Inmitten der Verhandlungen über das umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen Interner Link: TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen der Europäischen Union (EU) und den USA fand im Februar 2015 eine Konferenz
Möglich machte dies 'Forum Europe', eine Agentur, die in Brüssel Veranstaltungen zu verschiedenen europapolitischen Themen organisiert. Finanziert werden die Veranstaltungen von Unternehmen, die zwischen verschiedenen Sponsorenpaketen wählen können. Wer bei der TTIP-Konferenz beispielsweise eine Podiumsdiskussion sponsern wollte, musste 10.000 Euro zahlen – und bekam dafür einen Platz auf dem Podium. Ein Redebeitrag während eines der Arbeitsessen zu Themen wie "TTIP und Chemikalien bzw. Medikamenten" kostete 7.500 Euro. Für 3.000 Euro konnte man eine Erfrischungspause finanzieren – und durfte dafür Werbung in der Kaffeeecke auslegen oder im Konferenzprogramm unterbringen (siehe Seite 4 und 5 im Sponsorenpaket
Bei dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA kämpft nicht nur die Chemikalien- und Medikamentenlobby um ihre Interessen – auch die Belange anderer Industriezweige sowie von Gewerkschaften und Verbraucherschutz- und Umweltorganisationen sind von möglichen TTIP-Vereinbarungen betroffen. Über Jahre hinweg versuchten dessen Protagonisten, die Verhandler/-innen von ihren Standpunkten zu überzeugen. Interessengruppen der Wirtschaft gelingt das manchmal besser und manchmal schlechter. Im Falle von TTIP ist das noch nicht abschließend zu sagen, zum Erscheinungsdatum des Textes liegen die Externer Link: Verhandlungen auf Eis. Dennoch eignet sich der Fall, um deutlich zu machen, wie Unternehmenslobbyismus in Brüssel funktioniert.
Akteure in Brüssel
Brüssel gilt nach Washington als Hauptstadt des Lobbyismus. Laut Schätzungen von Transparency International
Die meisten Lobbyistinnen und Lobbyisten, schätzungsweise 70 Prozent
Dabei sind die finanziellen Ressourcen der verschiedenen Interessengruppen sehr unterschiedlich: So hatte der Chemieverband CEFIC laut eigenen Angaben im EU-Lobbyregister im Jahr 2017
Enge Kontakte zwischen Kommission und Unternehmen
Die ungleiche Ausstattung mit finanziellen und personellen Ressourcen bedeutet, dass Unternehmens-Lobbygruppen die EU-Institutionen intensiver lobbyieren können als andere Interessengruppen. Bei den TTIP-Verhandlungen war das sehr deutlich. So zeigt ein über eine Informationsfreiheitsanfrage veröffentlichtes internes Dokument
Das wichtigste Organ für Lobbyisten: die Kommission
Von den insgesamt knapp 600 TTIP-Lobbygesprächen der Kommission zwischen Januar 2012 und Februar 2014 fanden 88 Prozent mit Konzern-Lobbygruppen
Die EU-Kommission ist für die TTIP-Lobby das wichtigste Organ. Die Europäische Handelspolitik ist vergemeinschaftet, für die EU sitzen allein die Beamtinnen und Beamten der Kommission am Verhandlungstisch. In der TTIP-Hochphase (Juni 2013 bis Oktober 2016) verhandelten sie viermal jährlich für eine Woche mit der US-Gegenseite – mal in Brüssel, mal in Washington. Schätzungsweise 100 Beamte und Beamtinnen sind auf jeder Seite Teil einer solchen Delegation. Etwa 30 von ihnen sind höhere Beamte und auf EU-Seite besonders wichtig, da sie die einzelnen Verhandlungsbereiche koordinieren, also beispielsweise das Kosmetik-Kapitel im TTIP oder die Regeln zur Liberalisierung von Finanzdienstleistungen.
In den Worten des Recherchenetzwerks Correctiv
Die TTIP-Lobby
Angeführt wird die TTIP-Lobby von großen europäischen und US-amerikanischen Unternehmens-Dachverbänden.
Die Lobbygruppen der Großkonzerne haben in der Vergangenheit mehrfach gegen EU-Initiativen mobilisiert, die mehr Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmer-Schutz bedeutet hätten. So lobbyierte BusinessEurope gegen Gesetzesvorschläge zu einer Frauenquote in Aufsichtsräten, zur Verlängerung des Mutterschutzes und zur Reduktion von Luftverschmutzung.
Bevorzugter Zugang für die Wirtschaftslobby
Interne Dokumente, die die EU-Kommission im Rahmen von Informationsfreiheitsanfragen
In einer E-Mail
Verhandlungspositionen ähneln Lobbypapieren
Ein weiteres Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und der Unternehmenslobby veröffentlichte die New York Times
Auch in anderen TTIP-Bereichen ähnelten sich die offiziellen EU-Verhandlungspositionen und die Wünsche von Unternehmens-Lobbygruppen. Als 2014 der EU-Vorschlag zur regulatorischen Kooperation im Finanzsektor durchsickerte, bemerkte ein Lobbyist des Verbands der Londoner Finanzindustrie, TheCityUK, die Position könne nahezu vollständig aus ihrer TTIP-Broschüre stammen
"Mitgestaltung: Je früher, desto besser"
Eineinhalb Jahre zuvor hatten der europäische Chemieverband CEFIC und sein US-amerikanisches Pendant, der American Chemistry Council (ACC), einen gemeinsamen Vorschlag an die TTIP-Verwandler/-innen geschickt. Es handelte sich dabei nicht um ein Positionspapier, sondern um den Entwurf eines spezifischen TTIP-Kapitels
Das Papier ist noch aus einem anderen Grund aufschlussreich: Es stammt aus einer Zeit, in der die EU-Kommission selbst noch keinen eigenen Vorschlag für das TTIP-Chemiekapitel vorgelegt hatte, und zeigt somit die Relevanz von möglichst frühem Lobbyismus. "Mitgestaltung: Je früher, desto besser", fasste der deutsche Chemieriese BASF dieses Credo einmal in einer Präsentation zu seiner Lobbytätigkeit in Brüssel zusammen.
Aus welchen Ländern kommt die TTIP-Lobby?
Die Chemielobby hat bei den TTIP-Verhandlungen transatlantisch agiert. Auch die Autoindustrie
Andere haben dagegen auffällig wenig für TTIP lobbyiert. So gab es zwischen Januar 2012 und Februar 2014 keinen einzigen Kontakt
Kanzleien und andere Dienstleister
In ihrer Lobbyarbeit werden Industrieverbände und einzelne Unternehmen von einer Reihe weiterer Akteure unterstützt; so etwa von Anwaltskanzleien. Ein Anwalt der Kanzlei K&L Gates bezeichnete TTIP zu Beginn der Verhandlungen gegenüber der Zeitschrift The Hill als die "ultimative Lobbyherausforderung", die zeitgleiche Kampagnen auf beiden Seiten des Atlantiks erfordere.
Ähnliche Arbeit machen professionelle Beratungs- bzw. Lobbyagenturen – von der Erstellung von Studien über die Organisation von Veranstaltungen bis zum Einfädeln von Treffen mit wichtigen Entscheiderinnen und Entscheidern. Eine dieser Firmen, Alber & Geiger, warb zu Beginn der TTIP-Verhandlungen bei US-amerikanischen Agrarkonzernen für ihr "direktes, hard core Lobbying"
"Front Groups" richten Kampagnen aus
Eine typische Dienstleistung, die professionelle Lobby-Agenturen ihren Kunden anbieten, ist die Einrichtung so genannter "Front Groups". Diese Organisationen schmücken sich oft mit Namen, die nach Wissenschaft oder sozialem Engagement klingen, aber letztendlich nichts anderes als Lobby-Vehikel für Unternehme sind. Mit ihrer Hilfe versuchen einige Konzerne, ihre Partikularinteressen als gesamtgesellschaftliche Anliegen darzustellen und so die Akzeptanz für umstrittene Projekte zu erhöhen.
Ein Beispiel für eine TTIP-"Front Group" ist die Alliance for Responsible Commerce, kurz ARC. ARC wurde vom schwedischen Arbeitgeberverband initiiert, der u.a. Unternehmen wie H&M oder IKEA vertritt. Die Allianz versuchte TTIP als verantwortungsvolles Projekt darzustellen, und zwar vor allem über eine Kampagne in den sozialen Netzwerken. So finden sich auf ARCs Webseite, Facebook und Twitter-Account Beiträge dazu, wie kleine und mittelständige Unternehmen von TTIP profitieren können, wie die umstrittenen TTIP-Konzernklagerechte dem Klimaschutz dienen, usw. Organisiert wurde die Kampagne von Kreab, einer der größten PR-Firmen in Brüssel
Auch Thinktanks leisten solche Überzeugungsarbeit. Sieben von ihnen waren laut einer Recherche
Drehtürkarrieren
Die TTIP-Lobby kann sich bei ihrer Arbeit auf eine politische Kultur stützen, die von einer zunehmenden Symbiose zwischen politischen und wirtschaftlichen Schlüsselfiguren in Brüssel gekennzeichnet ist. Ein solches Zusammenrücken unterstreicht der rege personelle Austausch zwischen der Lobbyindustrie und den EU-Institutionen, durch den sich die Industrie Insiderwissen und ein Netzwerk an Kontakten ins politische System kauft. Laut Transparency International
Ein Beispiel für eine sogenannte Drehtürkarriere ist der bereits erwähnte Hugo Paemen – früher Leiter der EU-Vertretung in den USA und jetzt Lobbyist für die Kanzlei Hogan Lovells. Weitere prominente Seitenwechsler sind der frühere Handelskommissar Karel de Gucht
Mangelnde Transparenz
Öffentlich gemacht wurden diese Seitenwechsel und andere Lobby-Geschichten rund um TTIP von Medien und Nichtregierungsorganisationen. Die EU-Kommission hält sich dagegen zurück, öffentlich zu dokumentieren, wer bei den TTIP-Verhandlungen mit welcher Agenda, welchen Ressourcen und mit welchem Erfolg versucht hat zu beeinflussen. Listen von Lobbytreffen und Lobby-Papiere an die EU-Kommission werden nicht aus eigener Initiative veröffentlicht, wie es beispielsweise die europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reily angeregt hat.
Die Gegenlobby
Vom Fokus auf die Handlungsspielräume der EU-Kommission über die möglichst frühen Versuche der Einflussnahme bis hin zur Dominanz von Unternehmensinteressen gegenüber Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen: Diese Aspekte des TTIP-Lobbyismus sind in Brüssel an der Tagesordnung. Besonders die Undurchsichtigkeit der versuchten Einflussnahme und der privilegierte Zugang, den die EU-Institutionen den Unternehmenslobbies im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Akteuren oft gewähren, sind immer wieder von zivilgesellschaftlichen Organisationen
Die Bewegung gegen TTIP
Kein Projekt der EU hat je so viele Menschen mobilisiert wie TTIP. Der Widerstand gegen das Abkommen kam aus breiten Teilen der Gesellschaft und war europäisch:
Europaweit haben über 3,5 Millionen Menschen eine Petition gegen TTIP und sein Zwillingsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada unterzeichnet – die erfolgreichste Externer Link: https://stop-ttip.org">Unterschriftenaktion in der Geschichte der EU.
Über 2.000 Kommunal- und Regionalregierungen in ganz Europa haben TTIP/CETA-kritische Resolutionen verabschiedet, häufig in parteiübergreifenden Externer Link: Beschlüssen.
Viele Gewerkschaften, Gesundheits-, Umwelt-, Kultur- und Verbraucherschutzorganisationen Externer Link: lehnten TTIP ab.
In Deutschland, Österreich, Großbritannien, Belgien und den Niederlanden gab es Externer Link: Kampagnen kleiner und mittelständiger Unternehmen gegen TTIP.
100 Professor-/innen sprachen sich gegen die geplanten Sonderklagerechte für Konzerne in TTIP und CETA Externer Link: aus, genauso wie der Externer Link: europäische Richterbund.
Ungewöhnlich war bei der Auseinandersetzung um TTIP dagegen die intensive öffentliche Debatte um das Abkommen, an der sich auch die Zivilgesellschaft stark beteiligt hat. Europaweit wurde TTIP in Medien, Parlamenten und öffentlichen Veranstaltungen kontrovers diskutiert – unter reger Beteiligung von Unternehmen, aber auch von Umwelt- und Verbraucherorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften sowie Wissenschaftler/-innen. Das Demokratiedefizit der EU-Handelspolitik – die im Wesentlichen von nicht-gewählten Beamt/-innen sowie der Lobbyindustrie bestimmt worden war – stand dabei immer wieder im Zentrum der Kritik. So hat die Online-Kampagnen-Organisation SumOfUs "Geheimniskrämerei" angekreidet, mit der sich gewählte Abgeordnete bei den TTIP-Verhandlungen konfrontiert sahen