflussen sie den Konsum.

Kleine Änderungen, große Reaktionen

Die landwirtschaftliche Erzeugung ist wetterabhängig, und deshalb schwanken die Erträge der Ernten. Ein besonderes Problem der Preisbildung auf Agrarmärkten ist die starke Reaktion der Preise schon auf kleine Mengenänderungen, weil Angebots- und Nachfragemenge kurzfristig kaum reagieren können: Vom Anbau bis zur Ernte vergehen Monate, Produktionssteigerungen sind nur durch Investitionen möglich, die erst für die nächste Saison oder sogar noch langfristiger wirken, und auch Handel braucht Zeit. Andererseits wollen und können sich Konsumenten nicht einschränken, da Nahrungsaufnahme zu den täglichen Bedürfnissen zählt, was zu einer starren Nachfrage selbst bei Knappheit und damit hohen Preisen führt. Die starke Preisreaktion ist grundlegend für die sensitive Beziehung zwischen Preisen und Ernährungssicherung der Armen, weil diese sich hohe Preise für Nahrungsmittel nicht leisten können.

Verbraucher versus Erzeuger

Veränderungen der Preise wirken für Verbraucher und Erzeuger gegensätzlich: Während Verbraucher von steigenden Preisen negativ betroffen sind, können Erzeuger Einkommenssteigerungen verzeichnen. Komplexer stellt sich die Lage für Kleinbauern in Entwicklungsländern dar, weil sie meist kurz nach der Ernte zu niedrigen Preisen verkaufen, da sie dringend Barmittel für Aufwendungen wie Schulgeld, Kleidung etc. brauchen. Später müssen Sie dann wieder Nahrungsmittel zukaufen, wenn die geringen eigenen Vorräte aufgebraucht sind. Oft benötigen sie dafür zusätzliche Einkommensquellen. Für eine Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Preisen und Ernährungssicherung ist relevant, dass die große Mehrheit der Kleinbauern, die unter Hunger leiden, Netto-Zukäufer von Nahrungsmitteln sind, das heißt über das Jahr verteilt müssen sie mehr zukaufen als sie verkaufen können.

Staatliche Eingriffe

Ein weiteres Charakteristikum von Agrarmärkten sind vielfältige staatliche Eingriffe. Sie ergeben sich aus dem politischen Interesse, Verbrauchern den Zugang zu erschwinglichen Preisen zu sichern und trotzdem die Einkommen der Erzeuger zu stabilisieren und zu erhöhen. Aus diesem Spannungsfeld ergibt sich eine komplizierte Gemengelage von Subventionen. In Entwicklungsländern wurden städtische Verbraucher oft subventioniert, während Kleinbauern nur selten vor starken Preisänderungen geschützt wurden. In einigen Schwellenländern mit mittlerem Einkommen hat sich diese Preispolitik im vergangenen Jahrzehnt gewandelt und es gibt auch vermehrt Subventionen für Bauern.

Globale Übertragung

Internationale Preisänderungen wirken sich insoweit auf die Preise in Entwicklungsländern aus, wie es die jeweilige Handelspolitik (z.B. Import- oder Exportzölle und Mengenregelungen) sowie Transportinfrastruktur und Transportwesen zulassen. In der globalisierten Welt wirkt sich mittlerweile in vielen Entwicklungsländern eine Preisänderung auf den internationalen Märkten sowie an den Warenterminbörsen, an denen Getreide gehandelt wird, unmittelbar auf die nationalen Preise aus. Typischerweise werden zwischen 20 und 40 Prozent der internationalen Preisänderungen direkt an Entwicklungsländer weitergegeben. Es mag erstaunen, dass internationale Preisänderungen sich selbst dann auf nationale Preise auswirken, wenn kaum Handel stattfindet. Dies erklärt sich aus der Bedeutung der überall auf der Welt verfügbaren Information über Preise auf den wichtigsten Märkten. Das beeinflusst die Erwartungen für zukünftige Preise, auch wenn sich an den lokal vorhandenen Angebots- und Nachfragemengen noch nichts geändert hat.

Offene Fragen

Angesichts der oben beschriebenen grundlegenden Wirkungsweisen von Preisen und den vielfältigen Möglichkeiten der zumindest kurzfristigen Preisbeeinflussung durch politische Maßnahmen stellt sich die Frage, welche (Gesamt-)Wirkungen von Preisänderungen für die Ernährungssicherung ausgehen und wie Entwicklungsländer mit den damit zusammenhängenden Risiken und Chancen umgehen sollten. Diese Fragen werden nachfolgend vor dem Hintergrund der in der jüngeren Vergangenheit zu beobachtenden erhöhten Agrarpreise und deren verstärkter Volatilität – also dem Auf und Ab der Preise – behandelt.

Neue Entwicklungen von Trends, Volatilität und extremen Preisspitzen auf internationalen Agrarmärkten

Preisänderungen resultieren normalerweise aus einer (erwarteten) Änderung der Angebots- und Nachfragesituation, wie sie durch die klassischen Fundamentalfaktoren wie Wetter (Missernten), Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und Lagerbestände bestimmt wird. In den letzten 100 Jahren ging der langfristige Preistrend tendenziell nach unten, bei durchaus starken Schwankungen insbesondere während globaler Krisen. In den vergangenen fünf Jahren wurden neue Trends bei den Preisen für Grundnahrungsmittel wie Weizen, Mais und Reis beobachtet: Der Preistrend ist angestiegen, die Preisvolatilität hat zugenommen und extreme Preisspitzen sind häufiger aufgetreten, etwa während der beiden Nahrungsmittelpreiskrisen 2007/2008 und 2011 (Abbildung 1). Die Unterscheidung zwischen Trend, Volatilität und Preisspitzen ist für die Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit relevant. "Trend" bezeichnet die über mehrere Jahre verlaufende Richtungsänderung des Preises in einem Markt; "Preisvolatilität" ist die mehr oder weniger kontinuierliche Auf- und Ab-Bewegung um die Trendlinie; und "extreme Preisspitzen" sind die ungewöhnlichen Preisausschläge, wie sie nur selten vorkommen.

Abb.1: Preisentwicklung bei Getreide zwischen 2000 - 2012 Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Auswirkungen von Preisänderungen auf Ernährungssicherheit

Steigende Preistrends signalisieren eine zunehmende generelle Knappheit von Lebensmitteln, Preisvolatilität und insbesondere extreme Preisspitzen dagegen erhöhen die Unsicherheit über das real verfügbare Einkommen und über die Rentabilität von Investitionen in eine bessere Nahrungsmittelversorgung. Letzteres schmälert die eigentlich erwünschte produktionssteigernde Reaktion auf der Angebotsseite. Insbesondere Kleinbauern unterlassen bei hohen Risiken eher Investitionen (wie z.B. den Kauf eines Traktors oder die Bekämpfung von Bodenerosion). Arme Haushalte, die einen großen Anteil ihres Einkommens (in Entwicklungsländern oft mehr als 70 Prozent) für Nahrung ausgeben müssen und die nicht auf Interner Link: Ersparnisse zurückgreifen können, sind besonders stark von den neuen Entwicklungen betroffen. Dies ist in vielen Entwicklungsländern in den vergangenen Jahren passiert.

Die Konsequenzen dieser kurzfristigen Schwankungen mitteln sich nicht aus, wie es bei langfristigen Preistrends der Fall ist, sondern sowohl Produzenten als auch Konsumenten werden negativ betroffen. Bauern investieren weniger in ihren Betrieb oder widmen sich anderen Einnahmequellen (z.B. Erwerbsarbeit in den Städten). Arme Haushalte sehen sich bei kurzfristigen Hochpreisphasen gezwungen, produktives Vermögen (z.B. Vieh) zur Überwindung von Geldengpässen zu verkaufen, wichtige Ausgaben in Gesundheit und Bildung ihrer Kinder zu streichen oder schlicht weniger und qualitativ minderwertigere Nahrungsmittel zu konsumieren – mit dauerhaften negativen Konsequenzen für die Gesundheit vor allem bei Kleinkindern. Nicht zuletzt kommen auch Regierungen ins Straucheln, wenn die Bürger gegen Interner Link: Preisanstiege protestieren oder die Ausgaben für Nahrungsmittelprogramme das nationale Budget sprengen.

Finanz- und Energiemärkte sowie Bioenergiepolitik als Treiber von Agrarpreisschwankungen

An Warenterminbörsen, wie z.B. in Chicago, werden standardisierte Verträge (Terminkontrakte) über bestimmte Mengen von einem Nahrungsprodukt gehandelt, die dann zu einem festgelegten Zeitpunkt geliefert werden müssen. Der rege Handel mit solchen Verträgen wird durch ein durchaus normales, dem Markt eigenes Maß an Spekulation angeregt und trägt zur Findung der aktuellen Preise bei: Neue Informationen über die Angebots- und Nachfragesituation werden schnellstmöglich eingepreist und stehen damit der Allgemeinheit zur Verfügung. Die Findung des Preises ist fundamental wichtig für das Funktionieren von Märkten, weil er (zukünftiges) Angebot und (zukünftige) Nachfrage in Einklang bringt Die Preise auf den Warenterminmärkten sind sehr frühzeitig verfügbar, aber noch unsicher, da sie trotz aller zugrunde liegenden Information auch Unsicherheit und Spekulationselemente beinhalten. Sie werden mit Ablauf der Termine immer besser und nähern sich den realen Preisen der Ware auf den realen Märkten (Spotmärkten) an.

Nun hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein verstärktes Engagement von neuen Akteuren an den Warenterminmärkten für Lebensmittel eingefunden, nämlich Finanzanleger, die kontinuierlich oder zeitweise im großen Stil Kontrakte kaufen und verkaufen, aber am Produkt auf dem realen Markt eigentlich nicht interessiert sind, sondern am (Spekulations-)Gewinn ihrer Investitionen in Agrarprodukte als Anlage-Investitionen. Sie investieren vermehrt in Rohstoffe als alternative (und vermeintlich sicherere) Anlageform, seit die Finanzkrisen seit 2009 ihr Vertrauen in klassische Anlagen (Aktien, Staatsanleihen, Immobilien) erschüttert hat.

Neben den beschriebenen Entwicklungen an den Agrar(finanz)märkten ist in den letzten Jahren zunehmend ein neuer Nachfrage-Faktor wichtiger geworden, der für mehr Schwankungen sorgt: Der Agrarmarkt ist stärker mit dem Energiemarkt verknüpft, weil einerseits moderne Agrarproduktion, -verarbeitung und -transport immer energieaufwändiger werden und andererseits Agrarprodukte genutzt werden, um Biosprit zu erzeugen. Es entsteht eine neue Abhängigkeit vom Ölpreis: Wird Öl teurer, steigt die Nachfrage nach Biosprit - und dann werden mehr Agrarprodukte dafür verwendet und folglich werden Nahrungsmittel teurer. Schwankungen des Ölpreises können für den Zeitraum 2000 bis 2009 sowohl Preisspitzen als auch Volatilität für Mais, Weizen und Sojabohnen teilweise erklären. Zusätzlich sorgen die langfristig steigende Nachfrage durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum (und damit erhöhter Konsum) bei nur geringen Produktivitätssteigerungen und Flächenausweitungen in der Landwirtschaft zu einem steigenden Preistrend. Phasen hoher Agrarpreise hängen stark mit Phasen extremer Preisschwankungen zusammen, weil gerade bei einer angespannten Marktsituation auch darauf spekuliert wird, dass Regierungen eingreifen – das kann die Preise weiter destabilisieren. Sind außerdem die Lagerbestände gering, wie beispielsweise während der weltweiten Krise 2007/2008, gibt es keinen Puffer gegen Ernteausfälle, was die Erwartungen über Knappheit und Risiken zusätzlich anheizt und zu weiterer Spekulation und Preisaufschlägen führt.

Im Kern der Kritik an Nahrungsmittelspekulationen steht die Frage, ob das Engagement der Finanzmarktakteure im Nahrungsmittelmarkt zu übermäßig starken Preisausschlägen geführt hat. Unter normalen, nicht sonderlich knappen Marktverhältnissen wirken sich Spekulationen kaum auf die realen Preise aus. Anders scheint dies bei einer Marktlage zu sein, die durch besondere Knappheit gekennzeichnet ist. Untersuchungen belegen einen kausalen Zusammenhang zwischen vermehrten Spekulationen und Preisspitzen. Das bedeutet: Vermehrte Spekulationen sind nicht der Grund für langfristig steigende Preise (steigender Preistrend), sie gehören aber zu den Faktoren, die zu extremen Preisspitzen führen.

Vermeidung extremer Nahrungsmittelpreisentwicklungen

Seit der Nahrungsmittelkrise 2007/08 ist auf nationaler wie internationaler Ebene intensiv über verschiedene Maßnahmen zur Erhöhung der Ernährungssicherung diskutiert worden. Die letzten G8/G20-Gipfel widmeten sich der Regulierung der Finanzmärkte, der Reduzierung der Volatilität von Rohstoff-Preisen sowie der Erhöhung der Transparenz und Informationen auf Agrarmärkten und ggf. differenzierten Regulierungen.

So wichtig diese Aspekte sind, so wenig sollten die besonderen Charakteristika des Handels mit Nahrungsmitteln vernachlässigt werden: die hohe Marktkonzentration im Handel von Getreide, das strategische Verhalten von Lagerbesitzern, die Verknüpfung zum Energiemarkt sowie die Anfälligkeit des Welthandels durch abrupte einseitige staatliche Preis- und Handelsinstrumente wie z.B. Export-Stopps. Gerade letzteres verstärkt aktuelle Tendenzen zu einer protektionistischen Landwirtschaft mit dem Ziel einer (nationalen) Selbst- bzw. Überschussversorgung.

Zusammenfassend sei unterstrichen, dass die Welternährungskrisen von 2008 und 2011 von einem Bündel von wirtschaftlichen, demographischen und Umweltfaktoren ausgelöst worden sind sowie von politischem Koordinierungsversagen auf den Märkten, insbesondere den genannten Exportbeschränkungen und überzogenen Bioenergiesubventionen. Spekulatives Engagement verstärkte dann die Preisausschläge. Auf der Angebotsseite, der Nachfrageseite und in der Handelspolitik sind somit Maßnahmen erforderlich, um zukünftig extreme Preisänderungen zu vermeiden bzw. abzumildern.

Quellen / Literatur

FAO (2013): The state of food insecurity in the world. Food and Agriculture Organization of the United Nations. Rome

von Braun, J. (2013): Die Welternährungskrisen 2008 und 2011: Ursachen, Konsequenzen, Handlungsbedarf. Nordrhein Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste - Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften 38. Ferdinand Schöningh, Paderborn.

Tadesse, G.; Algieri, B. ; Kalkuhl, M.; von Braun, J. (2013): Drivers and triggers of international food price spikes and volatility. Food Policy. Available online 5 October 2013. Externer Link: http://dx.doi.org/10.1016/j.foodpol.2013.08.014

Fussnoten

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Prof. Dr. Joachim von Braun ist Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung und Professor für wirtschaftlichen und technologischen Wandel an der Universität Bonn. Er ist Agrarökonom und hat an der Universität Göttingen promoviert und habilitiert. Seine wissenschaftlichen Arbeiten konzentrieren sich auf Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, Wirtschafts- und Agrarpolitik, Ernährung und Armut, Nachhaltigkeit, Innovation und Technologien. von Braun ist Vizepräsident der Welthungerhilfe. Von 2002 bis 2009 war er Generaldirektor des International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington DC.