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Flucht und Vertreibung aus und in Afghanistan seit 2021 | Afghanistan | bpb.de

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Flucht und Vertreibung aus und in Afghanistan seit 2021

Katja Mielke

/ 8 Minuten zu lesen

Seit die Taliban 2021 die Macht in Afghanistan übernommen haben, sind hunderttausende Menschen von dort geflohen. Allerdings ist die Aufnahmebereitschaft gesunken, vielen droht die Abschiebung.

Neu angekommene afghanische Flüchtlinge in einem provisorischen Lager in Kabul, Afghanistan (30. August 2025). (© picture-alliance, Xinhua News Agency | Saifurahman Safi)

Afghanistan Interner Link: zählt seit Jahrzehnten zu den Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen und Asylsuchenden weltweit. Im Sommer 2021 übernahmen 20 Jahre nach ihrem Sturz erneut die radikal-islamistischen Interner Link: Taliban die Macht in Afghanistan. Dem Regimewechsel folgte trotz der Szenen verzweifelter Menschen am Kabuler Flughafen, die ab dem 16. August 2021 medial um die Welt gingen, kein Massenexodus. Und dennoch: Wie bereits zuvor verlassen weiter jährlich Zigtausende das Land aufgrund von Armut, Perspektivlosigkeit und politischen Gründen wie Menschenrechtsverletzungen und der Androhung oder Anwendung von Gewalt. Im Gegensatz zu früheren Migrationsbewegungen aus Interner Link: Afghanistan ist die Ausreise in den letzten Jahren allerdings erheblich erschwert. Wer heute aufgrund der politischen und ökonomischen Umstände das Land verlassen möchte, muss ungleich höhere Risiken und Schmuggelkosten in Kauf nehmen. Denn die Nachbarländer halten ihre Grenzen für Migrant:innen ohne Visum zunehmend geschlossen und bereits aufhältige und neu eingewanderte Afghan:innen werden in Massen und teils mit Gewalt ausgewiesen und nach Afghanistan abgeschoben.

Afghanistan hatte 2024 eine Bevölkerung von schätzungsweise etwa 39,2 Millionen, weitere circa 8,2 Millionen Afghan:innen leben im Ausland. Seit 2021 sind den offiziellen internationalen Statistiken des UN-Flüchtlingshilfswerks (Externer Link: UNHCR) zufolge 1,6 Millionen Afghan:innen infolge der Taliban-Machtübernahme in die Nachbarstaaten geflohen: etwa eine Million in den Iran, 600.000 nach Pakistan. Neben diesen beiden Hauptaufnahmeländern in der Region haben ehemalige Interventionsstaaten wie die USA, Deutschland, Kanada und Großbritannien hunderttausende Afghan:innen über spezielle Aufnahmeprogramme für afghanische Verbündete und Ortskräfte evakuiert. Ein Teil der Evakuierten wurde zuerst in Drittstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar oder Albanien ausgeflogen, um dort ihren Anspruch auf eine Einreiseerlaubnis in die USA oder nach Großbritannien zu überprüfen. 2023 warteten in Iran und Pakistan zudem mehr als Externer Link: 257.860 Personen auf Aufnahme in Drittländern (Interner Link: resettlement). UNHCR geht in seiner Externer Link: Prognose der Resettlement-Bedarfe für 2026 davon aus, dass 573.465 Afghan:innen aus Erstzufluchtsstaaten in ein Drittland umgesiedelt werden müssten. Die Aufnahmebereitschaft für afghanische Geflüchtete weltweit ist allerdings sehr gering und entwickelt sich seit Jahren disproportional zum Bedarf. So hatten beispielsweise die EU-Staaten für 2022 1.100 Resettlement-Plätze für Afghan:innen zugesagt – tatsächlich aufgenommen wurden auf diese Weise letztlich 271 Menschen.

Binnenvertriebene

Binnenvertreibungen spielen seit der Taliban-Machtübernahme offiziell kaum noch eine Rolle. Die Zahl der Binnenvertriebenen schätzte die weltweit führende Beobachtungsstelle für Binnenvertreibung Externer Link: IDMC zum Jahresende 2024 auf 5,4 Millionen, davon waren bis 2021 etwa 4,2 Millionen aufgrund von Gewaltkonflikten geflohen. Seit 2021 wurde kein Zuwachs an Vertriebenen aufgrund von Gewalt und Konflikten im Land verzeichnet, da der Hauptkonflikt zwischen der ehemaligen Regierung (Republik bis 2021) und den Taliban seit der Machtübernahme obsolet ist. Seitdem übt das sogenannte Islamische Emirat effektiv das Gewaltmonopol aus und ist in der Lage, andere bewaffnete Akteure wie den Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISPK), ein lokaler Ableger des sogenannten Interner Link: Islamischen Staates, weitgehend zu kontrollieren. Die Zahl der bis 2021 Binnenvertriebenen geht allerdings nur sehr langsam zurück. Während laut Externer Link: UN-Flüchtlingshilfswerk 1,2 Millionen Binnenvertriebene unmittelbar nach dem Regimewechsel in ihre Herkunftsregionen zurückgekehrt sind und bis Ende 2024 weitere 450.000, sind neue Fluchtbewegungen infolge von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und den schweren Erdbeben 2023 und 2025 hinzugekommen. Afghanistan ist zudem eines der am stärksten vom Interner Link: Klimawandel betroffenen Länder weltweit; Fluchtbewegungen im In- wie ins Ausland aufgrund indirekter Vertreibungsgründe wie lange Dürreperioden und fehlende Ernten sind jedoch nicht konkret messbar und fallen in die Kategorie ‚Abwanderung aufgrund wirtschaftlicher Not‘. Angesichts der Gemengelage an Fluchtgründen im Land ist fraglich, ob die Rückkehr der Binnenvertriebenen von Dauer ist. Viele wurden aufgrund der Externer Link: Auflösung irregulärer Siedlungen de facto erneut (sekundär) vertrieben und sind deshalb in ihre Ursprungsregionen zurückgekehrt. Sekundäre Vertreibungen drohen auch den Rückkehrer:innen aus Iran, Tadschikistan, der Türkei und Pakistan, sofern sie mittelfristig nicht Aufnahmebedingungen vorfinden, die ihnen ein würdiges Leben und die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse (Wohnraum, Arbeit, Strom und Wasser) – nicht zu reden von medizinischer Versorgung und Bildungsmöglichkeiten – erlauben. Die afghanische Regierung kann den Rückkehrer:innen aufgrund der desolaten Wirtschaftslage keine langfristigen Perspektiven bieten. Laut Externer Link: UN benötigt rund die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans Externer Link: humanitäre Hilfe, um das eigene Überleben zu sichern (Stand 2025).

Die Situation der Afghan:innen in den Hauptaufnahmeländern

Der Schutzstatus und die Schutzwürdigkeit afghanischer Geflüchteter wurde nach der Machtübernahme der Taliban 2021 in den meisten Ländern anfangs kaum politisch hinterfragt – mit wenigen Ausnahmen. So hat die Türkei unabhängig von den politischen Umständen in Afghanistan fast kontinuierlich Afghan:innen abgeschoben. Die zentralasiatischen Staaten haben im August 2021 den limitierten Schutz für Afghan:innen weiter beschränkt und keine weiteren Visa, Registrierungen oder Aufenthaltsgenehmigungen gewährt. Andere Länder – z.B. diverse EU-Mitgliedstaaten inklusive Deutschland – haben ab 2022 den Schutzanspruch von Afghan:innen sukzessive neu bewertet, Rückführungsstopps aufgehoben und lehnen zunehmend Asylanträge ab.

Pakistan

Besonders schwierig ist die Situation der Afghan:innen in Pakistan, da die pakistanische Regierung seit 2023 ein Repatriierungsprogramm zur Rückführung nach Afghanistan für sogenannte illegal aufhältige Ausländer aufgelegt hat. Hierunten fallen auch zunehmend Afghan:innen mit Schutzstatus und solche mit Aufnahmezusage aus Drittstaaten wie Deutschland. Pakistan hat seit den 1970er Jahren afghanische Geflüchtete aufgenommen, jedoch über die Jahrzehnte auf politischer und gesellschaftlicher Ebene eine starke anti-afghanische Haltung entwickelt. Die im Land lebenden Afghan:innen wurden stets politisch instrumentalisiert und vermehrt als Bürde, Kriminelle und Terroristen gebrandmarkt. Die pakistanische Regierung, die nach der Machtübernahme ihren Einfluss auf die Taliban in Afghanistan maßgeblich eingebüßt hat, vertritt seitdem die Auffassung, dass Afghanistan sicher sei und deshalb der Rückkehr der 2024 noch mehr als drei Millionen in Pakistan lebenden Afghan:innen nichts mehr im Wege stehe. Allerdings übergeht diese Position wissentlich, dass die meisten der in Pakistan lebenden Afghan:innen dort geboren und bereits in dritter und vierter Generation heimisch sind. Andererseits liegt der Unwille Pakistans, die mehrstufige Rückführungsoffensive abzumildern, vor allem in den schlechter gewordenen Beziehungen zwischen beiden Ländern begründet. Pakistan wirft Afghanistan vor, die terroristischen Aktivitäten der pakistanischen Taliban (TTP) zu unterstützen, die regelmäßig Anschläge auf pakistanischem Territorium verüben und die Regierung stürzen wollen. Mit der Rücksendung von Millionen Menschen nach Afghanistan, das angesichts diplomatischer Isolation, eingefrorener Währungsreserven und nur rudimentär ausgebildeter Wirtschaftsstrukturen in einer höchst prekären Lage ist, versucht Pakistan Druck auf die herrschenden Taliban auszuüben. Die teilweise gewaltvollen Aufgriffe und Deportationen treffen dabei vereinzelt auch Personen mit Aufnahmezusagen aus Drittländern. Viele von ihnen haben nach August 2021 unter erschwerten Bedingungen und für unverhältnismäßig hohe Preise Einreisevisa für Pakistan erworben. Diese sind aufgrund der nicht oder nur sehr langsam erfolgten Bearbeitung der Ausreiseanträge durch Drittstaaten mittlerweile mehrfach abgelaufen und die Verlängerung gestaltet sich schwierig und oft willkürlich. Von Deportationen nach Afghanistan sind sowohl ehemalige Ortskräfte des deutschen zivilen und militärischen Engagements in Afghanistan bis 2021 als auch gefährdete Afghan:innen, die Zusagen für eine Ausreise im Rahmen des Interner Link: Bundesaufnahmeprogramms bekommen hatten, betroffen.

Iran

Da die große Mehrheit der nach 2021 in den Iran migrierten Afghan:innen ohne Visum und Aufenthaltsstatus im Iran lebte, hatte die iranische Regierung 2022 für 2,6 Millionen irreguläre Migrant:innen einen temporären Schutzstatus eingeführt. Allerdings ist dieser Schutzstatus am 20. März 2025 ausgelaufen und die damit ,irregularisierten’ Personen wurden Teil der großen undokumentiert im Land lebenden afghanischen Bevölkerung. Im September 2023 kündigte die iranische Regierung an, alle ohne Aufenthaltserlaubnis im Land lebenden Afghan:innen auszuweisen. Dafür hat sie unter Androhung von Verhaftungen und Zwangsrückführungen verschiedene Fristen gesetzt, zuletzt den 6. Juli 2025.

Seit August 2024 gab es weiterhin eine Welle von Arbeits- und Aufenthaltsverboten für (auch registrierte) Afghan:innen in diversen Regionen des Landes (z.B. Khorasan, Fars, Hormozgan). Nach und nach wurden Miet- und Mobilfunkverträge gekündigt, Häuser zerstört und zusätzlich – im Zuge des 12-tägigen Krieges mit Israel im Juni 2025 – Afghan:innen wegen Spionageverdachts willkürlich verhaftet und ausgewiesen. Aufgrund der Politisierung und öffentlich aufgeheizten anti-afghanischen Stimmung im Iran ist 2024/25 eine beispiellose Abwanderung erfolgt. Viele Afghan:innen versuchen, in die Türkei auszureisen und von dort weiter nach Europa zu gelangen – misslingt dies, ist die Rückkehr nach Afghanistan alternativlos, sofern der Iran nicht erneut Arbeitsvisa vergibt.

USA, EU und Deutschland

In westlichen Aufnahmeländern – inklusive Deutschland – sind Afghan:innen vier Jahre nach der Machtübernahme der Taliban zunehmend von Abschiebungen betroffen. In den USA hat die Regierung von Präsident Donald Trump den temporären Schutz für Asylsuchende aufgehoben und das Programm ‚Operation Enduring Welcome‘ beendet, von dem etwa Externer Link: 200.000 gefährdete Afghan:innen seit 2021 profitiert hatten. Zehntausende verloren damit ihren Schutzstatus und etliche sind 2025 bereits in Drittländer wie Costa Rica und Panama abgeschoben worden. In der Europäischen Union bilden Afghan:innen seit Jahren die zweitgrößte Gruppe der Asylantragstellenden; Asylerstanträge von Afghan:innen verzeichneten ab Ende 2021 europaweit einen starken Anstieg. Externer Link: 2023 stellten mehr als 100.000 afghanische Staatsangehörige einen Antrag auf internationalen Schutz in der EU-27. 2024 ist dieser Wert Externer Link: auf 72.200 gesunken.

Die Schutzquoten sind EU-weit allerdings höchst uneinheitlich, insgesamt aber sinkt die Quote kontinuierlich: Erhielten 2023 im EU-Durchschnitt Externer Link: 80 Prozent der afghanischen Asylbewerber:innen Schutz, fiel die Schutzquote in Externer Link: Deutschland von über 90 Prozent 2023 auf 60 Prozent im ersten Halbjahr 2025. Asylverfahren sind zudem vielerorts mit sehr langen Wartezeiten und entsprechender Ungewissheit verknüpft. In der EU+ (EU-27 sowie Island, Liechtenstein, Schweiz, Norwegen) warteten Ende 2023 mehr als 880.000 Fälle auf eine Asylentscheidung. In Deutschland war die Entscheidung über den Asylantrag Ende Externer Link: 2024 noch bei mehr als 53.000 Antragsteller:innen offen, gegenüber 11.680 abgelehnten afghanischen Asylanträgen. Nachdem der Europäische Gerichtshof 2024 Externer Link: urteilte, dass Frauen unter den Taliban Verfolgung ausgesetzt und somit generell schutzbedürftig sind, nahm die Zahl der Folgeanträge für Asyl, die von afghanischen Frauen in Deutschland gestellt wurden, stark zu.

Während nicht eindeutig klar ist, wie viele Afghan:innen aufgrund der Machtübernahme der Taliban 2021 direkt aus Afghanistan oder aus anderen Zufluchtsländern wie Iran und Pakistan nach Deutschland geflüchtet sind, können die Einreisen über Aufnahmeprogramme genau beziffert werden: Bis Anfang März 2025 sind 34.881 Ortskräfte und besonders schutzbedürftige Personen nach Deutschland gekommen – von insgesamt 42.857, denen bis zur Beendigung der Programme im April 2025 eine Aufnahme in Deutschland Externer Link: zugesagt worden war. Die Aufnahmeprogramme und die aus ihnen abgeleitete Schutzverantwortung gingen davon aus, dass die Betroffenen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer Verbindung zu bestimmten politischen Gruppen und Aktivitäten vor 2021 gefährdet sind.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Zahl ist das Mittel zwischen den Bevölkerungsangaben der afghanischen Regierung für 2024 (35,7 Mio.) und den ausländischen Schätzungen 2024, hier der Externer Link: Weltbank (42,6 Mio.). Die Diskrepanz von 7 Millionen ist signifikant und nicht aufzulösen. Historisch fand in Afghanistan lediglich ein Teilzensus in den 1980er Jahren statt, seitdem wird die Bevölkerungszahl extrapoliert. Die aktuelle Regierung hat eine Bevölkerungszählung angekündigt, ohne dass Details bekannt sind (Stand Oktober 2025).

  2. Die Quelle (Externer Link: ECRE 2024) spricht von afghanischen Geflüchteten weltweit (‚displaced globally’). Anzuerkennen ist jedoch, dass Auswanderung aus Afghanistan historisch bis heute stets aufgrund einer gemischten Motivlage erfolgte, also sowohl Vertreibung aufgrund von Gewaltkonflikten und Krieg eine Rolle spielte, aber auch wirtschaftliche Faktoren, wie Armut und Perspektivlosigkeit, Arbeits- und Pendelmigration sowie dauerhafte Auswanderung (und Nachzug) beförderten.

  3. Laut der NGO-Dachorganisation Externer Link: ECRE (European Council on Refugees and Exiles) unterscheiden sich die Schutzquoten für Afghan:innen in der EU ohne erkennbaren Grund beträchtlich, mit Bulgarien (12 Prozent), Belgien (35 Prozent) und Rumänien (42 Prozent) am unteren Ende der Schutzquotenskala – und Irland (99 Prozent), Dänemark und Finnland (je 94 Prozent) sowie Österreich (93 Prozent) am oberen Ende (2023).

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Katja Mielke für bpb.de

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Weitere Inhalte

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bonn International Centre for Conflict Studies (bicc). Als politische Soziologin untersucht sie Staat-Gesellschaftsbeziehungen an der Schnittstelle von Konflikt-, Migrations- und Entwicklungsforschung. Zu ihren regionalen Schwerpunkten zählen Afghanistan, Pakistan, Zentralasien und Irak.