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Panel 3: Die ideologische Modernisierung des Rechtsextremismus

Johannes Bluth

/ 5 Minuten zu lesen

"Um politisch erfolgreich werden zu können, haben rechtsextreme Parteien in verschiedenen Ländern begonnen, ihre Agenda zu "entschärfen“. Sie wissen, dass unverhohlener Rassismus und Antisemitismus nicht nur der Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern entgegenstehen, sondern unter Umständen auch einer möglichen Regierungsbeteiligung. Doch verändert dies wirklich den Charakter der Parteien? Was ist mit ihrer Basis? Unterscheidet sich ihre neue Programmatik tatsächlich von der alten?“, hieß es im Ankündigungstext.

Referentinnen und Referenten:

Dr. Magali Balent (Institut des Relations Internationales et Stratégiques), Dr. Heléne Lööw (Uppsala universitet), Dr. Andrea Mammone (Royal Holloway University of London). Moderation: Nina Horaczek (Falter).

Kurzbericht

Gibt es eine ideologische Modernisierung des Rechtsextremismus? Und woran kann diese festgemacht werden? Es ist unstrittig, dass der Wandel der europäischen Gesellschaften auch rechtsextreme Erscheinungsformen verändert. Die angeblich Ewiggestrigen zeigen sich zunehmend hoch agil und versuchen neue Zielgruppen zu erschließen, zum Beispiel aus der von Abstiegsängsten gezeichneten Mittelschicht. Die Pegida-Bewegung reflektiere hier eine gesamteuropäische Transformation, eine ideologische Realität, auf die geantwortet werden müsse, so lautete der einhellige Tenor. Zugleich nutzten rechtsextreme Parteien ihr polarisierendes Potenzial, um das etablierte Parteienspektrum zu spalten und die Fraktionen gegeneinander aufzuwiegeln. In manchen europäischen Staaten wie in den Niederlanden konnten sie dadurch die gesamte Parteienlandschaft dauerhaft umgestalten. Allein auf internationaler Ebene, so zum Beispiel im EU-Parlament, blieben größere Erfolge bislang aus, da im Zweifelsfall die nationalen Interessen im Vordergrund stünden.

Bei den Agitationsformen zeichnen sich in den letzten Jahren deutliche Veränderungen ab, insoweit dumpfer Fremdenhass und bloßes Ressentiment immer seltener klar zu erkennen sind. Fackelmärsche und andere revisionistische Aktionen gehören immer mehr der Vergangenheit an. Durch die neue, bunte Welt der allgegenwärtigen Bilder und des Internets zerstreut sich rechtsextreme Propaganda in ein hoch individualisiertes und expressives, diffuses Milieu. In sozialen Netzwerke sind sie außerordentlich aktiv und kopieren erfolgreiche virale Kampagnen für ihre eigenen Zwecke, inklusive des ansprechenden Vokabulars der Konsumgesellschaft. Dabei bedienen sich Rechtsextreme auch Guerrilla-Praktiken, die bis dahin vorrangig aus dem linken Spektrum bekannt waren, um kurzfristige, mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Insgesamt zeigt sich die Bereitschaft, auf die Sprache und Optik des Mainstreams einzugehen, um diese anschließend geschickt umzudeuten. Bleibt die Frage, wie sie Helene Lööw treffend formulierte: Wie kann der Mainstream darauf reagieren? Die ideologische Modernisierung im Sinne einer Normalisierung ist jedenfalls unübersehbar.

Ist die Islamfeindlichkeit der mögliche neue common sense rechtsextremer Ideologie? Dieser Einschätzung wurde mit Skepsis begegnet. Denn oft sei der Islam, ähnlich wie Antiziganismus, nur ein hintergründiges Problem. Vielmehr eine die Parteien ein tiefes Ressentiment gegen das politische Establishment insgesamt, denn diese Haltung ist ungemein populär. Selbst Silvio Berlusconi, der teils offen mit rechtsextremen Parteien und Personen sympathisiert, gründete seine politische Karriere auf dieser Taktik wie Andrea Mammone unterstrich. Dabei findet sich oft derselbe Dualismus in der Argumentation: Der Wandel der sozialen Verfasstheit europäischer Staaten sei rapide und treffe die Mehrheit, die politischen Eliten jedoch seien starr und auf Selbsterhaltung fixiert. Auf diesem ideologischen Nährboden gedeihen salonfähige rechtsextreme Einstellungen besonders gut.

Dabei bleibt doch jede Partei auf ihren "national cocoon" zwingend angewiesen, wie Magali Balent am Beispiel des französischen Front National aufzeigte. Und die nationale Geschichte präge weiterhin die ideologischen Linien: In Italien berufe sich jede rechtsextreme Partei oder Organisation nach wie vor direkt auf Benito Mussolinis faschistisches Regime, insistiere Mammone. Hier seien der Modernisierung also nationale Grenzen gesetzt, obwohl sich zum Beispiel das Movimente Sociale Italiano und die Front National in Frankreich stark ähnelten, sogar das Parteisymbol ist fast identisch. In Schweden hingegen führte die kollektive Verdrängung rechtsextremen Potentials im öffentlichen, nationalen Diskurs dazu, dass der Erfolg der Sverigedemokraterna bei den Wahlen im Jahr 2014 ein politisches Erdbeben ausgelöst hat, wie Lööw wiederholt betonte. Eine Ära rein positiver nationaler Identitäts- und Geschichtsschreibung des Musterstaats Schweden fand somit ein jähes Ende.

Jede Bewegung müsse also immer im Kontext nationaler Geschichtsschreibung und Eigenwahrnehmung gedeutet werden, darauf konnten sich alle Teilnehmende des Panels einigen. Gleichwohl seien unübersehbare internationale Parallelen und Modernisierungstendenzen vorhanden. Es bleibe abzuwarten, inwiefern diese in Zukunft von den rechtsextremen Parteien, Organisationen und Einzelpersonen klarer ausformuliert und ideologisch in Stellung gebracht werden.

Beteiligte am Panel

Dr. Magali Balent forscht am Institut de Relations Internationales et Stratégiques (IRIS) und lehrt an der Sciences Po Paris. Sie studierte Politikwissenschaft und Geschichte an der University of Edinburgh und dem Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien. Von 2008 bis 2014 war sie internationale Beraterin für die französische Union pour un Mouvement Populaire (UMP). Sie veröffentlichte u. a.: Le monde selon Marine (2012); Le Front National et le monde. Le discours du FN sur les relations internationales sous la présidence de Jean-Marie Le Pen (2012); European Elections 2014: Towards “a” European far right (in: European issues, Nr. 303, 2014).

Dr. Heléne Lööw lehrt am Institut für Geschichte der Uppsala University und ist Direktorin des Center for Police Research. Sie studierte Geschichte an der University of Göteborg und forschte an den Universitäten in Göteborg und Stockholm. Außerdem arbeitete sie für das National Council of Crime Prevention und ist ehemalige Direktorin des Living History Forums. Sie veröffentlichte u. a.: Nazismen i Sverige 1980–1997 (1998); Nazismen i Sverige 1924–1979 (2004); Les nationalistes extrémistes en Suède et la formation d’une subculture de la suprématie blanche (in: Uwe Backes, Pascal Hintermeyer und Patrick Moreau (Hrsg.): Extrémisme et violence. Revue des Sciences Sociales, Nr. 46, 2011).

Dr. Andrea Mammone lehrt Neuere Europäische Geschichte an der Royal Holloway Universität in London. Er studierte Politikwissenschaft an der Università di Siena und wurde an der University of Leeds promoviert, an der er zu länderübergreifendem Rechtsextremismus forschte. Es folgten verschiedene Lehr- und Forschungsaufenthalte in Großbritannien, Italien und den USA. Er veröffentlichte u. a.: Varieties of Right-Wing Extremism in Contemporary Europe (hrsg. mit Emmanuel Godin und Brian Jenkins. 2013); Transnational Neofascism in France and Italy (2013).

Moderation:

Nina Horaczek ist Politikredakteurin bei der Wiener Stadtzeitung Falter und Publizistin. Sie studierte Politikwissenschaft und arbeitete danach für die Tageszeitungen Kurier, Der Standard und Salzburger Nachrichten. Intensiv widmet sie sich der Thematik Rechtsextremismus und veröffentlichte u. a. die Monographien: HC Strache. Sein Aufstieg. Seine Hintermänner. Seine Feinde (mit Claudia Reiterer. 2009); Handbuch gegen Vorurteile. Von Auschwitzlüge bis Zuwanderungstsunami (mit Sebastian Wiese. 2011).

Abstracts der Referierenden

Interner Link: Positionspapier Heléne Lööw

Interner Link: Positionspapier Magali Balent

Interner Link: Positionspapier Andrea Mammone

Fussnoten

Johannes Bluth studiert den deutsch-französischen Masterstudiengang "Medienkulturanalyse trinational – Theater- und Medienkulturen im transnationalen Raum" an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Universität Wien und der Université de Nantes. Zuvor studierte er Kommunikationswissenschaft und Romanistik in Erfurt und Lille, Frankreich. Er ist darüber hinaus als freier Filmjournalist tätig, schreibt regelmäßig Filmkritiken, führt Interviews und berichtet von Filmfestivals. Nach einem Praktikum Anfang 2015 arbeitet er als studentischer Mitarbeiter im Fachbereich Extremismus der bpb.