Dokument 2.1: Brief der deutschsprachigen Schriftsteller, März 1965
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AN DEN VORSTAND DES SCHRIFTSTELLERVERBANDES
Von einer Gruppe sowjetischer Schriftsteller
deutscher Nationalität
ERKLÄRUNG
In der Sowjetunion leben und bauen zusammen mit allen Völkern des Landes den Kommunismus auf etwa zwei Millionen Bürger deutscher Nationalität, die Sowjetdeutschen.Die Schriftstellerorganisation der Sowjetdeutschen hatte eigene Abgesandte auf dem Ersten Kongress der sowjetischen Schriftsteller im Jahr 1934.
Seit 1941 haben wir all das verloren. Im Laufe von 15 Jahren hatten die Sowjetdeutschen keinerlei Möglichkeit, ihre nationale Kultur – Sprache, Literatur, Kunst usw. – zu entwickeln. Die sowjetdeutsche Literatur und Kultur insgesamt verfielen. Seit 24 Jahren wurde kein einziges Buch eines deutschen Autors veröffentlicht.
Seit 1957 erscheinen eine kleinformatige Zentralzeitung ("Neues Leben") und ein bescheidenes Lokalblatt ("Altai")
Es entstand eine Situation geschaffen, die nicht in den Rahmen des sowjetischen Kulturaufbaus passte, die keiner Norm der Leninschen Nationalpolitik der Kommunistischen Partei entsprach. Während viele andere Völkerschaften der Sowjetunion, sogar zahlenmäßig sehr kleine und früher rückständige, in der Nachkriegszeit einen großen Schritt in der Entwicklung ihrer Kultur gemacht haben, hat sich die Kultur und vor allem die Literatur der Sowjetdeutschen zurückentwickelt und dieser Prozess setzt sich gewissermaßen fort.
Mag es noch so absurd klingen, aber religiöse Sekten,
Ebenso machen wir Sie darauf aufmerksam, dass wir kein einziges professionelles Theater haben, keine ständig wirkende Schlagertruppe, dass es keine Voraussetzungen für die Entwicklung der Laienkunst geschaffen worden sind und dass keine Kader für Kultur- und Aufklärungsarbeit ausgebildet werden.
Die Redaktion des Radiosenders in deutscher Sprache in Moskau ist mit den deutschen Schriftstellern nicht verbunden, sendet ihre Werke nicht und, was besonders charakteristisch ist, diese Sendungen werden nirgendwo vor Ort weiter übertragen.
Wir können nicht umhin kommen, unsere Sorge zum Ausdruck zu bringen, dass Kinder der Sowjetdeutschen nicht die Möglichkeit haben, ihre Muttersprache gründlich zu erlernen.
Es ist bekannt, dass die Sowjetdeutschen unter der Führung von Budenny und Tschapajew aktiv am Bürgerkrieg teilnahmen und mit selbstloser Arbeit den Sieg über den Faschismus während des Großen Vaterländischen Krieges mitgeschmiedet haben.
Derzeit sind elf sowjetdeutsche Literaten Mitglieder des Schriftstellerverbandes; einige von ihnen wurden nach 1955 in ihren Rechten wiederhergestellt, ein Teil wurde in den letzten Jahren wieder [in den Verband] aufgenommen.
Wie alle Schriftsteller unseres sowjetischen Heimatlandes haben wir uns dem gemeinsamen Kampf für die Erziehung des neuen Menschen aufrichtig angeschlossen. Wir haben jedoch praktisch keine Druckmöglichkeiten. Kleine Erzählungen und Gedichte erscheinen in der literarischen Seite der Wochenzeitung "Neues Leben". 1960 wurde die einzige kleine Sammlung von Gedichten und Kurzgeschichten von sowjetisch-deutschen Autoren veröffentlicht.
Unser Leser, ein zwei Millionen starkes sowjetisch-deutsches Volk, wartet auf unsere Werke, die das Leben, Alltagsgeschehen, die Arbeit der sowjetischen Menschen, den Kampf des Sowjetvolkes für eine glückliche Zukunft und für den Aufbau des Kommunismus widerspiegeln.
Wir, die sowjetischen Schriftsteller deutscher Nationalität, können und wollen nicht abseits der großen Sache der Erziehung durch künstlerisches Wort stehen, weil das unsere Herzensangelegenheit ist.
Der Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 29. August 1964, der die sowjetischen Deutschen vollständig politisch und moralisch rehabilitiert hat, hat unser Volk zum neuen Leben erweckt und uns, die Schriftsteller, zu neue Großtaten ermuntert.
Wir hielten es daher für die Pflicht, uns an den Schriftstellerverband der UdSSR mit der Bitte zu wenden, der Entwicklung der sowjetdeutschen Literatur als einer der nationalen Literaturen des multinationalen Sowjetstaates ernsthaft und sofort eine Hilfe zu leisten.
Wir erachten es für erforderlich:
Schaffung einer Sektion deutscher Schriftsteller beim Vorstand des Schriftstellerverbandes der UdSSR mit regelmäßig stattfindenden jährlichen schöpferischen Seminaren.
In der nächsten Zeit ein Seminar von deutschen sowjetischen Literaturschaffenden auf der Unionsebene mit einer Anzahl von 40–50 Teilnehmern einzuberufen.
Bei der zentralen deutschen [i.S. deutschsprachigen] Zeitung "Neues Leben" eine monatliche literarische Beilage zu gründen mit einer obligatorischen Mitwirkung der Schriftsteller bei seiner Herausgabe und Lektorierung.
Gründung einer gesellschaftlich–literarischen Zeitschrift für Literatur, Kritik, Sprache, Stilistik usw.
Veröffentlichung einzelner Bücher sowjetdeutscher Schriftsteller in deutscher Sprache: Romane, Erzählungs- und Gedichtbände.
Veröffentlichung von Lieder- und Stücke-Sammlungen, von Werken verschiedener Unterhaltungsgattungen für die Laienkunstszene.
Umbau der Seite "Für Kinder" ("Neues Leben") in eine selbständige Zeitung für Kinder und Schüler.
All diese absolut notwendigen Maßnahmen, die der Forderung der Zeit entsprechen, können nicht ausgeführt werden, ohne einen Verlag für sowjetdeutsche Literatur zu gründen, dem auch die Veröffentlichung von Lehrbüchern und didaktischen Materialien in deutscher Sprache vertraut werden könnte.
Der Patriotismus der Sowjetdeutschen war nie mit Schmach bedeckt. Seit 200 Jahren, seitdem sie eine neue Heimat gefunden haben, haben sie ihr Schicksal mit den Völkern Russlands verbunden und stets ihren wertvollen Beitrag zur gemeinsamen Sache geleistet. So war es im ersten Vaterländischen Krieg von 1812, während der drei Revolutionen,
Wir drücken die Hoffnung aus, dass unsere Stimme nicht unbeachtet bleibt. Er ist von dem einzigen Wunsch geleitet, seinem Volk zu helfen, von dem Wunsch, seinen würdigen Beitrag zu der großen Sache des Aufbaus einer kommunistischen Gesellschaft in enger Einheit mit allen Völkern des sowjetischen Mutterlandes zu leisten.
UNTERSCHIFTEN
Mitglieder des Schriftstellerverbandes der UdSSR: Friedrich BOLGER, Boris BRAININ, Dominik HOLLMANN, Edmund GÜNTER, Herbert HENKE, Victor KLEIN, Rudolf JACQUEMIEN.
Moskau, 9. März 1965