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Ausländische Arbeitskräfte im deutschen Niedriglohnsektor

Sascha Lübbe

/ 7 Minuten zu lesen

Schweine schlachten, Gebäude reinigen, Pakete ausfahren: Jobs im Niedriglohnsektor werden zunehmend von migrantischen Beschäftigten übernommen. Teilweise arbeiten sie unter prekären bis ausbeuterischen Bedingungen.

Reinigungsarbeiten im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages. (© picture-alliance, Chris Emil Janssen)

Was ist der Niedriglohnsektor?

Sprungbrett in den Arbeitsmarkt oder Armutsfalle? Der Niedriglohnsektor wird viel diskutiert. Aber was genau ist er? Die Interner Link: OECD definiert den Niedriglohnsektor als den Bereich des Arbeitsmarktes, der mit weniger als zwei Drittel des mittleren Verdienstes (Median) aller Beschäftigungsverhältnisse entlohnt wird. In Deutschland lag die Grenze im April 2024 bei einem Bruttostundenlohn von 13,79 Euro.

Trotz der schlechten Bezahlung ist der Niedriglohnsektor für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft essentiell. Er umfasst viele Jobs, die für die Grundversorgung des Landes unerlässlich sind: von Reinigungskräften über gastronomisches bis zu pflegerischem Personal. 2024 fielen in Deutschland 16 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in den Niedriglohnbereich.

Wer arbeitet im Niedriglohnsektor?

Bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Menschen ohne berufliche Qualifikation, junge Menschen, Menschen über 65 oder Frauen sind besonders häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt. Im Folgenden soll es um den Anteil der Ausländer:innen gehen.

Die Zahl ausländischer Beschäftigter in Deutschland wächst seit Jahren, auch im unteren Einkommensbereich. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 lag der Anteil sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigter Ausländer:innen unter allen Beschäftigten im unteren Entgeltbereich (angelehnt an „Niedriglohn“-Definition, aber ohne Teilzeitbeschäftigte) zwischen acht und neun Prozent. Interner Link: 2011 – dem Jahr des Inkrafttretens der Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-8-Staaten – überschritt er die Zehn-Prozent-Marke. Seitdem ist er kontinuierlich gewachsen, auf aktuell 33,58 Prozent (Stand Dezember 2024).

Grund für den Anstieg des Anteils ausländischer Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor ist der Interner Link: demographische Wandel und der Arbeitskräftemangel in Deutschland. Auch die hohe Zuwanderung der letzten Jahre spielt eine Rolle. Bei vielen Jobs handelt es sich um Hilfstätigkeiten, bei denen meist keine berufliche Ausbildung und keine weitreichenden Deutschkenntnisse vonnöten sind. Die Hürden für den Einstieg für Migrant:innen sind entsprechend gering.

Am höchsten ist der Ausländer:innen-Anteil in den Bereichen Gastronomie (40,9 Prozent), Gebäudebetreuung (inklusive Reinigung) und Garten- und Landschaftsbau (36 Prozent) sowie Beherbergung (32 Prozent).

Migrantische Beschäftigte sind demnach für den deutschen Arbeitsmarkt von besonderer Bedeutung. Und das nicht nur im Niedriglohnsektor. Einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zufolge ist die gesamte Wirtschaft bis 2040 auf eine jährliche Nettozuwanderung von mindestens 288.000 Menschen angewiesen.

Woher kommen die Menschen?

Die Hauptherkunftsländer vollzeitbeschäftigter Ausländer:innen im unteren Entgeltbereich sind Rumänien (167.958 Menschen), Polen (152.167), die Türkei (75.439), Ukraine (73.373), Syrien (64.849) und Bulgarien (53.660). Etwa die Hälfte der Ausländer:innen in diesem Segment kommt aus der EU. Der überwiegende Teil davon (81,98 Prozent) aus Staaten der EU-Osterweiterung seit 2004.

Die Migration aus den östlichen EU-Staaten gilt als wirtschaftlicher Erfolg für Deutschland. Die Beschäftigungsquote der Menschen ist hoch. Allerdings arbeiten viele von ihnen, besonders aus den wichtigsten Herkunftsländern Rumänien, Bulgarien und Polen, im unteren Lohnsegment. Bei den vollzeitbeschäftigten Bulgar:innen sind es 49,7 Prozent, bei Rumän:innen 45,1, bei Menschen aus Polen 40,6 Prozent.

Der prozentuale Anteil von EU-Bürger:innen unter den ausländischen Beschäftigten im unteren Entgeltbereich geht allerdings seit einigen Jahren zurück, 2020 betrug er noch rund 60 Prozent. Dafür steigt der Anteil von Menschen aus Nicht-EU-Staaten („Drittstaaten“).

Der Grund: Viele migrationswillige Menschen in den EU-Staaten sind bereits abgewandert. Steigende Löhne in Ländern wie Polen machen es zudem zunehmend unattraktiv, nach Deutschland zu gehen. 2024 gab es erstmals seit 2008 weniger Zuzüge aus der EU nach Deutschland als Fortzüge aus Deutschland in andere EU-Staaten. Seit 2015 wächst zudem der Anteil von Asylbewerber:innen aus Asien und Afrika im unteren Entgeltbereich, seit 2022 auch der von Menschen aus der Ukraine.

Neben Migrant:innen ohne oder mit geringem Bildungsabschluss arbeiten auch gut ausgebildete Migrant:innen im Niedriglohnsektor. Häufig gibt es Probleme bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse. Dies führt – neben mangelnden Sprachkenntnissen – dazu, dass viele Jobs unterhalb ihrer Qualifikation annehmen („downgrading“).

Wie sind die Arbeitsbedingungen?

Jobs im Niedriglohnsektor sind oft körperlich belastend, häufig gibt es unregelmäßige Arbeitszeiten. In einigen Branchen kommt es zudem regelmäßig zu arbeitsrechtlichen Verstößen.

Beispiel Baugewerbe: Der Ausländer:innen-Anteil in der Branche lag 2024 bei 19,6 Prozent. Viele migrantische Beschäftigte arbeiten unter der Woche regelmäßig zehn Stunden am Tag, samstags mindestens fünf. Sie bekommen meist kein Urlaubsgeld, kein Geld im Krankheitsfall. Ihr Lohn wird in der Regel nur zum Teil aufs Konto überwiesen, der Rest bar ausgezahlt.

Mitunter tangieren die Verstöße auch den strafrechtlich relevanten Bereich, es kommt zu Fällen von Arbeitsausbeutung (Externer Link: § 233 StGB). Das ist dann der Fall, wenn die Notlage und Hilflosigkeit der Arbeitnehmer:innen ausgenutzt wird, um sie auszubeuten. Migrant:innen sind davon besonders betroffen. Die genaue Zahl der Vergehen lässt sich aber nur schwer erheben. Das Bundeskriminalamt (BKA) verzeichnete 2024 insgesamt 41 Verfahren im Bereich Arbeitsausbeutung. Die Angaben basieren auf Meldungen der Sicherheitsbehörden. Das BKA räumt eine hohe Dunkelziffer ein. Eine Hochrechnung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung geht von 100.000 bis 200.000 Fällen von Arbeitsausbeutung pro Jahr aus. Die Erhebung basiert auf Informationen von Beratungsstellen.

Das Problem: Viele Migrant:innen haben Angst, Verstöße zu melden. Einerseits fürchten sie Konsequenzen seitens der Behörden. Andererseits stehen sie in Abhängigkeitsverhältnissen zu ihren Arbeitgeber:innen. In diesen Fällen ist die Unterkunft in der Regel an die Arbeit gebunden, bei Drittstaatsangehörigen oft auch das Aufenthaltsrecht. Eine Beschwerde kann damit zur Interner Link: Obdachlosigkeit oder gar Interner Link: Abschiebung führen.

Diskussion um den Niedriglohnsektor

Der deutsche Niedriglohnsektor wurde um und nach der Jahrtausendwende stark ausgebaut. Zwischen 1996 und 2007 wuchs der Anteil der Beschäftigten in diesem Segment von 16 auf über 23 Prozent und verharrte dann über Jahre auf diesem hohen Niveau. Mit dem Ausbau waren mehrere Ziele verbunden: die Arbeitslosenzahlen sollten gesenkt werden, gleichzeitig sollte der Niedriglohnsektor als „Sprungbrett“ in besser bezahlte Tätigkeiten dienen. Der Erfolg der Maßnahme wird viel diskutiert: Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) unterstreicht die Bedeutung des Sektors für den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wiederum mahnt, viele Menschen würden im Niedriglohnsektor „verharren“, der Aufstieg bleibe ihnen verwehrt.

Für migrantische Beschäftigte gilt dies in besonderem Maße. Neben Sprachbarrieren und Problemen bei der Anerkennung von Abschlüssen kommt bei ihnen mitunter eine gesellschaftliche Isolation erschwerend hinzu. Sie sind häufig in Sammelunterkünften untergebracht, verrichten oft Arbeiten, bei denen es selten zum Austausch mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft kommt. Damit haben sie wenig Möglichkeiten, Kontakte in andere Bereiche der Arbeitswelt zu knüpfen. Lange Arbeitszeiten und geringe finanzielle Ressourcen erschweren es, sich fortzubilden. Da viele ihre Rechte nicht kennen und nur eingeschränkten Zugang zu Sozialleistungen haben, verbleiben sie oft in prekären, teils ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen.

Politische Maßnahmen

Der deutsche Niedriglohnsektor ist seit 2017 deutlich geschrumpft. Das lag vor allem an der Einführung des gesetzlichen Interner Link: Mindestlohns 2015 und dessen stufenweiser Erhöhung. Ein weiterer Grund ist die veränderte Lohnpolitik der Gewerkschaften, die inzwischen oft ergänzende Mindestzahlungen für die unteren Lohngruppen fordern.

Für Migrant:innen war die Einführung des Mindestlohns ambivalent. Da er nicht nur für deutsche, sondern auch für alle ausländischen Beschäftigten gilt, profitierten Eingewanderte zwar von deutlich gestiegenen Stundenlöhnen – in Branchen wie der Fleischindustrie etwa arbeiteten einige zuvor für einen Stundenlohn von zwei bis drei Euro. Wie eine Studie zeigt, hat die Einführung des Mindestlohns die Arbeitsmarktposition von Migrant:innen aber auch geschwächt. Sie wurden nun häufiger in Teilzeit angestellt, ihre Wochenarbeitszeit reduziert. Damit stiegen zwar die Stundenlöhne, nicht aber das Monatsgehalt.

Ein weiteres Gesetz, das Auswirkungen auf ausländische Beschäftigte im Niedriglohnsektor hatte – zumindest für Interner Link: Beschäftigte der Fleischbranche –, ist das Arbeitsschutzkontrollgesetz. Es setzt bei einem Grundproblem der Branchen in diesem Segment an: der Auslagerung von Arbeit.

Große Unternehmen lagern Arbeiten in der Regel an kleinere Subunternehmen aus. Diese reichen sie oft an andere Subunternehmen weiter. So entstehen teilweise undurchsichtige Subunternehmerketten. Migrant:innen sind in der Regel nicht bei den großen Firmen, sondern bei den Subunternehmen angestellt, häufig über sogenannte Werkverträge. Die Subunternehmen sind in der Regel verantwortlich für einen Großteil der oben genannten Verstöße.

Seit Inkrafttreten des Arbeitsschutzkontrollgesetzes 2021 ist es Unternehmen der Fleischbranche mit mehr als 49 Beschäftigten untersagt, im Kernbereich Personal über Subunternehmen zu beschäftigen. Sie müssen die Menschen direkt anstellen. Ein wichtiger Schritt. Beratungsstellen berichten zwar weiterhin von Missständen, etwa bei der Unterbringung der Migrant:innen. Grundsätzlich hat das Gesetz deren Arbeitsbedingungen aber verbessert, wie Studien zeigen. Da die Menschen nun bei den großen Firmen angestellt sind, fällt es leichter, Verstöße zu ahnden. Zudem schreibt das Gesetz die elektronische Erfassung der Arbeitszeiten vor. Dadurch kommt es seltener zu Fällen von Lohnbetrug. Eine Ausweitung des Verbots von Werkverträgen auf andere Branchen wird vor diesem Hintergrund häufig diskutiert.

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Sascha Lübbe ist Reporter und Autor. Er schreibt für verschiedene große Tages- und Wochenzeitungen vor allem zu den Themen Migration, Integration und soziale Ungleichheit. 2024 ist sein Buch „Ganz unten im System: Wie uns Arbeitsmigrant*innen den Wohlstand sichern“ erschienen, welches für den NDR-Sachbuchpreis nominiert worden ist.