Obgleich es in Deutschland in den in den zurückliegenden 20 Jahren zu einer starken Zunahme von Niedriglöhnen gekommen ist, gab es im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern in Deutschland bislang keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das hat sich durch die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns mit Wirkung ab dem 1.01.2015 geändert. Allerdings gibt es Ausnahmen, die sich auf folgende Bereiche und Personengruppen beziehen
Praktikanten (6 Wochen);
Auszubildende;
Jugendliche bis 18 Jahre ohne Berufsabschluss (hier gibt es überhaupt keinen Mindestlohn, auch keinen abgesenkten);
Langzeitarbeitslose für einen Zeitraum von 6 Monaten.
Die Höhe des Mindestlohns wird auf Vorschlag der ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgelegt (vgl. Abbildung: "Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 bis 2022"). Die Kommission wird alle fünf Jahre durch die Bundesregierung neu berufen. Sie besteht aus einem Vorsitzenden, je drei stimmberechtigten ständigen Mitgliedern der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite, sowie zwei Mitgliedern aus Kreisen der Wissenschaft ohne Stimmrecht (beratende Mitglieder).
Die Frage nach der Zahl der Beschäftigten, die 2015 den Mindestlohn erhalten haben, ist nicht leicht zu beantworten, da sich die Datenquellen und Erhebungsmethoden unterscheiden. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes auf Basis der Verdienststrukturerhebung haben vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 5,5 Millionen Menschen weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdient. 4 Millionen von ihnen sind seit Anfang 2015 unter den Schutz des Mindestlohngesetzes gefallen, für die übrigen 1,5 Millionen galten die Ausnahmeregelungen . Verbessert in ihrem Einkommen haben sich insbesondere Arbeitnehmer*innen in Ostdeutschland, geringfügig Beschäftigte, Personen ohne Berufsausbildung, Beschäftigte in kleineren Unternehmen sowie Frauen sowie ganz generell Beschäftigte in den Niedriglohnbranchen.
Noch schwieriger fällt es, zuverlässig den Personenkreis jener Beschäftigten zu ermitteln, denen der Mindestlohn von den Betrieben gesetzeswidrig vorenthalten wird. Während das Statistische Bundesamt in der Verdiensterhebung, die auf Angaben von Betrieben basiert, für 2016 rund 750 Tsd. Beschäftigungsverhältnisse unterhalb der Mindestlohngrenze ausweist , kommt das DIW auf der Datengrundlage des SOEP auf rund 1,8 Mio. Beschäftigte, die im Jahr 2016 weniger als 8,50 Euro je Stunde verdienten .
Verstöße gegen den Mindestlohn können zum einen dadurch bedingt sein, dass der höhere Stundenlohn schlichtweg nicht bezahlt wird oder dass zwar die Löhne angepasst werden, die Arbeitszeit aber unbezahlt verlängert wird. Zum anderen gibt es die Praxis, dass bislang zusätzliche Lohnbestandteile wie Zulagen in den Stundenlohn eingerechnet werden.
Die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die wirtschaftliche Entwicklung fallen positiv aus. Die in der Debatte um die Einführung des Mindestlohns verbreiteten Bedrohungsszenarien eines massenhaften Verlustes von Arbeitsplätzen, haben sich nicht bestätigt, wie der Beschäftigungsanstieg zwischen 2015 und 2019 zeigt. Aber es stellen sich große Herausforderungen bei der Durchsetzung und Kontrolle der Mindestlöhne, die in den Aufgabenbereich der Zollbehörden im Rahmen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) fallen. Die derzeitigen Kontrollen und personellen Kapazitäten reichen jedoch nicht aus, um Verstöße effektiv aufzudecken und zu ahnden . Dabei wirkt es sich nachteilig aus, dass die Entgeltbestandteile nicht im Gesetz definiert werden. Die Unübersichtlichkeit und Unklarheit der Regelungen zu den anrechnungs-fähigen und nicht anrechnungsfähigen Entgeltbestandteilen erschweren die Kontrollen zusätzlich. Um sicherzustellen, dass der Mindestlohn tatsächlich für jede Arbeitsstunde bezahlt wird, besteht in bestimmten Branchen die Pflicht, die Arbeitszeiten zu notieren (Dokumentationspflicht).
Über die erforderliche Höhe und die Anpassung des Mindestlohns ist bereits im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes kontrovers diskutiert worden. Diese Debatte hält an. Kritisiert wird, dass der Ausgangswert zu niedrig angesetzt worden sei und nicht ausreiche, um bei einem Ein-Personen-Haushalt in allen Fällen einen aufstockenden Grundsicherungsbezug zu vermeiden und um – bei sinkendem Rentenniveau – auch bei einer kontinuierlichen Erwerbstätigkeit eine Altersrente oberhalb des Grundsicherungsniveaus zu garantieren. Kritisiert wird auch das vom Gesetz vorgegebene Anpassungs-verfahren. Danach soll sich die Empfehlung der Kommission grundsätzlich an der vorangegangenen Entwicklung der durchschnittlichen Tariflöhne orientieren, was zur Folge hat, dass dadurch die relative Position des Mindestlohnes im Gefüge der Tariflöhne weitgehend festgeschrieben wird. Seit 2020 besteht auch eine gesetzliche Mindestausbildungsvergütung.