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Staatsschulden – sind wir alle bald pleite? | Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Staatsschulden – sind wir alle bald pleite?

Florian Schuster-Johnson

/ 7 Minuten zu lesen

Die einen sagen, der Staat mache zu viele Schulden. Den anderen macht er nicht genug. Was ist gut oder schlecht an Staatsschulden, was sind sie überhaupt – und sind wir womöglich alle bald pleite?

50-Euro-Scheine in der Druckerpresse, Animation. (© picture-alliance, Zoonar | Roman Ivashchenko)

Staatsschulden sind Geld, das der Staat sich von anderen leiht. Man könnte fragen: Hat der Staat es überhaupt nötig, sich Geld zu leihen? Geld ist immerhin ein Instrument der Politik. Sie und ich nutzen Euroscheine ja nicht, weil sie aus besonders wertvollem Material bestehen – sondern weil die Politik entschieden hat, dass sie einen Wert haben. Der Staat könnte also, wenn er Geld benötigt, einfach seiner Zentralbank auftragen, welches zu drucken. Das unterscheidet ihn von Privatpersonen, die ihre Ausgaben nur durch Einnahmen, Ersparnisse oder Schulden decken können. Die vierte Option – die Geldschöpfung – ist dagegen ausschließlich dem Staat vorbehalten.

Geldschöpfung

Praktisch schöpft der Staat Bargeld, während Banken sogenanntes Interner Link: Giralgeld Interner Link: schöpfen können. Es existiert, anders als Münzen und Scheine, nicht physisch, sondern nur elektronisch als Ziffer auf einem Konto. Möglich ist diese Giralgeldschöpfung, weil Banken ihren Kundinnen und Kunden wesentlich mehr Kredit einräumen dürfen, als sie an Kundeneinlagen haben.

Unbegrenzte Geldschöpfung hat aber einen Nachteil – sie erzeugt unter Umständen eine hohe Inflation. Die Alternative besteht darin, dass der Staat sich das Geld, das er braucht, um über seine Einnahmen hinausgehende Ausgaben zu finanzieren, am Finanzmarkt leiht. Das ist weniger inflationär, weil er damit insbesondere die Ersparnisse des Privatsektors nutzt, um öffentliche Ausgaben zu tätigen. In der Praxis geht die Regierung dafür nicht wie Sie oder ich zu einer Bank, sondern gibt Staatsanleihen aus. Das sind Wertpapiere, die Investoren dem Staat abkaufen. Der Staat zahlt den so eingenommenen Betrag dann über eine gewisse Laufzeit – meistens zehn Jahre – plus Zinsen zurück. Bei den Investoren handelt es sich um allerlei Akteure, die am Finanzmarkt teilnehmen. Dazu gehören etwa Zentralbanken anderer Länder, Banken, Versicherungen, Pensions- oder Investmentfonds.

Warum aber verschuldet sich der Staat überhaupt? Um das zu verstehen, muss man sich zwei wichtige Staatsaufgaben anschauen. Einerseits ist es die Aufgabe des Staates, die Wirtschaft zu stabilisieren, wenn es schlecht läuft. Droht eine Rezession, also ein Rückgang der Wirtschaftsleistung, sollte der Staat bewusst mehr Ausgaben machen als er Einnahmen erzielt, um so netto Geld in die Wirtschaft zu spülen. Das bedeutet, dass er neue Schulden aufnimmt.

Kurzarbeitergeld

Während der großen Wirtschaftskrise 2009 hat die Bundesagentur für Arbeit beispielsweise in großem Stil Kurzarbeitergeld bezahlt und so Entlassungen verhindert. Die Beschäftigten mussten ihre Ausgaben nicht so stark einschränken, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wurde stabilisiert. Vom Prinzip her funktioniert Kurzarbeitergeld so: Ein Unternehmen hat wegen der Rezession weniger Aufträge. Darum reduziert es die Arbeitszeit von Beschäftigten auf beispielsweise 50 Prozent und zahlt ihnen nur 50 Prozent ihres Gehalts. Für die nicht benötigte Arbeitszeit erhalten die Beschäftigten Kurzarbeitergeld als Lohnersatz, in der Regel in Höhe des Arbeitslosengelds.

Andererseits stellt der Staat öffentliche Güter bereit, etwa ein Bildungssystem, Straßen und Bahnen oder eine Armee. Diesen Aufgaben muss er dauerhaft nachkommen. Würde er je nach wirtschaftlicher Lage zu ihrer Finanzierung jedes Mal die Steuern erhöhen oder senken, wäre das für Haushalte und Unternehmen kaum planbar und würde sie belasten. Staatsschulden dienen also als Instrument, mit dem der Staat seinen Aufgaben dauerhaft verlässlich nachkommen kann. Mit ihnen kann er wirtschaftliche Schwächephasen ausgleichen, große gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel angehen und wichtige öffentliche Güter dauerhaft anbieten.

Der Staat hat dabei – anders als Privatleute – in der Regel kein Problem, neue Schulden aufzunehmen. Privatpersonen können auf Dauer nicht mehr ausgeben, als sie einnehmen. Denn ab einem gewissen Punkt können sie ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen, und niemand würde ihnen noch Geld leihen. Staaten wie Deutschland dagegen sind dazu in der Lage, weil sie erstens kein Verfallsdatum besitzen – sie existieren auf Dauer – und zweitens ein Monopol haben wie niemand sonst: Sie können theoretisch stets über Steuern die Einnahmen generieren, die es ihnen erlauben, ihre Schulden zurückzuzahlen. Dem Staat kann man also (fast) ohne Verlustrisiko Geld leihen.

Was ist gut oder schlecht an Staatsschulden?

Wie oben beschrieben erfüllen Staatsschulden eine Funktion. Sie sind ein makroökonomisches Steuerungsinstrument, denn sie sorgen dafür, dass gerade im Abschwung die Produktionskapazitäten der Unternehmen stärker ausgelastet sind, weiterhin produziert wird und Menschen ihre Jobs behalten können. Sie verhindern außerdem, dass in solchen Phasen wegen sinkender Steuereinnahmen bei Bildung oder der Verteidigung gespart werden muss. Andersherum sollte der Staat seine Verschuldung in Boomzeiten zurückfahren und einen Puffer für künftige Krisen aufbauen. Diese Idee der sogenannten antizyklischen Fiskalpolitik stammt ursprünglich von John Maynard Keynes, einem der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts.

Staatsschulden machen außerdem öffentliche Investitionen generationengerechter. Öffentliche Investitionen sind Ausgaben, die die produktiven Kapazitäten der Wirtschaft erweitern und so zu künftigem Wachstum und Steuereinnahmen beitragen, zum Beispiel Ausgaben für Straßen oder das Schienennetz. Weil diese zumeist erst in der Zukunft einen positiven Effekt auf die Produktion haben, ist es generationengerecht, wenn künftige Generationen an ihrer Finanzierung beteiligt werden. Das wird erreicht, wenn der Staat öffentliche Investitionen mit Schulden finanziert, die von künftigen Steuerzahlern, die davon profitieren, abbezahlt werden.

Staatsschulden sind jedoch auch mit Risiken behaftet. Die größte Sorge, wenn der Staat zu viel Geld ausgibt und Schulden macht, ist Inflation. Wie oben beschrieben sind Staatsausgaben ein Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Treibt der Staat die Nachfrage weiter nach oben, als das gesamtwirtschaftliche Angebot mithalten kann, steigen die Preise. Die Zentralbanken reagieren auf höhere Inflationsraten mit höheren Zinsen, welche Kredite verteuern, und so private Investitionen reduzieren. Diesen Effekt nennt man crowding-out.

Da auch für Staatsschulden Zinsen gezahlt werden, erhöht sich so die Belastung künftiger Generationen, die die Schulden zurückzahlen müssen. Hinzu kommt: Wenn der Staat mehr Zinsen auf seine Schulden zahlen muss, kann er tendenziell weniger für Bildung andere Bereiche ausgeben. Im Extremfall, wenn die Kreditgeber das Vertrauen in die Schuldentragfähigkeit verlieren, kann der Staat sich gar nicht mehr verschulden, weil ihm niemand mehr Geld leihen möchte. Dann kann er mit Kreditgebern auch nicht vereinbaren, dass alte Schulden erst später zurückgezahlt werden und muss kurzfristig harte Sparmaßnahmen einleiten. Diese können eine Krisensituation weiter verschlimmern.

Um diese Risiken einzudämmen, gibt es in vielen Ländern Schuldenregeln. Sie legen fest, wie viele Schulden ein Staat machen darf. Schuldenregeln können sinnvoll sein, weil sie die Politik zwingen, sorgsam mit dem verfügbaren Geld umzugehen. Sie kann dann nicht teure Wahlgeschenke mit Schulden erkaufen, die beim nächsten Wahlsieg helfen sollen, aber wirtschaftlich vielleicht nicht sinnvoll sind – so lautet ein Argument von Befürwortern strenger Vorgaben. Ob dafür eine Schuldenregel notwendig ist, ist aber umstritten. Schließlich versteckt sich hier die Annahme, dass man es den Wählerinnen und Wählern nicht zutraut, zwischen unsinnigen Wahlgeschenken und produktiven Staatsausgaben zu unterscheiden.

In Deutschland gibt es die bekannte Schuldenbremse im Grundgesetz, die die jährliche strukturelle Neuverschuldung auf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt. Außerdem gibt es Fiskalregeln auf EU-Ebene. Sie schreiben vor, dass der Staat pro Jahr nicht mehr als drei Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes an Schulden machen darf. Zudem muss sein Gesamtschuldenstand unterhalb von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, also des Bruttoinlandsprodukts, bleiben.

Sind wir alle bald pleite?

Grundsätzlich gilt: Staaten können dann pleitegehen, wenn ihnen niemand mehr Geld leihen möchte, mit dem sie frühere Schulden bedienen können. Manche Entwicklungs- und Schwellenländer sind in der Situation, dass das passieren kann. Dies liegt daran, dass sie sich nicht in ihrer eigenen Währung verschulden, sondern häufig in US-Dollar oder anderen ausländischen Währungen. Die eigene Währung kann ein Staat sich stets beschaffen, indem er sie „drucken“ lässt, sprich: indem er sich bei der eigenen Zentralbank verschuldet. Dies funktioniert bei ausländischen Währungen nicht. Weil sie diese Währungen nicht selbst kontrollieren, sind manche Entwicklungs- und Schwellenländer darauf angewiesen, dass ihnen ausländische Banken oder internationale Organisationen (wie der Internationale Währungsfonds ) dieses Geld zur Verfügung stellen. Tun sie das nicht, können diese Länder zahlungsunfähig werden.

Länder wie die USA, Japan oder Großbritannien stehen dagegen nicht vor diesem Risiko. Sie verschulden sich in ihrer eigenen Währung, und im Zweifel kann ihnen die eigene Zentralbank stets Geld leihen, indem sie Geldscheine druckt und so Geld schöpft. Sie können nicht unfreiwillig bankrottgehen.

In der EU ist die Lage komplizierter. Es ist nicht klar, ob die Europäische Zentralbank (EZB) im Notfall jedem Euroland unter die Arme greifen würde, wenn Zahlungsschwierigkeiten auftreten. Wahrscheinlich ist das aber schon, weil man den Euro als Währung unter allen Umständen verteidigen will. Für Deutschland ist viel wichtiger, dass es die Hilfe der EZB nicht benötigt, weil es unter allen Euroländern eine hervorgehobene Stellung hat. Seine Schuldscheine, die Bundesanleihen, sind das fundamentale risikofreie Wertpapier in der Eurozone, das Finanzmarktpreisen zugrunde liegt und aus Kapital- und Liquiditätsgründen von Banken gehalten wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass niemand mehr deutsche Bundesanleihen kaufen möchte, ist nahe null. Ob die Staatsfinanzen nachhaltig sind, hängt aber noch von zwei weiteren Kriterien ab. Erstens sollten die Zinskosten des Staats moderat bleiben, damit er nicht bei gesellschaftlich wichtigeren Ausgaben kürzen muss. Zweitens sollte die Wirtschaft immer voll ausgelastet sein, d. h., es gibt ausreichend Nachfrage und Arbeitsplätze, Menschen verdienen gute Einkommen, es wird viel investiert und produziert. Das sichert nachhaltige Staatsfinanzen, weil es die Ausgaben des Staates für soziale Unterstützungsleistungen oder Rentenzuschüsse senkt und hohe Steuereinnahmen schafft. Genau an diesem Punkt hat Deutschland aktuell ein Problem. Geopolitische Spannungen belasten den Handel und sorgen für Unterauslastung in Exportbranchen. Gleichzeitig steht die Bundesrepublik mit Fachkräftemangel, Dekarbonisierung und einer verschlechterten Sicherheitslage vor immensen Herausforderungen. Staatsschulden, die für Investitionen in diese Bereiche genutzt werden, und kluge Fiskalregeln, die den Spielraum für solche Investitionen schaffen, können hier einen Beitrag leisten. Denn Herausforderungen dieser Größe lassen sich nicht aus den jährlichen Steuereinnahmen bezahlen. Werden sie heute gemeistert, ernten vor allem künftige Generationen die Früchte.

Die aktuellen Schuldenregeln, sowohl die Schuldenbremse als auch die EU-Regeln, sind gegenüber Bedarfen wie dem klimafreundlichen Umbau einer ganzen Gesellschaft blind. Das ist ein Grund, warum die Kritik an der deutschen Schuldenbremse breiter geworden ist. So haben inzwischen Ökonomen, die verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen Denkschulen angehören, mehr oder weniger weitreichende Reformvorschläge vorgelegt, darunter der Sachverständigenrat für Wirtschaft, das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft sowie das gewerkschaftsnahe Wirtschaftsinstitut IMK und auch der fiskalpolitische Thinktank Dezernat Zukunft, dem der Autor angehört.

Deutschland steht kurzfristig nicht vor einem Staatsbankrott. Im internationalen Vergleich hat die Bundesrepublik eine niedrige Schuldenquote und ein relativ geringer Teil der Staatsausgaben wird für Zinszahlungen gebraucht. Damit das langfristig so bleibt, sollte heute die Grundlage für künftiges Wachstum gelegt werden. Staatsschulden können dazu einen Beitrag leisten. Das ist in der Wirtschaftswissenschaft weitgehend Konsens. Strittig ist lediglich, wie hoch die Staatsschulden sein sollten.

Weitere Inhalte

Florian Schuster-Johnson ist Head of Growth & Budget Lab beim Thinktank Dezernat Zukunft. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt für den Internationalen Währungsfonds, am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln und der Deutschen Bundesbank. Zu seinen Schwerpunkten gehören Fiskalpolitik, Makroökonomik und Finanzstabilität.